Beglückende Klettertage in den Dolomiten
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Beglückende Klettertage in den Dolomiten

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Willy van Laer, SAG Burgdorf

Fünf kletterfreudige Gesellen fahren in der Morgendämmerung eines Julitages den Dolomiten zu. Jenseits von Flüela- und Ofenpass entschwinden die Wolken, die ihnen Sorgen bereitet haben. Vintschgau — Meran — Bozen liegen in lachendem Sonnenschein, und ihnen lacht das Herz in der Brust.

Eine enge Schlucht führt uns ins Eggental, und schon sind wir drinnen in den Dolomiten, bestau- -.

nen beim Picknick am Karersee die gelblichgrauen Zähne des Latemar, die hinter dunkelgrünen Wäldern hervorgucken, und fahren hernach ins Val Fassa hinunter, wo wir uns im Dörfchen Pera mit unserem Führer verabredet haben. Er erwartet uns schon und gefällt uns auf Anhieb. Es ist Peppi Holzer aus Sexten, ein sympathischer, blutjunger Tiroler, mit dem wir in der Folge herrlich auskommen.

Nach einer kurzen Erfrischung brechen wir auf. Noch können wir ein Stück weit ins Vajolettal hinauffahren, der Führer mit mir voraus in seinem kleinen, rassigen Italiener Wagen; die Gefährten folgen nach. Jäh geht es empor, über ein schmales, steiniges Strässchen entlang dem klaren, munter über Felsblöcke spritzenden Bach durch lichte, traumhaft schöne Kiefern-, Lär-chen- und Arvenbestände. Und auf einmal sind wir droben auf Gardeccia, einer saftiggrünen Weide, umgeben von den Zacken des Rosengartens zur Linken, der Valsecgruppe zur Rechten. Die holprige Fahrt hat etwa dreiviertel Stunden gedauert. Wir « stallen » die Wagen im Freien und schultern unsere leichten Kletter-Rucksäcke mit allem Nötigen für zwei oder drei Tage. Eine gute halbe Stunde später stehen wir vor unserm heutigen Ziel, der Vajolethütte, wo wir bei freundlichen Wirtsleuten gute Unterkunft finden.

Nach einer währschaften Mahlzeit schauen wir uns um. Die Gaststätte steht am Eingang eines Felsenkessels auf einem Rasenboden, ähnlich wie die Engelhornhütte. Durch eine breite, steinige Schlucht, über die ein schlanker Turm gleich einem Haifischzahn heraussticht — es ist der Winklerturm —, sehen wir zahlreiche Touristen mehr oder weniger mühsam über die Schrofenhänge hinabturnen; sie kommen vom Santnerpass und vom Gartl, wie wir uns berichten lassen.

Mit der Dämmerung wird es kühl, und wir legen uns in guten Betten zur Ruhe.

Am Sonntagmorgen schleichen Nebel um die Wände; man weiss nicht recht, was das Wetter will; in der Hütte glauben sie, es komme Regen; doch unentwegt steigen wir gegen 7 Uhr die Gartl-schlucht hinauf; ein stotziger Pfad, hie und da unterbrochen durch leichte Kletterstellen, leitet uns empor. Plötzlich stehen wir oben im Gartl, diesem gewaltigen Schuttkar, aus dem ringsum die Türme emporsteigen — ein atemraubender, ein beklemmender Anblick. Unser Führer, der sich offenbar seine Leute vorerst etwas näher anschauen möchte, geht mit uns an die Punta Emma, einen Turm von etwa t oo Meter Höhe, welcher der Rosengartenspitze vorgelagert ist. Beim Einstieg bilden wir drei Zweierseilschaften und greifen diesen Dolomitfels mit den Händen. Bald merken wir: es ist ein eisenharter, nirgends bröckliger Stein mit reichlichen und guten Griffen, zuweilen ausgehöhlt wie Schwalbennester.

Im Nu haben wir den Riss, das Kamin und die Platte hinter uns und drücken uns auf der Gipfelterrasse die Hand. Der Peppi ist zufrieden: « Wie wär 's mit dem Stabeierturm? » Wir sagen nicht nein und nehmen den mittlern und höchsten dieser drei Vajolettürme in Augenschein. So ziemlich alles ist senkrecht und sieht geradezu erschreckend aus.

