Auf Edward Whympers Spuren in Ecuador
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Auf Edward Whympers Spuren in Ecuador

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON FRITZ AEBERLI, RÜSCHLIKON

Mit 1 Skizze und 3 Bildern ( 19-21 ) Als ich von einer Tourenwoche in den Anden Venezuelas, deren höchster Gipfel wenig über 5000 Meter hoch ist, zurückkehrte, meinte einer meiner Freunde trocken und etwas spöttisch: « Wenn du nun noch höher hinauf willst, musst du deine Berge weiter südwärts suchen. » Ich hielt diese Worte für gutgemeinte Kritik an meinem « Drang zur Höhe » und glaubte nicht, dass es mir je möglich wäre, solche Pläne zu verwirklichen. Ein Jahr später jedoch lernte ich Franco Anzil, den damaligen Besitzer der « Casa del turista » in Mérida ( Venezuela ) kennen. Er erzählte mir von seinen Bergfahrten in Ecuador, die er Jahre vorher zusammen mit Alfonso Vinci unternommen hatte. Gleichzeitig fiel mir eine spanische Übersetzung von Whympers « Travels amongst the Andes » in die Hände - im zweiten Quartalsheft 1965 der « Alpen » ist ein Kapitel davon erschienen. Ich verschlang das Buch ohne Pause, und Namen wie Chimborazo, Cotopaxi, Antizana, die für mich bis jetzt höchst nebelhafte Begriffe gewesen waren, begannen in meiner Vorstellung konkrete Gestalt anzunehmen. Der Wunsch, jene Gegenden kennenzulernen, wurde immer heftiger, und ich überprüfte meinen Ferienkalender. Als ich auch Carlos, meinen jungen venezolanischen Freund, der mich auf allen Abenteuern in Bolivars Landen begleitet hatte, für die Idee begeistern konnte, stand das Ziel fest: Wir reisen nach Ecuador!

Die schweizerische Botschaft in Quito vermittelte mir zwei wertvolle Adressen; doch die wichtigste Beziehung kam auf Grund eines Zeitungsausschnittes zustande, in welchem eine Besteigung des Cotopaxi durch vier ecuadorianische Studenten beschrieben wurde. Die Redaktion konnte mich mit Franklin Velasco, einem der Teilnehmer, in Verbindung setzen. Er war sofort bereit, unsere Vorbereitungen zu unterstützen. Ein eifriger Briefwechsel entspann sich zwischen Venezuela und Ecuador, und das Projekt nahm langsam Form an. Mitte November 1964 war es dann soweit: Im VW fuhren wir morgens um 4 Uhr in der venezolanischen Hauptstadt ab und erreichten am selben Tag, nach 14 Stunden Fahrt auf der Panamericana, die kolumbianische Grenzstadt Cücuta, 1000 Kilometer von Caracas entfernt. Am nächsten Tag flogen wir über Bogota, Cali nach Ipiales, wobei wir uns beim Zwischenhalt im modernen Flughafen von Bogota mit unseren Rucksäcken, Eispickeln, Steigeisen und den Bergschuhen an den Füssen - wir hatten sie anziehen müssen, um das zulässige Höchstgewicht unseres Gepäckes nicht zu überschreiten - inmitten der eleganten Menschen leicht fehl am Platze vorkamen.

Mit dem Taxi fuhren wir noch am selben Tag über die Grenze nach Tulcän, wo wir in einem unerwartet modernen Hotel Unterkunft fanden. Sein Name « Atahualpa » erinnerte uns daran, dass wir schon im Gebiete des einstigen Inkareiches eingezogen waren. Nur noch 280 Kilometer trennten uns von Quito, und wir glaubten, die Strecke im Autobus im Laufe des folgenden Morgens hinter uns zu bringen. Doch erwies sich dieses Stück der vielgerühmten Panamericana, der geplanten Traumstrasse von Alaska bis Feuerland, als eine ziemlich holperige Strasse, die zu langsamem Fahren zwang, und so brauchte der Bus gute zehn Stunden dafür.

