Beiträge zur Mechanik und Physiologie des Bergsteigens
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Beiträge zur Mechanik und Physiologie des Bergsteigens

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von A. Trautweiler ( Section Gotthard ).

Beiträge zur Mechanik und Physiologie des Bergsteigens Jeder Rechtschaffene anerkennt heutzutage in der Arbeit eine Menschenpflicht. Dabei ist jedoch das Bestreben allgemein, sich die Last der Arbeit möglichst leicht zu machen, d.h. möglichst wenig Arbeit im mechanischen Sinne zu leisten und in der Auswahl derselben der persönlichen Liebhaberei folgen zu können. Da, wo das eine oder andere nicht möglich ist, wird die Arbeit recht sauer, und es muß dem so Betroffenen schwer fallen, in ihr Loblied einzustimmen Eine leichte, aber interesselose Arbeit ist fast stets peinlicher, als eine anstrengende Thätigkeit, der man aus irgend einem Grunde ein besonderes Interesse entgegenbringt.

Vielleicht keine schwere körperliche Arbeit wird mit so viel Lust und Liebe, mit so heiterem Sinne gethan, wie das Bergsteigen, selbst da, wo es den Aufwand aller unserer Kräfte erfordert. Der Clubist, der stundenlange Kletterpartien und endlose Schnee- felder zu überwinden hat, scheint die außerordentliche Anstrengung solcher Arbeit kaum zu verspüren. Seine Sinne sind gebannt von den Wundern der Natur, die sich in jenen Regionen bei jedem Schritte aufthun, und die Großartigkeit der Eindrücke läßt alle Mühseligkeit vergessen. Gleichwohl war man von jeher überall bestrebt, sich den Genuß der Gebirgswelt möglichst wenig durch die ihn begleitenden Mühen verkümmern zu lassen. Der raffinirte Tourist sucht durch zahlreiche Maßregeln, welche die Erfahrung lehrt, die Anstrengung zu mildern, und dem geübten Bergsteiger gelingt dies auch in erheblichem Grade. Auch weist die clubistische Literatur verdienstvolle Abhandlungen auf über die Kunst des rationellen Bergsteigens.

Dieses Gebiet ist jedoch noch lange nicht genügend untersucht und bearbeitet. Die abnormalen Zustände, welche unser Organismus bei der wechselvollen Bewegung in den verschiedenen Regionen des Hochgebirges durchmacht, sind sowohl in Bezug auf die Mechanik jener Bewegung, als auf die damit zusammenhängenden physiologischen Verhältnisse nur oberflächlich bekannt.

Mit den folgenden Untersuchungen und Erörterungen hoffen wir Einiges zur Aufklärung über diese bedeutungsvollen Fragen beizutragen.

Die Mechanik des Gehens.

Einläßlicheres über diesen Gegenstand findet sich in anatomischen und physiologischen Werken, und wir beschränken uns hier auf das zum Verständniß der nachfolgenden Untersuchungen absolut Nothwendige.

Wenn man das Gehen auf ebenem Boden mechanisch analysirt, so ergeben sich verschiedene Momente, die bei oberflächlicher Beobachtung unbeachtet bleiben. Von denselben ist namentlich die Senkung bemerkenswerte, die der Körper, resp. dessen Schwerpunkt, bei jedem Schritte macht. Dieselbe beträgt 3 bis 5 cm, und um das gleiche Maß muß natürlich die Körperlast bei jedem Schritte wieder gehoben werden. Es ist demnach zum Gehen nicht nur die der Ueberwindung der Reibung entsprechende Kraft ( wie bei einem Rade ) nothwendig, sondern es wird auch schon auf horizontalem Boden eine ähnliche Arbeit wie beim Steigen geleistet.

Herr Dr. Buchner ( „ Das Bergsteigen als physiologische Leistung betrachtet”, Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, Bd. VII, 1876 ) vergleicht die menschlichen Gehwerkzeuge treffend mit den Speichen eines Rades ohne Felgen, bei dessen Vorwärtsrollen ein fortwährendes Heben und Senken der Axe stattfinden muß. Die jeweilige Hebung der Körperlast um die 3 bis 5 cm wird jedoch, statt durch eine äußere Kraft, dadurch bewirkt, daß jeweilen das vorgesetzte etwas gebogene Bein, nachdem der Körperschwerpunkt über dasselbe vorgeschoben ist, sich gerade streckt ( Kniehebelwirkung ).

