Aus den Bergünerstöcken
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Aus den Bergünerstöcken

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Eugen Wenzel.

Zwischen dem Oberhalbstein und dem Albulatal, diesen beiden romantischen Bündner Hochtälern, liegen die Bergünerstöcke, Berge, die man an der Seite all jener berühmten Gipfel der Alpen mit Recht zu den einsamen zählen muss. Die neu herangewachsene Bergsteigergeneration weiss wenig oder nichts von ihnen. Dem grossen, im Tal der Julia und der Albula allsommerlich pulsierenden Turistenstrom sind sie grösstenteils unbekannt geblieben. Ein aufmerksamer Beobachter hat vielleicht dann und wann eine kurze Gelegenheit wahrgenommen und aus dem fahrenden Zug oder Auto seinen Blick hinaufgerichtet zu den zerrissenen Graten und Wänden; dann aber, nach Passieren des Albulatunnels oder der beiden Juliersäulen, war all dies vergessen im Genüsse der Schönheiten des Berninagebietes und der wilden Bergeller Berge.

Die weit gegen die Täler vorgeschobenen und stark bewaldeten Ausläufer, die sich in breitem Ring um die Bergünerstöcke lagern, mögen viel zu ihrem Einsiedlerdasein beigetragen haben. Und würde man nicht vom oberen Davosertal aus die stolze Pyramide des Tinzenhorns, des Matterhorns Graubündens, emporragen sehen, wer weiss wie wenig Bergsteiger den Weg zu ihnen gefunden hätten. Eine nun zehnjährige Freundschaft verbindet mich mit diesen Einsamen, und von Jahr zu Jahr mehr habe ich sie lieben gelernt. So wie man die guten Eigenschaften eines Freundes erst nach und nach kennen lernt, so sind mir auch diese Berge nach jeder neuen Fahrt, die mich zu ihren Gipfeln führte, fester ans Herz gewachsen. Wenn ich jenem hochgezüchteten Klettersport, wie er von einem Teil der heutigen Bergsteiger ausgeübt wird, unter gegebenen Umständen seine Berechtigung durchaus nicht abspreche, diese meine drei lieben alten Berge möchte ich nicht als Klettergerüste betrachtet wissen. Jeder, der durch das Nachfolgende veranlasst werden sollte, sie aufzusuchen, möge mit gesunden Bergsteigerwünschen an sie herantreten, sie werden ihn niemals enttäuschen.

Die Bergünerstöcke gehören zu den charaktervollsten Bergriesen Bündens. Wer immer von irgendeinem der umliegenden Berge sein Auge nach ihnen wandte, wird mit Wohlgefallen auf dieses Gipfeltriumvirat von seltener Grosse und Formschönheit geblickt haben. Die mächtigen Kalkstöcke mit ihren zackigen Graten und schroffen Wänden erinnern vielfach an die Dolomiten, und gerade diese Eigenschaft wird das Herz aller kletterfreudigen Alpinisten höher schlagen lassen, die je einmal in ihren Bannkreis treten werden. Dabei wird die Tatsache, dass heute fast alle Probleme dieser Berge gelöst sind, auch fernerhin keinen Grund dafür bilden, dieses abwechslungsreiche und landschaftlich ausserordentlich schöne Gebiet nicht mehr aufzusuchen.

Die Ersteigungsgeschichte der Bergünerberge setzte in den Jahren 1866/67 ein. Damals vermochte ihr Ruf, auch alpine Pioniere anzulocken. So traf man dort neben anderen Alpinisten jener Zeit einen Freshfield, Paulke, Coolidge, Dübi, Purtscheller und Blodig an. Immerhin blieb das Gebiet lange noch vom grossen Ansturm bewahrt, bis es im Jahre 1893 vom S.A.C. zum Clubgebiet erwählt wurde. In der Zeitspanne von 1893 bis 1898 wurden die Berge dann oft begangen, und besonders stark interessierte sich D. Stokar für sie. In allen Bänden des Jahrbuches dieser Zeitperiode finden wir die Beschreibungen seiner zahlreichen Neuturen. Manch schönes Problem wurde von ihm mit dem damals bestbekannten Bergführer Peter Mettier aus Bergün gelöst, und auch dieser letztere hat in einem kleinen Bändchen seine Erlebnisse niedergeschrieben1 ). Jahrelang erfreuten sich die Bergünerstöcke eines regen Besuches, wurden dann aber später vom grossen, nach neuen Taten drängenden Bergsteigerstrom verlassen. Und heute wird es wohl viele Bergfreunde geben, die eine Punta Rasica, einen Zmuttgrat oder eine Grépon kennengelernt haben, die aber noch nichts wissen von meinen besonderen Freunden, den Bergünerstöcken. Ihnen will ich aus der Reihe meiner vielen Aela- und Tinzenhornerinnerungen einige Fahrten erzählen.Vergleiche « Die Bergünerberge » von Peter Mettier.

Tinzenhorn 3179 m.