In Quito erwartete uns unser Freund Franklin und führte uns noch am selben Abend bei der Bergsteigergruppe « Nuevos Horizontes » ein. Das Programm war bald aufgestellt: Trainingstouren am Pichincha sollten uns an die Höhe gewöhnen, darauf sollte eine erste richtige Tour zum Illiniza folgen, und als Abschluss war die Besteigung des Cotopaxi vorgesehen.

Nun steigen wir also los, für zwei Tage ausgerüstet. Gleich hinter der Universität von Quito zweigt der Weg ab. Durch Eukalyptuswälder, später durch hohes Gras, folgen wir einer steilen Wegspur. Nach drei Stunden erreichen wir Cruz Loma, auf 3800 m, wo wir eine kurze Rast einschalten. Quito liegt zu unseren Füssen, doch viel weiter reicht der Blick nicht, denn graue Wolken hängen tief herunter. Am Nachmittag ist das Wetter meistens schlecht, doch während der Nacht hellt es immer wieder auf. Lange verweilen wir nicht, denn wir wollen unser Zelt aufstellen, ehe es zu regnen beginnt. Der Weg zieht sich nun weniger steil über einen breiten Rücken zum Rucu-Pichincha hinauf, wo wir am Fuss der Felsen einen günstigen Lagerplatz entdecken. Kaum steht das Zelt, bricht ein heftiges Gewitter los. Rasch verkriechen wir uns in die Schlafsäcke und bringen die Nacht leidlich hinter uns.

Als ich am nächsten Morgen den Kopf aus dem Zelt strecke, bleibe ich vor Staunen stumm. Die ganze Familie der ecuadorianischen Hochgipfel ist vor uns versammelt: im Nordosten der Cotacachi, daneben der Cayambe ( 5840 m ) und anschliessend der Antizana ( 5984 m ); darauf folgt der regelmässige Kegel des Cotopaxi ( 6010 m ), und davor erheben sich die weniger hohen Gipfel des Sincholagua und des Ruminahui, rechts davon die Illinizas; ganz in der Ferne aber lässt sich der König der Berg, der stolze Chimborazo ( 6310 m ), erkennen. Am selben Morgen klettern wir in den Felsen des Pichincha noch ein Stück höher, ohne jedoch ganz zum Gipfel aufzusteigen. Im Laufe des Nachmittags kehren wir nach Quito zurück.

Zwei Ruhetage benützen wir dazu, Quito kennenzulernen; wir schlendern durch die engen Strassen, denen die vielen Indios das typische Gepräge geben. Bald wird es Samstag; unser Gepäck ist wieder in Ordnung gebracht, und um zehn Uhr sind wir zur Abfahrt bereit. In einem geländegängigen Auto, das wir samt Chauffeur zu einem annehmbaren Preise gemietet haben, verlassen wir Quito in Richtung Süden, begleitet von Franklin.

Nach dem Dorf Machachi zweigen wir von der Panamericana nach rechts ab und fahren parallel zu ihr lange auf einer Erdstrasse, vorbei an Bauerngütern ( das Wort Hazienda, welches einen offenen Bau in tropischen Gegenden bezeichnet, scheint mir nicht recht zu passen, denn auf dieser Höhe - 3000 Meter - wird es doch oft so empfindlich kühl, dass die Häuser gut konstruiert sein müssen und demzufolge einen ganz behäbigen Eindruck machen ).

Endlich beginnt sich der Weg in die Höhe zu winden; von unserem Berg sehen wir allerdings nichts, denn dunkle Wolken verhüllen ihn. Nach ungefähr zwei Stunden Fahrt kommen wir zu einem kleinen Plätzchen, wo die Fahrstrasse endet. Wir steigen aus, froh, die Beine strecken zu können, denn das Sitzen zu viert in der Führerkabine vorne ist recht unbequem gewesen. Rasch schnallen wir alles Material auf die Rucksäcke. Langsam beginnen wir den Aufstieg. Es fängt zu regnen an, weshalb wir beschliessen, im « Chozón », einer kleinen, strohgedeckten Hütte, unterzuschlüp-fen und etwas zu essen. Der Höhenmesser zeigt hier 4100 Meter an. Nachdem wir unseren einfachen Lunch verzehrt haben, lässt der Regen nach, und wir nehmen die schweren Rucksäcke wieder auf.