Außer der Kraft, welche nöthig ist, um diese Hebung zu bewirken, und der für die Ueberwindung der Reibung am Boden nothwendigen, bedarf es auch noch eines gewissen Kraftaufwandes, um den Körper, der bei der hohen Lage seines Schwerpunktes und der geringen Basis etwas unstabil ist!, im Gleichgewicht zu halten.

Im Fernern ist hervorzuheben, daß die Beine, indem sie vorwärts schwingen, die natürliche Tendenz haben, diese Bewegung nach Art eines Pendeln auszuführen. Da aber ein Pendel von gegebener Beschaffenheit in der Secunde eine ganz bestimmte Anzahl Schwingungen ausführt, so müssen auch die Beine die Tendenz aufweisen, zu einer Schwingung eine bestimmte Zeit zu brauchen. Dabei wirkt allerdings der Impuls der Muskeln stets verkleinernd auf den fraglichen Zeitaufwand. Es resultirt daraus für jede Person eine gewisse Schwingungszeit der Beine, welche natürlich für das Tempo des Gehens von wesentlicher Bedeutung ist. Längeren Beinen, schwererer Beschuhung, entspricht ein langsameres, kurzen Beinen, leichter Beschuhung ein rascheres Tempo. Es ist oft sehr unbequem, diesem Gesetze zuwider sich einen Zwang anzuthun und beim Marschiren das Tempo Anderer mitzumachen. Wenn ungeschickte Rekruten den Schritt nicht halten können, so ist das Pendel-gesetz schuld daran.

Ein frei und zwanglos schwingendes Bein eines Erwachsenen macht pro Minute 40 bis 55 Doppel-schwingungen, es würde demnach eine einfache Schwingung 0,75 bis 0,55 Secunden erfordern. Der beschleunigende Impuls der Muskeln verkürzt diese Zeit um den dritten oder vierten Theil. Herr Dr. Buchner hat für mittlere Schritte von der Dauer einer Secunde auf horizontaler Bahn die Schwingungszeit 22 eines Beines zu 0,416 Secunden, die Ruhezeit zu 0,584 Secunden ermittelt. Für diesen Fall würde folgendes Schema ein Bild der Bewegung geben.

Linie :. Sein Rechtes Beiyi a 5c3iwij-iguyi£szei t. b RvJiezeit. c Ru)ie beiôleJ'Bei.yie.

Das Gehen auf geneigter Bahn.

Beim Aufwärts- oder Abwärtsgehen ändern sich die beschriebenen Verhältnisse je nach der Neigung des Weges. Abwärts gehen wir bis zu einer gewissen Steilheit des Weges leichter und bequemer. Die abwärts treibende Kraft unseres Körpergewiehtes ersetzt dabei die eigene zur Fortbewegung nöthige Kraft. Der günstigste Fall ist jener, wo sie gerade dazu ausreicht, so daß keine Tendenz zur Beschleunigung der Bewegung eintritt, die wir durch „ Bremsen " verhindern müssen. Diese günstigste Neigung dürfte nicht über 3 bis 4 °/o betragen, während auf steilerem Weg jenes schwere Auftreten beginnt, welches die Kniemuskeln anstrengt, und überdies den ganzen Körper in fortwährende abnormale Erschütterungen versetzt, die in ähnlicher Weise ungünstig wirken wie eine lange Eisenbahnfahrt.

Beim Aufwärtsgehen werden die Verhältnisse noch weit ungünstiger. Es gilt, die ganze Körperlast um bdeutende Höhen zu heben. Auch wird der K raft-aufwand, den das Balanciren des Körpers erfordert, bei der geringem Geschwindigkeit und dem unregelmäßigen Auftreten bedeutender, sofern nicht ein Bergstock zur Anwendung kommt. Je steiler der Weg ist, desto spitzer wird der Winkel, den das Knie des vorgesetzten Fußes bildet. Durch Geradstrecken dieses Knies muß nun jeweilen, nachdem der Schwerpunkt des Körpers vorgeschoben ist, dessen Hebung bewirkt werden. Wir wissen aber, daß beim Kniehebel eine um so größere Kraft erforderlich ist, je spitzer der Winkel ist, den die beiden Schenkel mit einander bilden. Diese größere Anspannung der Muskeln muß sich offenbar durch bedeutend raschere Ermüdung fühlbar machen. Namentlich aus diesem Grunde ist der Gebrauch des Bergstockes von so großem Vortheil beim Steigen. Es wird dadurch den Kniemuskeln ein Theil ihrer Arbeit durch den einen Arm ( den bergwärts befindlichen ) abgenommen und außerdem das Balanciren des Körpers erleichtert.