Du bist die stolze, kühn aufragende Felspyramide, die schon den Blick des Schulbuben zu bannen wusste. Schon damals hat sich meine Phantasie aus den gewaltigen Abstürzen und Konturen deines Nordgrates, die sich scharf gegen den Horizont abheben, das Gesicht eines finster dreinschauenden Mannes herausgebildet. Dieser frühzeitig gewonnene Eindruck verschwand erst wieder, als der Achtzehnjährige von der Aelahütte deine andere Seite betrachtete. Auf dieser ersten Tinzenhornfahrt lernte ich dich als harmlosen Gesellen kennen. Immerhin, als ich nahe des Gipfels schon über die steile Nordflanke hinabschaute, da wusste ich, dass du doch ernst zu nehmen bist, eine Einstellung, die fest Wurzeln fasste im jungen Bergsteiger und bei allen Bergfahrten dessen Grundsatz wurde. Im Laufe der Jahre habe ich dann deine sämtlichen vier steilen Wände und Grate im Sommer und Winter begangen und immer mit neuer Freude die herrliche Aussicht von deinem Gipfel genossen. Du aber bist immer der alte geblieben, das Tinzenhorn —mein Berg.

Ostwand. 8. Juli 1928. Mit wenig Ausnahmen wird das Tinzenhorn meistens auf dem üblichen Weg über die Nordostflanke erstiegen, eine Route, die dem Kletterer nur im oberen Teil Interessantes zu bieten vermag. Seltener oder nie werden die vier Steilwände der grossen Pyramide begangen, Wände, die abwechslungsreiche Routen in sich bergen und die Eroberung des Gipfels zum Genüsse machen. Wir wollen die Ausnahme bilden.

Erst um 8 Uhr verlassen wir die Aelahütte und beobachten neugierig die hässlichen Nebelfetzen, die uns die Wand noch verhüllen. Eine halbe Stunde später stehen wir schon über dem Bot Rodond, einem der Wand vorgelagerten Rasenhügel, und steigen die kurze Geröllhalde, welche hier ein wenig weiter in die Felsen hinaufreicht, hinan. Das Gewicht des Seils, bis hierher von den Schultern des einen getragen, wird nun auf beide verteilt. Inzwischen hat die Sonne den Kampf mit den jagenden Nebeln erfolgreich bestanden, und wir steigen ein. Die Ostwand ist in ihrer ganzen Flucht von nach Nordosten abwärts laufenden Bändern durchzogen. Eines der markantesten davon gibt den natürlichen Aufstieg. Erst sind einige leichtere Schrof en zu einem Felsband zu überklettern. In wenigen Schritten führt dieses um die Ecke herum in eine Felsnische, dann geht es in neuer, etwas höherer Felsstufe auf das grosse Aufstiegsband. Wir können nun gleichzeitig gehen. Mit jedem Schritt wird der Tief blick grösser, und die Oberhalbsteiner Berge und die Gipfel des Err-Gebietes wachsen höher empor. Da wird das Band durch eine Runse unterbrochen. Sie vermittelt uns den Weg zur höher gelegenen Fortsetzung des Trottoirs. Auf ihr gelangen wir unter der Gipfelsenkrechten vorbei, ganz nahe an die grosse Rinne, welche vom Südostgrat zum Bot Rodond hinabfällt, und verlassen das Geröllband. Über steile, jedoch gutgriffige Stufen geht es senkrecht empor. Eine von schwarzen Felsen gebildete Plattenwand in der Fallinie des Gipfels wird links seitlich in einer feuchten Rinne umgangen. Aus der darüber liegenden Hochmulde sickert Wasser. Mit nassen Rockärmeln erreichen wir sie und gewahren gerade über uns schon den Gipfelgrat. Eine Geröllrinne reicht gegen links fast bis zum Grat hinauf. Da wir diesen feinen Kies im Aufstieg aber nicht schätzen, suchen wir uns von Stufe zu Stufe einen interessanteren Abschluss in der Gipfelsenkrechten. Drei Stunden nach unserem Aufbruch von der Hütte betreten wir den Gipfel.

Westwand. Während der warmen Gipfelstunde wurde unser Plan reif, den Abstieg durch die Westwand zu versuchen. Schon sind die Rucksäcke gepackt, und die Blicke wenden sich nordwestwärts in die gähnende Tiefe. Ein kurzes Stück verfolgen wir den Grat gegen das Oberhalbstein, dann schwenken wir rechts ab in die Westflanke. Tief unten, im Aint ils Laiets, liegt tiefblau das Seeli, dem Auge eine wohltuende Abwechslung im grau-hellen Geröllkessel. Über leichte Schrofen geht es rasch im Zickzack hinab, bis auch hier wieder, wie drüben in der Ostwand, die abwärts ziehenden Bänder den natürlichen Weg weisen. Man verfolgt das eine so lange, bis ein Stock tiefer das bessere die bequemere Fortsetzung bietet. Dasjenige, das mit dem feinsten Geröll aufwarten kann, wird bevorzugt. Am hochaufstrebenden Piz Michel schätzen wir unser Tieferkommen. Noch hoch über der Geröllmulde endigt unser Abstieg, eine Diagonale durch die Wand, auf der Fuorcla Gravaratschas. Die Karte hat dieser Scharte zwar keinen Namen gegeben und ihre Lage mit der trockenen Zahl 2706 m bestimmt. Es stehen aber so schöne romanische Namen zur Verfügung, wie sollten wir sie nicht verwenden? Im Abstieg durch die riesigen Geröllhalden bleiben wir öfters stehen und studieren die Nordflanke. Dann eilen wir, über immer grössere Blöcke springend, zuletzt auf steilen Rasenhalden den Ausläufer des Scidier umgehend, in grossem Bogen zurück zur Aelahütte.