Über Moränenhügel ansteigend, gewinnen wir langsam an Höhe. Der Regen geht in Schnee über, der anfänglich noch so nass ist, dass er nicht liegenbleibt und schmilzt. Höher bildet er aber doch eine zusammenhängende Decke, und Carlos erlebt zum erstenmal das Stapfen durch frischgefallenen Schnee.

Nach drei Stunden Marsch erreichen wir die Höhe von 4900 Metern und treffen auch richtig die kleine Lagune, die Franklin erwähnt hat. Inmitten der Felsblöcke finden wir einen zwei auf zwei Meter grossen Platz, den man mit etlicher Phantasie als annähernd eben bezeichnen kann. Mit den Pickeln schieben wir den Schnee weg, und bald sind wir soweit, dass wir das Zelt aufstellen können. Es schneit fast nicht mehr, doch hat sich ein kräftiger Wind erhoben. Die Zelttücher flattern im Sturm. Rasch kriechen wir unter Dach und fühlen uns wohlig geborgen inmitten der tobenden Naturgewalten. Die Temperatur ist auf drei Grad unter Null gesunken. Auf dem kleinen Kocher, den wir des Sturmes wegen im Zelt drin aufstellen müssen, bereiten wir uns eine heisse Suppe und Kaffee. Obwohl wir auch Spaghetti samt allen Zutaten mitgetragen haben, verspüren wir keine Lust danach und begnügen uns mit Flüssigem. Schon lange sind wir in den Schlafsäcken drin und strecken uns nun zur Ruhe. Wir spüren rasch, wie sich die Kälte vom Boden her durch die Daunen arbeitet, den ganzen Körper eisig umfangend. Der Schlaf ist eher unruhig.

Endlich graut der Morgen. Rasch einen Blick hinaus: noch hängen Nebelfetzen in den Bergflanken; aber es wird ein schöner Tag werden. Heisser Kaffee belebt uns einigermassen. Wir nehmen zum Aufstieg nur das Nötigste mit, froh darüber, dass die Rucksäcke nicht so schwer sind 3 Die Alpen- 1967 - Les Alpes33 wie am Vortag. Als wir eben wegmarschieren wollen, hören wir Stimmen: Rupert, Philip und Ruben, Freunde Franklins, die um ein Viertel vor fünf von Quito abgefahren sind und im Landrover ein Stück höher kamen als wir im Lastauto, haben uns schon eingeholt. Der Aufstieg, der dem Grat folgt, ist anfänglich leicht. Die umliegenden Gipfel enthüllen sich einer nach dem anderen: gegenüber der Cotopaxi, in der gleichen Richtung, etwas weiter entfernt, der Antizana, im Norden der Cayambe und unter uns El Corazón. Der Himmel ist nun fast wolkenlos, nur um den Gipfel des eisgepanzerten Illiniza-Sur, der auch das Matterhorn Ecuadors genannt wird, fegen noch Nebelschwaden. ( A. Vinci bezeichnet in seinem Buch « Cordiglera » allerdings einen andern Gipfel, den Quilindana, als « Cervino delle Ande ». ) Am Fusse des ersten Vorgipfels wird es etwas schwieriger; ausserordentlich viel hartgefrorener Schnee erschwert das Vorwärtskommen. Wir schnallen die Steigeisen an und queren den Hang auf der hinteren Seite, bis wir uns unmittelbar unter dem Hauptgipfel befinden. Von dort geht es über grosse, verschneite Felsblöcke ohne nennenswerte Schwierigkeiten steil hinauf, und um ein Viertel nach zwölf stehen wir auf dem Gipfel des llliniza-Norte ( 5162 m ). Das beseligende Gefühl, über den Nichtigkeiten des Alltags zu stehen, erfüllt uns, und glücklich erleben wir wieder einmal die Grösse der Bergwelt. Carlos enthüllt die venezolanische Flagge, und wir schreiben uns ins Gipfelbuch ein.

