Aus Calabrien: eine Tour auf den Aspromonte
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Aus Calabrien: eine Tour auf den Aspromonte

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Von Dr. Ernst Calberla.

Eine Tour auf den Aspromonte.

( 1874 Meter. ) Der calabrische Apennin ist die südliche Fortsetzung des westlichen Zuges des sogenannten neapolitanischen Apennins, der Gebirgsmassen, die sich zwischen dem Golf von Salerno und dem von Policastro befinden. Durch den Pass von Lagonegro hängt letztgenannter Gebirgsstock mit dem Haupttheile des neapolitanischen Apennin, den Gebirgen der Provinz Basilicata, zusammen.

Man kann in den Gebirgen Calabriens einenHauptzug und von diesem ausgehend oder in ihm selbst sich entwickelnd verschiedene mehr oder weniger selbstständige Gebirgsstöcke unterscheiden.

Der Hauptzug verläuft vom Passe von Lagonegro zuerst direkt südlich, steil gegen den schmalen Land-saum der Westküste Calabriens abfallend. Zwischen dem Golf von S. Eufemia ( Pizzo ) und dem von Squillace ( Catanzaro ) erfährt er seine tiefste Einsenkung in dem Passe von Tiriolo. Von eben genanntem Passe aus wendet sich der Hauptzug südwestlich, um in der Südwestspitze Calabriens mächtig entfaltet als Aspromontestock zu endigen.

Der nördliche der 3 Gebirgsstöcke, die sich aus der Hauptkette des calabrischen Apennins sondern, zweigt sich südlich vom Passe von Lagonegro, also an seinem Anfangstheil, am Südende des Golfes von Policastro, in östlicher Richtung ab. Er besteht aus einem rein östlich verlaufenden Gebirgszug mit dem Monte Sabine ( 1720 m ), Monte Alberico ( 1672 m ), Monte Pollino ( 2223 m ) und dem Monte Grattacutto ( 1862 m ). Von letztgenanntem Berg zweigt sich ein kurzer Gebirgszug ab, der in südwestlicher Richtung verlaufend im Passe von Morano ( Castrovillari ) endet, dort gewissermassen an die Hauptkette des calabrischen Apennins wieder herantritt. Vom Monte Grattacutto setzt sich der ersterwähnte Gebirgszug in östlicher Richtung gegen den Meerbusen von Tarent weiter fort. In dieser zweiten Hälfte befinden sich die Sierra Tagliamano ( 2035 m ), und mit dem Monte Saracine ( 1729 m ) tritt dieser Gebirgsstock bei den Ortschaften Rocca imperiale und Policoro ( Gegend des alten Heraclea ) dicht an die Küste des Golfes von Tarent. Nach Norden wird dieser Gebirgszug durch das Thal des Sinno, des Siris der Alten, gegen den neapolitanischen Apennin abgegrenzt.

Von den drei selbstständigen Gebirgsstöcken des calabrischen Apennins ist der nördlichste an Ausdehnung der kleinste, in welchem es am wenigsten zur Bildung grösserer Hochebenen oder wohlangebauter Terrassen kommt, dagegen zeigen seine Berge die grössten Erhebungen der calabrischen Gebirge. Am Nordabhang des Monte Pollino ( 2223 m ) bleibt selbst im Hochsommer der Schnee liegen. Im Hauptzuge des calabrischen Apennins, der dicht an der Westküste südlich bis zum Monte Reventino ( 1844 m ) verläuft und der als steile, nur von wenig hochführenden Pässen überschrittene Bergwand das Thal des Crati ( Cosenza ) vom tyrrhenischen Meere trennt, finden sich die Monte Calcinava ( 1578 m ), Monte Rosa ( 1729 m ), Monte Contussa ( 1827 m ), Monte Cocuzzo ( 1730 m ) und der Monte Reventino. Von dem letztgenannten langen Bergrücken entwickelt sich in östlicher, dann auch nördlicher Richtung ein mächtiger Bergcomplex, das Sila-gebirge.

Dieser Gebirgsstock hat eine fast quadratische Form und kann man in ihm einen südlichen, d.h. von Ost nach West gerichteten, einen westlichen und nördlichen Bergzug unterscheiden. Mit Ausnahme eines kleinen Flusses, des Lagaro, der am Nordwestende die Wände dieses massigen Gebirgsstockes durchbricht, öffnet sich letzterer nur an der Ostseite durch die Thäler des Neto, der nördlich von Cotrone, und des Trionto, der südlich von Rossano sich in den Golf von Taranto ergiesst. Von der Nord- und Westseite, aber vor Allem von der Südseite dieses festungsartig aufgebauten Gebirges strömen zahlreiche kurze Wasserläufe herab. Die von der Südseite kommenden ergiessen sich in den Golf von Squillace, während die von der West- und Nordseite kommenden sich in den Crati ergiessen. Letztgenannter Fluss entspringt von dem südlichen Theil der Westwand des Silagebirges. Die höchsten Erhebungen finden sich im Süd- und Westtheil des Gebirgsstockes. Es sind die Serra del Imperatore ( 1580 m ), der Monte Cardoneto ( 1680 m ), der Monte Spineto ( 1650 m ), der Monte Spineto ( 1650 m ), der Monte Calistro ( 1722 m ) im südlichen und die Montagna della Porcine ( 1688™ ), der Monte Fallistro ( 1738 m ), der Monte Spinello ( 1652 m ) im westlichen Theil.

Der langgezogene Monte Farnorosso ( 1687 m ) bietet die grösste Erhebung des nördlichen Zuges. Die Ripa Rosso ( 1889 m ), der Cozzo del Gigante ( 1672 m ) und der Monte Petrella ( 1667 m ) bilden als östlicher Zug, mit dem Monte Fallistro sich verbindend, die Trennung des Flussgebietes des Neto und Trionto. In den Gebieten der beiden letztgenannten Flüsse kommt es innerhalb des Silagebirges zur Entfaltung mächtiger Hochebenen und Terrassen, die, wenn sie"auch im Winter theilweise mit Schnee bedeckt sind, doch ausgezeichneten Boden für Getreideanbau darbieten und auf denen es zur Entfaltung mächtiger Waldungen kömmt, die noch heute, wie zur Zeit der Griechen und Römer, den fast unerschöpflichen Holzreichthum dieses Gebirges bilden.