Abgeseilt ist rasch von der Punta Emma, im Dülfersitz oder mit Sitzschlinge und Karabiner, wie es jedem passt. Wir queren das Gartl und steigen beim Stabeierturm ein. Über den Normalweg, die Südostflanke, arbeiten wir uns empor durch eine Schlucht, durch Kamine und Risse, über Bänder und Wändchen. Nach anderthalb Stunden, um t Uhr, stehen wir oben auf 2805 Meter, schauen ringsum — und staunen. Die weiter entfernten Gipfel stecken im Wolkengebräu, aber im Westen und Osten stechen die beiden heute stark besuchten Geschwistertürme, der Delago- und der Winklerturm, so nahe aus dem Nebel heraus, dass wir hinüberrufen können: « Bitte recht freundlich, wir knipsen! » Das Antwortgelächter lässt nicht auf sich warten!

Bis gegen i 12 Uhr liegen wir voll Behagen in der Sonne und freuen uns des Daseins.Abwärts geht es nachher in munterem Tempo: Ein Stück weit klettern wir hinunter, dann seilen wir viermal ab, jeweils über 20 bis 30 Meter. Im Gartlhüttli gibt 's für jeden ein köstliches Fläschchen Bier, und wir eilen beschwingt die Schlucht hinunter, zurück zu unserm Refugium. Weil es Sonntag ist, gibt es zum Nachtessen Pollo arrostito ( Brathuhn ), den wir keineswegs verachten.

Wie wir später unsere Heimatlieder singen -meine Kameraden bilden ein wohltönendes Quartett -, wird uns eine Literflasche feurigen Tirolers beschert. Sie stammt von einer Dame im Klettergewand, am andern Ende des Saales. Rasch ist sie an unsern Tisch gebeten und entpuppt sich als Fräulein Elisabeth H., eine Deutschschweizerin aus Genf und bewährte Alpinistin. Im eifrigen Plaudern stossen wir an auf frohe Kameradschaft.

Der Montag gilt der Rosengartenspitze, mit Anstieg über den langen, abwechslungsreichen Südgrat. Auf einem Pfad queren wir unter der Ostwand durch und erreichen den Einstieg über steile, schweisstreibende Schutthänge. Während des Anseilens erfreuen wir uns an einem Teppich leuchtender Edelweissblüten. Eine kurzweilige Kletterei führt uns zuerst in leichtem Gelände auf die Gratkante, nachher schwieriger und recht pikant über eine lange Folge von Zacken und Aufschwüngen, hinauf, hinunter; bisweilen ein Wändchen, wo die Griffe gesucht werden müssen, doch ständig in solidem Fels und immer allein.

Nach vier Stunden — eine Stunde Anmarsch und drei Stunden Klettern - setzen wir uns auf die Gipfelblöcke beim mächtigen Eisenkreuz des Catinaccio, wie die Italiener die Rosengartenspitze nennen. Dem trockenen Mund bekommt ein Schluck aus Peppis Teeflasche wohl — und erst noch das Schlücklein aus den « Wänteli » von Otti und Walter!

Eine geschlagene Stunde lassen wir 's uns Wohlsein. Zum erstenmal können wir eine klare Aussicht bewundern: ringsum die hellgrau bis weisslich leuchtenden Burgen und Zinnen aus Dolo- mitgestein, den Langkofel, die Sellatürme, die Pordoi- und Boéspitzen in der nähern Umgebung; weiter weg im Osten die drei Tofanen, den Sorapis, den Antelao und die Marmolata mit ihrem Gletscherdach und der unheimlich abschüssigen Südwand. Ganz hinten am Horizont gleissen die Hochalpen überm Wolkenmeer, Bernina, Ortler, die Ötztaler und Stubaier und weit, weit weg Venediger und Grossglockner.

