Vorstellung - bewusst Situationen und Ziele vergegenwärtigen | Schweizer Alpen-Club SAC
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Vorstellung - bewusst Situationen und Ziele vergegenwärtigen Wie du deine Psyche bergfit machst

Mentale Stärke ist am Berg gefragt. Mentale Stärke braucht es aber auch im Alltag. Mentaltraining nützt allen, egal, ob du ein motivierter Wandervogel oder ambitionierter Bergsteiger bist. In einer 4-teiligen Artikelserie zeigt Maya Lalive, Co-Autorin des Buches «Mental stark am Berg», wie du deine Psyche gezielt beeinflussen kannst: Über die Atmung (zur Entspannung und Aktivierung), über die Vorstellung (zum Vorstellen von Situationen, Zielen und Bewegungen), über Selbstgespräche (zur Beeinflussung unserer Gedanken und inneren Gespräche und damit auch deiner Gefühle) und über die Aufmerksamkeit (Steuerung der Konzentration).

Kennst du dies? Du solltest deine Beinkraft stärken, doch die Lounges und Squats öden dich an. Was tun? Nutze deine Vorstellung und aktiviere dein Zielbild! Sieh dich vor deinem inneren Auge auf dem Gipfel, müde, aber glücklich! Und schon spürst du neue Kraft in deinen Beinen und das Training läuft wie geschmiert.

Das bewusste und gezielte Sich-Vorstellen von Situationen, Zielen, Gefühlsempfindungen und Bewegungen ist wie die Atmung eine wichtige mentale Waffe. Sie hilft uns buchstäblich «Berge zu versetzen». Beim Vorstellungstraining lässt du vor deinem inneren Auge einen «Film» ablaufen, in welchem du spezifische Situationen, Handlungsweisen inkl. der dazu passenden Geräusche, Empfindungen, Gerüche usw. erlebst und unter optimalen Bedingungen durchführst. Das kann eine Schlüsselstelle sein, die Handhabung eines Gerätes, beispielsweise des LVS, ein einzelner komplexer Bewegungsablauf aber auch ein ganzer Routen- oder Wettkampfverlauf. Mit dem mentalen «Durchspielen» trainierst du dein situatives Verhalten und Empfinden im «Trockentraining», du gewinnst an Kompetenz und Sicherheit.

Mit der Vorstellung kannst du auch gut nur einzelne Bilder oder eine Bildfolge aktivieren. Oft reicht bereits die Vorstellung von einem Ziel-, Kraft- oder Beruhigungsbild, damit du wieder motiviert bist, dich an deine Stärken erinnerst oder dich lockerer fühlst. Sei dies unterwegs am Berg, vor einer wichtigen Präsentation im Job, wenn die Kinder nörgeln oder wenn du wegen des COVID-19 gezwungen bist, zu Hause zu bleiben.
 

Stärkung der Vorstellungskraft

Auch das Vorstellungsvermögen will trainiert werden, soll es präzise sein. Übe dein Vorstellungsvermögen zuerst an einfachen und vertrauten Objekten und Situationen, bevor du dir eine konkrete Situation am Berg vornimmst. Achte dabei auf kleinste Details und rufe dir diese punktgenau in Erinnerung. Setze bewusst alle deine Sinne ein, nicht nur das innere Auge.

Nimm dazu einen einfachen Gegenstand, der möglichst viele Sinne anspricht, beispielsweise eine Zitrone. Entspanne dich mit einer kurzen Atemübung. Schaue dir die Zitrone genau an. Nimm jedes Detail wahr, die Schale, die Farbe, wie sie sich anfühlt. Schneide sie auf, nimm einen Zitronenschnitz in den Mund, schmecke die Säure, das Fruchtfleisch, das zwischen den Zähnen stecken bleibt, spüre wie es dir die Wangen zusammenzieht. Lege nun die Zitrone weg. Schliesse die Augen und vergegenwärtige, was du eben erlebt hast, punktgenau in deiner Vorstellung wieder, inklusive Geschmack, Geräusche, Bewegungen. Achte auf jedes Detail. Wiederhole die Übung mehrmals, rufe dabei möglichst präzise immer dieselbe Vorstellung ab, bis Realität und Vorstellung detailgetreu übereinstimmen. Du kannst dein Erinnerungsvermögen anfangs auch mit Worten oder einer Zeichnung unterstützen.

