Arven und Lärchen in den Hochal-pen
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Arven und Lärchen in den Hochal-pen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Eugen Thrier, Winterthur

Bilder 5 bis 8 Hoch über dem Laubwald und unzertrennlich mit der alpinen Landschaft verbunden, ist die Heimat der Arven und Lärchen. Aber die Bäume stehen nicht mehr im geschlossenen Bestände vereint. Vereinzelt behaupten sie sich am Steilhange oder ziehen in dünnen Linien den lichten Höhen zu. Jeder Baum steht für sich allein und bedarf scheinbar kaum des schützenden Gefährten im Kampfe gegen die lebensfeindliche Umwelt. Ungehindert umspielt die Sonne die Baumkronen, wandert über die Äste und verstreut auf dem Boden lustige Licht- und Schattenformen. Mit ungebrochener Kraft bedrohen Wind und Wetter die trotzigen Baumgestalten. Geknickte Äste und dürre Wipfel künden von Sturm und Wintersnot. Todbringende Lawinen und Steinsalven haben in den Stämmen tiefe, unheilbare Wunden geschlagen.

Obwohl selbst der ständigen Bedrohung ausgesetzt, bieten die Bäume einer artenreichen Boden-flora Schutz und Lebensmöglichkeiten. Das glühende Rot der Alpenrosen umspielt die zerrissene Borke am Fusse der Stämme. Über die niederliegenden Äste des Wacholders rankt die Alpenwaldrebe und stellt an dünnen Stielen ihre lichtblauen Blütenglocken zur Schau. Vom Hochal-penfrühling bis zum frühen Herbst leuchten zwischen den weitgreifenden Baumwurzeln unzählige Blumenkelche. Sie künden eindrücklich von der Schönheit der Bergflora. Dicht an den Boden geschmiegt und reich mit Feuchtigkeit versehen, freuen sich die Kinder Floras des herrlichen Bergsommers. Doch nur kurze Zeit dauert das Blütenfest. Es heisst sich beeilen, damit in der milden Wärme des Nachsommers die Samen reifen können. Bevor sich das kleine Volk zur winterlichen Ruhe legt, begleitet es das verglühende Rot und Gelb der Heidelbeersträucher. Seine starken Farbtupfen breiten sich flächenartig über den Boden aus, erhellen das dunkle Kolorit der Baumpioniere und verlieren sich weit über ihnen im monotonen Grau der Trümmerhalde.

Wie kein anderer Alpenbaum kündet die Arve ( Pinus cembra ) von eindrücklicher Baumschönheit und unbeugsamer Lebensfreude. Schwer und massig beleben die dunklen Gestalten das karge Weidland an der Baumgrenze und behaupten sich auf dem sturmgepeitschten Grate.Von der hohen Warte grüssen die markanten Baumformen weit über Berg und Tal. In der Jugend bildet die Arve eine schmale, kegelförmige Krone. Der jährliche Zuwachs beträgt nur wenige Zentimeter, so dass es meist 200 Jahre dauert, bis der Baum eine Höhe von 20 Metern erreicht hat. In den Bergen ist damit das Längenwachstum abgeschlossen, während der Stamm noch über Jahrhunderte an Dicke zunehmen kann. Erst im fortgeschrittenen Alter nimmt die Krone ihre malerische Form an. Sie wölbt sich schirmförmig ab, und die vorerst waagrecht abstehenden Äste hängen weit herab.

Sturm und Tiefsttemperaturen haben oft den Haupttrieb des Baumes zerstört. An seiner Stelle haben sich benachbarte Äste aufgerichtet und seine Aufgabe übernommen. In der Folge entstehen die skurrilen Baumformen, welche das Bergland ungemein beleben. Daran ist auch der ständig wehende Jochwind beteiligt, der die Kronen einseitig wendet. An der Grenze des Arvendaseins liegen hin und wieder gestürzte Baumriesen. Silbern glänzen die entrindeten Äste und Stämme im Sonnenlicht und erinnern noch jahrzehntelang an die einstige Baumschönheit. Bei etwa 2200 Meter über Meer stehen im Alpengebiet die letzten, meist vom Winde schiefgedrückten Vorposten der Arven. Keine Kümmergestalten begrenzen die obere Daseinsgrenze. In ungebrochener Kraft beugt sich der stolze Alpenbaum den weit stärkeren Kräften der Natur. Im Grenzgebiet der Arven versagt auch ihre treue Begleiterin, die rostrote Alpenrose. Rentierflechte und Island- moos treten nun vermehrt auf und bilden eine tundrenähnliche Umwelt.