Nordwand. 20. August. 1928. Um ½4 Uhr schon ist Tagwache. Das Frühstück steht bald dampfend auf dem Tisch. Nicht immer hat der Hütten-kamin uns die Freude gemacht, den Rauch so ungehindert ins Freie ziehen zu lassen wie heute. Wir deuten diese Liebenswürdigkeit als gutes Wetterzeichen und sollten dann auch recht behalten. Auf wohlbekanntem Weg queren wir im Halbdunkel die steilen Grashalden um den Scidier herum. Ohne Mühe geraten wir auch richtig zu hoch und müssen über die eklige Schutthalde wieder hinab ins Gravaratschas-Tälchen. Anfänglich geht es dann besser, in der hintersten Mulde im Steilanstieg jedoch äusserst mühsam. Mit Grausen denke ich an jene Ärmsten, die ihre Strafe in der Hölle abzubüssen haben, indem sie an nimmer endendem, feinkörnigen Geröllhang aufwärts waten müssen. Um 7 Uhr stehen wir auf der zugigen Scharte und rüsten uns hinter grossen Gratblöcken zum Aufstieg. Beim Anseilen durchzittert mich noch einmal jene Kindheitserinnerung, ich sehe das finstere Antlitz des Nordgrates. Mit dem hellaufjubelnden Juchzer meiner Begleiterin verschwindet diese Regung, und mit dem Echo, das zwischen PizCoulmet und Fil da Scidier hin- und herschwingt, überläuft meinen Rücken eine Gänsehaut. So jauchzen können!— Paulke hatte die Wand als erster durchstiegen. Seiner Route gedenken wir zu folgen bis zur zweiten Terrasse. Dort soll versucht werden, über den Nordgrat direkt zum Gipfel anzusteigen. Über leichte Stufen steigen wir, links haltend, hinan auf die erste Terrasse. Auf dieser geht es mühelos nach rechts gegen den Grat hin bis zu einem kleinen Firnfleck. So hatten wir uns orientiert. Im Eifer steigen wir aber schon bevor wir diesen Fleck erreichen in die Wand ein. Den Rucksack lasse ich bei den Gefährten. Einem engen Riss folgend, geht es langsam empor bis zu einem schmalen Querbändchen. Dieses drückt stetig nach rechts hinaus, bis es plötzlich nahe der Kante in der Wand verläuft. Auf schmaler Leiste pendle ich vorsichtig wieder nach links hinüber. Zwischen den Knien durch erblicke ich tief unten die Gesichter meiner Kameraden. Über eine äusserst griffarme Plattenstufe erreiche ich im Moment, wo das Seil ausgeht, einen Stand. Die andern folgen. Eine kurze Verschneidung wird noch gestemmt, und dann treten wir auf die breite Geröllterrasse. Ein paar Schritte nach rechts, und wir gewahren einen netten Kamin, der ohne Schwierigkeiten vom Firnfleck auf dem untern Band bis hier heraufgeführt hätte. Nun geht es schneller rechts über Firn und eine kleinere Stufe auf die Nordkante hinaus. Der Absturz zur dritten Terrasse wird in luftiger Kletterei auf der Westseite der Kante erklommen. Damit ist das Schwerste hinter uns. In flotter Gratkletterei kommen wir rasch höher und betreten ganz in der Nähe des Gipfels den Grat. Nach ein paar Schritten sind wir über das Veltlinergrätchen ( der alte Peter Mettier mag ihm diesen Namen gegeben haben, indem er jedem seiner Turisten einen Zweier dieses Weins versprach, der aufrecht darüber hinwegschritt ) hinüber und auf dem Gipfel. Ein nahendes Unwetter zwingt uns, diesen sofort wieder zu verlassen. Auf wohlbekanntem Weg steigen wir über den Grat und die hohe Stufe zum « Dom », jener Felsbastion im Ostgrat, hinab und, ledig des Seils, über die Geröllbänder springend, zur Hütte zurück.