Der dritte Gebirgscomplex ist das Endstück des calabrischen Apennins selbst, der südwestlich des Passes von Tiriolo befindliche Theil des Hauptkammes, der mit dem Monte Contessa ( 1590 m ) südlich der Hochebene von Maida beginnend, Calabrien in der Richtung von Nordost nach Südwest durchzieht. Es steigt dieser Gebirgskamm beiderseits steil von den Küsten des jonischen wie des tyrrhenischen Meeres auf. Nur wenige schwer passirbare Pässe überschreiten ihn. Sein nördlichster Theil erhält eine kurze westliche Parallelkette in den Bergen des Cap Vaticano und eine etwas längere östliche in der Serra Chindilli, die zwischen dem Golf von Squillace und Gerace das Cap Stilo bildet. Im weitern Verlaufe des Hauptkammes folgen der Monte Bruga ( 1644 m ), der Monte Fama ( 1712 m ), der Monte Locano ( 1692 m ), der Monte Treditta ( 1738 m ) und der Monte Ligara ( 1789 m ). Dieser Gebirgszug endet, indem er sich zu einem mächtigen Gebirgscomplex, dem Aspromontestock, aufbaut, in der Südwestspitze Calabriens. Von dem Hauptkamm, sowie von seinem Endtheil, dem Aspromonte,. gehen unzählige, selbst im Hochsommer noch Wasser führende Bäche und kleine Flüsse in das jonische und tyrrhenische Meer hinab. Nur an wenig Punkten sinkt der Hauptkamm bis auf 1250 m herab; seine grösste Erhebung findet er in dem Monte Alto ( 1974 m ), dem höchsten Gipfel des Aspromontestockes. Besonders in letzterem, zum Theil aber schon am Hauptkamm, kommt es zur Bildung von Terrassen, deren sich zwischen der Küste und der Bergspitze zwei oder drei unterscheiden lassen. Diese Terrassen geben, soweit sie nicht von Wald bedeckt sind, gutes Weideland, und besonders die unteren ausgezeichnetes Land für Ackerbau und Obstzucht.

Auch geologisch sind die 3 Gebirgsstöcke von einander unterschieden. Während der nördlichste der Jura- und Kreideformation angehört, bestehen der Sila, der Hauptkamm selbst und der Aspromonte aus Urgebirge, und zwar ist es meist Gneiss, zu welchen die fast nur aus Granit bestehende Serra Chindilli hinzutritt. An der Basis dieser Urgebirgsmassen findet sich Jura-, Kreide- und Tertiärformation, einen schmalen, aber sehr fruchtbaren Gürtel um erstere bildend.

Während der nördlichste Gebirgsstock des calabrischen Apennin viel Weideland und wenig Wald besitzt, kommt letzterer in den beiden südlichen Ge-birgskomplexen zu mächtiger Entfaltung. Mit dem Waldreichthum hängt der Wasserreichthum des südlichen Theiles Calabriens zusammen, der seine Küstenstrecken in herrliche Gärten verwandelt. Die höher gelegenen Terrassen und Thäler des calabrischen Apennins sind, wie oben schon bemerkt, im Winter stets mit Schnee bedeckt, der zum Theil erst Ende April oder Anfang Mai schmilzt. Diese höher gelegenen Theile, die ganz alpinen Charakter haben, werden daher erst im Frühjahr von den Hirten und Kohlenbrennern bezogen. Im Winter suchen diese Leute Arbeit in den Orangen- und Olivengärten, in den Hafenstädten oder halten sich mit ihren Heerden an der Küste auf, theilweise ziehen sie weit von den Bergen nach der apulischen Ebene fort.

In den waldreichen Distrikten, besonders im Sila-gebirge und im Aspromontestock, bildet das Kohlen-brennen einen sehr wichtigen Erwerbszweig. Calabrische Holzkohlen versorgen Sicilien und das Festland Italien bis nach Neapel. Die Art der Kohlengewinnung selbst ist ein vandalischer Raubbau! Um z.B. einen Baum zu fällen, wird unter demselben am Stamme ein Feuer angezündet und dieses so lange unterhalten, bis er halbverkohlt umstürzt. Hierauf bedeckt man den Stamm zum Theil mit Erde und zerlegt ihn durch neue Verkohlung in mehrere Stücke, die dann endlich die gewünschte Holzkohle liefern. Geht das erstangezündete Feuer aus, so bleibt der Baum halbverkohlt stehen. Bei dem Holzreichthum dieser Gegenden hat vorläufig selbst diese Art von Kaubbau keine Gefahr! So lange nicht leichtere Communicationen zwischen den Waldgebieten und dem Küstensaum geschaffen werden, ist an eine Waldausrottung nicht zu denken. Theilweise sind diese Wälder reiner Urwald, wie die Waldstrecken am Südabhang des Aspromonte. Hier treiben selbst Köhler nicht ihren Eaubbau. In diesem Gebiet, dem es an allen Wegen mangelt, lohnt nicht einmal der Transport der Holzkohle.

Den grössten Theil dieser Wälder bilden Buchen-und Eichenbäume, doch kommt es am Südabhang der Sila und am Ost- und Westabhang des Aspromonte auch zur Bildung prächtiger Tannen- und Fichtenwälder, in denen der Wolf, der Luchs und das Wildschwein hausen.

Den durch den Gebirgsaufbau hervorgerufenen Terrassenbildungen an den Abhängen der Berge pas st sich die Vegetation an. So haben wir auf der obersten Terrasse, die im Winter stets mit Schnee bedeckt ist und die etwa von 800—1200 m aufsteigt, ausgezeichnetes Weideland, zum Theil kann man auf derselben schon Waizen bauen. An den Abhängen dieser Terrassen, besonders am Südabhang der Sila und am Nordostabhang des Aspromonte, gedeiht schon die Kastanie und die Wall-nuss, und beide Früchte bilden in diesen Gegenden « inen wichtigen Exportartikel. Auf der nächsten Terrasse, die etwa von 500—800 m aufsteigt, gedeiht die Traube, allerlei Kernobst, Kastanien und Waizen in bester Qualität. Von Getreidearten wird besonders eine Sorte mit grossen Körnern, « Majorica » genannt, und Gran Germano gebaut. In geschützten Lagen dieser Terrasse, dann bis 600 m aufsteigend, bringt sogar die Olive und die Carruba ( der Johannisbrodbaum ) reichlich Früchte. An steileren Strecken wird die Mannaesche angebaut. Die nächste Terrasse, deren räumliche Begrenzung es nicht zu grossen ebenen Flächen kommen lässt, die gewissermassen wieder in kleine Terrassen zerfällt, steigt vom Küstensaum bis zu 500 m hinauf. Auf derselben herrscht, besonders da, wo viel Wasser vorhanden, die üppigste Vegetation. Die Orangen- und Limonengärten Calabriens sind ja berühmt; sie liefern entschieden die besten Orangen und Citronen ganz. Italiens. Daneben findet man ausgedehnten Olivenanbau, der von der letzten Terrasse herab sich in die schmalen Küstenstriche ausdehnt. Als besonders grosse Olivendistrikte sind Gioja am Nordabhang des Aspromonte, Catanzaro und Rossano am Süd- und Westabhang der Sila zu nennen. An den Küsten gedeiht die Dattelpalme und der Süssholz-strauch. Die Wein- und Olivengärten sind mit üppig wuchernden, oft bis über 4 m hohen Opuntien ( Cactus, indische Feige ) und Aloë eingefasst. Wo in einer Schlucht wildes Gestrüpp sich findet, glaubt man in einem Garten zu sein; dichte Oleanderbüsche, gemischt mit mehr als mannshohen Myrrthen- und Lentiscus-sträuchern bilden dasselbe, deren Blüthen am Ende des Frühjahres, im Mai, einen berauschenden Duft verbreiten.