So lange die Steigung so mäßig ist, daß das vorgesetzte Bein jeweils einen stumpfen Winkel macht, kann die Hebung des Körpers durch Geradstrecken des Knies allein kewirkt werden. Bei einem spitzen Kniewinkel ( zu welchem man veranlaßt ist, wenn der Weg über 80 °/o Neigung hat ) reicht jedoch die Kraft der Kniemuskeln kaum mehr aus. Man unterstützt dann die Hebung dadurch, daß man das zurückstehende Bein etwas einbiegt und damit den Körper aufschnellt, ein Vorgang, durch den die Gesammthöhe, um welche der Körper gehoben werden muß, erheblich vergrößert wird.

Je steiler der Weg ist, desto unabhängiger wird die Bewegung der Beine vom Pendelgesetze. Man ist veranlaßt, dieselbe weniger unwillkürlich auszuführen, die Schwingungszeit wird im Allgemeinen kleiner, die Ruhezeit größer.

Der Kraftaufwand beim Bergsteigen.

Die horizontale Ortsbewegung erfordert, wie wir oben gesehen haben, eine gewisse Kraft zur Ueberwindung der Reibung, zum Balanciren und zur Ausgleichung der beim Gehen unvermeidlichen Körper-senkungen. Die damit verbundene mechanische Arbeitsleistung ist jedoch im Verhältniß zu derjenigen beim Steigen unbedeutend. Während wir auf horizontaler Bahn fast mühelos vorwärts schreiten, erfordert eine Steigung, die für das Auge noch kaum wahrnehmbar ist, schon einen sehr fühlbaren Kraftaufwand. Es ist dies auch erklärlich, wenn man bedenkt, daß es sich dabei darum handelt, das Gewicht des Körpers, einer Masse von durchschnittlich 75 ks, zu heben. Diese Masse in der Secunde einen Meter hoch gehoben, würde einer Pferdekraft entsprechen. Rechnet man für den Menschen den achten Theil einer Pferdekraft, so wäre er im Stande, auf die Dauer seinen Körper pro Secunde 0,125 Meter hoch zu heben.

Aus der Kraft, welche nothwendig, ist um den Körper zu heben, und aus derjenigen, welche das horizontale Gehen erfordert und die als eine Constante betrachtet werden kann, setzt sich nun die Leistung bei Ersteigung einer Höhe zusammen. Die letztere Kraft verliert um so mehr an Bedeutung, je steiler der Weg ist, so daß man vielleicht schon von 15 °/o Steigung an den Arbeitsaufwand als Function der Höhe allein betrachten kann.

Man ist auch in der That gewohnt, bei Bergtouren so zu rechnen. Wenn ein geübter Bergsteiger in der Stunde 360 Meter Höhe überwindet, so hebt er seinen Körper in der Secunde um einen Decimeter, eine Größe, die auf den ersten Blick auffallend gering erscheint, obschon sie eine ganz tüchtige Leistung darstellt. Nimmt man beispielsweise die Steilheit des Weges zu 30 °/o an, so würden dabei in der Stunde 1200 Meter Horizontaldistanz zurückgelegt, also bloß der vierte Theil wie auf horizontalem Wege. 1200 Meter weit zu gehen, erfordert keinen nennenswerthen Kraftaufwand, jedenfalls ist derselbe verschwindend gegenüber dem beim Ersteigen der 360 Meter Höhe geleisteten. Es folgt daraus, daß es für ähnliche Fälle genügt, mit der Höhe allein zu rechnen.

Bei einer Bergtour, die den ganzen Tag ausfüllte, würden, obigem Falle entsprechend, bloß etwa 12 km Horizontaldistanz zurückgelegt.

Die Ueberwindung scheinbar unbedeutender Steigungen gibt dem Menschen schon zu kämpfen, und die thierische Muskelkraft wird dabei bald unzureichend. Es läßt sich dies aus folgender ( p. 342 ) Darstellung verschiedener Wegneigungen genugsam erkennen.