Südwand. Ostern 1929. Im Februar und März hatte ich die landschaftlich überaus prächtige Aela-Rundtur per Ski ausgeführt. Jedesmal war ich vom Aelapass über den Gratrücken des Su Cotschen angestiegen, bis der Blick frei wurde in die Südflanke des Tinzenhorns. Wohlvorbereitet und versehen mit Bild und Notizen stehe ich nun am Ostersonntag früh um 7 Uhr auf dem Orgelpass. Verwundert blickt mich die grösste der Orgeln an: Nu, ganz allein? Man mag das Alleingehen verdammen, was durchaus vernünftig ist, und doch hat so eine Bergfahrt allein den andern gar manches voraus. Man verwächst mit dem Berg, man lebt nur ihm allein und bringt unendlich Kost-bares, vielleicht die schönsten, tiefsten Erinnerungen mit nach Hause. Die Bretter führen mich rasch an den gewählten Einstieg. Unter schützendem Überhang bleiben sie zurück, zusammen mit den Schuhen, die ich mit den genagelten vertausche. Durch eine Geröllrinne, jetzt noch vereist, hacke ich empor auf eine Firnhalde. Tief eingegrabene Steinschlagrinnen veranlassen mich, nach links zu über harten Firn der Kante zuzusteuern. Über leichte Felsen stosse ich unverhofft auf ein schmales Bändchen, welches schräg nach rechts hinauf in die Hochmulde führt. Ohne Schwierigkeiten geht es dort steiler aufwärts, bis die senkrechte Wand nach rechts auf die Kante hinauf drängt. Im weichen Pulverschnee stapfe ich mühsam bis an die Felsen heran und betrete den Südostgrat am Ausgang des grossen Orgelkamins. Hier überzeuge ich mich, wie sinnlos es wäre, den Aufstieg durch diesen Kamin erzwingen zu wollen. Ein paar trockene Felsköpfchen werden überklettert. Dann stehe ich auf der grossen, hellen Platte. Ein Viertelstündchen raste ich, photographiere und sinne. All das, was man sonst mit den Kameraden teilt, wird nun mit sich selbst verarbeitet. Der Berg wird lebendiger, er wird Freund.

Die folgenden Gratköpfe scheinen überhängend; ich umgehe sie. Im Sommer mag das nicht schwierig sein, jetzt liegt viel Schnee auf den Bändern. Wiederholt richte ich mir Seilpendel ein und sichere meine Quergänge im tiefen, aufgeweichten Schnee. So wie es geht, kehre ich zum Grat zurück und gelange zugleich auf schmalem Bändchen in die Südflanke hinaus. Das Bändchen verläuft bald in der steilen, glatten Wand. Die Sache gefällt mir nur halb. So kehre ich ein paar Schritte zurück und studiere erneut eine schon von unten festgestellte und auf dem Bild klar hervortretende Verschneidung. Es gibt Augenblicke, in welchen der Orientierungssinn richtig leitet, obwohl die Gewissheit des Gelingens noch gar nicht vorhanden ist. So sitze ich auf schmaler Felsleiste über senkrechtem Abgrund. Es ist nachmittags 1 Uhr vorbei. Und ich sitze, tatenlos. Solche Minuten werden zum tiefen Erlebnis, Marksteine im Leben. Mit ruhiger Überlegung wird die Sache eingeleitet. Der Rucksack bleibt zurück als stummer Kamerad. Auch diese Stelle schien bösartiger als sie ist, denn, in der Nähe betrachtet, zeigen sich kleine Tritte und Griffe. In halber Höhe verstemme ich mich im engen Spalt und hisse den Rucksack hoch. Fast glaube ich, seinen fragenden Ruf nach Griffen zu hören. Vorerst wird er wieder verstaut, und nun vollende ich die grosse Verschneidung gegen den Westgrat hinauf. Wieder vereint, versuchen wir, den letzten Aufstieg zum Gipfel zu stürmen, aber der brüchige Harstschnee verhindert so rasches Vordringen. Um 2 Uhr betrete ich meinen lieben alten Gipfelplatz. Meine Feder ist allzu schwach, um die Feierstunde die ich da oben durchlebte, wiederzugeben.

Heraufziehende Wolken drängen zur Umkehr. Über die Schneebänder des Westgrates eilte ich abwärts. Weiter unten stellen sich vereiste Absätze in den Weg und werden durch Abseilen überwunden. Spät nachmittags wate ich über den breiten Rücken des Verbindungsgrates zum Michel und finde endlich den Schlupf gegen das Plateau des Lai da Tigiel hinunter. In rasender Fahrt gelange ich an den Fuss der Wand. Es ist 5 Uhr. Der Weg bis zu den Skiern zurück wird zum Leidensweg. Dort tausche ich die Schuhe. Der Rucksack, beschwert nun mit dem nassen Seil und den Genagelten, gibt dem Körper ein schlechtes Gleichgewicht. Langsam ist die Fahrt auf dem brüchigen Schnee. Da endlich, um 7 Uhr, stehe ich vor der Aelahütte. Im Tal ist es schon dunkel geworden, und hoch über dem Tinzenhorn leuchtet der erste Stern.

Piz d' Aela 3340 m.

Der prachtvolle, gewaltige Dom mit herrlicher, im weiten Bogen geschwungener Kuppel, dessen scharfgezackte Grate und steil abfallende Wände, von welchem Nachbargipfel man sie auch betrachten mag, einen erhebenden Eindruck machen, hat längst den Ruf eines hervorragenden Kletterberges. Die Route der Erstersteiger führt von Bergün herauf durch den Geröllkessel des Tranter Aela am kleinen Piz dil Barba Peder vorbei über die vom Hauptgipfel abfallende Mittelrippe der Nordostwand. Interessante Aufstiege fand man später über den Westgrat, und einen der schönsten, fast möchte ich sagen klassischen Kletterwege stellt eine Traversierung des Berges über seinen Südostgrat mit Abstieg über den Nordwestkamm zur Aelahütte dar. Grossartige Wanddurchstiege bietet die Südwand oder besser noch Südwestwand, deren direkte Erkletterung über den Südwestwandpfeiler erst im vergangenen Sommer gelang.

