«Die Leiche konnte nicht dort hängen bleiben» | Schweizer Alpen-Club SAC
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«Die Leiche konnte nicht dort hängen bleiben» Schwierige Stahlseilbergung in der Matterhorn-Nordwand 1967

Dramatische Tage in der Matterhorn-Nordwand im März und im Juli 1967: zuerst die zweite Winterbegehung der Bonatti-Direktroute mit einem Toten und zwei Verletzten, dann die Bergung der Leiche mit der neuen Rettungsart Diagonaltechnik. Beides bei stark verschneiten Verhältnissen.

«Die Leiche des unglücklichen Tschechen wurde unter Dutzenden von Zentimetern Schnee auf etwa 3900 m Höhe entdeckt. Nur die Füsse und der Kopf ragten aus der weissen Masse heraus. Er hatte beide Hände an die Brust gepresst, die in seine rote Jacke gehüllt war.» Der Bericht auf der Frontseite der Walliser Tageszeitung Nouvelliste du Rhône vom Mittwoch, 5. Juli 1967, sparte nicht mit Details zur erfolgreichen Bergung des 24-jährigen Stanislaw Lednar aus der Matterhorn-Nordwand mittels Stahlseil. Titel des Artikels: La fin d’un cauchemar – das Ende eine Albtraums.

Der Albtraum hatte im März 1967 begonnen. Die vier slowakischen Alpinisten aus Bratislava Jan Durana, Jozef Psotka, Milan Kalab und Stanislaw Lednar waren in die Nordwand eingestiegen, um die zweite Begehung der von Walter Bonatti im Februar 1965 im Alleingang eröffneten Direktroute zu machen.

Am 19. März stürzte Lednar im mittleren Wandteil rund 80 Meter ab, wobei er schwerste Verletzungen erlitt. Seine Kameraden umsorgten ihn so gut als möglich bis zu seinem Ableben. Sie fixierten ihn und vollendeten bei weiterhin schwierigen Wetterverhältnissen am siebten Tag die Durchsteigung der Nordwand. Beim Abstieg über den Hörnligrat blieben Durana und Kalab mit Erfrierungen im Solvaybiwak SAC zurück und wurden mit dem Helikopter gerettet, während Psotka den Abstieg zusammen mit einem deutschen Alpinisten schaffte.

Angehörige wünschen Beerdigung daheim

An eine Bergung der Leiche von Lednar sei vorläufig nicht zu denken, heisst es im Artikel Matterhorn-Nordwand: Nach Glanzleistung dramatische Rettung der Walliser Nachrichten vom 24. März 1967: Man könne nicht Menschenleben aufs Spiel setzen, um einen Toten aus der Wand zu holen. Aber, so schliesst der im Dezemberbulletin der Zeitschrift «Die Alpen» publizierte Bericht von Erich Friedli, dem Rettungschef des SAC-Central-Comités Bern, über die Matterhorn-Bergungsaktion vom 2. bis 4. Juli 1967: «Die Angehörigen wünschten sehnlichst eine Beerdigung in heimatlicher Erde. Die Leiche konnte nicht auf unbestimmte Zeit dort hängen bleiben.»

Die von Friedli koordinierte Bergungsaktion begann am Samstagabend, 1. Juli 1967, in Zermatt mit genauen Erläuterungen. Nur das Wetter hielt sich nicht an die Pläne – und an die eigentlich guten Prognosen. Regen und Gewitter, Schneefall und Nebel erschwerten in den nächsten drei Tagen die komplizierten Tätigkeiten am Berg und in der Luft. Neben den 25 Rettungsspezialisten beteiligten sich zwei Militärhelikopter. Diese waren insbesondere für den Transport des Materials zum Solvaybiwak und auf die Schulter (gut 4200 m) am Hörnligrat zuständig.

Dort oben wurden zwei Stahlseilwinden verankert, mit denen am 4. Juli die beiden Bergführer René Arnold aus Zermatt und Ruedi Kaufmann aus Grindelwald in die Nordwand abgelassen wurden. Sie waren per Funk ständig mit Friedli auf der Schulter verbunden, der wiederum mit dem Beobachtungsposten auf der Stafelalp in Verbindung stand.