Der Umstand, daß geringe Steigungen schon einen großen Kraftaufwand erfordern, dürfte die Hauptursache sein, warum wir so sehr geneigt sind, die Steilheit der Gebirgsabhänge in Darstellung durch Bild und Wort zu übertreiben. In älteren Bildern findet man in der Regel die Berge steil wie Zucker- was alle Kräfte des geübten Bergsteigers zu seiner Ueberwindung erfordert? Wahrlich, unser Organismus ist recht armselig und ohnmächtig solchen „ Uneben- heiten " gegenüber!

Die mechanische Aufgabe besteht bei jeder Ersteigung in der Hebung des Körpergewichtes auf eine gewisse Höhe. Mechanisch bleibt diese Leistung dieselbe, man mag sie so oder so bewerkstelligen. Es gilt aber, beim Steigen möglichst wenig Arbeit auf die Hebung zu verwenden, resp. mit möglichst großem Nutzeffect zu arbeiten, und diese Aufgabe umfaßt die interessanteste und practisch bedeutungsvollste Seite unseres Gegenstandes.

Die Mittel, welche dazu dienen, den Nutzeffect der auf das Steigen verwendeten Kräfte zu erhöhen, sind sehr manigfacher Art. Der Tourist kann in der Auswahl der Kleidung und Ausrüstung, in derjenigen von Speise und Getränk, sodann in der Wahl des Weges, in der Art und dem Tempo des Gehens, im Gebrauch des Stockes, in der Kunst des Kletterns, beim Passiren von Schnee- und Eisfeldern u. s. f., sehr verschiedene Kenntniß und Geschicklichkeit an den Tag legen.

Aus der Erfahrung und durch die Beobachtung an Gebirgsbewohnern hat man zahlreiche Regeln über alle diese Dinge gewonnen, die von hohem Werthe sind. Unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete können aber auf Grund physiologischer Untersuchungen noch wesentlich bereichert werden.

Physiologische Wirkungen des Bergsteigens.

Das Bergsteigen, als eine körperliche Arbeit von ganz besonderer Natur, hat auch seine eigenthümlichen physiologischen Wirkungen, die von denjenigen gewöhnlicher Körperthätigkeit erheblich abweichen. In den meisten Fällen repräsentirt es eine abnormale Anstrengung, eine ungewöhnliche Arbeitsleistung, an der direct fast nur die Gehwerkzeuge betheiligt sind. Um dem außerordentlichen Kraftbedarf zu genügen, müssen Herz und Lunge in gesteigerter Thätigkeit verharren, wir athmen tiefer, die Blutcirculation wird viel lebhafter.

Herr Dr. Buchner gibt im oben erwähnten Aufsatze besonders interessante Darstellungen über die Eigenthümlichkeiten des Stoffwechsels beim Bergsteigen. Die Kohlensäureausathmung nimmt außerordentlich zu, d.h. in den Lungen findet eine besonders lebhafte Verbrennung von Kohlenstoff statt. Der Körper bedarf, wie eine Maschine, Heizmaterial und setzt die dadurch erzeugte Wärme in Arbeit um. Das Heizmaterial, der Kohlenstoff, wird dem Blute und dem Fettvorrathe des Körpers entnommen. Es ist aber rationell, durch kohlenstoffreiche, fette Nahrung dafür zu sorgen, daß fortwährend Vorrath an Brennstoff vorhanden sei.

Die Temperaturverhältnisse des Körpers während des Bergsteigens sind schon mehrfach beobachtet worden. Einige wollten durchaus keine Temperaturänderung wahrgenommen, andere merkwürdigerweise eine Wärmeabnahme beobachtet haben. Herr Prof. Dr. Forel hat darauf zahlreiche, sehr sorgfältige Ver- suche gemacht und kommt dazu, eine kleine*Erhöhung der Körpertemperatur nach anstrengendem Steigen zu constatiren. Es entspricht dies auch der naturgemäßen Wahrscheinlichkeit.

Aus den widerstreitenden Beobachtungsresultaten geht auch hervor, wie vorsichtig solche Untersuchungen zu behandeln sind, besonders wo es sich nur um ganz geringe Differenzen der Beobachtungsgrößen handelt. Nicht alle KÖrpertheile haben die gleiche Temperatur, es ist aber auch nicht gesagt, daß sie in demselben gegenseitigen Temperatuvverhältniß verharren. Immerhin ist es aber gewiß, daß, wenn irgend ein Körper-theil bei unveränderter äußerer Lufttemperatur eine Wärmesteigerung aufweist, diese nur aus dem Körper selbst stammen kann, daß also die Tendenz zu einer Temperaturzunahme überhaupt vorhanden ist, während eine Temperaturabnahme durch äusserliche Ursachen veranlaßt werden könnte.