Als Zwanzigjährige betraten wir zum erstenmal seinen Scheitel. Über den gesamten Alpen, so weit auch das Auge reichte, spannte sich ein gleichmässig tiefblauer Himmel. Nie zuvor hatten wir Überwältigenderes erlebt. Stumm hielten wir Gipfelrast. Und als wir nach Stunden den Gipfel verliessen, waren auch wir gute Freunde geworden. In allj ährlich wiederkehrenden Fahrten fa nden wir uns wieder zu seiner Höhe, und jedesmal gab es ein freudiges Wiedersehen.

Südostgrat. 19. September 1926. Die grosse Aelatraverse steht uns bevor, die grosse, klassische Überschreitung dieses herrlichen Berges. Um 3 Uhr morgens verlassen wir bei stockdunkler Nacht die Aelahütte und stolpern, schlaftrunken noch, am Bot Rodond vorbei, gegen den Aelapass. Am letzten Steilhang vor der Passhöhe geraten wir in eine unter den Füssen zer-fliessende Schutthalde und arbeiten uns mühselig darin empor. Viel zu weit westlich erreichen wir den Gratrücken des SU Cotschen und belachen unser eben geliefertes Nachtstück. Besser geht es dann auf der Südseite hinab an den pechschwarzen Laiets vorbei. Hoch über uns türmt sich die im Nachtschatten noch finstere Südwand. Dann und wann richten wir unsern Blick hinauf zum gezackten Grat und versuchen, uns jetzt schon einzelne Stellen einzuprägen. Auf der Fuorcla da Tschitta begrüssen wir den jungen Tag, der fern noch über dem Ortler aufzusteigen beginnt. Und des Gerölls ist noch kein Ende. Abwärts haltend, haben wir noch einen Schutthang gegen Osten zu queren und erreichen aufatmend endlich die Felsen. Ein Kamin führt auf den Verbindungsgrat des Rugnux dadains. Kaum angekommen, wenden wir uns unserer Aufgabe zu. Der oberste Grataufschwung beginnt sich eben rötlich zu färben. Obschon die ersten Gratzacken auf der Nordseite umgangen werden können, überklettern wir sie und stehen bald in der Gratscharte, wo der eigentliche Südostgrat ansetzt. Zwei Seilschaften, eine Dreier- und eine Zweierpartie, verfolgen nun den aufstrebenden Grat. Bald stellt sich der erste grosse Absatz trotzig entgegen. Die einen überlisten ihn über die Kante, die andern weichen erst links aus auf einem Geröllband, um dann in der senkrecht gestuften, teilweise brüchigen Ostflanke emporzusteigen. Auf der Höhe des Absatzes treffen alle zusammen. Nun gibt es

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kein Ausweichen mehr. Jäh und unvermittelt stürzt der Grat zu beiden Seiten hinab. Bald sind scharfkantige Zacken, bald wieder schmale, plattige Scharten zu überklettern, ein herrlicher, freier Höhenweg. Der Tiefblick zur Linken wird zusehends grösser, ein Erlebnis für sich. Immer wieder überfliegen die Augen die kulissenartig hintereinanderliegenden Bergketten, vom Ortler bis in die Bergeller Berge. Der Anblick der wild aufragenden Albulagipfel gibt diesem Bild ein besonders aufreizendes Gepräge. In heller Begeisterung klettern wir weiter. Auf einmal wird der Grat flacher und neigt sich hinab zu einer Geröllterrasse. Schon wähnen wir uns nahe dem Gipfel. Da, direkt gegenüber, schwingt sich der Grat erneut empor, in fast unmöglicher Schmalheit und kühner Gestalt: der zweite, grosse Absatz mit dem bekannten Aelaloch 1 ). Vom ersten Staunen erholt, wird er sofort in Angriff genommen. Zwei überhängende Stufen, wovon die obere einen ordentlichen Klimmzug erfordert, führen auf eine kleine Kanzel. Die Kameraden folgen. Hart der Kante entlang stemmt man sich nun steil empor, um nach einer Seillänge wieder die Gratkante zu erreichen. Die folgenden Zacken sind leichter, und allmählich neigt sich die Kante zur Horizontalen. Da ist auch der Gipfel. Über die letzten, gefurchten Blöcke springend, erreichen wir ihn und jauchzen in unbändiger Freude ins Blaue hinaus.