Schon verschwindet die Sonne wieder zu oft hinter den Wolken; wir machen uns deshalb bald zum Abstieg bereit. Über eine lange, steile Schneehalde rutschen wir rasch hinunter, und allzuleicht kann ich mir vorstellen, wie es wäre, wenn ich Ski an den Füssen hätte! Nachher müssen wir aber auf einem ausgedehnten Sandhang fast den ganzen Berg umgehen, wobei der Marsch durch das lockere Geröll mehr als unangenehm ist. Unter uns bricht ein Gewitter los, und sonderbarerweise beginnt es zu schneien. Nass und frierend erreichen wir das Zelt. Fast eine Stunde brauchen wir, um es abzubrechen und unser Gepäck zu ordnen, weil unter der schweren Schneelast noch eine Zeltstange geknickt ist. Es schneit nun nicht mehr leise und sanft wie vorher, sondern ein Schneesturm hat sich entwickelt. Wir sind müde, die Last drückt schwer, und der Weg, den wir gestern im Aufstieg ohne Mühe bewältigten, scheint nun endlos.

Schliesslich langen wir aber doch beim Auto an; wir ziehen trockene Kleider an und steigen ein. Man sieht weder eine Piste noch Spuren, so dass wir uns verfahren. Zum Glück kommt ein junger Indianer auf seinem Maulesel vorbei und führt uns auf den richtigen Weg. Dennoch müssen wir zu Fuss vor dem Landrover hergehen, um den Fahrer auf Löcher aufmerksam zu machen, denn mehr als einmal droht das Vehikel umzukippen. Welch ein Bild! Der schweigsame Muchacho in seinem Poncho, die wilde Mula, die bellenden Hunde und dahinter der Wagen, der durch das unwegsame Gelände holpert. Endlich gelangen wir auf das Fahrsträsschen und kehren auf dem gleichen Weg zurück. Es regnet auf der ganzen Strecke, und rasch bricht die Nacht ein.

Todmüde, Carlos und ich aber doch stolz auf unseren zweiten Fünftausender, den ersten im fremden Land, erreichen wir um halb sieben Quito.

Wieder ist eine Woche verflossen. Nachdem wir den Morgen des heutigen Samstages mit Provianteinkauf verbracht haben, begeben wir uns um 2 Uhr nachmittags zum Lokal des Bergsteigerclubs « Nuevos Horizontes ». Das Gewimmel dort erinnert fast an den Zürcher Hauptbahnhof an einem schönen Samstagnachmittag: ausser uns sieben, die wir den Cotopaxi auf dem Programm haben, findet sich noch eine andere, grössere Gruppe ein, die zu den Illinizas fahren will. Allerorts sieht man Leute in Sportausrüstung; Rucksäcke, Seile, Pickel liegen herum, Steigeisen werden noch rasch angepasst und letzte Provianteinkäufe gemacht. Unser Lastwagen, den wir für diese Fahrt gemietet haben, steht bereit, und nachdem wir an verschiedenen Orten vergessene Dinge abgeholt haben, verlassen wir die Stadt auf der Panamericana. In Machachi, bei der Polizei- kontrolle, erfolgt der obligate Halt, und wir benutzen den Moment, um « Fritata » zu essen. In einer grossen, flachen Kupferpfanne, die durch ein Holzfeuerchen erwärmt wird, schmoren Schweinefleischstücke und Kartoffeln. Die Mestizin - oder ist es eine Indiagreift mit den blossen Händen hinein und serviert die Speise auf einem Stück Zeitungspapier. Man isst mit Wohlbehagen, vorsichtshalber ohne sich darauf zu besinnen, was sie mit eben denselben Händen vorher noch alles gemacht haben könnte.

