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Aufmerksamkeit – bewusst fokussieren Wie du deine Psyche bergfit machst

Mentale Stärke ist am Berg gefragt. Mentale Stärke braucht es aber auch im Alltag. Mentaltraining nützt allen, egal, ob du ein motivierter Wandervogel oder ambitionierte Bergsteigerin bist. In einer 4-teiligen Artikelserie zeigt Maya Lalive, Co-Autorin des Buches «Mental stark am Berg», wie du deine Psyche gezielt beeinflussen kannst: Über die Atmung (zur Entspannung und Aktivierung), über die Vorstellung (zum Vorstellen von Situationen, Zielen und Bewegungen), über Selbstgespräche (zur Beeinflussung unserer Gedanken und inneren Gespräche und damit auch deiner Gefühle) und über die Aufmerksamkeit (Steuerung der Konzentration).

Kennst du dies? Du bist am Klettern, eine schwierige Passage steht an. Die Kletterkollegen schwatzen, ein Hund bellt, du blickst nach oben – wo ist der nächste Griff?, nach unten – wo ist der nächste Tritt? – die Schulter schmerzt, hinter der Wand türmen sich Gewitterwolken, «Mist», denkst du ... .. und schon schmierst du ab.

Wenn du am Limit bist, egal ob aus Müdigkeit oder mangelnder Technik, dürfen dich während des Schlüsselzugs weder der Zug vorher noch der Zug nachher noch sonst etwas beschäftigen. Deine ungeteilte Aufmerksamkeit muss dem Zug gelten. Das gilt nicht nur beim Klettern, sondern überall. Auch eine unbeachtete Wurzel am Wegrand reicht, um vom Wanderweg ins Tobel hinunterzustürzen oder vom Bike zu fallen. Die Berg-Notfallstatistik des SAC legt davon ein beredtes Beispiel ab.

Der bewusste Umgang mit dem Wechsel der eigenen Aufmerksamkeit ist eine wichtige Voraussetzung für ein situationsangemessenes Verhalten, besonders am Berg. Und ist neben deiner Atmung, deiner Vorstellung und der Selbstgespräche die vierte mental Waffe oder Karte, die du ausspielen kannst.

Auf einer Tour musst du beispielsweise die ganze Route wie den einzelnen Wegverlauf und die Grosswetterlage im Kopf bzw. im Auge haben. Andererseits musst du deine eigene Befindlichkeit, deinen körperlichen Zustand, deine Gefühlslage, mitunter auch diejenige deiner Kollegen spüren und abschätzen. Was liegt noch drin, was nicht? Oder du musst dich auf eine ganz spezifische Handlung, einen Schlüssel-Zug oder einen Schwung fokussieren, um unmittelbar danach deine Aufmerksamkeit wieder auf die Beschaffenheit des Geländes zur richten. Die nachfolgende Zeichnung verdeutlicht die verschiedenen Formen der Aufmerksamkeit (nach Nydeffer & Sagal 2002 bzw. Eberspächer 1995).

Wird die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper gerichtet, spricht man von internalem Fokus, liegt er ausserhalb des Körpers von externalem Fokus. Wird der Fokus auf ein Detail gelegt (bspw. die schmerzende Hand oder die einzelne Blume), spricht man von eng, wird der Fokus auf ein breiteres Umfeld gerichtet, spricht man von weit (bspw. ich als Person und mein Gesamtbefinden bspw. das gesamte Blumenfeld). 

Normalerweise machst du diesen Wechsel automatisch. Unter Stress, bei Ermüdung oder infolge Ablenkung wird diese Fähigkeit jedoch beeinträchtigt, was – besonders am Berg - unliebsame Folgen haben kann. Das gilt auch beim Mountainbiken, beim Freeriding oder auch beim vermeintlich gefahrlosen Wandern.

Aufmerksamkeitswechsel am Berg

Das bewusste Lenken der Aufmerksamkeit hilft dir u.a. auch bei Durststrecken. Konzentriere dich bewusst für eine bestimmte Zeit auf ein sporttechnisches Element, deinen Atem, den Weg, die Spur, Geräusche usw. Und schon ist die nächste Wegbiegung erreicht.

Ablauf

  • Nimm die Umgebung, das Wetter wahr, ohne dich auf etwas Spezielles zu konzentrieren (external-weit). Lass die Bilder auf dich wirken.
  • Konzentriere dich bewusst auf eine bestimmte Bergkuppe oder den Gipfel deiner Wanderung (external-eng).
  • Konzentriere dich auf deinen ganzen Körper. Wie ist die Körperspannung, das Körpergefühl etc. (internal-weit).
  • Konzentriere dich nun auf ein einzelnes Glied, den Fuss. Was spürst du? Schmerzt er? Wie rollst du ab? (internal-eng).
  • Mache dies mehrerer Male hintereinander in derselben Reihenfolge.
  • Kehre nun die Reihenfolge um, variiere die Reihenfolge willkürlich, aber bewusst. Richte dabei deine Aufmerksamkeit auf neue Ziele. Die Hütte, deine Partnerin, deinen Atem.
  • Integriere nun in diese Übung, was du in den letzten drei Artikeln gelesen und gelernt hast.
    • Unterstütze dich beim Wechsel der Aufmerksamkeit mit Selbstgesprächen: «Ich blicke auf die Hütte...», «Ich spüre ein Ziehen im Bein». Aktiviere dich situationsgerecht mit einer Pusch!- oder Pfffhhh-Atmung.
    • Führe die Übung schliesslich zu Hause ausschliesslich in deiner Vorstellung und mit geschlossenen Augen durch. Erinnere dich dabei auch an den Duft der Blumen, das Geröll auf dem Weg, das Ziehen im Bein und wie du deine Aufmerksamkeit bewusst umlenkst.

Dein mentales Kartenset für unterwegs

Du hast dein mentales Blatt in der Hand. Die Atmung, die Vorstellung, das Selbstgespräch und die Aufmerksamkeit. Sie sind dein Jasset für unterwegs. Für ein Spiel braucht es alle vier. Und wie beim Jassen, ist es wichtig, dass du einerseits das Spiel beherrschst und die Spielregeln kennst, andererseits im richtigen Moment und unter Erfolgsdruck die richtige Karte zu ziehen weißt und ausspielst. Viel Glück!

Übung macht den Meister

Mentale Fertigkeiten erwirbst du nicht über Nacht. Auch wenn es sich einfach liest. Wissen heisst nicht Können. Nur regelmässiges und diszipliniertes Technik- und Feldtraining macht dich stark.

Mach deine Psyche bergfit mit dem Buch «Mental stark am Berg»

Autor / Autorin

Maya Lalive

Maya Lalive, lic. Phil. I, ist als Coach für Privatpersonen und Führungskräfte sowie als Motivationsrednerin tätig. Sie ist Wander- und J+S Leiterin. In ihrer Freizeit ist die ehemalige Publizistin, Unternehmerin und Politikerin im Gebirge beim Klettern anzutreffen, wo sie sich auch für ihre Kunsttätigkeit inspirieren lässt.

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