Alpenvögel?
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Alpenvögel?

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

HANS TAUBENBERGER, CHEBRES ( VD )

Ein unerschöpfliches Studiengebiet sind die Alpen für den Vogelkenner, weiss er doch, dass die Beweggründe, die einen Vogel an das Gebirge binden können, so verschieden sind wie die Natur selbst. Beschränken wir unsere Betrachtung lokal auf die Alpen und nehmen unsere « typischen Alpenvögel », die lieben, vertrauten Begleiter alpiner Wanderungen, unter die Lupe, dann kommen wir zu überraschenden Ergebnissen, von denen die sensationellsten die sind, dass es nur ganz wenige echte Gebirgsvögel gibt, dass die Vogelformen der Alpen älter sind als die Berge, die sie bewohnen, und dass es vermutlich überhaupt nur einen Gebirgsvögel gibt, der seinen Ursprung in den Alpen hat.

Diese Tatsachen werden in der Tiergeographie fast übersehen. Dem Bergsteiger wird in der Praxis auch selten bewusst, dass die Berge durch ihre Höhenstufen, engbegrenzte Räume arktischer Klimate, wie Inseln, in unser Land bringen. Die Alpenvögel stellen uns deshalb vor die interessantesten erdgeschichtlichen, ökologischen und tiergeographischen Probleme überhaupt. Eine Betrachtung der in Frage kommenden Vogelarten zeigt dies am besten.

Es gibt in den Alpen 23 verschiedene Vögel, die auf die Berge beschränkt sind. Daneben gibt es viele andere, deren Verbreitung vom Tal her bis hinauf zur Baumgrenze reicht. Im Kanton Wallis z.B. bewohnen allein 14 Arten ( ohne die genannten 23 Gebirgsvögel ) den Raum vom Tal bis 2000 m Höhe, und gehen wir herab auf 1800 m, so kommen weitere 15 und in 1500 m Höhe weitere 18 Arten hinzu. Auch die 2000-m-Grenze wird noch von 9 unserer « Talvögel » überschritten. Steinschmätzer und Hausrotschwanz erreichen sogar knapp 3000 m. Die Wissenschaft spricht hier irreführend von Anpassung. Wenn wir z.B. den Zaunkönig noch in 2400 m Höhe als Brutvogel antreffen, so hat er sich nicht angepasst, sondern sein Lebensraum reicht bis in jene Höhe.

Alle diese Vögel, mögen sie uns noch so sehr bei alpinen Wanderungen treue Begleiter gewesen und als Alpenvögel vorgekommen sein, in unserer Betrachtung, mit der wir uns auf die spezifischen Gebirgsvögel der Alpen festlegen wollen, bleiben sie unberücksichtigt.

Wenn ich nun 8 sogenannte « Glazialrelikte » von den 23 Alpenvögeln von vornherein abtrenne, wird es viele Bergsteiger und Naturfreunde schockieren. Es handelt sich nämlich um « alpine » Vögel, deren Verbreitung erst in grösseren Höhen beginnt und oft bis in die nivale Höhenstufe hinaufreicht und die der Nichteingeweihte gerade als charakteristische Vertreter der Alpenvogel-welt bezeichnen würde. Diese nur dem Bergwanderer und Bergjäger bekannten Vögel sollen nun keine Alpenvögel sein? Nein, sie sind keine spezifischen Gebirgsvögel. Aber was sind Glazialrelikte? Es sind Vogelarten, deren Hauptverbreitung im Norden liegt. Sie bewohnen die nordischen Tundren, den Zwergstrauchgürtel Nordskandinaviens und Russlands, die sibirischen Wälder oder die Küsten Nordeuropas. Man nimmt an, dass sie sich während der Eiszeit über ganz Europa verbreitet haben und nach Rückgang dieser Kälteperiode auf den sporadisch erhaltenen Kälteinseln des Gebirges zurückgeblieben sind. Dazu gehören: Ringdrossel, Alpenschneehuhn, Weissrückenspecht, Dreizehenspecht, Bergpieper, Tannenhäher, Alpenbirkenzeisig und Mornellregenpfeifer. Diese 8 Vögel leben also in den Alpen nur wegen des dort vorherrschenden glazialen Klimas.

Von den verbleibenden 15 Arten sind 2 « Kulturflüchter »: Der Kolkrabe und der Steinadler. Mit welcher Wehmut müssen wir vernehmen, dass der Steinadler, der stolze Wappenvogel, in menschenleeren Gebieten auf dem Boden brütet. Beide sind nur dem Menschen ausgewichen und damit zwangsläufig in die Alpen gekommen.

Nach Abzug der « Felsenbrüter », die an der Meeresküste oder an Geröllfeldern des Tales ebenso vorkommen ( Alpenkrähe, Steinrötel, Blaumerle, Felsenschwalbe, Alpensegler, Steinhuhn ) bleiben uns für die engere Auswahl nur noch 7 Vogelarten. Mag sein, dass bei den Felsenbrütern eine spezifische Ernährung auch eine Vorliebe für eine bestimmte Meereshöhe auslöst. Gebirgsvögel aber sind sie alle nicht, das zeigt deutlich ihre Herkunft.

Den Berglaubsänger können wir nur als Bewohner von Südhängen bezeichnen. Im Harz ( mittel-deutscher Höhenzug ) fand ich ihn in ganz geringer Meereshöhe.

Verbleiben uns also nur noch 6 echte Gebirgsvögel: Die Alpendohle, der Schneefink, der Bartgeier, der Mauerläufer, die Alpenbraunelle und der Zitronenzeisig. An keiner Stelle der Erde gibt es diese Arten im Tal als Brutvögel, meist sogar erst über 2000 m Höhe. Sie stammen, ausser der letzten Art, aus Zentralasien, sind in die Alpen kurz nach deren Entstehung oder wesentlich später eingewandert. Ihre heutige morphologische Differenzierung von den Asiaten ist teils sehr gering, aber kenntlich, und wir können sie wirklich als Alpenvögel bezeichnen. Den Bartgeier habe ich mit Absicht in die Liste aufgenommen, da seine Wiedereinwanderung in die Ostalpen als sicher gilt ( Prof. Tratz, Salzburg ).

Suchen wir nach einem echten Alpenvogel, der Gebirgsvögel ist und in den Alpen den Ursprung seiner Verbreitung hat, bleibt uns nur 1 Getreuer: Der Zitronenzeisig. Ein, in seinem Gebaren unauffälliger, dem Kanarienvogel ähnlicher Gebirgsbewohner. Ein liebes kleines Vögelchen, das eigentlich der Wappenvogel der Schweiz sein müsste. Sein Verbreitungszentrum liegt nämlich in den Westalpen im Kanton Wallis. Er kommt zwar heute vereinzelt auch in Nordspanien, den Cevennen, im Jura, in den Südvogesen und im Schwarzwald, in Teilen der Ostalpen, auf Korsika und Sardinien vor, aber sein Verbreitungsbild und meine quantitativen und ökologischen Feststellungen zeigen seine wahre Herkunft, die Schweiz. Kurioserweise gibt es z.B. auf Island zwar 8 Vogelarten, die in Europa nur dort brüten, jedoch sonst in der Arktis weit verbreitet sind, aber keinen echten Isländer, während unser Zitronenzeisig ein wirklicher Schweizer Vogel ist.

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