Annäherung an Wildtiere
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Annäherung an Wildtiere

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

näherung

an Wildtiere

Michel Strobino, Hérémence ( VS )

Tarnposition ( Beobachtung von Hirschen ) Oft werde ich gefragt: , um mir weitere Fragen zu ersparen. Denn es fällt mir viel leichter, mich im Gelände zu bewegen, als mein Vorgehen zu erklären.

Dennoch soll hier für einmal mit Hilfe einiger typischer Beispiele der Versuch einer Erklärung gewagt werden.

Ach, hätte ich eine zeichnerische und malerische Begabung wie der berühmte Tiermaler Robert Hainard! Bei einer gemeinsamen Reise in die Karpaten, wo wir Bären beobachten wollten, hatte er mit einem Seitenblick auf mich festgestellt:

Ich übernehme seinen Ausruf auf meine Weise und sage: ( Oh, wenn ich begabt wäre! Dann brauchte ich nur zu zeichnen und zu malen !) Und so bin ich von unserer Reise ohne Ergebnis zurückgekommen - abgesehen von einer Diskushernie.

Vergleichen wir lieber nicht unsere Begabungen, sondern richtiger unser Material. Für meinen Malerfreund genügt es, sich mit einem Feldstecher, einer festen Unterlage oder kleinen Staffelei, einigen Blättern Papier und einem Bleistift zu bewaffnen. Wir Filmer dagegen müssen uns mit unserem ganzen schwergewichtigen Handwerkszeug beladen. So wiegt das Stativ - unsere kleine Staffelei - selten weniger als sieben Kilo, die Filme - unsere leeren Blätter - wiegen für zehn Minuten Drehzeit rund 500 Gramm, und die Kamera -unser gewaltiger Bleistift - hat je nach dem gewählten Objektiv ein Gewicht zwischen sieben und zehn Kilo. Also gar kein Gedanke daran, sich anzuschleichen oder durch das Gelände zu kriechen, um sich einem Objekt zu nähern. Und doch müssen Zeichner und Filmer gleichermassen ihren Objekten nahe kommen, um Bilder von bester Qualität zu erhalten.

Eine andere, sehr grosse Schwierigkeit für den Filmer ergibt sich durch das jeweilige Licht. Beobachtungen bei Mondschein, so poetisch sie auch sein mögen, gehören zu den Freuden, die sich nicht auf den Film bannen lassen. Der Zeichner und Maler dagegen kann sich seinen Eindruck wieder ins Gedächtnis rufen und ihn wiedergeben.

Um unsern Mangel an Mobilität auszugleichen, müssen wir Filmer fast stets von Ansitzen, festen Beobachtungsposten, aus arbei- ten, deren Standorte wir lange und sorgfältig ausgewählt haben. Denn wild und planlos drauflos zu filmen verbietet sich, und Bilder, die beim Durchstreifen des Gebirges ohne Ziel und exakte Methode entstehen, zeigen kaum einmal das Wild in interessanten Situationen. Wir müssen also von Ansitzen aus arbeiten, deren Anlage vom einfachen Tarnnetz zwischen zwei Tännchen bis zu raffiniertesten Einrichtungen - zum Beispiel einem getarnten Zelt auf einem Hochsitz - reichen kann. Welche Art man wählt, hängt von der jeweiligen Tierart ab, die uns interessiert. Hier einige Beispiele:

Um an die Säugetiere der Alpen heranzukommen, benutze ich gern ein oder zwei Tarn-netze, die ich in dem Gebiet, in dem ich arbeiten will, an dort vorhanden kleinen Tannen, Baumstämmen, Stümpfen oder Felsen anbringe. Ich wähle diese Orte im Gelände jedoch immer erst nach minuziöser Vorbereitung und zahlreichen Beobachtungen. Denn der erste Schritt, will man interessante Bilder von frei lebenden Tieren erhalten, ist, ihr Verhalten, ihre Wechsel und die Gebüsche, die sie als Schlupfwinkel benutzen, lange und geduldig zu erkunden.