In den tieferen Lagen fruchtet die Arve schon mit 30 bis ¢o Jahren; an den höher gelegenen Standorten und an der Baumgrenze blüht sie erstmals kaum vor dem 70. oder 80. Altersjahr. Eigentliche Samenjahre mit zahlreichen Zapfen wiederholen sich meist nach einem Unterbruch von sechs bis zehn Jahren. Im Juni sitzen an den unteren Ästen dicht gedrängt die erdbeerroten Staubbeutel, während in der Wipfelregion die unscheinbaren, aufrecht stehenden Stempelblüten auf die Bestäubung warten. Die scheinbar ungünstige Verteilung der Blütenpartner wird durch eine zweckmässige Einrichtung aufgehoben. Nur bei sonnigem, warmem Wetter entlässt der Staubbeutel den Pollen. Mit Hilfe eines sinnvollen Flugapparates und unter Benützung des warmen Aufwindes schwebt derselbe zu den Stempelblüten empor. Nach der Vereinigung von Samen-und Eizelle wächst rasch der dicke, eiförmige Zapfen heran. Die vorerst grünen, später bläulichen Zapfenschuppen nehmen im Reifestadium eine goldbraune Färbung an. Zwei Jahre benötigt der Zapfen für die volle Entwicklung; bei der Reife zerfällt er vollständig, wobei die schweren, flügellosen Samen frei werden. Diese sind fettreich, essbar und haben einen nussähnlichen Geschmack. Nusshäher, Eichhörnchen und Alpen-mäuse stellen ihnen eifrig nach, wodurch zahlreiche Samen ihrer eigentlichen Bestimmung entgehen und nicht mehr der Erhaltung ihrer Art dienen. Aber nicht alle verschwinden in den hungrigen Mägen; manche finden den Weg in das dichte Gestrüpp der Heidelbeer- und Alpenrosensträucher, wo sie im moosigen Grund ein sicheres Keimbeet erwartet.

Neben den Zapfen bilden die Nadeln und ihre Anordnung ein untrügliches Erkennungsmerk-mal der Arven. Immer stehen deren fünf beisammen, während die Berg- und Waldföhren nur zwei vereint aufweisen. Beidseitige, bläulich-weisse Linien geben den Nadeln und damit dem ganzen Baume ein duftiges Aussehen. Nach fünf- bis sechsjähriger Lebensdauer fallen die Nadeln ab, nachdem zuvor der jüngste Austrieb für Ersatz gesorgt hat. Das Holz ist sehr dauerhaft und findet zu Schnitzarbeiten und in der Möbelfabri-kation vielseitige Verwendung. Aus Arvenholz erstellte Möbel und Täfer sind mit den schwärzlichen Tupfen der eingewachsenen Äste gezeichnet. Das besondere Merkmal einer Arvenstube -und der Stolz des glücklichen Besitzers — bildet der feine, markante Duft des Holzes, welcher den Wohnraum mit der Heimat des prächtigen Alpenbaumes verbindet. Infolge unverständlichen Raubbaues und Benutzung der Bestände als Weidland ist die Zahl der Arven in den heimatlichen Bergen stark zurückgegangen, doch wurde durch vermehrte Anpflanzung und Bildung von Reservaten die drohende Ausrottung des markanten Baumes verhindert.

In ihrem Aussehen gleicht die Lärche ( Larix decidua ) kaum ihrem trotzigen Gefährten, der Arve. Kein anderer Alpenbaum ist wie sie so zierlich beastet und steht damit in solch krassem Gegensatz zu der herben Umwelt. Wie ein duftiger Schleier bedecken die lichtgrünen Nadeln die Baumkronen. Fast noch überzeugender belebt der Baum das winterliche Bergland, wenn die Nadeln abgefallen sind und das feine Astgefüge die Sicht nach den Höhen und dem Tale freigibt. Noch ausgeprägter als die Arve ist die Lärche ein Lichtbaum. Sie bevorzugt die trockenen, lichtdurchfluteten innern Alpentäler. Hier geben die trotz allem Ungemach zierlich geformten Baumriesen der alpinen Landschaft ein freundliches Gepräge.

