7. Die Hexenprozesse
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7. Die Hexenprozesse

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In der Geschichte der Riviera nehmen die Hexenverfolgungen einen breiten Raum ein, auch in bezug auf Biasca, und es ist nicht möglich, sie zu übergehen, wenn man die grossen Leiden, die über dieses hinweggegangen sind, aufzählen will. Hiervon war der Hexenwahn ja eines der schlimmsten. Nicht von den grausigen Einzelheiten blutiger Hexengerichte soll hier die Rede sein. Interessanter als diese Scheusslichkeiten sind die Betrachtungen über die Entwicklung des Wahns und wie dieser allmählich auch klare Köpfe in seinen Bann schlug und schliesslich durch seinen Terrorismus die Herrschaft führte.

Es hat vor und nach der Gegenreformation Hexenverfolgungen gegeben, und auch die reformierten Landesteile können sich nicht rühmen, diesem Wahne nicht ergeben gewesen zu sein oder diese viel früher als die Katholiken eingestellt zu haben. Im 15. Jahrhundert war die Zahl der Hexenprozesse besonders in der Leventina sehr gross. Mit der Wucht wie im Tessin wütete der Hexenwahn nirgends in unserem Lande. In seiner zu düstern Übertreibungen geneigten Schreibweise sagt Karl V. von Bonstetten: « In keinem finstern Winkel von Europa hat die Tortur wie in der italienischen Schweiz gewütet », wobei er allerdings nicht von den Hexenverfolgungen im speziellen, sondern von dem elenden Gerichts- verfahren im allgemeinen spricht. Das stimmt nun zwar nicht ganz, es gab noch finsterere Winkel in Europa, aber man musste weit gehen, bis man sie fand.

Mochte auch die Zahl der Opfer viel geringer sein als bei der Pest, so waren die Furcht und der Schrecken, die der Hexenwahn verbreitete und die jahrzehntelang auf dem Lande lasteten, noch viel grosser. Fürchterlich war das Los derjenigen, die der Verdacht des Irrglaubens oder der Hexerei traf. Unsägliche seelische und körperliche Qualen harrten der Unglücklichen. Der Tod durch die Pest wäre für sie eine Erlösung gewesen.

Eine genaue Prüfung der Entwicklung dieses Wahnes ergibt, besonders für die Tre Valli und das Misox, mit vollkommener Klarheit, dass er nur das Ende einer Bewegung war, die anfänglich ein anderes Ziel hatte. Sie wollte ursprünglich nicht dem Aberglauben des Volkes dienen, sondern sie suchte die Widersacher der Kirche, die Ungläubigen oder Reformierten, zu treffen. In der Hand des Volkes und seiner Behörden verschmolzen sich dann die Begriffe, und die Geistlichkeit kann sich von der Mitschuld nicht befreien. Auch später, als die Bewegung eine andere Richtung genommen hatte, hat sie mitgewirkt. Doch immer muss man bedenken, dass die Anstifter und Peiniger Kinder ihrer Zeit waren und unter dem Eindruck der allgemeinen Verhältnisse handelten. Aber eben da hat die Kirche als alte Kulturträgerin in ihren besten Persönlichkeiten sogar versagt. Die Verblendung war so allgemein und gross, dass man in den begangenen Scheusslichkeiten Gott wohlgefällige Handlungen erblickte.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war in der Riviera ein Schwarzkünstler ( Negromante ), Adamo Scioll ( Scholl ?), mit dem Aufspüren der Hexen betraut. Über das Ergebnis seiner Taten verlautet nichts, wohl aber, dass ihm Landvogt und Rat empfahlen, in seinen Anklagen vorsichtig zu sein und wo er im Zweifel sei, Gnade für Recht gelten zu lassen. Die Künste des maester Adamo Scioll verdrossen aber die hohe Geistlichkeit, denn diese betrachtete seine Funktionen als ihre Sache. Der Kardinal Carlo Borromeo liess durch seinen Visitator Bedra bei den Herren der Tre Valli seine Missbilligung über die Verwendung eines Schwarzkünstlers zu solchen Zwecken ausdrücken und hob hervor, dass derselbe genau so strafwürdig sei wie die Hexen selbst, denn es sei gegen jedes göttliche und menschliche Recht, solche Vergehen auf dem Wege der Schwarzkunst aufzudecken und bestrafen zu lassen.