Dafür mache ich mich gewöhnlich schon in der Nacht auf den Weg, um bereits vor Tagesanbruch an Ort und Stelle zu sein, das heisst, auf einem Beobachtungsposten, von dem aus ich mit einem guten Feldstecher die Tiere beobachten kann, ohne sie zu stören. Ich für meinen Teil benutze ein 7 x 42-Glas, das den Vorteil hat, sowohl leicht als auch lichtstark zu sein. Von meinem Beobachtungsposten aus stelle ich dann die verschiedenen Gebiete fest, in denen sich die Tiere am Tag aufhalten, und versuche, unterschiedliche Plätze zu wählen, die mir erlauben, unter guten Bedingungen zu filmen. Das bedeutet, im günstigen Moment am günstigen Ort zu sein. Ganz allgemein hat Wild eine feine Witterung, man muss sich ihm also stets gegen den Wind nähern.

Manchmal ist es unmöglich, einen Ansitz unbemerkt zu erreichen. Das macht nichts: Ich spiele den harmlosen Spaziergänger, ich erreiche meinen Ansitz, was das Wild natürlich zur Flucht veranlasst. Aber ich richte mich bequem ein und warte. Dank meiner vorangehenden Beobachtungen weiss ich, dass, wenn ich nur lange genug ruhig bleibe, das Wild wieder hervorkommen und sich nahe der Ka- mera zeigen wird, ohne meine Anwesenheit zu vermuten.

Diese Art, auf das Wild anzusitzen, bringt offensichtlich einige Unannehmlichkeiten mit sich. Eine der stärksten liegt in der Tatsache, dass man sein Versteck nicht verlassen kann, solange die Tiere da sind. Man muss also warten, bis sie ihren Unterschlupf wieder erreicht haben, ehe man selbst aufbrechen kann. So ist, was der Laie für Geduld hält, für den Filmer weiter nichts als notwendige Hartnäckigkeit.

Trotz aller Vorsicht, aller Aufmerksamkeit kann es vorkommen, dass wir den Tieren, die wir bekannt machen möchten, mehr Böses als Gutes zufügen. Wenn wir zum Beispiel zur Zeit des Nestbaues, also von Ende Mai bis Ende Juni, durch ein Biotop von Waldhühnern streifen, mögen wir so friedlich-harmlos sein wie wir wollen, wir sind potentielle Räuber. Dazu einige persönliche Erfahrungen:

Am 25. Mai um sechs Uhr morgens sieht ein Freund, während er auf einen Rehbock ansitzt, ein Auerhuhn vorbeifliegen. Um sieben Uhr kommt das Huhn in entgegengesetzter Richtung wieder vorbei, woraus mein Freund schliesst, dass es in der Umgebung nistet. Am Nachmittag inspizieren wir systematisch den Fuss jeder Tanne, jeden Baumstumpf, jeden Haufen alter Zweige, wo sich das Tier verbergen könnte. Endlich, gegen sieben Uhr abends, treiben wir die Henne auf und entdecken zwischen zwei Wurzeln einer Tanne die sechs Eier des Geleges.

Am nächsten Morgen begebe ich mich kurz nach sechs Uhr wieder dorthin. Ich bleibe auf dem gegenüberliegenden Hang des kleinen Tälchens und beobachte durch den Feldstecher den Fuss der Tanne, wo sich das Nest befindet. Da ich den Eindruck gewinne, dass die Henne nicht dort ist, nähere ich mich und filme die Eier, kehre dann schnell auf meinen Platz zurück und richte mich auf meinem Beobachtungsposten ein. Zehn Minuten vor sieben fliegt die Henne heran und geht etwa zehn Meter vor dem Nest zu Boden, das sie-dann laufend erreicht. Nachdem ich einige Passagen gedreht habe, verlasse ich meinen Platz eine halbe Stunde später und bin um neun Uhr im Büro. Als ich nach einer Woche zurückkehre, sind die Heidelbeeren und Gräser gewachsen, ich kann nicht ausmachen, ob das Auerhuhn da ist. Ich bleibe also während fast drei Stunden auf dem Ansitz. Nichts geschieht. Ich beschliesse hinzugehen. Nichts ist mehr da. Die Eier sind leider Gottes verschwunden.