Der Beobachtung leichter zugänglich sind die Verhältnisse der Blutcirculation, sofern man die Raschheit der Pulsschläge als Maß für deren Intensität annimmt. Es bietet sich hier in dem großen Wechsel, dem die Pulsfrequenz unterworfen ist, ein weites Beobachtungsfeld. Während die normale Zahl der Herzschläge circa 72 per Minute ausmacht, wächst sie beim anstrengenden Steigen bisweilen erheblich über das Doppelte. Wir haben bis 170 Schläge per Minute beobachtet und glauben damit noch nicht die Grenze des Erträglichen, vielleicht aber die des Zu-träglichen, erreicht zu haben.

Es ist bekannt, daß jeder Aufwand an Körper- kraft sofort eine Beschleunigung der Herzschläge zur Folge hat. Der mit dem Kraftaufwand gesteigerte Stoffverbrauch muß durch vermehrte Blutzufuhr wieder ausgeglichen werden. Dabei dürfen wir voraussetzen, daß innert gewisser Grenzen unser Organismus durch Anpassung befähigt sei, gerade nach Bedürfniß zu reagiren, d.h. die Blutzufuhr genau nach dem jeweiligen Stoffverbrauch einzurichten. Man könnte demnach in Ermangelung eines andern Maßstabes den Kraftaufwand nach der Zahl der Pulsschläge beurtheilen.

Wir haben, von dieser Voraussetzung ausgehend, auch eine Anzahl Versuche gemacht, deren Resultate weiter unten mitgetheilt sind. Es sei jedoch damit nicht gesagt, daß wir die Pulsfrequenz für das absolut zutreffende Maß des Kraftaufwandes erklären wollen. Wenn wir uns während einiger Zeit in ganz außerordentlichem Grade anstrengen, so scheint schließlich keine entsprechende Steigerung der Herzbewegung mehr möglich zu sein; es tritt dann bald eine der Lähmung ähnliche Infirmität der Muskeln ein, die erst nach einiger Zeit der Ruhe wieder verschwindet.

Wir machten einmal den Versuch, eine 100 Meter hohe Anhöhe auf circa 500 Meter langem Wege in 5 Minuten zu ersteigen, und kamen dabei zur Ueberzeugung, daß eine solche Leistung jedenfalls an der Grenze des Möglichen liegt. Die 5 Minuten wurden nicht ganz gebraucht, aber gegen den Schluß des Laufes begannen die Kräfte rasch zu versagen, und es wäre kaum noch eine Bewegung über das Ziel hinaus möglich gewesen.

Nach dem Niedersetzen beim Ziele trat eine vorübergehende vollständige Lähmung der Beine ein, so daß ein Versuch zum Aufstehen nach 10 Minuten ganz erfolglos beim Willen blieb. Nach etwa 20 Minuten war die Bewegung wieder möglich, erst schmerzhaft und mühsam, bald aber leichter, und nach einer halben Stunde war das ganze körperliche Befinden wieder wie vor dem Laufe. Dennoch machten wir das stille Gelöbniß, nie mehr ein solches Experiment auszuführen. Bei ähnlichen Ueberanstrengungen hört offenbar der Puls auf, ein Maßstab des Kraftaufwandes zu sein.

Die Beobachtung lehrt jedoch, daß sonst die Reaction auf Muskelkraftleistungen durch schnelleren Puls eine sehr empfindliche ist. Nach einiger Zeit der Ruhe genügt eine einzige rasche und kräftige Bewegung, um den Puls fast plötzlich von 70 auf 90 bis 100 Schläge pro Minute zu bringen. Wenn wir aber auch sofort wieder ruhen, so sinkt der Puls doch nur langsam auf das normale Tempo zurück. Der Verlauf der Pulsenergie ließe sich bei einem solchen Acte graphisch ungefähr durch folgende Curve darstellen.

à besc-MeuïùjüeyPuls .e vevzögsrt ej- Pitts.