Vor dem Verfahren, das der Kardinal den Eidgenossen als das einzig richtige hinstellte, der Inquisition, hatten sie aber ein berechtigtes Grauen. Sie wollten diese ohne weiteres nicht einmal auf ihre Untertanen angewendet wissen. Der Landvogt, damals Ulrich Mettler von Unterwaiden, und sein Rat luden die Verantwortung des Entscheides auf die Console der Vicinanzien ab, und diese legten ihrerseits die Entscheidung in die Hände der Vicinanzien selbst. Das Volk selber rief dann in seiner Verblendung die Inquisition ins Land ( 17. Juli 1575 ). Und bald waltete dieselbe nun und wohl weit härter als Adamo Scioll. Wer war überhaupt der letztere, und warum war die Geistlichkeit so bemüht, diesen Mann zu entfernen? Und warum hauste die Inquisition in der Riviera, Leventina, im Misox und im Calancatal so ungeheuer blutig? Blutiger als irgendwo in der Schweiz. Es galt der Ausrottung des Irrglaubens. Die Gefahr, dass dieser von der deutschen Schweiz her in den Tessintälern Fuss fasse, bestand tatsächlich. In Locarno hatte sich eine starke evangelische Kolonie gebildet. Auch im Misox hatte der neue Glauben vereinzelte Anhänger gefunden. Es ist also sehr leicht möglich, dass die Geistlichkeit begründete Furcht hatte, dass er auch in die Tre Valli eindringe. Dieser Gefahr trat sie nun mit allen Mitteln entgegen. Die Tatsache, dass in den Akten immer zuerst von Irrgläubigen ( heretici ) und dann erst von Hexen ( strionji ) die Rede ist, stützt meine Annahme, dass die Bewegung ursprünglich der Ausrottung des neuen Glaubens galt.

Immer mehr bildete sich aus der Glaubensverfolgung heraus die volkstüm-lichere Hexenverfolgung, die am blutigsten nach dem Tode des Kardinals Carlo Borromeo wütete, als dieser bereits unter die Heiligen versetzt war. Vom Sitze des S. Uffizio ( Inquisition ) in Mailand aus ergingen eindringliche Mahnungen und Belehrungen an die Pröpste von Biasca, auf die Irrgläubigen und Hexen zu achten. Und es ist nicht zu bezweifeln, dass unter den eifrigen Pröpsten Basso und Moro die Weisungen genau befolgt wurden.

1604 wurde von Mailand aus angeordnet, die Gefangenen genau darüber zu verhören, wer sie zur Sünde verführt habe, um auch die Verführer bestrafen zu können, die Schuldigen nicht sofort zu töten und auch nicht freizugeben, sondern unbedingt festzustellen, ob Komplizen da seien. Was dabei unter Drohungen und fürchterlichen Folterqualen herauskam, ist bekannt genug.

1622 wurde dem Propst zur Pflicht gemacht, die Pfarrer anzuweisen, die Gefahr der Hexerei scharf zu beachten und über sie zu predigen. Die Instruktion von Mailand enthielt genaue Angaben, wie der Hexerei verfallene Erwachsene und Minderjährige zu behandeln seien. Sie forderte von den Ortsgeistlichen die Aufsicht über die Häuser, wo nach geistlichem Befehl in keinem bewohnten Räume Heiligenbilder und Weihwasser fehlen durften. Dass die Besuche des Gottesdienstes, der religiösen Andachten und die Teilnahme an den Prozessionen der vielen kirchlichen Feiern verlangt wurde, war wohl vorher schon selbstverständlich gewesen. Wer fern blieb, fiel in den Verdacht der Ketzerei oder Hexerei. Es ist nicht verwunderlich, dass unter diesem Drucke Frömmelei, Aberglauben und Angeberei üppig sprossten. Einen ebensolchen Gewissenszwang hatten aber auch die Evangelischen an gewissen Orten. Man denke nur an das Regiment Calvins in Genf.

1649 wurde ein « Editto generale del S. Ufficio di Milano », das im Sinne der obigen Angaben gehalten war, während der Messe von 10 Pfarrern in der Riviera « solennamente » verlesen.