Merkwürdigerweise stellt die Lärche bescheidenere Ansprüche an Boden und Klima als die Arve. Oft ist sie mit ihrer Nadelstreu deren humusbietende Wegbereiterin. Wenn die zunehmende Höhe dem Gefährten Halt gebietet, schreitet die Lärche unentwegt weiter bergan, bis auch ihr die zu kurz gewordene Vegetationszeit die Stammbildung verwehrt. Damit ist aber die Grenze des natürlichen Vorkommens noch nicht erreicht, wenngleich sich die zähe Baumart nur in niederliegenden Kümmerformen bis in Höhenlagen von 2800 Meter emporwagt, wo ihr tiefe Mulden und grosse Felsblöcke Schutz bieten vor dem eisigen Griff des Winters.

In den ersten Lebensjahren wächst die Lärche rascher als Arve und Rottanne. Unter günstigen Lebensbedingungen wird in 60 bis 120 Jahren eine Baumhöhe von 30 oder 40 Metern erreicht. Als junge Pflanze bildet die Lärche eine regelmässige, kegelförmige Krone; mit zunehmendem Alter nehmen die zuerst aufstrebenden Äste eine ausladende, fast horizontale Stellung ein. Die dünne Beastung mit den langen, herabhängenden Seitenästen gibt dem Baum ein lichtes Aussehen, und er vermag nur wenig Schatten zu verstreuen. Je höher der Standort ist, um so mehr beeinflusst das Bergklima die Gestalt des sonst ge-radwüchsigen Baumes. Das Längenwachstum des Stammes verkürzt sich; Sturm und Schneebruch haben die Äste und Wipfel verbogen und damit dem Habitus einen noch malerischeren Ausdruck verliehen. Aus den gebrochenen Aststummeln richten sich immer wieder grüne Zweige auf, deren Nadeln die Lebensfunktionen erhalten. Am jungen Stamm ist die Rinde glatt und graubraun; später wird sie rauh und bildet eine tiefgerissene, rötliche Borke. Sie charakterisiert die alten, 400 bis 500 Jahre alten Lärchen, wie solche hie und da in den Alpentälern anzutreffen sind. Auf der rauhen, in dicken Wülsten und Stollen aufgeworfenen Borke lebt eine artenreiche Zahl blütenloser Pflanzen mit geheimnisvollen Lebensäusserungen. Das frische Grün der Moospolster und die silbergrauen Farben der Flechten werden beherrscht vom starken Schwefelgelb der Flechte Evernia vulpina, welche nur hier vorkommt.

Die Lärche ist der einzige heimische Nadelbaum, der im Spätherbst die Nadeln verliert. Damit schützt sich der Baum vor der extremen Winterkälte und begleitenden Trockenheit. Der Wechsel des Nadelkleides verleiht ihm aber auch zu jeder Jahreszeit ein besonderes Gepräge. In den lichtgrünen Mantel der jungen Nadeln ge- hüllt, begrüsst die Lärche den Frühling im Bergland, und im dunkler gewordenen Sommerkleid geht sie dem Herbst entgegen. Das Allerschönste spart sie sich aber für den späten Oktober auf, wenn sich mit den kürzer gewordenen Tagen die winterliche Ruhe ankündet. Rot und golden verfärben sich die Nadeln vor ihrem Fall. In diesen Tagen bietet das Bergland eine Farbenpracht, wie sie das Tiefland nicht zu bieten vermag. Leuchtenden Flämmchen gleich züngeln vereinzelte Lärchen den dunklen Tannenwald hinauf. Sie vereinigen sich im reinen Bestände und beherrschen mit ihrem Kolorit die ganze Umgebung. Das Leuchten der Farben ist unter seiden-blauem Himmel besonders reizvoll und wird immer wieder verändert durch das wandernde Licht der Sonne und den Schatten segelnder Wolkenfelder. Doch nur kurze Zeit dauert die festliche Pracht; im wirbelnden Fluge verträgt der Föhn oder Wettersturm die fallenden Nadeln. Zwischen den lichter werdenden Kronen weitet sich die Sicht auf die im Neuschnee flimmernden Berge, umrahmt von dünnen und mit Zapfen reich geschmückten Ästen.