Solche ruckweise Kraftäußerungen kommen beim Bergsteigen häufig vor, namentlich beim Klettern; sodann beim Sprunge über Spalten und beim Abwärtä-springen über senkrechte Absätze. In letzterem Falle ist ein besonders energischer passiver Widerstand der Kniemuskeln erforderlich, um die der Fallhöhe entsprechende lebendige Kraft zu paralysiren. Bezügliche Versuche zeigten, daß mit der Sprunghöhe auch die jeweilige Beschleunigung des Pulses zunimmt. Sprünge über eine Mauer von 2,5 Meter Höhe bewirkten plötzlich eine solche von 80 auf 110 Schläge pro Minute.

Wenn man anhaltend gleichmäßig die Kräfte gebraucht, wie beim Steigen in gleichem Tempo, se behält auch der Puls ein rascheres Tempo, wie es eben der betreffenden Kraftleistung entspricht, gleichmäßig bei. Beim gemüthlichen Spazierengehen ist die Steigerung der Pulsenergie nur unbedeutend, beim Marschiren, d.h. beim etwas forcirten Gehen, haben wir schon 90 bis 110, beim Bergsteigen bis 160 Schläge pro Minute.

Wenn wir nach längerer Anstrengung plötzlich ruhen, so sinkt der Puls viel langsamer ( erst nach 10 bis 15 Minuten ) auf das normale Tempo zurück, als nach kurzen, ruckweisen Kraftäußerungen. Dieser Umstand erlaubt es, den einer bestimmten Anstrengung entsprechenden Pulsschlag unmittelbar nach der Kraftäußerung zu zählen, statt während derselben, was meist sehr schwierig wäre.

Ueber die Pulsschnelligkeit beim Bergsteigen haben wir nun unter verschiedenen Umständen eine größere Anzahl von Versuchen angestellt, und zwar in folgender Weise: Es wurden Wegstrecken von 50 m bis 1 kn Länge und resp. 0 bis 120 °/o Neigung mehrere Mal in verschiedenen Tempi begangen, sowohl auf- als abwärts, meist ohne Stock, zum Theil aber auch unter Verwendung eines Bergstockes, sowie mit Tragen einer Last. Dabei wurden der Pulsschlag, die verwendete Zeit und die Anzahl der Schritte pro Minute beobachtet. Um die Resultate unter sich zu vergleichen, haben wir sie sodann für eine gleiche Höhe von 100 Meter reducirt und graphisch aufgetragen. Da die detaillirte Mittheilung der Beobachtungsergebnisse zu weit führen würde, geben wir hier einfach die graphische Darstellung wieder.

B C Erforderliche Zeit um bei -ja.bei so Puùschlà'tJi ji*. Minube vcysthwdtriEJi'WegMei.guJi'en j-B » 120»1 100 Keter aufïUStei'tJi JC.. 150.

AC'^elteKtei treppt jnrt'\.geyn W({e.

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360A. Trautweüer.

Die Curven in unserer Figur stellen die Zeit dar, welche nöthig war, um bei gleicher Anstrengung auf verschieden geneigtem Wege 100 Meter auf- resp. abzusteigen. Als Längen ( Abscissen ) figuriren die Neigungswinkel von 0 bis 90°, denen die entsprechenden Gefällsprocente beigesetzt sind, als Höhen ( Ordinaten ) die bezüglichen Zeiten nach Minuten. Die verschiedenen Curven entsprechen der jeweiligen Anstrengung bei 90, 120 und 150 Pulsschlägen pro Minute. Die dicken Linien beziehen sich auf den Aufstieg; die dünne Linie betrifft den Abstieg.

Aus dem Verlaufe dieser Curven ergibt sich nun Folgendes:

Bei 0 ° Neigung ist für den Aufstieg die Zeit unendlich, d.h. auf horizontaler Bahn braucht es im mathematischen Sinne eine unendlich große Zeit, um 100 Meter hoch zu steigen. Je steiler aber nun der Weg wird, desto weniger Zeit ist erforderlich, um jenes Ziel zu erreichen, dies jedoch nur bis zu einem bestimmten Grade. Sofern nämlich keine Stufen bei größerer Steilheit das Steigen erleichtern und wir auf einer gewöhnlichen Erd- oder Rasenböschung zu gehen haben, scheinen Neigungen von 15 bis 25° am günstigsten zu sein. Bei stärkeren Neigungen fangen das unbequemer werdende Aufsetzen des Fußes und die Tendenz zum Rückwärtsgleiten ungünstig zu wirken an, so daß der Zeitaufwand wieder zunimmt Bei circa 50 ° wird endlich das Steigen ohne Zuhülfenahme der Hände in den meisten Fällen unmöglich. Schon bei 35 ° ist übrigens das Aufsetzen des Fußes sehr mühsam: Man ist genöthigt, die Fußspitzen stark nach auswärts zu kehren, weil die Sohle mit dem Schienbein keinen spitzeren Winkel als 65 bis 60° bilden kann.