An der Südküste beginnt überall die Mandelblüthe schon im Februar! Der fleissige Calabrese unterstützt durch Verwendung von Bewässerungsmaschinen und anderen Anlagen überall die Natur. Theils sind es Kanalwerke, theils Pumpapparate, die durch Thierkraft getrieben werden und die das Wasser in hochgelegene Eeservoirs führen. Jeder disponible Tropfen Wasser wird zur Bewässerung der Limonengärten verwendet, denn diese Frucht braucht viel Feuchtigkeit. Die ganze Umgebung Reggios, Catanzaros und Eossanos ist im April und Mai ein weiter üppiger Garten voll intensivster Farbenpracht, und aus den Limonen- und Orangengärten trägt jeder Windstoss herrlichen Wohl-duft heran. Auf der zweiten Terrasse ist das Klima im Winter frisch, im Sommer nicht zu heiss, während die untere Terrasse und der Küstensaum, besonders der Südküste, im Winter viel vom Sirocco und Libeccio zu leiden hat, im Sommer sehr heiss und durch Fieber heimgesucht ist. Da der Seehandel im Sommer fast völlig ruht, sind diese Strecken dann fast ganz von den Einwohnern verlassen, nur die Zollwächter müssen aushalten.

Zeitweise ist Calabrien, besonders sein südlicher Theil, von Erdbeben heimgesucht worden und kommen von Jahr zu Jahr, besonders in den Distrikten der Westküste, mehr oder weniger heftige Erdstösse vor.

Ein grosser Uebelstand des Landes ist der Mangel an guten Landstrassen. Eigentlich besteht nur eine einzige gute Strasse, die von Salerno über Lagonegro nach Cosenza, von da über Tiriolo und Pizzo an der Nordwestküste nach Reggio führt. Daneben findet sich noch von Tiriolo nach Catanzaro abzweigend eine gute Strasse. Alle anderen Wege sind schmal, zum Theil schlecht gehalten; in der trockenen Jahreszeit gangbar, in der Regenzeit, im Winter, im Frühjahr aber wegen der fast überall mangelnden Brücken oft völlig unpassirbar. Wo die Brücken fehlen, ist man gezwungen, seinen Wagen durch den Fluss und sich selbst auf einem an solchen Stellen dann die Fähre vertretenden Ochsenwagen über das Wasser fahren zu lassen. Meist sind diese Flüsse wohl breit, aber nicht tief und darum leicht passirbar; nach Regen schwellen sie jedoch schnell an und dann ist eine jede Kommunikation ge-hindert* ).

Seit Jahresfrist ist endlich die Eisenbahn bis Reggio vollendet, die wenigstens an der Südseite eine bequeme Kommunikation geschaffen hat. Ausser durch den Mangel an Strassen ist der Anbau des Landes zum Theil durch die bergige Beschaffenheit desselben sehr beeinträchtigt, aber diess alles würde der fleissige Calabrese überwinden, wenn ihn nicht eine andere Last schwerer drückte. Dies sind die Agrarverhältnisse, die hier so drückend sind, wie sonst nirgends auf dem Festlande Italiens; nur auf Sicilien sind sie ähnlicher Art. Diese Verhältnisse sind um so mehr zu bedauern, als der Calabrese sonst das Zeug zu einem tüchtigen Arbeiter hat, allein das harte Joch lässt ihn nicht aufkommen. Ganz wie in Sicilien resultirt zum grössten Theil der Brigantaggio aus diesen ungünstigen Agrarverhält-nissen.

Mit der theilweisen Verbesserung letzterer Verhältnisse hat in den letzten Jahren auch die öffentliche Sicherheit in Calabrien zugenommen. Von unserem Gesichtspunkt aus muss das Land so wie so für sicher gelten. Eigentlicher Strassenraub in unserem Sinne kommt hier fast gar nicht vor. Ist ja doch der Calabrese ein äusserst gutherziger Mensch, der Jeden, der ihm mit Vertrauen entgegenkommt, als wahren Freund behandelt.

Die Calabresen sind die angenehmsten aller süditalienischen Stämme, dabei sind die Männer kräftige schöne Gestalten, die Frauen, wenigstens in den Bergdistrikten, schlanke hohe Figuren, oft von wunderbarer Schönheit. Leider altern die Frauen sehr frühzeitig. Im Ganzen spielt in Calabrien die Frau eine untergeordnete Rolle, der Mann ist der Alleinherrscher. Wenn der Bauer Sonntags zur nächsten Stadt geht, so reitet er auf dem Esel oder Maulthier im schönsten Staat, während die Frau und Tochter, oft schwere Lasten tragend, nebenher gehen. Auch den grössten Theil der Feld- und Gartenarbeit besorgt die Frau.

Dabei haben die Frauen ein sehr züchtiges Auftreten. Den Gruss begegnender Leute erwidert nur der Mann. Den schönsten Menschenschlag fand ich im Distrikt Catanzaro und am Nordabhang des Aspromonte.

Ich muss zur Begründung meiner oben ausgesprochenen Ansicht über den Grund des Brigantaggio die Agrarverhältnisse etwas näher besprechen.

Das angebaute Land gehört meist grossen Besitzern, die es zum Theil an Unterpächter oder an den einzelnen Bauer direkt verpachtet haben, theils, doch ist diess nur sehr wenig im Gebrauch, bewirthschaftet der Besitzer selbst sein Terrain und zahlt dann Arbeitslöhne, sei es in Geld oder Naturalien. Viel Land bleibt unbebaut, weil es dem Besitzer an Geld, an Kapital zur Bewirthschaftung fehlt.

Es bestehen zwar in Calabrien sogenannnte « Monti frumentarii », Kassen zum Ankauf von Saatgetreide und zur Unterstützung des Bauern, des Colonen, aber die Verwaltung dieser Gelder ruht meist in den Händen Einzelner, die nur auf eigenen Vortheil sehend nicht für die Allgemeinheit sorgen* ). Hier hat die Eegierung noch viel zu thun, um zu bessern, besonders in Hinsicht auf die strengere Beaufsichtigung der Verwendung solcher Gelder, wenn sich auch nicht leugnen lässt, dass in den letzten Jahren schon manches besser geworden ist.