Nordwestgrat. Die Gipfelrast wird heute gekürzt. Es gilt, die grosse Traverse des Berges zu vollenden. So wenden wir uns dem Nordwestgrat, dem Uglixer, zu. In wenigen Minuten stehen wir in der Scharte zwischen Haupt- und Westgipfel. Eine kurze, luftige Hangeltraverse hoch über dem blaugrünen Laiet, der durch das Eiscouloir heraufschaut, erfordert grössere Aufmerksamkeit. Über leichteres Gelände stürmen wir dann den Westgipfel, wo sich die Wege des Westgrates und des Nordwestkammes trennen. Gleich-massig senkt sich dieser letztere in der Richtung zur Aelahütte hinab, weit weniger zerrissen als sein Gegenstück, der Südostgrat. Aber auch hier plötzlich die Überraschung: in überhängender Steilstufe senkt sich der Grat unvermittelt hinab zur Scharte 2930 m. Unter weit vorstehendem Felsdach biegen wir in die Westseite ein und erreichen über eine plattige, vielleicht 20 Meter hohe Verschneidung ein breites Geröllband. Ohne Schwierigkeiten führt dieses hinab in die Scharte. Hier stehen uns zwei Wege offen: der eine, die nächsten, noch nicht überschrittenen Zacken des Uglixerkammes auf schmalem Felsband in der Ostseite umgehend und zwischen Piz Uglix und Piz Spadlatscha den Grat wieder erreichend, über diesen hinab gegen den Chavagl Grond, der andere in breitem Geröllcouloir über die fortgesetzte Bänderreihe direkt gegen die Aelahütte hinab. Wir wählen den letzteren und springen wie aufgescheuchte Gemsen die Geröllbänder hinunter. Mit der beginnenden Dämmerung betreten wir die Hütte.

Südwestwand. 19. August 1928. Seit Jahren beschäftigt mich diese nahezu 600 m hohe Steilwand. Stokar hatte sie mit Peter Mettier im Jahre 1898 zum erstenmal bestiegen. Leider ist die Beschreibung nur ungenau, so dass die eingehaltene Route nicht bekannt ist. Sicher ist, dass sie beim obera grossen Absatz ( Aelaloch ) auf den Südostgrat kamen. Diese Bergfahrt wollte ich nun wiederholen.

Durch eine kräftige Hafersuppe gestärkt, verlassen wir zu dritt nach 4 Uhr die Aelahütte. Um den Weg über den Aelapass etwas abzukürzen, steigen wir aus dem Geröllkessel direkt gegen die Aelascharte ( Punkt 2937 ) an. In der steilen Eisrinne, die zur höhergelegenen Geröllmulde am Fusse des Westgrates führt, entgehen wir wie durch ein Wunder dem Tode. Die wohl 200 Meter lange Eiszunge, die im Verlaufe des warmen Sommers an den Rändern vom Felsen abgeschmolzen war und so mit dem gesamten Gewicht nur noch oben festhing, musste sich, wie wir später feststellten, in ungeheurer Spannung befunden haben. Im Aufwärtssteigen kratze ich bei jedem Schritt eine kleine Kerbe ins Eis, um den gekanteten Füssen bessern Stand zu verleihen. Dieses unbedeutende Schürfen mit der Pickelhaue vermag die gewaltige Spannung zu lösen. Mit donnerähnlichem Knall zerbirst mit dem Pickelschlag plötzlich die hier wohl 6 bis 8 Meter breite und fast eben so tiefe Eismasse auf eine Länge von etwa 30 Schritten, tonnenschwere Blöcke gegen- und übereinanderschiebend. Wir selbst werden rücklings zu Boden geworfen. Unsere Begleiterin verschwindet kopfüber in klaffendem Spalt. Blitzartig stehen wir beiden andern wieder auf den Beinen, helfen der noch sprachlosen Gefährtin zu uns herauf und springen zusammen auf die sicheren Felsen über. Dann erst, das Trümmerfeld überblickend, fassen wir erbleichend das gewaltige Erlebnis. Langsam setzen wir den Aufstieg fort, und über dem Aelapass drüben beschäftigt uns nur noch der kommende Südwandaufstieg.

Über den weit in die Wand hinausreichenden Geröllkegel gelangen wir an die Felsen. Über ein kurzes, griffarmes Wändchen betreten wir das breite Geröllband in der Gipfelsenkrechten. Dieses leitet nach links hinauf, bis es an glatter, senkrechter Wand endigt. Was jetzt? Das Mittelstück der Aelasüd-wand wird aus senkrecht abfallenden Steilwänden gebildet. Aber siehe da, ein schmales, zum Teil äusserst schmales Felsbändchen zieht sich nach rechts hinauf durch die schwarze Wand. Die Sache scheint zu gehen. Vorsichtig verfolgen wir es und erreichen an dessen Ende ein kleines Geröllplätzchen. Über uns die glatt aufstrebende Wand. Sollte es hier nicht mehr weitergehen? Da entdecken wir um die Rippe herum einen engen Kamin, der zu erstemmen ist. Der unterste, überhängende Teil wird links davon umgangen, um sofort in den engen Spalt hinüberzuspreizen. Im Kamin geht es nun keuchend empor, bis wir auf einer vorspringenden Kanzel einen Sicherungsplatz finden. Das Schwerste liegt hinter uns. Leichtere Schrofen und Geröllbänder drängen stetig rechts ( östlich ) hinauf auf ein breites Geröllband. Über dieses und eine steilere Felsstufe erreichen wir bald wieder ein neues, welches parallel mit der Gratkante nun links westlich auf den Grat führt. Wie unsere Vorgänger betreten auch wir ihn beim oberen grossen Absatz. Auf bekanntem Weg stürmen wir das letzte Bollwerk des Südostgrates und erreichen bald darauf den einsamen Gipfel. Ungetrübte Freude durchströmt unsere Herzen, ist uns doch eine neue, grossartige Fahrt gelungen.

