Auf den Spuren des Höllbachs
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Auf den Spuren des Höllbachs

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

vVon Hugo Nünlist

( Hölloch MuotatalMit 4 Bildern ( 105-108 ) und 1 PlanLuzern ) Am 25. Dezember 1952 stiegen sieben Teilnehmer an der SAC-Höllochforschung zu einer zehntägigen Kundfahrt in die Höhle ein1. Die ungewöhnliche Länge mit den vielfachen Verzweigungen und Hindernissen erfordert immer gebieterischer wochenlange Aufenthalte, die wegen Wassergefahr in den Winter verlegt werden. Wir opfern die Freizeit für die Freude, einen Höhlenplan heranreifen zu sehen, der auf Jahrzehnte unbekannt geblieben wäre. Bis heute sind mehr als 37 km Gänge erforscht, und Hunderte von Angaben dienen der wissenschaftlichen Auswertung. Aber sie wollen erkämpft sein; es kostet Mühen, Abenteuer und Enttäuschungen, handelt es sich doch um die heimatliche Riesenhöhle unter dem Karstland der Silbern.

Wir erreichten schwerbefrachtet die Alligatorenschlucht, wo der Kleine Höllbach herab-toste, und keuchten im schmalen Bachbett hinauf zur Leiter, wo uns der Wasserstrahl überschüttete und durchnässte. Jenseits des Tobeis breitete sich ein See aus, den der überbordende Höhlenfluss nährte. Ein Sims gestattete, den langen Weiher zu umgehen. Beim letzten Teich im Seengang wartete ich einem Gefährten, der sich mit prallem Sack um einen Felszacken schwang. Seine Hand glitt am schlüpfrigen Sporn aus. Ein unförmiger Schatten flog ins Wasser; das Licht erlosch. Wer auch nur einen Augenblick unachtsam ist, muss Zwischenfälle solcher Art gewärtigen.

Nach drei Stunden atmeten wir im Riesensaal auf2. Der erste Abschnitt lag hinter uns; der erste nur. Burkhalter und Gygax zeigten mir die Stelle, wo sie im Sommer, vom Wassereinbruch überrascht, zehn bange Tage ausgeharrt hatten 3. Immerhin verfügten sie damals nicht nur über ein, sondern zwei Vorratslager. Jenes der SSS im Domgang enthielt vor allem Nahrung, das unsrige im Titanengang noch Karbid und Brennstoff für drei Wochen. Sie gewannen beide Lager auf trockenen Umwegen. Die Räumung des SAC-Lagers erheischte allerdings eine 16stündige Fahrt, wovon viele hundert Meter durch Kriechstollen. In den schweren Stunden des Wartens, abgeschnitten von der Aussenwelt, vertrauten sie auf unsere Erfahrungen, die wir im Februar 1952 auch der SSS brieflich mitgeteilt hatten: Eingeschlos-sene müssen 2-3 Wochen durchhalten. In dieser Zeitspanne bessert sich das Wetter und ermöglicht den Austritt. Nebst den ergänzten Vorräten im Dom- und Titanengang befinden sich jetzt grosse im Riesensaal, die von unserer Zuger Gruppe unter zwei Malen hineingetragen worden sind und allen in Not geratenen Forschern dienen.

Wir klettern nach der Rast, mit zusätzlichem Brennstoff beladen, abwärts zum 2 m tiefen Styxsee und queren ihn im Schlauchboot. Um uns Wasserlärm, Pflaster und heftiger Wind. In diesem Sumpfstollen setzt das Ringen voller Zwischenfalle ein: Wir durchwaten knietief die Suhle, kriechen über Wurmhäufchen, schleppen die Säcke nach, stapfen durch glucksenden Morast und umschleichen drei Teiche, wobei nochmals ein Gefährte ins Wasser taucht und ein anderer erschreckt ausruft: « Ich sehe nur noch den Hut schwimmen! » Unterdessen schüttelt jemand am schwarzen Gegenufer seine triefenden Kleider und ver- 1 Bruno Baur, Walter Burkhalter, Hans Gygax, Otto Hegnauer, Hans Schmid, Ruedi Schönbächler und der Verfasser.

2 Siehe Plan SAC-SSS, « Alpen » 1952, Heft 7.

3 Dr. A. Bögli: « Im Banne der Höhle », 1953, SVB-Verlag, Luzern.

flucht den Lochsee. Nachdem im Innominatagang ein dritter in die kalte Flut gestürzt ist, gelangen wir abends zum SAC-Biwak I.