Doch ich kehre zurück zur Besprechung der verbreitetsten Art'der Bewirtschaftung des Grund und Bodens, Verpachtung an den Bauer, an den Colonen, sei es direkt oder durch Unterpächter. Hiebei kommen nun entsprechend der Qualität des Landes, der Fruchtart, der Gegend, die verschiedensten Verträge in Anwendung. Stets bleibt die Art der Erhebung der Pachtsummen die gleiche. Diese wird, je nach der früher festgesetzten Höhe des dem Bauer zufallenden Prozentsatzes der Erträgnisse, aus dem Ergebniss der Abschätzung der Ernte, die von Seite des Besitzers vorgenommen wird, berechnet. Es erhält der Colonist im Laufe des Jahres Saatfrüchte oder Geldmittel zur Bestellung des Landes und zu seinem Unterhalt, welche Summe natürlich von dem Theil des Ertrages von Grund und Boden, der dem Colonen vertragsmässig zufällt, abgezogen wird. In der Art und Weise dieser Abschätzung, der Art der Abrechnung und der Bestimmungen der Pachtverträge herrschen nun wahrhaft mittelalterliche Zustände.

Man muss sich immer wundern, dass der Bauer sich einen solchen Druck, wie er zum grössten Theil vom Besitzer ausgeübt wird, gefallen lässt. Der Colone wird überall übervortheilt, da er aber meist geschäftsunkundig ist, seinem Herrn oder Bedrücker in wahrhaft sklavenartiger Unterordnung alles glaubt, so kommt es nur selten vor, dass sich ein Golone gegen den Besitzer auflehnt. Die genannten Verträge sind zum geringsten Theil derart, dass dem Besitzer die Hälfte der Ernte zufällt, ein derartiger Vertrag ist der beste; ein solcher Modus ist z.B. in der Um- gehung von Cosenza gebräuchlich; meist ist der dem Bauer zukommende Antheil ein viel geringerer; es steigt die Vertheilung der Pachtabgabe bald zur Ungerechtigkeit, indem an den meisten Orten der Be-bauer nur Y3—V4'Ja *n viele11 Gegenden, z.B. im Silagebirg, in der Umgebung von S. Giovanni da Fiore, bei Cotrone, Tiriolo etc. nur 1/e—V7 des Gesammt-ertrages von Grund und Boden erhält, während dem Besitzer, der kein Risiko, keine Arbeit hat, 5/$—6/i des Ertrages zufliessen.

Dabei nehmen seine Beamten die Abschätzung oft sehr willkürlich vor, immer natürlich zu Ungunsten des Colonen. Besonders wird solche Willkür geübt bei Abschätzung der Oliven- und Orangenernte. Es würde zu weit führen, auf solche Einzelheiten hier einzugehen. Zur Illustrirung nur ein Beispiel: Bei der Berechnung wird dem Colonen z.B. 1/6 des Ernteerträgnisses zu gut gerechnet, dieser wird aber bei der Abrechnung mit dem niedrigsten Marktpreis des Monats in Rechnung gebracht, wenn auch der Besitzer den höchsten Preis oder einen höheren, als er dem Colonen in Rechnung setzt, erzielt hat. Dagegen für geliefertes Geld zum Unterhalt und für Saatgetreide etc. werden dem Colonisten wahrhafte Wucher-zinsen angerechnet. Wer sich genauer über diese Verhältnisse orientiren will, dem kann ich ein kleines Schriftchen von L. Franchetti** ), welches 1875 wähAus der Umgebung von Monteleone.Leopoldo Franchétti. Condizioni economiche ed administrative delle province Napoletane — Abruzze e Molise — Calabrie e Basilicata— appunti di viaggio. Firenze 1875.

17 rend meines Aufenthalts in Süditalien erschien, sehr empfehlen.

In guten Jahren kommt bei solchen Verträgen und bei derartiger Ausführung derselben der Colone, der Bauer gerade aus; in schlechten Jahren muss er, wenn er sich nicht selbst hilft, verhungern. Dann kommen Differenzen mit dem Besitzer, mit den Behörden, die vorzugsweise auf Seite der Besitzenden stehen; der Colone sieht seinen Bedrücker im Ueberflusse leben, er lehnt sich gegen ihn auf, nimmt ihn gefangen, verlangt hohes Lösegeld und ist Brigant. Es lässt sich ganz gut verfolgen, dass je besser die Ernten, um so geringer der Brigantaggio ist. Gibt es ein gutes Jahr, eine reiche Getreide-, Oliven- oder Orangenernte, dann verdienen die Leute, denn dann werden die Arbeitskräfte gebraucht.

Es ist eine weit verbreitete, aber ganz falsche Vorstellung, die in jedem Calabresen einen gebornen Räuber sieht, es trifft diess keineswegs zu. Wohl benutzen einige unternehmende Leute, Konskriptionsflüchtige, diese eben geschilderten Zustände, um im Trüben zu fischen, allein eine Unsicherheit, wie sie in den viel mehr demoralisirten westlichen Provinzen Siciliens und in der Umgebung aller grösseren Städte des Kontinentes herrscht, findet sich in Calabrien, trotz der für den Aufenthalt von Raubgesindel äusserst günstigen Oertlichkeit nicht. Der Fremde insbesondere kann in Calabrien ungenirt überall reisen und wird er stets freundlich aufgenommen werden; kann er nur halbwegs die Landessprache, so kann er sogar sehr angenehm reisen; Jeder, mit dem er in Berührung kommt, wird sich für sein Fortkommen, seine Wünsche auf das lebhafteste interessiren, Die calabresische Gastfreundschaft kann man nicht genug rühmen.

Ich will hier nur Einiges über die sozial-politischen Verhältnisse in diesen Provinzen hinzufügen. Auch in Calabrien bestehen Geheimbünde, deren Streben zum Theil auf politische, zum grösseren Theil auf sozialistisch-communistische Ziele gerichtet ist. Derartige Verbindungen « Camorren » ( Camorra ) genannt, bestehen aber in ganz Italien bis hinauf zu den Alpen. Sie sind das Kesultat der politischen Entwickelung Italiens in in den letzten 100 Jahren. In keiner Provinz des ganzen Festlandes von Italien haben jedoch diese Geheimbünde solche centrifugale destructive Elemente in sich, wie in Sicilien, wo diese Verbindungen, dort « Mafia » genannt, fast nur politische Ziele verfolgen und als ein Staat im Staate eine Macht repräsentiren, der die Kegierung nur schwer entgegentreten kann.