Nicht nur der einfache Bauer lebte im düstersten Aberglauben, sondern selbst hochgestellte Leute, wie der Kardinal Federico Borromeo. Rivola erzählt in dessen Lebensgeschichte, dass derselbe gegen die Zauberer und Hexen einen grimmigen Kampf führte. Ganz besonders viel Zauberer und Hexen traf der Kardinal bei Claro, und die waren so frech, dass sie am hellen Tage ihr Unwesen trieben und sich versammelten. Der Kardinal errichtete auf dem Hexenplatz ein Kreuz und kündete dem Teufel an, dass er an jener Stelle nichts mehr zu schaffen habe. Der Teufel und seine Trabanten gehorchten aber nur mit Unwillen, und als der Kardinal sich fünf Jahre später zwischen Prato und Faido unterwegs befand, sandten ihm die Hexen ein fürchterliches Gewitter entgegen. Der Himmel verfinsterte sich zu Nacht, und es heulte wie von Wölfen in den Lüften. Nur mit Mühe entrann der Kardinal. Tags darauf erneuerten die Dämonen ihre Angriffe derart, dass selbst die Teller vom Tische flogen, bis schliesslich der Kardinal die Luft segnete, worauf sich dann alles beruhigte. Wenn ein Kardinal Federico Borromeo, der Begründer der ambrosianischen Bibliothek, in diesen Anschauungen gelebt haben soll, wie musste es erst um die niedere Geistlichkeit, die weltlichen Behörden und gar um das Volk stehen.

Als erster Prozess der Inquisition in der Riviera ist der gegen eine Jacma del Menaso aus Pontirone bekannt. Sie war der Zauberei an Menschen angeklagt. Von ihrem Schicksal verlautet nichts. Da aber der Ankläger, ein Bursche aus demselben Tale, die Anklage eidlich bestätigte, wird das arme Weib nach der Folterung dem Feuertode nicht entgangen sein. Es folgten nun viele andere Opfer, es ist hier nicht der Ort, sie aufzuzählen. Viele Leute flüchteten, um den Anklagen zu entgehen, so dass das Verlassen der Dörfer obrigkeitlich verboten wurde. Kinder im Alter von 7 Jahren kamen auf den Scheiterhaufen. Aus dem kleinen Weiler Loderio wurden laut Akten 10 Personen prozessiert. Da für viele Jahre die Akten fehlen, so wird die Zahl der Prozesse eine viel höhere, wahrscheinlich die doppelte derjenigen sein, die sich aus den Akten bestimmt ermitteln lässt.

Landvogt und Rat gewöhnten sich an das neue Gerichtsverfahren und wussten auch ihm die nützliche Seite abzugewinnen, war doch das Gericht ihre Haupt-einnahmequelle. Da die Inquisition das Vermögen der Verurteilten oder Frei-gesprochenen meist konfiszierte, so wollten auch die weltlichen Gerichtspersonen nicht leer ausgehen. Wie es zuging, dass selbst ein Freigesprochener um sein Vermögen kam, mag nachstehendes Beispiel zeigen.

Im Jahre 1639 wurde in Biasca ein Pietro Rascai von Iragna der Hexerei angeklagt und, nachdem er über einen Monat im Kerker gelegen und sechsmal gefoltert worden war, schliesslich freigesprochen Die Prozesse fanden sonst immer in Osogna, am Sitze des Landvogts, statt. Die Gerichtskosten betrugen 1465 Lire Terzole, eine für jene Zeiten und besonders für einen Bauern sehr hohe Summe. Höchst wahrscheinlich erreichte sie gerade die Höhe des Vermögens des Unglücklichen, der dann schliesslich als Krüppel und Bettler entlassen wurde. Unter diesen 1465 Lire befinden sich 157 für die Verpflegung im Kerker, ein Geschenk an die Landvögtin ( per l' onoranza della signora Fochessa ) von 48 Lire, für eine Mahlzeit, die der Angeklagte bei einer eventuellen Freisprechung seinen Peinigern in Aussicht gestellt hatte mit 24 Lire, und 30 Lire für den Wein, den dieselben während des Verhörs getrunken hatten, und schliesslich 72 Lire für die Weibel, welche die Kinder des Angeklagten hatten herbeischleppen müssen, um sie gegen den Vater zeugen zu lassen.

Aufgeklärte Geistliche, wie der Pfarrer Giov. Buglio in Faido, erkannten den Unwert der auf der Folter erpressten Geständnisse. Der Genannte hatte den Mut, in einem Briefe an den Propst von Biasca ( 17. März 1652 ) seine Ansicht auszusprechen. Die grausame Justiz nahm aber ihren Fortgang. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an wurden zwar die Hexenprozesse seltener, der letzte im Tessin ist 1742 bezeugt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Wahn erst später erlosch.

Die Schuld an diesen Greueln ist schon auf die Landvögte allein geschoben worden. Das ist unrichtig. Es gab Hexenprozesse, wo keine Landvögte vorkamen. Eine Mitschuld hatten aber diese genau wie die Geistlichkeit und schliesslich das Volk selbst, dessen Seele durch die religiöse Schwärmerei und die Schrecken der Pest krank geworden war.

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