Leider ladet das zarte Grün der Nadeln den Lärchenwickler zur reich gedeckten Tafel. Nach bescheidenen, kaum beachteten Anfängen vermehrt sich ihre Zahl nun von Jahr zu Jahr. Und wenn eine Nahrungsquelle erschöpft ist, so befördert der Wind mit Hilfe eines dünnen Gespinstfa-dens das Räupchen zum nächsten Baume. Nach sieben Jahren hat der Wickler seinen grössten Bestand erreicht. Kahlgefressene Baumkronen in unschönen Farben künden von der Invasion, welche das Bergtal um seinen schönsten Schmuck gebracht hat. Hier setzt die weise Regelung der Natur ein. Seuchenartige Krankheiten stoppen die überbordende Vermehrung. Nur wenige der Schädlinge entgehen diesem Schicksal. Aber sie genügen, um die Tätigkeit der Sippe fortzusetzen, welche wieder nach sieben Jahren ihren Abschluss findet.

Gleichzeitig mit dem Austrieb der Nadeln öffnen sich die Blüten. Wie Arve und Tanne entwik- kelt die Lärche Stempel- und Staubblüten getrennt auf dem gleichen Baume, doch sind die Geschlechter nicht auf verschiedene Stockwerke verteilt, sondern stehen in nächster Nähe übereinander. Die Stempelblüten sind in einem aufrechten roten Zäpfchen vereint, während die Staubblüten als gelbe Köpfchen zu erkennen sind. Wie rote Lichtlein leuchten von den frischgrünen Zweigen die Blütenkerzen in den sonnenwarmen Frühlingstag, über die der Wind den goldgelben Pollen streut. Die Samen reifen im Oktober, sie werden aber erst im kommenden Frühling zum Fluge in die weite Welt entlassen. Die leeren Gehäuse bleiben noch längere Zeit an den Zweigen hängen, bis sie der Wind auf den Boden wirft.

Das Lärchenholz gehört zu den dauerhaftesten Nutzhölzern. Besonders das Bergholz ist wegen der feinen Maserung und der rötlichen Färbung sehr gesucht. Uralte Blockbauten im Bergland mit von der Sonne schwarz gebrannten Balken beweisen die unverwüstliche Qualität des Lär-chenholzes. In der Ebene ist die Arve im Wald kaum und im Garten nur selten angepflanzt; hingegen ist die Lärche an beiden Orten häufig anzutreffen. Im Mischwald, wo sie sich besonders in trockenen, warmen Lagen bewährt, wie im grösseren Garten erfreut sie sich grosser Beliebtheit. In den ersten Lebensjahren übertrifft die Lärche an Wuchskraft alle andern Nadelbäume. Das Holz allerdings, obwohl geschätzt, entspricht nicht ganz der Güte desjenigen aus der Bergregion. Besondere Bedeutung hat das Harz der Lärche, aus dem Terpentin hergestellt wird.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Alpen die ursprüngliche Heimat der beiden Baumarten sind. Mit etwa zehn Arten bewohnt die Lärche die kälteren Regionen der nördlichen Halbkugel. Die Föhren, zu denen die Arve gehört, sind mit rund 80 Arten in der nördlichen Hemisphäre, vom Polarkreis bis Westindien und Indonesien, verbreitet. Vermutlich haben die Eiszeiten die Vorfahren der beiden Baumarten nach Europa gebracht. Mit der Rückkehr eines ausgeglichenen Klimas ist die Verbindung mit der Ursprung- lichen Heimat unterbrochen worden. Im Verlaufe der Jahrtausende sind an den neuen Standorten abweichende Arten entstanden, in denen jedoch die Beziehungen zu den Ahnen noch zu erkennen sind. Die heutige Verbreitung der Arve und Lärche in den Alpen nimmt sich gegenüber den gewaltigen Arealen Sibiriens und Nordamerikas recht bescheiden aus.

Arven und Lärchen bilden die Hautevolee der Alpenbäume, die zur vollen Entfaltung ihrer Schönheit der Nachbarschaft der Berge bedürfen. Ziehende Wolken über hellem Sonnentag, feines Leuchten über Berg und Tal, aber auch alle Wet-ternöte und karge Nahrung im felsigen Grund sind ihre Gefährten. Die Umweltfaktoren haben das Aussehen der Baumgestalten geprägt und sie zum unentbehrlichen Bestandteil der Bergheimat gemacht. Aus dem Schatten der letzten Bäume überblickt der Wanderer den zurückgelegten Weg, bevor ihn der Fuss hinaufführt in die Welt der Felsen und Firne, die ganz andere Bilder vermitteln.

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