Erich Friedli schildert in der Zeitschrift «Die Alpen» von 1967 das heikle Abseilen: «Um 10.03 Uhr sind die ersten 100 Meter abgeseilt, dann erfolgt die Kupplung der zweiten Seiltrommel zu 100 Meter, und weiter geht es nochmals fast 100 Meter in die Tiefe. Um 10.30 Uhr die Stopp-Meldung vom Beobachtungs-Posten: Traversieren und hochsteigen nach rechts. Nun kommt eine zeitraubende Phase: Der Mann rechts traversiert etwa 20 Meter, wobei er gleichzeitig aufsteigen muss. Am Ende dieser Traverse wird eine Verankerung errichtet, und 2 Umlenkrollen werden eingehängt. Der zweite Mann wird mit einem Partieseil nachgezogen, dann kann das Abseilen weitergehen.»

Hört sich kompliziert an – und war es auch. Diese Technik der Traversierung mit Stahlseil-Rettungsgerät, kurz Diagonalrettung genannt, war im Mai und im Juni 1967 in den CC-Rettungskursen in der Aareschlucht sowie in Dorénaz geübt worden und hatte in der Matterhorn-Nordwand ihren ersten Ernsteinsatz. Nach 60 Metern Abseilen wurde eine zweite Traverse nötig, und nach nochmals 70 Metern Abseilen erreichten Arnold und Kaufmann um 12.35 Uhr den toten Stanislaw Lednar. Friedli: «Das Lösen der angefrorenen Leiche macht etwelche Schwierigkeiten.»

Rechtfertigung für aufwendige Bergung

Eine knappe Stunde später begann das Aufziehen der beiden Bergführer mit ihrer traurigen Last. Um 15 Uhr war die Leiche auf der Schulter. Von da an ging alles sehr schnell: Zuerst wurde die Leiche vom Helikopter übernommen, dann gab es drei Flüge ab Schulter und einen ab Solvay mit dem Material. René Arnold rechtfertigte im Nouvelliste du Rhône die aufwendige Bergungsaktion, bei der übrigens ein Kameramann des Schweizer Fernsehens für die Sendung Antenne dabei war: «Wenn sich anstelle einer Leiche in der Wand an dieser Stelle ein verletzter Bergsteiger befände, der auf unsere Hilfe wartet … was würden wir tun?»

Autor / Autorin

Daniel Anker

Daniel Anker ist ein Berner Autor und Fotograf. Der Historiker hat ungefähr 40 Skitouren-, Wander-, Klettersteig- und Radführer sowie Bergmonografien über grosse Gipfel der Schweiz verfasst.

Stahlseildramen am Eiger

Kein Bergunglück erhitzte die Gemüter mehr als die Eiger-Nordwand-Tragödie im August 1957. Eine Viererseilschaft kam langsam voran, bis die Italiener Claudio Corti und Stefano Longhi erschöpft und verletzt aufgaben und die Deutschen Günter Nothdurft und Franz Mayer kurz darauf spurlos verschwanden. Mit einer zu Beginn unglücklich organisierten Rettungsaktion von Alpinisten aus sechs Nationen konnte am 11. August vom sturmumtosten Eigergipfel einzig Claudio Corti mit dem Stahlseil lebend aus der Nordwand geborgen werden. Die Rettung von Longhi scheiterte; vom Westgrat aus hörten die Retter seine letzten Worte: «Fam, frecc!» («Hunger, kalt!»)
Für zusätzliche Schlagzeilen sorgten zögerliche einheimische Bergführer, die von der internationalen Presse kritisiert wurden, und kantige Funktionäre, die sich öffentlich zerstritten. An all dies erinnerte zwei Jahre lang die Leiche von Longhi, die sichtbar für Anwohner wie Touristen oben in der Nordwand baumelte. Mit der Stahlseilbergung des «Schandflecks» stellten die Bergführer am 9. Juli 1959 ihren angeschlagenen Ruf in Sachen Rettung und Bergung wieder her. Und am 22. September 1961 entdeckte man die Leichen der beiden Deutschen in der Eiger-Westflanke – sie hatten am 10. August 1957 ihre Retter nur um Stunden verfehlt.

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