Den Abstieg nehmen wir über die « Normal-führe » durch die Westwand, eine hübsche, einfache Kletterei fast in der Gipfel-Fallinie. Sie führt uns hinab auf den Santnerpass, wo wir zuallererst den Durst stillen. Denn auch dort findet sich eine winzige Gaststätte, die am heutigen Tag floriert, sitzt doch eine stattliche Schar italienischer Studenten und Mädchen vor der Hütte in der Sonne und singt unermüdlich ihre Lieder. Die bekommen wohl auch einen gehörigen Durst!

Am Nachmittag bummeln wir gemächlich talwärts und können diesen Vajolet-Stock richtig beschauen. Er kommt mir vor wie eine ungeheure, lotrechte Mauer, von einem Urweltriesen mit zwei gewaltigen Axthieben in drei Türme gespalten.

Was machen wir morgen? Der Name « Delago-kante » taucht auf. « Nichts für den Grossätti », sage ich mir; doch die Kameraden und der Führer wollen mich mithaben. Muss ich da nicht freudig zustimmen?

Um 7 Uhr am Dienstag steigen wir aufwärts ins Gartl und hinüber zum Sockel des Delagoturms. Unsere Route führt 120 Meter an der völlig senkrechten Pfeilerkante empor. Vom Peppi, der gestartet ist, sehen wir bald nur noch die Schuhsohlen. Er klettert jeweils eine Seillänge voraus bis zu einer Hakensicherung. Die Reihe ist an mir. Wie an einer Himmelsleiter geht 's aufwärts; Griffe und Gesimslein für die Fussspitzen sind überall vorhanden. Für den Seilersten bildet die Kante eine ernste Mutprobe, für den Hintermann, am straffen Seil gesichert, durchaus kein Kunststück. Sorgfältig werden meine Gefährten vom Führer nachgesichert. Es ist ein herrlicher Fünffingerspitze, Langkofel Photo L. Gensetter, Davos 2Stabelerturm, vom Winklerturm aus Photo E. Fehlmannr, Burgdorf Aufstieg, nie eigentlich schwierig oder mühsam, nur extrem luftig. Nach zwei Stunden versammeln wir uns auf der ebenen Gipfelterrasse und sind glücklich wie nur in seltenen Augenblicken unseres Lebens.

Nach guter Rast folgt das Abseilen in die Delagoscharte und ein Quergang durch die Westwand des Stabeierturms. Die tiefe Scharte, die diesen vom Winklerturm trennt, überwinden wir mit Hilfe einer von unserm Grenadier Otti rasch erstellten Seilbahn. Die lustige Unterbrechung im einförmigen Kettern erhöht unsere festliche Stimmung. Bald nachher, um halb zwölf, stehen wir auf der Zinne des Winklerturms, 2800 Meter. Noch eine Ruhepause, noch ein Blick in die Runde, und wir treten den Abstieg an, der sich teils mit Abklettern, teils mit Abseilen innert kurzer Frist vollzieht.

Am frühen Nachmittag nehmen wir von der so gastlichen Vajolethütte Abschied. Im Nu sind wir unten in Gardeccia bei den Wagen, laden ein und - ade Rosengarten, auf Wiedersehn! Halb unten gibt 's im eiskalten Bergbach noch eine Dusche, eine wundervolle Erfrischung. In Pera di Fassa drehen wir nordwärts, fahren über Canazei aufs Sellajoch und jenseits hinunter zum Sellapass-Gast-haus, wo wir das neue Quartier beziehen. Der Tanzbetrieb nach dem Abendessen sagt uns wenig zu; bald verschwinden wir in höhere Regionen, und kein Lärm stört unsern wohlverdienten Schlaf.

Für den Mittwoch steht auf unserm Programm die Fünffingerspitze, der vielzackige Gipfel, der sich zwischen den klobigen Blöcken der Grohmannspitze und des Langkofelecks zierlich ausnimmt, wie eine züngelnde Flamme zwischen zwei Herd-steinen. Mit einem Sessellift lässt sich bis zur Langkofelscharte emporgondeln zum Rifugio Demetz auf 2681 Meter Höhe; man spart damit gute anderthalb Stunden. Die Kletterei beginnt gleich mit einer beinahe senkrechten, etwa hundert Meter hohen Wand. Aber, wie gewohnt, ist sie schön griffig, wieder eine Genusskletterei.