Ein andermal ging es um ein Alpenschneehuhn. Gegen Ende Juni entdeckte ein befreun- Ein Sperlingskauz, die kleinste Eulenart Europas deter Jagdhüter im Morgengrauen ein Nest dieses Vogels. Als die Henne davongeflogen war, näherte er sich dem Nest. Am Abend, auf dem Rückweg, hielt er an, um die Henne auf ihren Eiern zu beobachten. Am nächsten Morgen schlug er mir vor, mir den Ort des Nestes zu zeigen. Zwei Tage später war ich am Treffpunkt: Erteilte mir mit, dass die Henne nicht mehr auf dem Nest sei. Als er am Morgen vorbeikam, waren die Eier von Tau bedeckt. Ich machte einige Aufnahmen und beschloss, am nächsten Tag wiederzukommen. Die Eier waren immer noch verwaist. Eine Woche später bestätigt mir der Jagdhüter, dass die Eier verlassen sind.

Das sind also zwei Fälle, bei denen es scheint, dass allein schon die Entdeckung eines Nestes zu seinem Verlust geführt hat. Aber ich möchte eher annehmen, dass die brütenden Hennen von Raubtieren erwischt wurden, die gern unsern Spuren folgen.

In einem andern Fall habe ich den Beweis, dass ich die Aufmerksamkeit eines Wilderers - eines weiteren Räubersangezogen habe, indem ich in der Nähe eines Haselhuhnnestes eine Hütte aus Ästen und Zweigen gebaut habe: Eines Morgens waren Henne und Eier verschwunden. Spuren von Vibramsohlen auf der über Nacht gefallenen pulvrigen Schneeschicht verrieten den Schuldigen, der mindestens Schuhgrösse 45 trug. Aus diesem Grund bin ich immer zurückhaltend, wenn es darum geht, bei einem Nistplatz eine feste Beobachtungsstation zu errichten. Und dass ich unauffällige oder sogar Tarnkleidung benutze, geschieht mehr, um mich vor den Blicken von Spaziergängern zu schützen als um unbemerkt vom Wild voranzukommen.

Ich muss gestehen, dass mich diese Tarnung gelegentlich in komische oder sogar peinliche Situationen versetzt hat. So sah ich zum Beispiel an einem Morgen im Mai, als ich einen Fuchsbau beobachtete, einen bekannten Ornithologen kommen, der, nachdem er sich einige Minuten umgesehen hatte, direkt auf meine Kamera zuging, um einem in diesem Augenblick offenbar zwingenden natürlichen Bedürfnis zu gehorchen. Ich hatte das Auge in diesem Zeitpunkt bereits am Sucher, was sollte ich tun? Schweigen, auf die Gefahr hin, anschliessend als indiskret oder sogar neugierig angesehen zu werden? Oder ausrufen und riskieren, eine langdauernde Blockierung zu bewirken? Ich entschloss mich zu einem bewundernden Pfeifen, das die Situation rettete.

Einige Tiere gewöhnen sich zum Glück sehr gut an unsere Gegenwart. So musste ich mich zum Beispiel niemals tarnen, um mich Steinböcken zu nähern, aber ich habe sie immer nach und nach an meine Gestalt gewöhnt. Ich habe mich ihnen stets frei und ungedeckt genähert, aber dabei ihre Reaktionen beobachtet. Sobald ich eine nervöse Bewegung der Herde wahrnehme, halte ich an, esse etwas und nehme meinen Weg nach einer halben Stunde wieder auf. So bin ich oft bis auf wenige Meter an die Steinböcke herangekommen.

Andererseits ist mir auch manches Missgeschick passiert; das ernsthafteste damals, als ich zur Brunftzeit, also gegen Ende Dezember, von mehr als eineinhalb Meter Neuschnee in der Capanna Vittorio Sella blockiert war. Ich musste mir also ein Paar Ski basteln, um nach Valnontey abzufahren. Seitdem schulde ich dem Italienischen Alpenclub zwei Meter Pla-stik-Abflussrohr und vier Meter Täferbretter, diese, um die Hälften des Rohres, das ich mit meinem auf dem Rechaud erhitzten Messer geteilt habe, zu versteifen. Ach so, beinahe hätte ich einen kleinen Topf vergessen, der mir als Scheibe für einen meiner Stöcke gedient hat.