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CMA«BS 5SUO if"_.„ i-1-e^ SO M KMCA.MINO& Viele Kilometer geht es weiter; rechts erkennen wir die Hänge, die zu den Illinizas hinaufführen, bis wir dann nach links auf eine Erdstrasse abzweigen. Langsam pustet das Auto höher, direkt in ein Unwetter hinein. Aber wir sind uns ja gewöhnt, dass es nachmittags immer regnet, und lassen uns dadurch nicht entmutigen. Gegen Abend erreichen wir die ausgetrocknete Lagune von Limpiapungo, wo auch Whymper durchzog, tiefsinnige Betrachtungen über das traurige Los von Käfern anstellend, die auf dem Kopf zu stehen pflegen und dabei oft auf den Rücken fallen, worauf sie in dieser misslichen Lage alsdann sterben, weil sie sich nicht mehr allein daraus befreien können. Die Lagune muss einmal riesig gross gewesen sein, ist heute aber auf ein unbedeutendes Seelein zusammengeschrumpft. Über den ausgetrockneten Boden führt die Strasse, die wir jedoch bei einem rotangestrichenen Stein verlassen, um querfeldein bis zum Fuss des Berges zu holpern.

Da es noch immer fein regnet, beschliessen wir, an Ort und Stelle, auf 4000 Metern Höhe, die Zelte aufzuschlagen, denn die Aussicht, in nassen Kleidern schlafen zu müssen, begeistert uns nicht sehr. Ehe die Sonne untergeht, reissen die Wolkenschleier, und der Blick schweift hinauf über die eisgepanzerten Hänge des Cotopaxi, auf der Suche nach dem morgigen Aufstiegsweg. Uns gegenüber erkennen wir die niedrigeren, keine 5000 Meter hohen Massive des Sincholagua und des Ruminahui.

Auf den Benzinkochern bereiten wir das Nachtessen - die letzte eigentliche Mahlzeit für die nächsten 24 Stunden -, und um 9 Uhr kriechen wir in die Schlafsäcke.

Tagwache ist um 1 Uhr früh, doch nur widerwillig verlassen wir die mollige Wärme des Schlafsackes. Ein Schluck warmen Kaffees belebt die Geister ein wenig; nach Brot und Käse haben nur die wenigsten Verlangen. Um 2.30 Uhr sind wir endlich abmarschbereit. Der Himmel ist sternklar. Im Zenit steht der Orion, hell leuchtet Jupiter. Die Kälte ist erträglich, ich schätze sie auf -5 Grad. Der Aufstieg über Erdhalden geht leicht, und als später der abnehmende Mond aufgeht, finden wir den Weg auch ohne Taschenlampe. Weit über uns in den Hängen blinkt zuweilen ein Licht auf: eine Partie, die gestern mit dem Jeep bis fast auf 5000 Meter hinaufgefahren ist und nun einen grossen Vorsprung hat. In der Ferne sehen wir die Lichter von Machachi und von Quito. Nun erhebt sich auch das Sternbild des grossen Wagens über den Horizont; das Kreuz des Südens könnte man hier auf dem Äquator gleichzeitig sehen, wäre es nicht vom Berg verdeckt. Wenig später kündet Venus, hell wie ich sie nie gesehen habe, den kommenden Morgen an.

Um 5.30 Uhr erreichen wir auf 5000 Metern die Schneegrenze und schnallen die Steigeisen an. Der Himmel rötet sich im Osten; bald treten die schneebedeckten Kuppen des Antizana und des Cayambe aus der Dunkelheit ins Morgenlicht. Ein solch eindrückliches Werden des neuen Tages habe ich noch nie erlebt! Die Kälte ist um einiges schärfer geworden; sicherlich sind es 12 Grad unter Null, und die Füsse sind so durchfroren, dass sie schmerzen. Auch das Marschieren erwärmt sie nicht. Schon steigen wir in den Eisbruch ein, wir seilen uns an und überqueren langsam die zerbrechlichen Schneebrücken, welche die tiefen Gletscherspalten überspannen. Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen, der Himmel ist wolkenlos, und wir sehen nun auch hinüber zu den Illinizas, wo wir erkennen können, wie tief hinunter der neugefallene Schnee reicht.