Mit einfachen Mitteln bringen wir die Nächte zu und liegen, nur in Plastiktücher gehüllt, auf gemieteten Armeeblachen. Ein sterbendes Karbidlicht erhellt notdürftig den Adlerhorst im Titanengang, ab und zu klatscht ein Tropfen von der hohen Decke, sonst ist es still wie in einem Grab. Bei nur 5 Grad Wärme und 99 % Luftfeuchtigkeit wacht man schier alle Stunden auf, schlottert in den nassen Säcken, ächzt auf die andere Seite und sehnt den Morgen herbei. Wir stehen früh auf, übernächtig zwar, und freuen uns an Bewegung, vermehrtem Licht und eifrigen Gesprächen. Man zeigt sich in diesen Totengrüften auffallend mitteilsam und empfindet das Bedürfnis, das ewige Schweigen zu brechen, um sich in einer lebenden Welt zu wähnen und nicht schon zu den Verstorbenen zu zählen. Nachdem die Arbeit verteilt und die Kartenaufnahme anhand einer Signaturenliste besprochen ist, begeben sich zwei Gruppen wegen des Nachschubs nochmals zum Riesensaal. Die dritte führt eine Nachvermessung aus, entsprechend den Wünschen des wissenschaftlichen Leiters, Dr. A. Bögli. Dabei stellen wir fest, dass der Fjord am Ende des Osirisganges beträchtlich gewachsen ist.

Ausser kleinern, aber zeitraubenden Nachtragsarbeiten vom Lackgang zum Pas de l' Echelle, im Bogentunnel, Geisterschlund und Polyp will die Frage gelöst sein: Wo gelingt es, im Titanengebiet vorzustossen? Die bisherige Forschung lässt drei Schlüsselstellen erkennen: Anubisgang, Burkhaltersee und Einsamkeitsdom. Jede Gruppe erhält eine Erfolgs-aussicht. Mit Gygax wähle ich den Anubisgang und nehme ein Schlauchboot für die Bucht mit, die uns letztes Jahr den Weg versperrt hat. Fast sprachlos stehen wir nun am Wasser, das reglos und leicht getrübt die Decke berührt. Voriges Jahr lautes Rauschen vor und hinter dem See - heute Friedhofstille und das Farbzeichen SAC ausgelöscht. Ich kann es kaum fassen, vergeblich hier zu sein. Dafür wissen wir etwas Wichtiges: Vorstösse über diese Bucht locken in eine gefährliche Falle; denn der Wasserspiegel verändert sich rasch. Zwei Tage später liegt der Prüfzettel bereits 10 cm vom Ufer entfernt. Eine Bootfahrt bleibt gleichwohl unmöglich. Wir steigen enttäuscht zur Sargkammer hinauf und erledigen Nachträge. Dort schlängeln wir uns durch einen holprigen Stollen nach Norden zur Sandkammer und geraten südwestlich in eine trostlose Lehmröhre. Wegen Karbidmangels wollen wir aufgeben, stossen jedoch unvermutet auf die Oase im Anubisgang und lösen somit das Rätsel des Hakenstollens. Nachher wühlen wir uns, rückwärts, durch einen noch ärgern Stollen, den Wurmfortsatz. Es ist ein körperbreiter, mit Würmern gespickter Schlauch, den wir nach 50 m in die Grüne Hölle von Guayana wünschen. Etwas angenehmer erweist sich der Winkelstollen, eine Abzweigung des Niltals, wobei zwei Wannen beintief zu durchwaten sind. Der dritte See sollte gar liegend überwunden werden, was einstweilen des Guten zuviel ist. Der Luftzug deutet auf die Verbindung mit andern Gängen hin.

Baur, Burkhalter und Schmid ziehen anderntags zum Einsamkeitsdom und rücken mit Strickleitern durch einen Schacht bedeutend nach Osten vor, hinter die Verwerfungszone. Sie sichten beim Medusendom quallenförmige Sinterfälle, wachsartige Tuff bäche und Tropf-steingestalten. Die Gruppe ist abends pünktlich im Lager zurück, eine andere bleibt hingegen bis Mitternacht aus. Wir werden unruhig und entschliessen uns, sie zu suchen; denn es darf niemand länger als erlaubt ausbleiben. Die einen durchstöbern Anubisgang und Sargtal, die andern den Sphinxstollen. Wer in einem unbekannten Gang forscht, muss beim Eintritt einen Zettel hinterlegen, beim Austritt seine nächste Absicht vermerken. Auf diese Weise finden wir die Vermissten und holen sie um 2 Uhr morgens zurück. Leider ist die Forschungsarbeit des nächsten Tages gestört, obwohl kein Unfall eingetreten ist. ( Fortsetzung folgt )

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