Ich habe von einem getarnten Zelt auf einem Hochsitz in einem Baum gesprochen. Das ist tatsächlich der ideale Ansitz. Einige Meter über dem Boden ist man vollkommen von der Umwelt getrennt, denn nur sehr selten trägt der Wind die Witterung auf den Boden. Ich habe diese Möglichkeit nicht nur zur Beobachtung von Dachsen und Füchsen benutzt, sondern vor allem, um Nistplätze zu erkunden, zum Beispiel solche des Rauhfusskauzes und des Sperlingskauzes. Einziger Nachteil: Man muss schweres und sichtbares Material zurücklassen, das leicht Spaziergänger anziehen kann, während man doch vor allem unbemerkt bleiben möchte. Darum benutze ich diese Möglichkeit nur sehr selten und ausschliess- lich an sehr abgelegenen Orten, an denen ich mich für mehrere Tage oder sogar einige Wochen einrichte.

Zum Sperlingskauz noch eine Geschichte, die mir widerfuhr, als ich meinen Film über den Rauhfusskauz fertigstellte. Im letzten Frühling meiner Dreharbeit kehrte ich in die Gegend zurück, in der ich schon verschiedene Szenen gefilmt hatte, um zu kontrollieren, ob meine Käuze an den Treffpunkt zurückgekehrt waren. Ich zog mit Langlaufski von einem Nest zum andern, kratzte Baumstümpfe frei, um zu sehen, ob die Nester noch besetzt waren. Von Zeit zu Zeit hielt ich an und ahmte den Ruf des Sperlingskauzes, den ich vor einigen Jahren in diesem Gebiet gefilmt hatte, nach. Eines Tages antwortet mir ein Sperlingskauz, und wir beginnen ein Zwiegespräch. Die kleine Eule kommt immer näher, schliesslich entdecke ich sie auf dem Ast einer alten Tanne. So wird sie von Besuch zu Besuch immer vertrauter, bis zu dem Tag, an dem ich ihre Stimme nicht mehr imitieren muss, um sie zu vernehmen. Sie ist es, die spontan zu rufen beginnt, sobald ich ihr Revier betrete. Dann folgt sie mir in einigem Abstand. Eines Tages legte ich den unteren Teil eines Baumstumpfes frei, um zu sehen, ob der Rauhfusskauz noch brütete. Ich war überrascht, als ich merkte, dass sich der Sperlingskauz auf den armen Rauhfusskauz stürzte, der mich vom Eingang seiner Höhle aus beobachtete. Natürlich nutzte ich die Reaktion für meinen Film aus. Indem ich den Baumstumpf immer wieder weiter freilegte, bewirkte ich, dass der Rauhfusskauz auch immer wieder hervorkam, was jeweils neue Angriffe des Sperlingskauzes zur Folge hatte. War er eifersüchtig? Wer kann das sagen! Auf jeden Fall folgte mir der kleine Sperlingskauz Schritt für Schritt. Wenn ich ihm antwortete, konnte ich ihn dazu bringen, sich mir auf weniger als zwei Meter zu nähern.

Ich habe gesagt, dass planlos zu filmen für uns sozusagen verboten ist. Dennoch muss ich es tun, wenn ich auf der Suche nach Nestern oder nach Jungtieren wie Rehkitzen, Hirschkälbern oder Gemskitzen bin; denn man hat selten die Möglichkeit, die Schlupf-gebüsche zu beobachten, in denen die Mütter ihre Jungen während des Tages zurücklassen. Doch auch in diesem Fall gelingt es durch langes und geduldiges Beobachten, nach einigen Jahren die Gebiete zu kennen - es sind übrigens immer dieselben -, in denen das Wild seine Jungen zur Welt bringt und in dem diese ihre ersten Tage zubringen.