Nordostwand. Die in der Südwand gewonnenen Eindrücke sollen durch nichts Neues mehr verwischt werden am heutigen Tage. So beschliessen wir VII35 den gewöhnlichen Abstieg ins Hochtälchen von Tranter Aela. Ein paar Schritte nur sind es in die Scharte zwischen Haupt- und Westgipfel. Auf abschüssigen, z.T. vereisten Platten klettern wir auf der Nordostseite eine Seillänge hinab, queren stufenschlagend den steilen Gletscher nach rechts hinüber und können bald an dessen östlichem Rande in grossen Sprüngen hinabeilen. Der weitere Abstieg geschieht über die von Piz dil Barba Peder aufstrebende Felsrippe. Es geht von Stufe zu Stufe fröhlich hinab. Man hat ja nur aufzupassen, dass man das richtige Ausstiegsband erwischt. Am besten orientiert man sich nach einem gelblichen Gratturm, der warnend den Weg gen Nordwesten weist. Wer ein höher gelegenes Band begehen und dieses abwärts verfolgen wollte, würde an den grossen Gletschersturz geführt. Nur das unterste Geröll- bzw. Firnband führt ohne Schwierigkeiten in die Geröllhalde hinaus. Und nun, des Seils ledig, bewegt man sich freier. Wie ein Pilz nach warmer Regennacht, so wächst unser kleiner Barba Peder ( Onkel Peter ) nun in die Höhe. Wir erreichen die grünen Matten des Tranter Aela, wo wir ein halbes Stündchen lagern. Tief unter uns grüssen die Dörfer Bergün und Latsch, dort, weiter rechts, über lichten Tannen- und Lärchenwäldern, erhebt sich die Kette des Piz Uertsch und über all dem ein blauer, von einzelnen Wölkchen belebter Himmel, ein Bild, das wohltuende Ruhe und Befriedigung auslöst. Und so wird der weitere Abstieg über dem Hochwald zur Feierstunde. Bald stossen wir auf den Bergünerweg und steigen auf diesem langsam hinan. Längst ist die Sonne hinter dem Tinzenhorn verschwunden, da wir über den breiten Grasrücken des Chavagl Grond ( grosses Ross ) zur Aelahütte zurückkommen. Südwestwandpfeiler. 12. Juli 1931. Auf mancher winterlichen Aelarund-tour war ich zum Piz Val Lunga angestiegen und hatte die Aelasüdwestwand eingehend studiert. Immer wieder fesselte mich dieser steil aufstrebende Wandpfeiler, der einen direkten Aufstieg zum Gipfel darstellen würde, bis im letzten Winter einmal der Entschluss gefasst wurde, das Problem zu versuchen. Gern liess sich Freund Weckerdt aus Zürich für diese Fahrt begeistern, so dass mit Ettinger, meiner Frau und mir zwei Zweierpartien gebildet werden konnten. Wieder stehen wir am Fusse der grossen Wand, und ein Tag, wie sie ja so rar sind diesen Sommer, begünstigt unser Vorhaben. Unter einem Felsköpfchen werden die Genagelten verstaut und mit den Kletterschuhen vertauscht. Dann ist alles bereit; es ist ö45 Uhr. Der Einstieg liegt in der Gipfelsenkrechten wie für die Südwandroute zum Südostgrat. Bald sind wir am Ende des Bandes, und damit beginnt schon das Neue. Eine breite, von glatten Wänden und kleineren Rissen unterbrochene Rinne führt links hinauf gegen die von unten gut sichtbaren Gratzacken in halber Höhe des Pfeilers. Darin müssen wir uns einen Aufstieg suchen. Erst links haltend, über leichtere Schrofen, dann senkrecht empor stossen wir an eine Plattenwand. Freund Weckerdt leistet sich das Extravergnügen, diese direkt zu überklettern, eine grossartige Kletterleistung. Meine Frau, mit ihm am Seil verbunden, muss wohl oder übel mit. Wir andern suchen uns links davon eine bequemere Route. Ein Couloir zeigt uns den Weg, und auf kleinem Geröllband treffen wir wieder zusammen. Nun geht es über eine schiefe Platte empor, zu oberst derselben in einen Riss, der schwach links steil hinauf- führt. Schon nach 20 m wird er ungangbar. In heikler Traverse wird nach rechts spreizend ein kleiner Plattenstand erreicht. In überhängendem, schmalem Riss arbeiten wir uns gerade hinauf, um über leichtere Felsen den markanten Geröllfleck unter den erwähnten Gratzacken zu erreichen. Bis hierher glaubten wir, leichtes Spiel zu haben, und haben jetzt doch schon allerhand Arbeit hinter uns. Unmittelbar über uns setzt die obere Steilpartie der Kante an. Hier muss die Entscheidung fallen. Vom Geröllfleck zieht sich steil ein Bändchen rechts in die Flanke hinauf. Gleich zu Anfang ist ein Rissüberhang zu meistern, um dann leichter etwa eine Seillänge über die Fortsetzung des Bändchens hinwegzukommen. Wir stehen am Fusse einer steilen Plattenwand. Erst einige Meter unschwer empor auf ein bis an die Kante hinausreichendes Querbändchen. Vorsichtig schleicht Weckerdt hinaus und guckt um die Ecke. Dort aber ist nichts zu machen. Also zurück an die Plattenwand. Der erste Sicherungshaken wird eingetrieben. Dann arbeitet sich Werner in der plattigen, rechtwinkligen Verschneidung empor. Weitere Haken folgen. Er erreicht den Überhang. In heikler Traverse hangelt er unter diesem nach links hinüber und gewinnt über leichtere Felsen die Kante und eine kleine Kanzel. Die andern folgen, und bald stehen wir vereinigt auf dem luftigen Plätzchen. Tief eingeschnitten stürzt unter uns das Eiscouloir hinab. Am Westgrat gemessen, befinden wir uns nicht viel weiter oben als in halber Wandhöhe und glaubten doch schon viel höher zu sein. Von hier aus wird mit wenig Abweichungen über die Kante geklettert. Obwohl steil, bietet sie gute Griffe und Sicherungsmöglichkeiten. Ziemlich rasch kommen wir höher auf ein schmales Querbändchen, welches wahrscheinlich nach rechts hinaus in die Geröllmulde der oberen Südwestwand führen würde. Wir verfolgen es nur ein paar Schritte, um sofort wieder in einer steilen Verschneidung zur Kante zurückzuklettern. Eine überhängende, rötliche Felsbastion drängt diesmal nach links auf die Seite des Couloirs. Nach weiteren zwei Seillängen kommen wir wieder auf die Kante zurück, auf ein neues, breiteres Querbändchen. Rechts um die Ecke herum entdecken wir einen engen Riss, der zu einer vorspringenden Kanzel emporzieht. Eine halbe Seillänge darin empor, dann in kurzer Hangeltraverse nach rechts und sofort wieder gerade hinauf auf den Grat und leichter über diesen auf die grosse Schulter. Nun sind wir unseres Sieges gewiss: der steile Wandgürtel liegt unter uns. Der direkte Aufstieg zum Gipfel ist sichergestellt. Auf der Höhe der Schulter, einige unbedeutende Zacken rechts umgehend, packen wir den letzten Gipfelaufschwung an. Erst etwas nach links, dann steil, aber auf gutem Fels der Kante entlang aufwärts wird dieser Gipfelsturm zum prächtigen Abschluss dieses grossartigen Kletterwegs. Nach 7½ Stunden schütteln wir uns freudig bewegt auf dem Gipfel die Hände. Nun ist mein Wunsch, auch den Aela auf einer Neuroute zu ersteigen, in Erfüllung gegangen, und ich glaube, der alte Kerl hat selber seine Freude daran gehabt.