Sind jedoch Stufen vorhanden, die ein horizontales Aufsetzen des Fußes gestatten und Sicherheit gegen Zurückgleiten gewähren, so werden die Verhältnisse mit zunehmender Neigung noch etwas günstiger ( punktirte Linien ). Erst wenn sich die Neigung einer Verticalen nähert, wird der Zeitaufwand durch verschiedene störende Unbequemlichkeiten beim Gehen wieder größer.

Uebrigens ergab von 45 ° an, namentlich aber beim Steigen auf einer senkrechten Leiter, die Beobachtung sehr schwankende Resultate. Die punktirten Linien unserer graphischen Aufzeichnung geben das ungefähre Mittel aus denselben, wie es für die Beurtheilung der Sache genügen dürfte.

Das graphische Tableau zeigt, daß durchschnittlich bei 90 Pulsschlägen die doppelte Zeit wie bei 120 Pulsschlägen erforderlich ist, um dieselbe Höhe zu ersteigen. Durch die arithmetisch gleiche Steigerung von 120 auf 150 Pulsschläge wird die Zeit abermals nahezu um die Hälfte abgekürzt. Der Effect jener Steigerung wird aber stets geringer, je weiter man sie treibt, und bei 170 Schlägen pro Minute, mit welchen man auf dem günstigsten Gefälle die 100 Meter in 31k bis 4 Minuten ersteigen dürfte, ist man an der Grenze der Leistungsfähigkeit unseres Organismus angelangt.

Wenn es sich nun, wie beim practischen Bergsteigen, um Dauerleistungen handelt, so haben diese Zahlen natürlich keine absolute Gültigkeit, denn schon die zweiten 100 Meter werden mehr Zeit erfordern als die ersten, und im Durchschnitt mögen für Ersteigung von 100 Meter 16 bis 18 Minuten gebraucht werden.

Es sollte im Obigen überhaupt nur der relative Einfluß der verschiedenen Wegneigungen ermittelt werden.

Bei den bereits besprochenen Versuchen wurde kein Bergstock gebraucht; der Vortheil, den ein solcher gewährt, ließ sich nun aber in den bezüglichen Versuchs-resultaten deutlich, wenn auch wider Erwarten schwach, bemerken. Im Durchschnitt wurde bei gleicher Anstrengung die zu 100 Meter Aufstieg erforderliche Zeit durch den Gebrauch des Bergstockes um x/s verkürzt, was immerhin einen nicht unwesentlichen Gewinn repräsentirt. Bei länger andauerndem Steigen wird wahrscheinlich der Vortheil noch bedeutender.

Deutlicher als der Nutzen des Bergstockes trat der Nachtheil des Tragens einer Last zu Tage. Unter Voraussetzung gleicher Anstrengung ( bei gleicher Pulsgeschwindigkeit ) erforderte der Aufstieg von 100 Meter beim Tragen von 23 kg ungefähr das 1,7 fache des Zeitaufwandes wie beim freien Gehen. Wenn es erlaubt ist, Last und Zeit proportional zu ändern, so würde dem entsprechend der Aufstieg auf 1000 Meter Höhe mit 50 kg Belastung gleichzusetzen sein einer freien Ersteigung von 3700 Meter.

Das Absteigen macht sich in der Herzthätigkeit weit weniger fühlbar als das Aufsteigen, da wir dabei gewissermaßen nur Bremsarbeit zu verrichten haben.

Und nicht einmal die ganze, der Senkung des Körpergewichtes entsprechende lebendige Kraft wird bei jedem Schritte bloß durch Muskelarbeit paralysirt, sondern es wird ein Theil auch durch den Stoss der Füße auf den Erdboden ausgeglichen.

Aus unserem graphischen Tableau ist ersichtlich, daß wir bei 120 Pulsschlägen per Minute und 20° Wegneigung für den Abstieg bloß den fünften Theil der Zeit brauchen wie für den Aufstieg, und bei 35° reicht für den Abstieg von 100 Meter gar eine Minute aus, während der Aufstieg die zehnfache Zeit erfordert.