Will man sich den Musteliden, das heisst dem Steinmarder ( Martes foina ) und dem Edel- oder Baummarder ( Martes martes ) nähern, muss man ganz anders vorgehen. Man sollte dabei im Idealfall - abgesehen vom Auffinden der Spuren - über eine kleine Hütte oder einen Unterstand in dem Gebiet verfügen, das diese Arten durchstreifen. Legt man regelmässig in der Nähe der Hütte Futter aus, so kann man die Tiere an den Ort locken, an dem man sie filmen will. So bin ich in einem der letzten Winter im Jura zusammen mit einem Freund vorgegangen. Im Frühling hatte ich festgestellt, dass Kugeln aus Fett und Körnern, die ich an Zweigen vor der Hütte aufgehängt hatte, zu schnell verschwanden, als dass es das Werk von Vögeln sein konnte. Das Plastiknetz um die Kugeln schien wie mit der Schere durchschnitten. Ich hatte daraus geschlossen, dass Marder auf die Äste geklettert waren, um die Futterkugeln fortzuschleppen. Daraufhin haben mein Freund und ich im Herbst begonnen, alle Arten von Futter in der Höhlung eines Baumstumpfs auszulegen. Nach einigen Wochen hatten wir die Freude festzustellen, dass unser Futterplatz ziemlich regelmässig aufgesucht wurde. Eier, Rosinen und Corned beef verschwanden schneller als das übrige Futter. Als Schnee gefallen war, sahen wir auch die Spuren. Es handelte sich wirklich um ein Tier aus der Familie der Musteliden. Steinmarder oder Edelmarder? Das war schwer zu sagen. Mein Freund, der in Genf wohnte, begann vor mir die langen Nächte auf dem Anstand. Für ihn bestand die grösste Schwierigkeit darin, seinen Photoapparat im richtigen Moment auszulösen, das heisst, in dem Augenblick, in dem sich das Tier in einer interessanten Haltung gut im Bildfeld befindet. Ich schlug ihm vor, den Baumstumpf mit einer Stablampe oder einer aussen an der Hütte befestigten Sturmlampe zu beleuchten. Dieser Vorschlag erwuchs, das muss ich zugeben, aus persönlichem Interesse: Mir ging es mehr darum, zu filmen als zu photographieren; darum war es für mich nötig, die Szene während längerer Zeit zu erhellen. Nach einigen vergeblichen Versuchen berichtete mein Freund, dass der Edelmarder oder der Steinmarder - wir wussten immer noch nicht, um welches Tier es sich handelte -das Licht absolut scheute und entfloh, sobald es entzündet wurde.

Gegen Ende des Winters machte ich mich auf, um einige Wochen in der Hütte zuzubringen und nun meinerseits die langen Nachtwachen zu beginnen. Nach meinen Beobachtungen hatte mein Freund, der Marder, keinen regelmässigen Stundenplan. Er konnte ein erstes Mal gegen neun oder zehn Uhr abends kommen, aber es war auch möglich, dass man bis nach Mitternacht auf sein Auftauchen warten musste. Während meiner ersten Nacht nahm ich gegen zehn Uhr in der Nähe des Baumstumpfs einen Schatten wahr. Ich schaltete meine Lampen ein und verursachte damit die Flucht des Tiers. Ungefähr eine Stunde später kam es zurück. Wieder schaltete ich mein Licht ein, doch diesmal floh das Tier nicht. Auf diese Weise konnte ich einen Edelmarder während mehr als zehn Minuten beobachten und filmen. Er frass seelenruhig, ohne sich durch meine Beleuchtung stören zu lassen. Merkwürdig! Nacht auf Nacht konnte ich einige Passagen drehen, aber immer mit den beiden je nach der Uhrzeit verschiedenen Verhaltensweisen.

