«In der Natur leben, das ist eine grosse Sehnsucht» | Schweizer Alpen-Club SAC
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«In der Natur leben, das ist eine grosse Sehnsucht» Fernsehfrau Mona Vetsch über Mensch und Tier in den Bergen und über das «echte» Leben.

Die Fernsehmoderatorin Mona Vetsch lebt in der Stadt Zürich. Für ihre Sendungen schnürt sie aber auch immer wieder die Bergschuhe. Sie steigt steile Schutzwälder hinauf, geht auf die Hochjagd oder arbeitet auf der Ziegenalp. Dabei stehen stets die Menschen und ihre Lebenswelten im Zentrum.

Mona Vetsch, gibt es genug Ideen für Ihre Sendung Mona mittendrin? Vielleicht wäre Mona auf der SAC-Hütte, Mona bei der Bergrettung oder Mona mit dem Bergführer auf dem Matterhorn mal etwas?

Ja, beim Matterhorn wäre ich dabei. Aber ein Kollege hat es für die Sendung Reporter kürzlich bestiegen. Deshalb weiss ich, wie es dort aussieht. Vorher hätte ich dreist gesagt: «Da bin ich dabei.» Aber jetzt habe ich ein bisschen mehr Respekt.

Sind Sie eine Bergsteigerin?

Gar nicht, ich bin ein Kind der Weite. Ich bin im Thurgau auf dem Seerücken aufgewachsen, das ist ein flacher Hügel. Die Berge in meiner Kindheit waren die Voralpen, das Toggenburg oder das Appenzellerland. Ich habe mir die Berge ein Stück weit selbst erobert. Aber mich interessiert der Teil der Berge, wo noch etwas wächst und wo es noch Menschen gibt.

Dort sind Sie manchmal auch für Ihre Sendungen anzutreffen. Letzten Herbst waren Sie auf der Bündner Hochjagd. Für die Gamsjagd sind Sie vor der Dämmerung aufgebrochen und haben in den Bergen einen wunderschönen Morgen erlebt. Was bedeutet Ihnen so etwas?

Solche Momente sind ein Geschenk. Da werde ich demütig, weil ich merke, wie klein und vernachlässigbar wir sind und wie gross alles rund herum ist. Ich war aber wahnsinnig froh, dass die Gämsen, die wir dann gesehen haben, im Schutzgebiet waren und wir sie nicht schiessen mussten. Obwohl Jagdfieber zu einem gewissen Teil ansteckend ist. Wenn man drei Tage mit Jägern unterwegs ist, interessiert man sich plötzlich dafür, woher der Wind kommt, oder achtet darauf, dass man nicht gesehen wird. Man ist ganz anders in der Natur unterwegs als beim Wandern zum Beispiel. Eine Landschaft ist nicht für alle gleich, es kommt darauf an, wie man sie betrachtet.

Aber den Hirsch haben die Jäger geschossen und gleich im Wald ausgeweidet. Da ging es Ihnen nicht mehr so gut.

Ich wusste, dass ich kein Blut sehen kann. Ich dachte, der schlimme Moment wird für mich sein, wenn sie den Bauch aufschneiden. Aber viel heftiger war der Geruch. Da musste ich mich kurz hinsetzen. Einen Moment der Schwäche erleben ist auch eine gute Erfahrung. Sonst geht es mir eher wie beim Bergsteigen, niemand möchte die Gruppe aufhalten, und ich schaue, dass ich zumindest mithalten kann.

Im Wallis waren Sie im Schutzwald. Sie gingen mit jungen Forstwarten Steilhänge hinauf und kamen nicht einmal ausser Atem. Wie halten Sie sich fit?

Ich habe eine zähe Grundkonstitution, und ich bin eine Wildsau. Eine Herausforderung gibt mir einen Kick. Ich funktioniere nach dem Motto: «Ich schaue mal, wie weit hinauf ich da komme.» Die Hänge waren sehr steil, und es hatte langes, vom Schnee flachgedrücktes Gras, das war wie eine Rutschbahn. Ich bin nicht tollkühn, aber ein gewisses Flattern in der Magengegend habe ich gerne.

Treiben Sie keinen Sport?

Nicht viel. Aber ich habe angefangen zu bouldern und mache einen Kurs. Klettern hat mich immer fasziniert, aber ich bin nie dazu gekommen. Ich masse mir nicht an, irgendwann genug von einer Felswand zu verstehen, um richtig klettern zu gehen. Aber Bouldern, das probiere ich jetzt. Ohne Ambitionen. Man darf auch Sachen tun, die einfach nur Spass machen und ein gutes Gefühl geben.

Sie haben gesagt, dass es vor allem die Menschen sind, die Sie in den Bergen interessieren. Diese Leute sind manchmal etwas urchig, oft sehr direkt. Wie erleben Sie sie?

Ich habe nichts lieber als Leute, die direkt sind. Das ermöglicht mir, es auch zu sein, und das ist die angenehmste Art, mit Leuten zu tun zu haben. Das hat nichts Gespieltes, nichts Gestelltes. Die wollen sich nicht besser machen, als sie sind. Begegnungen mit Leuten, die echt sind, sind für mich das Schönste.

In der Gesamtschule im Bergdorf Tenna merkten Sie, dass die Schüler die Lehrerin duzen und alles familiär ist. Sind die Menschen ab einer gewissen Höhe über Meer anders?