Weiter oben gibt es Abwechslung mit Querungen über Bänder und Platten, mit Kaminen und Rissen. In der Daumenscharte münden wir in den Normalweg ein, und bald darauf gelangen wir auf den höchsten Punkt, vier Meter unterhalb der Dreitausendergrenze.

Doch lange dürfen wir heute nicht säumen, denn wir haben noch allerhand vor uns.

Auf der gleichen Route und mit einigen « Ab-seileten » stehen wir bald einmal wieder bei der Gondelbahn und fahren nach Sella hinunter. Die offenbar stark überlaufenen Sellatürme verlocken uns nicht, dort anzustehen, und auch der Führer ermuntert uns, einen Tag früher als vorgesehen nach Lavaredo überzusiedeln. Peppi dient uns wieder als Pilot.

Eine lange, interessante Fahrt über die vorzüglich ausgebaute Dolomitenstrasse beginnt, zuerst zurück übers Sellajoch, dann übers Pordoijoch nach Arabba hinab, wieder in die Höhe zum Falzaregopass, hinunter nach Cortina d' Ampezzo und jenseits hinauf zum Passo Tre Croci nach Misurina am gleichnamigen See, in dem sich der Sorapis so märchenhaft spiegelt. Nach kurzem Halt geht es wieder so ein steiles, rauhes Strässlein hinauf, hinein in ein neues Dolomitental, das zu den Sextener Dolomiten gehört. Eine Stunde später halten wir vor dem Rifugio Lavaredo und staunen hinauf zu den gewaltigen Drei Rinnen, die dastehen wie drei ungeheure Grabsteine. Noch sind wir aber nicht am Ziel. Zu Fuss geht es hinauf zum Paternjoch, dann fast ebenen Fusses noch dreiviertel Stunden weiter zum Rifugio Locatelli, unserm Heim für die letzten Tage. Gegen 6 Uhr kommen wir an, vom Hüttenwirt nett begrüsst. Betten mit frischer Wäsche wissen wir sehr zu schätzen, und in der Folge zeigt sich, dass wir auch mit Essen und Tranksame bestens versorgt sind.

Unser erstes Ziel im neuen Gebiet ist der Paternkofel, eine schlanke Pyramide, die im Ersten Weltkrieg lange und heiss umkämpft wurde. Ein dem Zerfall geweihter Tunnel führt 600 Meter steil 3 Vajolettürme: Winkler- und Stabeierturm; Rif. Alberto I,2670 Meter Photo L. Gensetter, Davos Garthchlucht Photo E. Fehlmann, Burgdorf aufwärts; er diente den Österreichern als Schutz gegen Sicht von Süden.

Wir durchdringen ihn mit Hilfe von Taschenlampen, sind aber froh, ans Tageslicht zu treten und im Sonnenschein zu klettern, schaffen uns über Rippen und Steilrinnen auf Bändern hinüber zum Paterngrat, einer jähen, ausgesetzten Kante mit einigen anspruchsvollen Stellen; der Grat hat Rasse! Auf dem Gipfel, 2746 Meter, sind wir zuerst allein, bis eine grössere Gruppe von Österreichern und Deutschen über den Normalweg eintrifft, der leicht zu begehen ist. Eine Stunde lang wird gemeinsam nach Herzenslust « gelie-dert ».

Nach dem harmlosen Abstieg lassen es sich meine Gefährten in ihrem Tatendrang nicht nehmen, noch das « Frankfurter Würstl » zu erklettern, einen drollig geformten, schwierigen Felszacken; ich bleibe brav am untern Ende und mache Aufnahmen.

Am Nachmittag baden wir mit Wonne in einem nahen Seelein inmitten einer noch erstaunlich reichen Alpenflora. Und beinahe hätten wir dem Peppi noch das Schwimmen beigebracht.

Wieder strahlt die Sonne prächtig am Freitagmorgen. Kurz vor 5 Uhr sind wir unterwegs zu den Drei Zinnen, den Cime di Lavaredo, berüchtigt durch die schon eher ans Wahnwitzige grenzenden hochwinterlichen Unternehmungen an den überhängenden Nord wänden. Wir halten uns an die altbekannten, bedeutend leichteren Routen der Südhänge.