Nach einigen Nächten auf dem Anstand meinte ich, genug gefilmt zu haben, um eine brauchbare Sequenz zu montieren, und beschloss, noch einige Diapositive zu machen. Als ich meine ersten Aufnahmen aus dem Labor zurückerhielt, erlebte ich die angenehme Überraschung zu entdecken, dass ich drei verschiedene Tiere photographiert hatte, zwei Edelmarder und einen Steinmarder! Damit erklärte sich alles, die verschiedenen Zeiten der Annäherung und vor allem das verschiedene Verhalten. Der Steinmarder kam als erster und vertrug kein Licht, dagegen waren die Edelmarder der Beleuchtung gegenüber völlig gleichgültig. Eine weitere Entdeckung: Die Edelmarder frassen die Rosinen, der Steinmarder aber liebte Corned beef.

Nach meiner Photoserie wollte ich noch eine Sequenz drehen, die zeigen sollte, wie der Edelmarder in eine Schwarzspechthöhle eindringt, die von einem Rauhfusskauz bewohnt ist. Leider ist der Edelmarder einer der Hauptfeinde dieses Kauzes, dessen Eier er frisst und dessen Junge er aus dem Nest raubt. Ich errichtete also einen Baum mit einer künstlichen Höhle und lockte die Marder mit Rosinen dorthin. Ein bisschen wie der Däumling im Märchen. Ich wollte vor allem eine Passage mit einem Edelmarder, der in seiner Schnauze ein Ei des Kauzes davonträgt, drehen. Hühnereier waren viel zu gross. Ich suchte vergeblich nach einem Ei, das dem des Rauhfusskauzes gleicht; es musste weiss und nahezu rund mit einem Durchmesser von etwa dreissig Millimetern sein. Damals kam mir die offensichtlich absurde Idee, Pingpongbälle zu verwenden. Und da der Edelmarder Rosinen gern hatte, bereitete ich einen Rosinensirup, in den ich die Bälle tauchte, ehe ich sie in das künstliche Nest legte.

Das Ergebnis übertraf meine Erwartungen! In der ersten Nacht schleppten die Marder drei Bälle ab. Unglücklicherweise verpatzte ich meine Aufnahmen. In der zweiten Nacht war ich bereit, meine Kamera so lange laufen zu lassen wie nötig, um diese Aufnahmen. sicher zu haben. Denn in der vorigen Nacht hatte ich den Apparat jeweils gestoppt, wenn der Marder mit dem halben Körper in das Nest eingetaucht war, um zu fressen. Die drei Mal, als er mit einem Ball wieder auftauchte, hatte ich ihn verpasst. Darum war ich bereit, soviel Film wie nötig zu verschwenden. In dieser Nacht kamen die Marder nicht, obgleich ich von neun Uhr abends bis fünf Uhr am Morgen wartete. Mich plagten heftige Gewissensbisse, ich sah meine Marder sterbend im Wald, die Eingeweide vom Zelluloid perforiert. Ich brach diesen Versuch ab und benutzte nun Hühnereier, denn ich sagte mir, dass der Unterschied im Film kaum sichtbar sein würde. Schliesslich kehrten die Edelmarder zurück, und ich konnte eine interessante Passage drehen. Als der Schnee schmolz, entdeckte ich in der Umgebung der Hütte zwei der drei Pingpongbälle. Am einen waren nur Spuren der Zähne zu sehen, der andere war zerbissen, vielleicht hatte ich ihn zu gründlich in Sirup getaucht.

Da ich schon vom Schnee spreche: Er enthüllt uns mit seinem weissen Teppich viel vom verborgenen Leben des Wilds. Irgendwer hat völlig zu Recht von ihm gesagt, er sei de livre des ânes>, also ein Buch, in dem auch Dumme lesen können, so leicht lässt sich auf ihm das Kommen und Gehen des Wildes ablesen. Diese Spuren im frischen Schnee haben mir meine grössten Freuden, aber auch die schmerzhaftesten Ermüdungserscheinungen eingetragen. Das vor allem zu Beginn meiner Karriere, als ich, gleichgültig wo, gleichgültig wie, den Spuren folgte. Im Wald die Spur eines ( Schneehasendes veränderlichen Ha- Edelmarder im April. Ich hatte das Glück, einen Edelmarder während mehr als zehn Minuten beobachten und filmen zu können Zum Auffliegen bereiter Jungadler sen - zu entdecken und sie bis zu den felsigen Graten zu verfolgen, weit über die Baumgrenze hinaus, ist ein Unternehmen, das einen mehr in die Knie zwingt als irgendein VITA-Par-cours.