Es ist leicht begreiflich, dass in Landestheilen, welche in kurzer Zeit vielen politischen Umwälzungen unterworfen waren, oppositionelle Elemente sich zusammenfinden und ihr Wesen zu treiben suchen, sei es unter sozialistischer Maske, sei es mit offen eingestandenen politischen Absichten. Die neue Kegierung hatte die Hoffnungen nicht erfüllt, die man mit ihrem Kommen verknüpft sah, indem man die an sie gerichteten Ansprüche zu gross machte. So hat auch in Calabrien zu Zeiten sich die Camorra die ungünstigen Agrarverhältnisse zu Nutzen gemacht, um weitere Unzufriedene um sich zu sammeln, sich durch solche zu verstärken.

Es würde zu weit führen, wollte ich hier die Handlungsweise der Camorra genauer darlegen, wie sie z.B. gelegentlich für den Colonen, ein anderes Mal für den Besitzer, immer natürlich zuerst ihren Vortheil, eine Verstärkung ihrer Macht suchend, Partei nimmt.

Der Zweck dieser Besprechung war nur der weitverbreiteten Irrthümern entgegenzutreten und einzelne weniger betonte Punkte im Culturleben der Bewohner dieser Provinzen kurz zu erwähnen.

Fragt man sich, wie können diese Verhältnisse sich bessern, so sieht man ein, dass nur die Regierung helfen kann, deren Bestreben es sein muss, die drückenden Agrarverhältnisse auf dem Wege der Gesetzgebung zu verbessern* ).

Es muss ferner die Regierung suchen, mehr Kapital in das Land zu bringen, Fremden den Landankauf erleichtern, um so das reiche Angebot von Arbeitskräften zu befriedigen. Treten hierin Aenderungen zum Bessern ein, so werden diese Provinzen, die durch Bodenverhältnisse und Klima den reichsten Ertrag versprechen, zu den sichersten und wohlhabendsten Italiens werden. Ist doch die schmale Küstenstrecke, dort wo sie angebaut ist, ein segenbringender Garten, wie er sich schöner in Italien kaum findet.

Zieht man Vergleiche zwischen der landschaftlichen Schönheit Calabriens und derjenigen der andern Provinzen Italiens, so kann insbesondere die NordwestInwieweit die Art der Besteuerung, die hohen Zölle hierbei ihren Einfluss üben, an dieser Stelle auszuführen, würde zu weit abführen. Ich wollte hier nur bei Besprechung des Landes diese Verhältnisse andeuten.

küste mit den schönsten Theilen der Riviera Ponente, und Levante, Toscanas, sowie der Terra di Lavora und der Nord- und Ostküste Siciliens den Vergleich aushalten. Punkte wie der Monte Elia zwischen Palmi und Bagnara an der Nordwestküste und das Thal des Crati gehören zu dem herrlichsten, was die Natur an landschaftlicher Schöneit zu bieten vermag.

Ich durfte mir wohl gestatten, ehe ich zur Schilderung einer meiner Streifereien in Calabrien überging, etwas ausführlicher die geographischen und Kulturverhältnisse dieses Landes zu besprechen. Ich glaube, dass die Kenntniss dieser Verhältnisse meist eine sehr geringe ist, und es entbehrt desshalb diese sehr ausführliche Einleitung zur Schilderung meiner Tour auf den Aspromonte nicht der Berechtigung.

Ein Jeder, der in Messina war, erinnert sich gewiss gerne des Anblickes der calabrischen Berge, die dem Canal den eigenen grossartigen Charakter geben. Dieses Gebirge ist der Aspromontestock, der den südwestlichen Theil der italienischen Halbinsel, die Spitze Calabriens ausfüllt. Von dem höchsten Punkt dieses Gebirgsstockes, dem Monte Alto, gehen nach Norden, Westen und Süden kurze Gebirgszüge ab, die sich zum Theil mehrfach theilen und mehrere Spitzen tragen, die fast ebenso hoch sind wie der Monte Alto. Zwischen diesen Bergzügen befinden sich, besonders an der Ost-und Südseite tief eingeschnittene prächtige, dicht bewaldete Thäler, die ihre Wasser dem jonischen Meere zuführen.

Neben dem Monte Alto haben wir die Punta Materazzi ( 1852 m ), weiter westlich die Punta Nardello ( 1810 m ). Diese Spitze ist die höchste Erhebung des Gebirges, die man von der Stadt Messina sieht. Den Monte Alto sieht man erst, wenn man sich etwa 200 Meter höher als der Hafen von Messina befindet.

Weiter nördlich folgt ein längerer Rücken, die Piazza di Nino Martino ( 1796 m ). Südlich von dem Monte Nardello haben wir die dicht bewaldete Serra Sgarrone ( 1675 m ), die Punta di Travi ( 1651 mweit nach Westen vortretend den Monte Basilico ( 1709 m ), südlich von diesem die Montagne di Reggio ( 1691 m ), den Monte di Rosso ( 1483 m ) und den Monte Peripoli ( 1330 m ). Südlich von der Punta Materazzi den Monte Antinua ( 1667 m ) und die Punta Terraglione ( 1599 möstlich vom Monte Alto die Serra di Cerasia ( 1732 m ). Durch den Passo del Ladro ( 1779 m ) und die Serra Camora ( 1749 m ) hängt der Aspromonte mit dem fast nördlich von ihm liegenden übrigen Theil des calabrischen Apennin zusammen.

Der ganze Gebirgsstock baut sich aus 3 Terrassen auf, die auf der Nord- und Westseite am schärfsten ausgeprägt sind. Die zweite Terrasse, die auf der Nordseite befindlichen Piani di Aspromonte, ist die bedeutendste. Auf dieser Hochebene, nahe dem Gebirge, fand den 28. August 1862 das Treifen zwischen Garibaldi und dem General Pallavicini statt Garibaldi wurde gleich beim Beginn des Treffens verwundet und gefangen.

Die unterste Terrasse fällt fast überall steil gegen das Meer ab, nur dort, wo grössere Wasserläufe sich in dasselbe ergiessen, kommt es zur Bildung einer grössern, reich angebauten Küstenstrecke. Theilweise, wie z.B. zwischen Villa S. Giovanni und Palmi fallt diese Terrasse 600 m hoch gegen das Meer steil ab, nur einer schmalen Fahrstrasse an der Küste Raum gestattend.

Dies zur Orientirung über den Aspromonte.

Während eines Winters, den ich in Messina zubrachte, hatte ich immer diese mächtigen Berge vor Augen! Bald war in mir das Verlangen aufgestiegen, sie zu besuchen, ich sehnte mich nach Wald, nach mit Singvögeln bevölkertem schönem Wald. Ein solcher war in der Umgebung Messina's nicht vorhanden, hur drüben in Calabrien, auf dem Aspromonte, war er zu finden.