Übe so dein Vorstellungsvermögen nun täglich während einiger Tage/Wochen. Hier einige Beispiele:

  • Du wartest im Restaurant oder am Bahnhof? Entspanne dich. Schliesse kurz die Augen und erkunde in deiner Vorstellung deine Umgebung. Was und wen siehst du? Welche Farben haben die Gegenstände? Welche Menschen sind dir aufgefallen. Was hörst du? Was riechst du? Wie fühlt sich die Tischplatte an? Öffne die Augen und vergleiche danach dein Erinnerungsvermögen mit der Realität.
  • Lauf deine Joggingstrecke (Arbeitsweg etc.) im Geiste nach. Halte die wichtigsten Merkpunkte fest (Wegbiegung, Kinderspielplatz, Wald, Strassenbelag etc.). Schreibe sie nieder. Prüfe bei der nächsten Joggingrunde, ob deine Zeichnung mit der Realität übereinstimmt. Dehne diese Übung, wenn du dich sicher fühlst, auf eine einfache Kletterroute, eine Wanderung aus.
  • Stelle dir nun einfache, aber für dich wichtige Handlungen vor und führe die einzelnen Handhabungen unter Nutzung aller Sinne im Geiste durch (bspw. den einfachen und gesteckten Achterknoten, die Handhabung des LVS Gerätes, wie du mit deinem Bergsteigermaterial eine improvisierte Tragbahre machst, einen Bewegungsablauf wie die Spitzkehren beim Skitourenlaufen).

Die Vorstellungskraft richtig nutzen will gelernt und trainiert sein. Dies gilt insbesondere wenn du dir komplexe sporttechnische Bewegungsabläufe oder ganze Renn- oder Routenverläufe, wie es bei Spitzensportlern üblich ist, vergegenwärtigen willst. Da brauchst du detaillierte Fach- und Technik- oder Situationskenntnisse, damit du nichts Falsches einübst.

Einfacher für uns als Freizeitsportler ist das Entwickeln und Vorstellen von Ziel-, Kraft- und Motivationsbildern (Ein Werkzeug, das auch Kinder gerne nutzen).

Kraft-, Motivations- und Zielbilder

Triggerbilder bringen dich rasch und unmittelbar wieder auf Kurs, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, du müde oder demotiviert bist, an deiner Kompetenz zweifelst oder einfach gestresst bist (auch ein Ruhebild ist ein Kraftbild).

  • Lege Ziel, Zweck und Einsatz deines «Trigger»-bildes fest.
  • Identifiziere ehrlich deine Stärken und Schwächen.
  • Suche danach dein für dich passendes Bild/Symbol oder eine kurze Bildsequenz, welche diejenigen Eigenschaften und Verhaltensweisen verkörpern, die für dich generell oder im Hinblick auf eine konkrete Herausforderung oder Sportart zentral sind. Das kann ein Tier sein (kraftlos gleitend und beweglich wie eine Schlange fahre ich durch den Stangenwald, behände und trittsicher wie eine Gämse steige ich dem Gipfel zu, ruhig und gelassen wie ein Murmeltier bringt mich nichts aus der Ruhe). Oder du selbst in Aktion (Saubere Risstechnik, sicheres Setzen von Friends und Keilen, ruhig und sicher und regelmässig ziehst du deine Schwünge den Steilhang hinunter). Auch ein symbolischer Gegenstand (deine Kletterschuhe, Symbol für Vertrauen in Fusstechnik) oder ein visualisiertes Ziel (das Gipfelfoto) passt. Wichtig ist, dass du dich mit deinem Bild identifizierst und es für dich emotional positiv aufgeladen ist.
  • Achte dabei darauf, dass dein Triggerbild zwar anspruchsvoll ist, sich jedoch bei aller Emotionalität und Bildlichkeit stets an deinem effektiven Potential orientiert.
  • Übe das Triggern des Bildes zuerst zu Hause – vor dem Einschlafen, wenn du an der Bushaltestelle wartest, im Büro. Spüre nach, ob es passt. Ansonsten passe es an. Teste es danach unterwegs am Berg. Mache ggf. Anpassungen, bis du dich rundum wohl fühlst mit ihm.

Übung macht den Meister

Mentale Fertigkeiten erwirbst du nicht über Nacht. Auch wenn es sich einfach liest. Wissen heisst nicht Können. Nur regelmässiges und diszipliniertes Technik- und Feldtraining macht dich stark.

Mach deine Psyche bergfit mit dem Buch «Mental stark am Berg»

Autor / Autorin

Maya Lalive

Maya Lalive, lic. Phil. I, ist als Coach für Privatpersonen und Führungskräfte sowie als Motivationsrednerin tätig. Sie ist Wander- und J+S Leiterin. In ihrer Freizeit ist die ehemalige Publizistin, Unternehmerin und Politikerin im Gebirge beim Klettern anzutreffen, wo sie sich auch für ihre Kunsttätigkeit inspirieren lässt.

SAC-Kurs «Mentales Training»

Deine mentalen Fähigkeiten kannst du auch im SAC-Grundausbildungskurs «Mentales Training (wie) funktioniert das?» trainieren.
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