Westgrat. Die am Einstieg zurückgelassenen Schuhe zwingen uns, über den Westgrat abzusteigen. Es ist schon 2 Uhr vorbei, da wir den Gipfel verlassen. In kurzer Zeit haben wir den Westgipfel erreicht. Nach Südwesten uns wendend, klettern wir rasch über einige Stufen hinab, dann turnen wir über das steile « Grätchen », das in scharfer Kante gegen das Tinzenhorn zu abbricht, dem Rande nach hinab. Einige Absätze noch, und schon stehen wir auf der Frühstücksplatte oberhalb der Sphinx. Dieses wohl eher an einen Steinpilz erinnernde Felsgebilde, das, so schlank es auch ist, bis jetzt allen Stürmen getrotzt hat, bildet ein gutes Merkzeichen im Aufstieg. Nachdem wir noch einmal unsere Aufstiegskante über dem Couloir drüben betrachtet haben, verlassen wir den Grat und stemmen einige Kamine hinab auf die Geröllbänder. In den Kletterschuhen haben wir nicht jenen festen Stand auf dem wackligen Boden, den uns die Genagelten verleihen. Vorauseilend erreiche ich vor den andern die Aelascharte und hole drüben am Einstieg die Schuhe. Gern lasse ich meine ausgefransten Kletterschuhe daselbst zurück, als dankbaren Tribut an die Felsen. Unterhalb der Aelascharte halten wir kurze Rast. Da ist ein Knopf anzunähen, dort eine Schramme zu salben und dort, seht hin, hat einer den Kamm schon in der Hand.

Wieder die « Schweren » an unsern Füssen, stampfen wir stäubend die Geröllhalden hinab. Herrlich die federnden Polster der Alpwiesen, wohltuend dem Auge das Grün der Wälder und in den Herzen die stille Zufriedenheit. Was sie am Morgen noch leidenschaftlich bewegte, liegt nun geborgen für immer darin.

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