Im Winter ist diese Tour der langen Zeit wegen, die zur Besteigung des Monte Alto nöthig ist, und wegen des Schnee's, der auf den Bergen liegt, nicht ausführbar. So kam der Sommer heran, ehe ich zur Ausführung dieses Ausfluges kam. Nach den eingezogenen Erkundigungen sollten die Köhler dieses Gebirgs nicht im besten Rufe stehen, es sollte auch einige Versprengte in den Bergen geben, kurz und gut es galt die Gegend nicht für ganz sicher. Es war desshalb rathsam, einen vertrauten Mann, am besten einen, der diese Leute selbst gut kennt, einen Mann des Gebirges sich zum Führer zu verschaffen. Hat man einmal mit einem solchen Menschen, der sich ab und zu auf die Brigantaggio begibt, accordirt, hat er das Handgeld und man von ihm ein Pfand ( meist eine alte Silber- oder Goldmünze ), dann ist so ein Mensch bescheiden, dienstfertig und absolut zuverlässig; er würde einen selbst mit Einsatz seines Lebens gegen jede Unbill schützen.

Durch Freunde in Villa S. Giovanni gelang es mir, ein für meine Zwecke sich gut eignendes Individuum zu finden. Er war der Besitzer zweier Maulthiere und transportirte auf diesen Kohlen und jetzt im Sommer auch Schnee von den Bergen nach der Küste herab. Ich habe während eines mehrwöchentlichen Aufenthaltes in Calabrien und während langer Zeit, die ich im Innern Siciliens zubrachte, die Erfahrung gemacht, dass solche Leute, die man in Dienst genommen hat, nach abge-geschlossenem Accord treu wie Gold sind.

Ich beginne nun mit der Beschreibung meiner Tour auf den Monte Alto.

Dienstag den 22. Juni 1875 fuhr ich Nachmittags nach Villa S. Giovanni, einem kleinen Ort mit grossen Seidenspinnereien, der gerade Messina gegenüber an der calabrischen Küste liegt. Um halb 6 Uhr war ich daselbst eingetroffen und erwartete mich mein Führer « Don Paolo » ( in Calabrien heisst aus spanischer Zeit her noch fast jeder Mann « Don », die Frau « Donna » ) mit zwei prächtigen, starken Maulthieren. Bald war alles in Ordnung und 6 Uhr 15 Minuten Verliesen wir den Ort. Zuerst ging es durch die Ortschaften Piale und Campo, auf dem rechten Ufer der Fiumara S. Roberto zwischen schönen Wein- und Limonengärten aufwärts. Nach 30 Minuten sind wir auf den reich angebauten Piani di Matiniti, eine aus den Kriegen von 1809 herrührende grosse Schanze zur Linken lassend.

Nun steigt unser Weg steil zum Westabhang der Piani della Melia auf. Links hat man einen prächtigen Blick in die tief eingeschnittene Fiumara di S. Trara, rechts die Fiumara S. Roberto. Mit Sonnenuntergang Aus Calabrien.265- ( halb 8 Uhr ) haben wir den Westrand des genannten Plateau's, der Piani della Melia ( calabrisch: « Mile»)^ erreicht. Rückwärts hat man einen herrlichen Blick auf den Canal, Messina und die Berge Siciliens, hinter denen eben die Sonne verschwindet. Beim Weiterreiten kommen wir in ein kleines Buchenwäldchen, aus dem uns Nachtigallen einen Willkommensgruss entgegen-schmettern, Wir reiten immer eben fort, einzelne Gehöfte passierend, deren wachsame Hunde uns mit wüthendem Gebell begrüssen. Um 9 Uhr halten wir an einer Osteria, S. Gaëtano genannt, der einzigen weit und breit auf den Bergen. Mein Begleiter wird von der Wirthin, der Donna Caramella, als guter Bekannter begrüsst. Aus der Osterie und einigen Nachbarhäusern kommen neugierige Menschen heraus, deren Fragen mein Führer durch die Mittheilung befriedigt, dass ich ein « Ingegnere » sei. Unter einer Pergola füttern wir unsere Thiere. Beim Wegreiten kam noch ein Tänzer-paar aus dem Haus heraus, das uns, wohl wegen des bevorstehenden Nachtrittes uns bemitleidend, ein « buona notte e buona nottata » zurief. Bald kommen wir in einen Hohlweg, dessen Wände mit dichtem Brombeergesträuch bewachsen sind, dessen stattliche Zweige bis mitten in den Weg herniederragen. Da es finster war, zog ich es vor, von meinem Holzsattel abzusteigen und die Viertelstunde zu Fuss zu gehen, um nicht von den Dornen getroffen zu werden. Es folgt eine kurze Steigung und wir stehen auf einem kleinem Plateau, « Scanna-porcelli » genannt. Es ist halb 10 Uhr. Tief im Westen sieht man eine lange Lichterreihe, es sind die Laternen am Hafen von Messina ( direkte Entfernung 25 Kilometer ).

Da erscheint alle Laternen weit überstrahlend in Messina ein weisses Licht! Es sind Freunde, die mir mit brennendem Magnesiumdraht ein verabredetes Zeichen geben; schnell steige ich ab und brenne ein gleiches Licht ab. Don Paolo sieht diesem noch nie gesehenen Schauspiel mit stiller Bewunderung zu.* ) Nach 15 Minuten machen wir am Abhänge der nächsten Terrasse eine dreiviertelstündige Rast und nehmen während derselben unsere Abendmahlzeit ein. Halb 11 Uhr brechen wir auf. Es beginnt nun der Anstieg zur grossen zweiten Terrasse. Das Plateau « Scannaporeelli> war ja nur eine Zwischenterrasse. Der Weg führt durch schönen Eichenwald steil aufwärts; durch den Hufschlag unserer Thiere aufgescheucht flogen Amseln und andere Singvögel auf.

Im Osten wird der Horizont hell, schon sind die Berge Siciliens und der Kanal von Messina vom Monde beleuchtet, während wir noch im Dunkeln aufwärts reiten. Bald nach ein Viertel vor 11 Uhr trifft auch uns das Licht und nun haben wir die schönste Beleuchtung auf unserm Weg. Und wie schön leuchtet der Mond im Sommer in Italien! Was ist eine Mondnacht in Deutschland, eine Mondnacht im Winter, Herbst oder Frühjahr in Italien gegen eine Sommermondnacht in den südlichem Theilen dieses Landes! der Unterschied ist wie Tag und Nacht, so blau, so hell scheint bei uns nie dieses Gestirn!