Sehr deutlich wird hier die horizontale Schichtung des Sedimentgesteins offenbar, wie übrigens an vielen andern Dolomitengipfeln: senkrechte Stufen wechseln stetig mit schmälern oder breitern Bändern oder Terrassen. Die Aufstiege dieser Seite führen durch Risse oder Kamine von einem Gesimse zum andern, sind wenig exponiert und bieten leichtere bis mittelschwere Kletterei.

Heute gilt es der Kleinen Zinne. Durch die Schlucht, welche sie von der Cima Grande trennt, dann in der Westwand steigen wir hoch und gelangen nach kurzweiliger Kletterei - zuletzt geht es noch über ein kurzes Kriechband - auf die Schulter. Von ihr blicken wir auf die sich jäh emporschwingende Dibonakante des Nachbargipfels hinunter; zwei « Ameisen » kleben daran, noch weit unten. Etwas heikler als der bisherige Aufstieg erweist sich der letzte, schlanke Turm, der sich wie eine Kanzel über das massige Bollwerk des Sockels erhebt. Genau um 8 Uhr stehen wir auf dem Gipfel mit der Kote 2856 Meter. Eine Stunde lassen wir 's uns wohl sein, ganz allein auf der winzigen Plattform. Wir staunen in die morgenfrische Runde, auf die düstere Schlucht und die urweltlichen Wände in nächster Nähe, auf all die Zacken und Türme der weiten Umgebung.

Den Abstieg bewältigen wir ohne jedes Abseilmanöver in Stundenfrist, und um r i Uhr stehen wir wieder vor dem Rifugio Locatelli.

Am Nachmittag bläst ein harscher Wind. Statt mit den Freunden baden zu gehen, verlege ich mich aufs Skizzieren, denn an malerischen Vorbildern mangelt es nicht rings um die Hütte. Nach dem Nachtmahl ertönt herzerfreuender Chorgesang, abwechslungsweise mit deutschösterreichischen und Schweizer Liedern.

Und schon ist unser letzter Bergtag angebrochen. Mit Bedauern trennen wir uns von der tadellosen Unterkunft und nehmen Abschied von den heimeligen Leuten. Beim Paternsattel deponieren wir die Rucksäcke und rücken der Grossen Zinne « auf den Leib ».

Zum « Abgewöhnen » wählen wir eine leichte Route, die « Ostwandführe ». Wie am Vortag, so benützen wir auch jetzt für den Einstieg die tief eingerissene Schlucht zwischen Kleiner und Grosser Zinne. Dann geniessen wir noch einmal das ganze Register der Durchschlupf-Möglich-keiten: Quergänge, Risse, Stemmkamine und senkrechte Wändchen, die von einem Band aufs nächste führen. Nach sechs Tagen eifrigen Kletterns fühlen wir uns im Schuss und erreichen den Gipfel in anderthalb Stunden ( im Führer sind zweieinhalb Stunden vermerkt ). Die Grosse Zin- ne ragt auf 2999 Meter; mit dem Steinmann wird sie zum Dreitausender.

Noch einmal reichen wir einander freudvoll die Hand; nochmals geniessen wir zum Abschied eine herrliche Fernsicht und kennen nun schon manche der vielfältigen Berggestalten. Erstmals gewahren wir weit im Süden die Civetta und den Pelmo; der Antelao, nicht weit von ihnen, soll der beste Aussichtsberg der Dolomiten sein. Ganz nah im Westen fällt uns ein wundervoller, in der Morgensonne schimmernder Dom auf mit fast blutroten Streifen und Flecken: die Hohe Gaisl oder Croda Rossa, und fern im Norden glitzern die Hohen Tauern wie geschliffene Diamanten.

Diese letzte Gipfelstunde erfüllt uns mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl, denn ohne das kleinste Missgeschick, ohne einen Misston hat sich unsere Bergwoche in schönster Kamerad-schaftvollendet.

Nicht allzu lange nach Mitternacht desselben Tages verabschieden wir uns in Burgdorf mit festem Händedruck.

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