Auf den Spuren von Fräulein Hurter
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Auf den Spuren von Fräulein Hurter SAC Baldern feiert sein 100-jähriges Bestehen

Vor 100 Jahren als Zürcher Sektion des Schweizerischen Frauen-Alpen-Clubs gegründet, ist der SAC Baldern eine von nur noch zwei Frauensektionen, die bis heute bestehen. Längst gehören der Sektion auch Männer an, aber ein Teil der früheren Kultur wird noch immer gelebt.

Der SAC Baldern ist eine spezielle Sektion. Zwar trägt sie wie die anderen Zürcher Sektionen traditionsgemäss den Namen eines Zürcher Hügels; in ihrem Fall ist die Burg Baldern ob Adliswil die Namensgeberin. Aber die Mehrheit der Mitglieder sind Frauen, und auch die Tourenleiterinnen machen die Hälfte aus. Das hängt mit der Geschichte zusammen. Denn Baldern ist eine von noch zwei Sektionen, die vom ehemaligen Schweizerischen Frauen-Alpen-Club (SFAC) übrig geblieben sind. Viele SFAC-Sektionen fusionierten nach 1980 mit SAC-Sektionen, nachdem der SAC entschieden hatte, dass diese nun auch Frauen als Mitglieder aufnehmen dürfen. Baldern wählte den anderen Weg: Sie blieb eine eigenständige Sektion, änderte den Namen und öffnete sich auch für Männer.

Zur Erinnerung: 1907 entschied der SAC, Frauen definitiv auszuschliessen. Neun Jahre später organisierten sich die Bergsteigerinnen um Pionierin Aline Margot selbst und riefen in Montreux den Schweizerischen Frauen-Alpen-Club (SFAC) ins Leben. Am 21. Januar 1921 gründeten dann ein gutes Dutzend Frauen die Zürcher Sektion des SFAC, «zur Hebung des Alpinismus unter den jungen Mädchen + Frauen Zürichs», wie dem Gründungsprotokoll zu entnehmen ist.

Ausgesprochen lange Touren

Anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums hat Vorstandsmitglied Evi Arrigoni das Archiv durchsucht und handschriftliche Protokolle und Tourenberichte aus den Anfängen abgeschrieben. Die allererste Sektionstour überhaupt führte auf den Gross Aubrig. Noch im selben Jahr folgten Wildspitz, Gross Schärhorn, Gross Spannort und Ortstock.

Diese und weitere Touren aus den ersten Jahren werden nun als sogenannte Jubiläumstouren möglichst original das ganze Jahr über wieder begangen – auf den Spuren der Pionierinnen. «Die Berichte sind ganz sec und immer nach dem gleichen Schema gehalten», sagt Evi Arrigoni. Trotzdem verraten sie einiges. Etwa, dass die Frauen oft am Samstag nach 14 Uhr in Zürich abreisten, weil sie vorher wohl noch arbeiten mussten.

Neben den Aufstiegszeiten, der Anzahl Teilnehmerinnen und den Kosten notierten sie jeweils auch, wer die Tour leitete. Die Touren auf den Wildspitz und den Düssistock leitete zum Beispiel Fräulein Hurter. Bei letzterer Tour waren die Alpinistinnen bereits mit professionellen Bergführern unterwegs, und ab 1923 unternahmen sie auch gemeinsame Skitouren.

Aufgefallen ist Evi Arrigoni auch, dass die Touren sehr lang waren: «Bei den Jubiläumstouren mussten wir zum Teil abkürzen. Die Frauen waren wirklich sehr zäh.»

«Fesseln existieren im Kopf»

Über die einzelnen Frauen in den Anfängen ist ausser ihren Namen nichts bekannt. Da diese aber oft mit dem Zusatz «Frau» oder «Fräulein» versehen sind, weiss man, dass sehr viele ledige Frauen aktiv waren. «Sie waren stolz darauf», sagt Caroline Fink, Autorin, Fotografin und aktive Tourenleiterin im SAC Baldern. Ledige Frauen hätten für sich selbst gesorgt, während verheiratete finanziell von ihren Ehemännern abhängig gewesen seien.

In späteren Zeiten erlangten einige Bergsteigerinnen aus dem SAC Baldern Bekanntheit. Etwa die 2019 verstorbene Heidi Schelbert oder Marianne Winkler, Elsbeth Köng und Dorothee Dietschi. Letztere erzählte in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, wie die Frauen sich gegenseitig motiviert und gefördert hätten. Eine Kultur, die bis heute gelebt wird.

Caroline Fink erzählt, wie sie einmal eine jüngere Freundin mit auf eine Skitour genommen habe. Bei der Schlüsselstelle habe sie sie vorausgehen lassen. «Am Ende der Tour hat sie mir gesagt, eine solche steile Lernkurve habe sie noch nie gehabt. Bisher sei sie stets hinter anderen gegangen.» Caroline Fink kennt auch die Besonderheiten, wenn Frauen unter sich bergsteigen. «Es ist vielleicht ein Klischee, aber Frauen reden mehr über Gefühle», sagt sie. So sei es zum Beispiel einfacher, auch mal zu sagen, dass man sich bei einer Entscheidung nicht wohlfühle oder dass einem eine Passage Furcht einflösse. Deshalb gibt es das Bedürfnis (und mittlerweile auch vermehrt Angebote), dass Frauen unter sich Bergsport betreiben können. Im Unterschied zu früher gebe es aber keine äusseren Einschränkungen und gesellschaftlichen Konventionen mehr, die den Frauen das Bergsteigen erschwerten. «Heute existieren die Fesseln eher im Kopf der Frauen und Männer», sagt Caroline Fink. Sie ist überzeugt, dass es nach wie vor an weiblichen Vorbildern fehlt.

Beitritt aus ideellen Gründen

Es gibt sicher banale Gründe, warum jemand dem SAC Baldern beitritt, der heute knapp 500 Mitglieder zählt. Aber es gibt auch Menschen, die sich sehr bewusst für diese Sektion entschieden haben. Caroline Fink etwa, die aus «ideellen Gründen» Mitglied ist. Oder Julia Kuark. Sie ist vor 35 Jahren aus den USA in die Schweiz gekommen und damals einer anderen Sektion beigetreten. Einmal ging sie mit einer Freundin und zwei weiteren Frauen auf eine Skitour. Sie sagte zu ihnen: «Ich finde es toll, wie ihr zusammen die Route besprecht und dass wir alle beim Spuren abwechseln.» Die eine sagte darauf, bei ihnen im SAC Baldern sei das immer so.

Mittlerweile ist Julia Kuark aktive Tourenleiterin Winter beim SAC Baldern. Beruflich berät die studierte Maschineningenieurin unter anderem Kaderleute im Jobsharing. Vielleicht ist ihr deshalb noch eine Besonderheit in der Sektion aufgefallen: «Es gibt auch oft Co-Leitungen bei den Touren. Im Austausch werden die Entscheidungen umsichtiger», sagt sie. Kurz nachdem sie vor zwölf Jahren dem SAC Baldern beigetreten war, erfuhr sie, was für eine Geschichte die Sektion hat: «Ich finde diese Geschichte toll.»

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