Das hat nichts mit der Meereshöhe zu tun, sondern damit, ob man sich seine Leute aussuchen kann oder nicht. Ich bin in einem Dorf mit 100 Einwohnerinnen und Einwohnern aufgewachsen, mit mehr Kühen als Menschen. Wenn in deiner Klasse nur fünf Kinder sind, kannst du nur mit diesen vier anderen Kindern etwas unternehmen. Bei Freizeitangeboten ist es genau gleich. Du gehst entweder in den Jungschützenkurs oder in den Turnverein. Das ist alles, und es sind immer die gleichen Leute.

Viele Menschen in den Bergen arbeiten hart, wie der Besuch auf einer Ziegenalp im bündnerischen Val Medel zeigt. Oder hat der Eindruck getäuscht, dass Sie nach drei Tagen erschöpft waren?

Ich war nach drei Tagen nudelfertig. Und es ist nicht so, dass es mir die vier Frauen, die die Alp bewirtschafteten, extra streng gemacht hätten. Es gibt einfach so viel zu tun, und Ziegen sind wie ein Sack Flöhe. Die Frauen hätten es sich auch einfacher machen können. Aber sie sind mit den Ziegen auch deshalb so hoch hinaufgegangen, um die Verbuschung, also die Ausbreitung von Sträuchern und Bäumen, zu reduzieren. Solche Zusammenhänge interessieren mich. Was macht es mit unseren Alpweiden, wenn immer weniger Tiere dort oben sind?

Hat Ihre Sendung den Anspruch, solche Zusammenhänge zu erklären?

Um die Zusammenhänge im Detail zu erklären, gibt es bei SRF andere Sendeformate wie die Wissenssendung Einstein. Aber bei Mona mittendrin können wir ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge wecken. Uns geht es darum, einen Lebensraum aufzuzeigen. Die Sendungen drehen sich nie um ein Thema, es geht um die Menschen und um ihre Lebenswelt. Und da merkt man, dass die Lebenswelten nicht simpel sind, sie sind nie schwarz-weiss, sondern geprägt von Zusammenhängen.

Am Ende der Sendung über die Ziegenalp fragten Sie sich, wo das «echte» Leben ist, in den Bergen oder im Tal. War das eine Momentaufnahme, oder haben Sie sich schon ernsthaft überlegt, das Stadtleben für ein «echtes» Leben aufzugeben?

Ja, das ist einer von meinen heimlichen Träumen. Ich möchte nicht unbedingt in die Berge, aber ich hätte gerne ein kleines Holzhaus mit Land drum herum, wo ich Hühner und Schweine halten und einen grossen Garten haben kann. In der Natur leben, das ist eine grosse Sehnsucht. Aber das Leben in der Stadt ist genauso «echt». Ich lebe gern in Zürich.

Die Natur verändert sich gerade stark. Für eine Ihrer jüngsten Sendungen waren Sie in einem kleinen Skigebiet im Berner Oberland, es geht um den Schneemangel. Packen Sie da das grosse Thema Klimawandel an?

Die Signale sind eindeutig, wir müssen nicht über den Klimawandel diskutieren. Es ist ein Wintersportgebiet auf mittlerer Höhe. Es ist zu wenig hoch, und der Betrieb ist zu klein, um alles zu beschneien. Jetzt hat die junge Generation übernommen. Sie müssen sich überlegen, wie lange sie sich das noch leisten können.

Sind Sie optimistisch, dass wir das mit dem Klimawandel schaffen?

Die Erderwärmung ist unwiederbringlich da, das Rad können wir nicht zurückdrehen. Die einzige Chance ist wohl, dass die Temperatur nicht so stark ansteigt, wie es in den Worst-Case-Szenarien befürchtet wird. Wie umfassend sich die Erderwärmung auswirken wird, dafür scheint mir das Bewusstsein nach wie vor zu wenig vorhanden zu sein. Mit wem ich auch rede, vom Meeresbiologen bis zu denen, die im Wallis den Schutzwald prägen und sich überlegen müssen, welche Bäume in 50 oder 100 Jahren überhaupt noch wachsen, der Klimawandel ist für sie einfach ein Fakt. Wir müssen deshalb mehr über mögliche Lösungen sprechen. Das bedeutet auch, dass wir unseren Lifestyle, unseren Lebensstandard überdenken müssen.

Hat Ihr Wunsch, im Grünen zu leben und eigene Schweine zu halten, auch damit zu tun? Ein Schritt zurück zu einem einfacheren Leben?

Zum Teil hat es damit zu tun, wobei das Stadtleben in mancherlei Hinsicht nachhaltiger ist. Ich möchte in einem grossen Naturgarten herausfinden, welche Pflanzen welchen Insekten das Überleben ermöglichen. Das ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber sich dafür zu interessieren, ist vielleicht ein Anfang.

Neue Interviewserie

In dieser Serie reden wir mit einer Schweizer Persönlichkeit, die sich unregelmässig in den Bergen aufhält, aber einen persönlichen Bezug zur Natur und zu den Alpen hat. Lesen Sie in unserer nächsten Ausgabe (Juni 2023) das Interview mit Abenteurer Bertrand Piccard.

Autor / Autorin

Anita Bachmann

Zur Person

Mona Vetsch ist im Kanton Thurgau als Bauerntochter aufgewachsen. Ihre journalistische Tätigkeit begann sie bei der «Thurgauer Zeitung» und dem Radio Thurgau. 1997 wechselte sie zum Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und moderierte die Jugendsendung Oops! Sie studierte Politikwissenschaft und Soziologie und arbeitete für verschiedene Radio- und Fernsehsendungen. Unter anderem moderierte sie 17 Jahre lang die Morgensendung auf Radio SRF 3. 2020 wechselte die heute 47-Jährige ganz zum Fernsehen, dort moderiert sie unter anderem die Sendung Mona mittendrin. Mona Vetsch ist verheiratet und hat zwei Söhne.

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