Wir kommen jetzt in ein Lärchengebüsch, dann geht es nochmals steil an der mit herrlichen Eichen beVon Messina aus hatte man mein Licht ganz gnt gesehen.

wachsenen Serra Carrubba in die Höhe und um halb 12 Uhr treten wir aus dem Wald heraus auf die zweite grosse Ebene, auf di Piani di Aspromonte ( 1000—1100 m hoch)* ). Ein kalter, scharfer Wind empfängt uns. Auf dieser Ebene trifft man mit wenig Ausnahmen keine festen Wohnsitze mehr, nur ärmliche Lehm- und Strohhütten dienen der Hirtenbevölkerung als nothdürftige Wohnungen. Diese Hütten sind gegen den nächtlichen Ueberfall durch Wölfe etc. mit hohen Zäunen umgeben, innerhalb welcher zur Nachtzeit die Heerden durch wachsame Hunde beschützt zubringen. Der Boden dieser Hochebene ist meist lehmig und weich und von vielen Wasserläufen durchschnitten. Leichte Nebel lagern auf dieser weiten Ebene, die im grellen Mondlicht dadurch einen eigenthümlichen Anblick darbietet. In flottem Trab geht es über einige trockene Strecken hin. In einer kleinen Stunde sind wir am Bergabhang am Ende der Ebene, plötzlich hören wir dumpfe Stimmen, Hufschlag, und unter den grossen Eichen des Waldrandes zeigen sich einige Reiter und bepackte Maulthiere: sie halten; grell scheint der Mond auf die Leute, die mit dem umgeschlagenen Mantel, spitzen Hut und umgehängten Gewehr einen unheimlichen Eindruck machen! Auch wir tragen Waffen, doch was nützen sie gegen die Ueberzahl! Wir reiten ruhig auf die Gruppe zu. Mein Führer kennt die Leute, es, sind Kohlenbrenner von den Bergen, wir begrüssen uns mit Handschlag, der Patrone reitet heran und umarmt mich. Ich bin sein guter Freund! Nach kurzem Wortwechsel trennen wir uns, sie hinab auf die Ebene steigend und wh* durch schönen Laubwald aufwärts der obersten Terrasse zu. Bald ist diese erreicht; da sie sehr klein, ist sie schnell überschritten und nun kommen wir zu dem Hauptgebirg selbst.

In einem engen Thal, neben einem schäumenden Waldbach geht es zwischen mächtigen Tannen aufwärts. Prächtig scheint der Mond durch die hohen Bäume auf unsern Weg. Hin und wieder huscht ein Raubwild, durch uns aufgescheucht, raschelnd durch das dürre Gestrüpp. Die Steigung ist sehr bedeutend, und da kaum ein Weg vorhanden ist, auf dem wir reiten können, lassen wir unsere Maulthiere selbst den Weg suchen. Ich kenne zum Reiten in Berggegenden kein besseres Thier als das Maulthier; an schlechten Stellen lässt man dasselbe sich stets den Weg selbst suchen, man braucht es kaum zu führen. Unbequem sind nur die Sättel, die man hier benutzt. Es sind schwerfällige hölzerne Transportsättel für Kohle oder Schnee, die, wie z.B. jetzt für uns, zum Reiten durch ein Lager von Laubzweigen und darübergeschnallte Decke eingerichtet worden sind. Man muss sich an solche Sättel, auf denen man ohne Bügel balancirt, erst gewöhnen, hat man sich aber an dieselben gewöhnt, so kann man, besonders wenn man nach Damenart im Sattel sitzt, selbst sehr lange Ritte ohne Übergrösse Ermüdung aushalten.

Eine Stunde waren wir steil aufwärts geritten, da wird der Wald lichter, wir reiten den Bergrücken, die Piazza di Nino Martino genannt, hinauf. 2 Uhr ist schon vorüber. Wir spornen unsere Thiere an und flott geht es auf einem breiten Köhlerweg den.

Bergrücken zu der Punta Nardello ( 1842 m ) hinauf. Noch sind wir nicht auf dem Monte Alto, allein wir müssen unsern Thieren eine Rast gönnen. An einer fast ganz abgeholzten Stelle, auf welcher nur einzelne Bäume die Aussicht versperren, machen wir halb 3 Uhr Halt, steigen von den Maulthieren und suchen einen günstigen Fleck aus, um den Sonnenaufgang hier zu erwarten. Bald prasselt ein lustiges Feuer, an dem wir uns wärmen, denn es war empfindlich kalt geworden. Die Aussicht von diesem Punkt ist schon recht schön. Man sieht den Kanal von Messina, die Neptunischen Berge, den Aetna, das jonische und einen Theil der Küste des tyrrhenischen Meeres. Rechts vom Monte Basilico sieht man die Stadt Messina, durch die Lichter gekennzeichnet. Wie mir mein Führer sagte, sei diese Gegend, in welcher wir uns jetzt befanden, nicht ganz sicher, es kommen oft von der südlichen und östlichen Seite des Gebirges Leute herauf, die er nicht kenne, denen er nicht traue. Er übernahm desshalb die Wache und ich lag bald in festem Schlaf. Nach drei Viertelstunden stehe ich auf und mein Führer ruht jetzt ein halbes Stündchen, währendem ich die Wache haltend mitgenommenen Kaffee am Feuer wärme. Ein Viertel nach 4 Uhr röthet sich der Horizont im Osten über dem jonischen Meer, bald erscheint eine Feuerinsel, eine Lichtkugel, die Sonne geht auf, den Aetna und die sicilianischen Berge beleuchtend. Wir machen uns reisefertig und halb 5 Uhr verlassen wir diesen Ruheplatz. Unterdessen war die Sonne höher gestiegen, jetzt auch den Kanal und die Stadt Messina beleuchtend. Wir reiten nun zu dem östlich gelegenen Monte Alto hinüber. Erst geht es etwas bergab, dann immer auf dem Kamme durch schönen Tannen- und Buchenwald weiter. Halb 6 Uhr haben wir die Punta Materazzi erreicht, wo eine grosse Köhlerfamilie ihre Hütten aufgeschlagen hat. Neugierig werden wir von diesen guten Leuten umringt, mit denen natürlich mein Führer sehr genau bekannt ist. Weiterhin passiren wir einige kleine Schneefelder und ein Viertel vor 6 Uhr stehen wir am Fuss der letzten Erhebung. Da es sehr steil aufwärts geht, steigen wir von unsern Thieren. In einer Viertelstunde flotten Steigens in einem Buchenwald ist die Spitze des Aspromontestockes, der Monte Alto, erreicht.