Nach dem Eisbruch wird der Gletscher steiler, doch ist zum Glück die Beschaffenheit der Oberfläche ideal: hart genug, dass wir nicht einsinken, doch nicht so hart, dass wir gezwungen wären, Stufen zu schlagen. Die Spur markieren wir mit roten Fähnchen, eine Vorsichtsmassnahme, die sich später als sehr begründet erweist.

Whymper war erstaunt über die « Anwesenheit von Gletschern, welche sich bis zum Gipfel hinaufzogen und so mit Asche bedeckt waren, dass es schwer festzustellen war, wo sie anfingen und wo sie endeten. » Heute präsentiert sich die ganze Bergkuppe in makellosem Weiss; nur an einer Stelle kommt der schwarze Fels zum Vorschein, und dort steigen auch einige Schwefeldämpfe auf, die erkennen lassen, dass der Vulkan noch nicht zur Ruhe gekommen ist.

Häufig schalten wir einige Rastminuten ein, essen aber kaum je etwas. Ein paar gedörrte Bananen, einige Bonbons sind alles, wonach der Körper verlangt. Schon sehen wir, wie sich um die benachbarten Berge Gipfelwolken bilden; auch bei uns entstehen plötzlich Nebelfetzen aus dem Nichts, wogen auf und ab, zerreissen und verteilen sich, um sich um so dichter sofort wieder neu zu bilden, und gegen Mittag hüllen sie uns vollständig ein. Trotzdem steigen wir weiter. Die andere Partie, bereits im Abstieg, begegnet uns und lässt uns wissen, dass der Gipfel nicht mehr ferne sei; in einer halben Stunde würden wir ihn erreichen. Doch in diesem Moment beginnt es aus der Gipfelwolke heraus zu blitzen und zu donnern. Wir wagen nicht mehr, uns auf dem exponierten Kraterrand den elektrischen Ladungen auszusetzen, und beschliessen den Rückzug. Auch Whymper kannte diesen Zustand, denn er schilderte, wie bei einem tiefer gelegenen Lager « Blitze in unheimlicher und sogar gefährlicher Nähe zuckten und man den Eindruck hatte, die ganze Atmosphäre sei mit Elektrizität geladen ». Während des Aufstieges selber hatte er dann wesentlich mehr Glück als wir und konnte eine ganze Nacht knapp unterhalb des Kraters in relativer Ruhe verbringen. Auf der Höhe von 5950 Metern entschliessen wir uns hingegen schweren Herzens umzukehren.

Der Nebel wird immer dichter, es schneit in dicken Flocken, und in knietiefem Schnee steigen wir ab. Die Spuren sind längst verwischt, und die andere Partie, die sich nicht an unsere Fanions gehalten hat, verirrt sich. Erst viel später sehen wir sie weit oben den Hang queren und wieder die normale Route erreichen.

Um 5 Uhr sind wir im Lager zurück. Das Auto kommt erst eine Stunde später; der Fahrer hat die Lagerstelle nicht mehr finden können. Lange ist er auf der Hochebene umhergeirrt, und erst eine aufgehängte rote Windjacke hat ihm den Weg gewiesen. Rasch laden wir alles auf und beginnen die Rückfahrt. Die Nebel verteilen sich. Stolz und triumphierend gleisst die unbezwungene Eispyramide im Abendlicht.

Nach 8 Uhr sind wir zurück in Quito, und weil wir den ganzen Tag kaum etwas gegessen haben, verspüren wir redlichen Hunger.

Noch einen Tag verbleiben wir in der Hauptstadt, um unser Material zu ordnen. Hierauf verlassen wir das gastfreundliche Land. Weitere zwei Tage verbringen wir in Bogota und reisen dann ohne nennenswerte Zwischenfälle nach Caracas zurück.

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