Wenn man endlich alle Listen, alle Winkelzüge und Haken dieses Hasen begriffen hat, wird man tausendmal für die Anstrengungen entschädigt. Doch Achtung! Eine zu heftige Bewegung auf dem letzten Meter der Annäherung, ein Augenblick der Unaufmerksamkeit, und man sieht nur noch eine weisse Kugel da-vonschiessen. Danach lasten Müdigkeit und Rucksack noch schwerer - zumindest, wenn man nicht eine andere Spur entdeckt und, unermüdlich, ihre Verfolgung aufnimmt. Eine andere Spur, denn die des gerade aufgescheuchten Hasen ist nicht sehr interessant.

Schneehase ( veränderlicher Hase ) in seinem Winterlager Niemals wird er sich in seinem neuen Lager so günstig verhalten wie bei der ersten Annäherung.

Auf diesen kahlen Höhen leben noch andere interessante Tiere, unter ihnen das Alpenschneehuhn. Sich ihm zu nähern stellt keine besonderen Probleme, ausser, dass es manchmal nur eine Annäherung auf höchstens dreissig Meter zulässt. Warum? Ich bin nicht in der Lage, das zu sagen. Eine Frage der Temperatur? Des Luftdrucks? Ich weiss es wirklich nicht.

Im Winter gibt es eine besonders interessante Zone: die obere Waldgrenze. Unter den letzten Lärchen hatte ich oft das Glück, die Ta- gesschlafplätze der Birkhühner zu entdecken. Diese Waldhühner leben gern in Gesellschaft, und wenn reichlich genug Schnee vorhanden ist, verbringen sie den Tag, vor neugierigen Blicken geschützt, in die Schneeschicht eingegraben, wo sie sich eine Art Iglu bauen. Wie bei den Alpenschneehühnern ist ihr Verhalten von einem Tag zum andern recht verschieden. Manchmal fliegen sie erst auf, wenn man sie fast mit dem Ski berührt, während an andern Tagen die ganze Gesellschaft flieht, sobald man in ihr Rückzugsgebiet eindringt. Ein andermal bewirkt ein auffliegendes Tier eine Kettenreaktion unter seinen Artgenossen: ein Tier nach dem andern verlässt seinen Platz. Dagegen gibt es aber auch herrliche Tage, an denen man sich einem Vogel nach dem an- dem nähern und so eine ganze Serie von Aufnahmen machen kann. Ich erinnere mich immer noch an das eine Mal, als ich auf ein besonders träges Tier hereingefallen bin. Ich war zwei oder drei Meter vor dem Eingangsloch angekommen, dann liess ich wie gewohnt die Kamera laufen, ging dabei aber, das Auge am Sucher, weiter voran. Als meine Skispitzen das Loch rahmten, stoppte ich die Kamera, weil ich annahm, ich hätte mich wieder einmal getäuscht und es handele sich nicht um ein Eingangs-, sondern um ein Fluchtloch. Ich nahm also meine Stöcke, die ich provisorisch quer über den Rucksack gelegt hatte, und rammte sie heftig in den Schnee - und provozierte damit die Flucht des Vogels, der unter der Schneeschicht geduckt gesessen hatte.