Die oherste Spitze des mit Käsen bedeckten Gipfels ist baumfrei und mit einer hohen halbverfallenen Steinpyramide geschmückt. Von hier hat man eine herrliche Aussicht. Man übersieht das jonische Meer und seine Küste vom Cap Stilo an bis zum Cap Sparavento, der Südspitze Calabriens, darüber hinaus die Berge von Leon-tini, die Ebene von Catania, den mächtigen bis 3300 m hohen Aetna, die Berge von Taormina und die Neptunischen Berge hinter Messina. Die Stadt und der direkt bei dieser Stadt zwischen ihr und Reggio gelegene Theil des Kanales ist nicht sichtbar, er ist durch die Serra Sgarrone und den Monte Basilico verdeckt. Dagegen ist die Nordostspitze Siciliens, der Faro, ferner darüber hinaus die Landzunge von Milazzo gut zu sehen. Im Nordwesten tauchen aus dem Meer die liparischen Inseln auf, besonders der kegelförmige Stromboli macht sich prächtig. Weiter schweift der Blick zu dem Meerbusen von Gioja, von S. Eufemia und dem Calabrischen Hauptgebirge bis zum Sila und dem Monte Pollino hin. Gerade nach Osten blickt man in die tief eingeschnittene Vallone di Madonna hinab, in welcher inmitten des herrlichsten Waldes das grosse Kloster della Madonna di Monte und die Kirche S. M. dei Polsi liegt. Zu diesem Kloster und von da auf den Gipfel des Monte Alto findet alljährlich den 1. September eine grosse Wallfahrt der Hirtenbevölkerung Südcalabriens statt.

Nach Süden blickt man auf das oben erwähnte weite Waldland, in die wilden Thäler des Balsamo, des Aposcipo, des Amendolea und Pisciato hinab. Alle diese Thäler führen direkt nach der Küste, in die Umgebung des Cap Sparavento, dessen hoher Leuchthurm, ein alter Saracenenthurm, deutlich zu sehen ist. Nach Norden hat man die fruchtbaren Gefilde von Gioje, Casalnuova und Nicotera. In einem Schneehaufen dicht bei den Steinpyramiden kühlen wir unsern Wein! Nach genossenem Frühstück und gehöriger Ruhe brechen wir um halb 8 Uhr auf.

Prächtig reitet es sich zurück durch den Wald; die Singvögel, die die Jagdwuth der Italiener hier oben verschont, schmettern ihr Morgenlied in die reine Luft. Mehrfacher Kukukruf heimelt einen so urdeutsch an! Ein Viertel nach 9 Uhr sind wir wieder auf der Punta Nardello, doch reiten wir ohne Rast abwärts. An einem schönen Punkt am Bergabhange, von welchem man Messina und den Kanal prächtig sieht, ruhen wir von halb 10 bis ein Viertel vor 10 Uhr. Schon beginnt es sehr warm zu werden. Wir schlagen jetzt einen andern Weg ein, indem wir, uns mehr nördlich haltend, über die Punta Salomone ( 1692 m ) zu Schnee- gruben hinabbegeben, um dort arbeitende Freunde meines Führers zu begrüssen.

Um halb 11 Uhr langen wir daselbst an; neben einer prächtigen Quelle rasten wir unter den Freunden meines Führers, lauter höchst verdächtig aussehenden, aber gutmüthigen Kerlen, mit ihnen das Frühstück theilend, drei Viertelstunden. Die Hitze hatte mich so müde gemacht, dass ich in dieser interessanten Gesellschaft ruhig für circa 20 Minuten einschlummerte.

Solche Zusammenkünfte sind so recht geeignet, den Charakter dieser Leute kennen zu lernen.

Ein Viertel nach 12 Uhr brechen wir auf und steigen in ein schönes Waldthal hinab, passiren eine malerisch gelegene Schneidemühle und betreten wieder die Piani di Aspromonte, das Schlachtfeld gleichen Namens. In der unteren Ebene liegt ein weisses grosses Gehöfte, mit hohem Zaun umgeben; dort ruhte Garibaldi bei einem Freund am Tage vor dem Kampfe; einige Kreuze in der Nähe bezeichnen die Gräber der wenigen Gefallenen.

Die Luft ist, je weiter wir abwärts reiten, um so drückender geworden. Bei einer Quelle auf der Ebene machen wir nochmals Halt. Dann reiten wir weiter auf der grossen Ebene, zu den Piani di An-trullo, treffen wir dort bei einigen Hirtenhütten mit dem Wege, den wir beim Aufsteigen einschlugen, wieder zusammen. Schnell geht es in Gesellschaft einer Caravane von Kohlen transportirenden Maulthieren durch das Vallone Antonia an den Abhängen der Serra Car-rubba hinab. Um halb 2 Uhr sind wir auf den Piani Scannaporcelli und ein Viertel vor 2 Uhr treffen wir in der Osteria San Gaetano bei der Donna Caramella ein.

Mein reichlicher Vorrath an Salami, den ich, mit den Leuten theilend, zu einem Gericht Maccaroni verzehre, lockt aus den Nachbarhäusern neugierige Leute heran. Auch die Tänzerin vom Abend, ein prächtiges, schönes, grosses Weib, zeigt sich. Doch auch hier heisst es nicht zu lange verweilen, wir haben noch einen weiten Weg und der Tag ist nicht mehr lang. Ein Viertel vor 3 Uhr brechen wir auf. Erst auf der Ebene Melia hin, dann bei der Casa Giuffre den früheren Weg verlassend, über die Punta dell' Arena, von welcher man eine entzückende Aussicht auf die Meerenge, den Monte Elia, die liparischen Inseln und das Castell von Scilla hat, durch die Fiumara Cato-limti, stets zwischen prächtigen Oliven- und Weingärten hinab nach Scilla, wo wir ein Viertel vor 5 Uhr anlangen. Kurz nachdem wir die Stadt passirt haben, machen wir an einem Punkt mit schöner Aussicht auf den Faro und das Castel Scilla noch eine viertelstündige Rast. Dann geht es in flottem Trabe die Strasse nach Villa San Giovanni weiter. 5 Minuten vor 7 Uhr langen wir daselbst, von der gelungenen Tour äusserst befriedigt, durch meine Freunde freudigst begrüsst, an. Ich kann nicht sagen, dass ich allzumüde gewesen wäre, obgleich ich im Laufe von 24 Stunden 40 Minuten netto 18 Stunden 40 Minuten auf dem hölzernen Folterwerkzeug Sattel genannt gesessen hatte.

Mein Schiffer Vinzenzo hatte mich mit seinem Boot erwartet. Nach einer anderthalbstündigen Ueberfahrt, wir hatten Gegenströmung und mussten gegen den Wind 18 kreuzen, kam ich um 9 Uhr in Messina an. Ein gutes Abendessen und ein mehrstündiger, sich bis 12 Uhr ausdehnender Aufenthalt im Giardino publico während des Concertes beschloss diesen anstrengenden Tag. Wer Sicilien besucht und nach einem längern Aufenthalt in Italien Sehnsucht nach Wald und interessanter Gegend hat, sollte nicht verfehlen, diese Tour zu machen.

IL

Abhandlungen.

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