Es ließe sich jedoch keineswegs sagen, daß auch für die ganze körperliche Anstrengung dasselbe Verhältniß gelte, denn beim Abstieg wird die Ermüdung noch durch andere Momente als die Muskelarbeit bedingt, wie wir oben schon angedeutet haben.

Unsere Beobachtungen gestatten auch einige Schlüsse in Bezug auf die Geschwindigkeit des Steigens. Indem wir jeweils den gleichen Weg mit verschiedenen Geschwindigkeiten zurücklegten, ergab sich, daß die Gesammtzahl der Pulsschläge bei einem Aufstieg von 100 Meter variirt von unendlich bis 650. Dabei wurden pro Minute 90 ( auf flacher Bahn ) bis nur 40 Schritte ( auf steiler Bahn ) gemacht. Bei Neigungen von 20 bis 40° und mittlerer Geschwindigkeit ist die Gesammtzahl der Pulsschläge für 100 Meter Höhe circa 1200. Bemerkenswerth ist nun, daß trotz der Steigerung der Pulsgeschwindigkeit bei rascherem Gehen jene Summe der Pulsschläge geringer wird, weil der Zeitaufwand sich mehr als entsprechend verringert. Brauchen wir also beispielsweise bei 20° 23 Neigung 21 Minuten, um 100 Meter zu steigen, so haben wir dabei im Ganzen 1900 Pulsschläge; ersteigen wir aber die Höhe in nur 5 Minuten, so haben wir 750 Pulsschläge. Der gleichen Leistung entspricht im letzteren Falle eine geringere Stoffzufuhr in die Gliedmaßen, wenn nicht durch die Erweiterung der Blutgefässe, größere Energie der Assimilation etc., der Nachtheil paralysirt wird. Immerhin scheint, da dieses letztere doch nur in einem beschränkten Grade der Fall sein kann, das schnellere Gehen bei der gleichen äußeren Leistung eine größere Erschöpfung bewirken zu müssen, als das langsamere. Der Stoff- und Kraft-vorrath der Gehwerkzeuge wird infolge geringerer Gesammtzufuhr mehr ausgebeutet.

Die practische Bedeutung der vorstehenden Beobachtungsresultate kann nun beim Bergsteigen in verschiedener Weise zur Geltung kommen.

Wenn z.B. eine Reisegesellschaft sich vor der Aufgabe sieht, einen bestimmten Höhepunkt zu ersteigen, und die Möglichkeit vorhanden ist, dies auf verschiedenen Wegen zu thun, so machen sich in der Regel auch verschiedene Ansichten darüber geltend, welcher von diesen Wegen der bequemere sei, welcher den geringsten Kraftaufwand ( technisch richtiger: Arbeitsaufwand ) erfordere. Der Eine zieht den directen, kürzesten und steilsten Weg vor, der Andere will die Steigung durch Verlängern des Weges mäßigen, indem er im Zickzack geht, und ein Dritter möchte gar einen weiten Umweg machen, um auf ganz flachem Pfade, wenn auch mit größerem Zeitaufwand, an das Ziel zu gelangen.

Unter denjenigen, welche denselben Weg wählen, dürfte wieder Uneinigkeit herrschen über die Geschwindigkeit des Steigens.

Diese verschiedenen Ansichten haben oft ihren Hauptgrund in der verschiedenen Natur der Betheiligten und ihrer momentanen Disposition. Nicht selten jedoch dreht sich der Streit auch um die absolute Berechtigung der einen oder anderen Ansicht, und es ist gewiß, daß auch für den Einzelnen die Frage existirt, welchen von sehr vielen Wegen mit verschiedener Neigung, und welche Geschwindigkeit zur Ersteigung einer gewissen Höhe, mit Rücksicht auf möglichst geringe Ermüdung, zu wählen sei.

Mit unsern Untersuchungen hoffen wir die Beantwortung dieser Frage nahe gelegt zu haben, und es dürften damit auch einige neue Anhaltspunkte gegeben sein für die rationelle Anlage von Wegen im Gebirge.

Abgesehen aber hievon muß es besonders für den Touristen erwünscht sein, die physiologische Thätigkeit unseres Organismus während der abnormen Arbeit des Bergsteigens näher kennen zu lernen.

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