Durch den Schnee habe ich auch in den tiefsten Tiefen der Jurawälder die berühmten Balzplätze der Auerhähne entdeckt; in jedem Frühjahr treffen die Auerhähne auf denselben Plätzen zur Balz zusammen. Es sind versteckte Orte, an denen zwischen Fichten und Weisstannen noch Laubbäume stehen. Die Art des Geländes mit seinen kleinen Tälern und Hügeln lässt jedem Hahn eine gewisse territoriale Unabhängigkeit und zugleich die Möglichkeit, seine Artgenossen zu beobachten und seine Gefährten kommen zu sehen. Um diese Balzplätze zu finden, darf man keine Mühe scheuen und muss von den ersten Märztagen an den Wald auf der Suche nach Spuren durchstreifen. Die Chancen steigen, wenn man das gerade nach einem leichten Schneefall tun kann, denn die Hähne können unermüdlich laufen und legen bis zum Tanzplatz grosse Strecken auf dem Boden zurück, wobei sie häufig einen Erkennungsruf hören lassen. Ist es gelungen, eine Spur auszumachen, so muss man Woche um Woche zurückkehren, um festzustellen, ob die Tiere ihren Plätzen treu bleiben. Und das bis zu dem herrlichen Tag, an dem sich die Laufspur ändert und zur Balzspur wird, das heisst, die Eindrücke sehr viel dichter stehen und beidseits von parallelen Linien, den Schleifspuren der Schwungfedern des Vogels, begleitet sind. Ich muss allerdings zugeben, dass ich während drei aufeinanderfolgenden Jahren im Frühling die von Auerhähnen bewohnten Wälder durchstreift habe - ich habe jedesmal Tiere aufgescheucht! -, ohne einen einzigen Tanzplatz zu entdecken.

Meine ersten Beobachtungen verdanke ich einem Freund, der Verständnis für meine Bemühungen hatte und mir einen solchen Platz zeigte. Ich war von diesem Vertrauensbeweis sehr gerührt, denn es ist bekannt, wie eifer- süchtig jeder Beobachter seine Plätze geheim-hält. Das ist übrigens für den Schutz des Auerwildes sicher besser.

Ist der Balzplatz entdeckt, muss man aus Ästen einen Unterstand bauen. Für den Filmer ist ein getarntes Zelt noch besser. Um die Hähne nicht zu stören, muss man seinen Platz unter allen Umständen vor der Dämmerung beziehen oder ihn vor zwei Uhr morgens erreichen, um vor vier Uhr richtig eingerichtet zu sein und sich vollkommen ruhig zu verhalten. Denn ungefähr um halb fünf Uhr verlassen die Hähne den Ast, auf dem sie die Nacht zugebracht haben, und kommen auf den Boden, um den Ort zu prüfen, bevor sie mit ihrem Balztanz beginnen.

Seit meinem ersten Ansitz, im Frühling 1967, an diesem Platz, den mir mein Freund gezeigt hatte, habe ich mehr als 180 weitere Nächte damit zugebracht, zu beobachten, zu filmen und Aufzeichnungen über diese herrlichen Vögel zu machen, die dank ihrer vollendeten Würde und ihrer Zurückhaltung die herrlichsten geflügelten Gäste unserer Wälder sind.

Nachdem ich während so vieler Jahre Wildtiere gefilmt habe, stelle ich mir die Frage: Ist es wirklich gut für sie, ihr unbekanntes Leben zu enthüllen? Und ich frage mich, ob man nicht jenem alten Holzfäller, den ich in diesem Frühjahr im Jura traf, recht geben muss. Er sagte mir: ( Wenn Sie diese Tiere wirklich schützen wollen, dann lassen Sie sie in Ruhe! Mit Ihren Filmen lenken Sie die Aufmerksamkeit zu vieler auf sie !) Wird Sie die Folgerung, die ich als Tier-filmer ziehe, erstaunen? Wird sie Ihnen als zu unentschieden erscheinen? Ich meine immer mehr, dass die Wildtiere uns für ihr Überleben nicht nötig haben. Sie haben so viele Jahrhunderte überstanden, und sie werden es sein, die uns überleben. Dagegen haben wir sie nötig, um in diesem Leben, in dem wir vorgeben, alles zu kontrollieren, alles zu ordnen und zu unserm Nutzen zu verwalten, ein gewisses Gleichgewicht zu finden oder zu bewahren.

Aus dem französischsprachigen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern.

Inhalt 61 Toni Spirig Kanjut Sar 75 Erich Vanis Piz Palü Nordwand - Östlicher Hängegletscher 82 HansAmann Vor 200 Jahren: Horace Benedict de Saussure auf dem Mont Blanc 92 Bernhard Rudolf Banzhaf Lonvilad Gali. Erlebnisse um einen Pass zwischen Kaschmir und Ladakh

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