Berge der kanadischen Arktisinsel Axel Heiberg
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Berge der kanadischen Arktisinsel Axel Heiberg

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Jürg Alean, Bülach ( ZH )

Karte 1 Lage der Insel Axel Heiberg. Das Expeditionsgebiet liegt bei 79.5° nördlicher Breite.

80° N 70° N 60° N 50° N 100° W 80° W 500 1000 1500 km Mit mächtigem Gedröhn seiner turbinenge-triebenen Propeller rast das Twin-Otter-Flug-zeug über den zugefrorenen Colour Lake, erhebt sich schon nach ein paar Dutzend Metern in die Luft und entschwindet südwärts. Zurück bleiben ein Berg von Ausrüstungsgegenständen und vier Personen - die einzigen auf der kanadischen Arktisinsel Axel Heiberg ( Karte 1 ). Ein Gebiet so gross wie die Schweiz, eine Landschaft etwa wie die der Schweiz in der Würmeiszeit - und wir die Eiszeitmenschen. Die ersten Eindrücke sind die stärksten, allerdings nicht die erwarteten. Stille und Licht: Anfangs Mai, bei Temperaturen zwischen minus 10 und minus 20°C und ohne Wind gibt die Insel buchstäblich keinen Laut von sich. Auf dem Hügel hinter der Station, dem Gypsum Hill, lasse ich das Panorama und die unbeschreibliche Atmosphäre auf mich einwirken: Man bleibt stehen und hört absolut nichts - keine Tiere geben Laut ( vorerst noch -Spuren sind im Schnee zu sehen ), kein Wasser murmelt ( Ende Monat wird es erstmals tauen ), selbst die aufgekommene, ganz leichte Brise findet keinen Strauch, den sie zum rauschen bringen könnte. Während es den kalt gewordenen Ohren an Sinnesreizen mangelt, sind die Augen überfordert: Trotz Sonnenbrille flutet strahlendes Weiss-Blau einer grossartigen Landschaft unter wolkenlosem Himmel auf sie ein. Ohne je unterzugehen, immer im Kreis herum, wandert schon im Frühjahr die Sonne. Auf fast 80° nördlicher Breite sind wir noch rund 1200 Kilometer vom Nordpol entfernt. Bei wochenlang klarem Wetter trage ich bei jedem Schritt ausserhalb der Station die Gletscherbrille.

60° W 10km Geologisches Bilderbuch Gletscher und Klima sind Gründe unseres Hierseins. Seit 1959 führten Kanadier und Schweizer im westlichen Zentralbereich der Insel, dem sogenannten Expeditionsgebiet, praktisch alljährlich glaziologische und klimatologische Studien durch. Daneben wurde das Expeditionsgebiet auch bezüglich Tier- und Pflanzenwelt, Geologie und Morphologie untersucht. Ein wahrhaftes Geologenparadies ist denn auch Insel. Zwar liegt ein Drittel von Axel Heiberg unter Eiskappen und kleineren Gletschern. Die anderen zwei aber präsentieren ihre Gesteinsformationen in ungewohnt klarer Weise: Das polare Klima mit Wintertemperaturen von bis unter minus 50°C und nur rund drei Monaten mit positiven Temperaturen lassen zwar Blumen und die arktische Zwergweide ( Abb. 11 und 12 ), aber keine Büsche und Bäume gedeihen. Frei von decken-der Vegetation breiten sich rote und braune, gelbe und schwarze Gesteinsschichten wie in Karte 2 Kartenskizze des westlichen Zentralteils der Axel-Heiberg-Insel. Die meisten Tätigkeiten im Rahmen der Expedition fanden in der Region Crusoe, White und Thompson Glacier statt.

einem geologischen Bilderbuch vor unseren Augen aus.

Der Nordosten des nordamerikanischen Kontinents besteht zum Grossteil aus einer uralten Landmasse, dem kanadischen Schild. Präkambrische Gebirge wurden durch Erosion längst eingeebnet. Im arktischen Kanada entstanden innerhalb der Schildregion lediglich auf der Labrador-Halbinsel und auf der Baffin-Insel durch tektonische Bewegungen nennenswerte Erhebungen. Ganz anders ist die geologische Situation auf den Inseln am Rande des nördlichen Eismeeres. Von der Banks Insel über Ellef Ringnes, Axel Heiberg und den Nordwesten der Ellesmere-Insel zieht sich eine geologische Beckenzone, das Sver-drup-Becken. In diesem wurden ähnlich wie im Bereich Alpen/Jura seit dem Zeitalter des Perm, dann im Mesozoikum und noch im Ter- tiär Meeres- und Landsedimente abgelagert. Eine spätmesozoische und tertiäre Gebirgsbildungsphase führte zu grossräumigen Faltungen, besonders auf Axel Heiberg und Ellesmere. Die höchsten Gipfel erreichen in der United States Range auf Ellesmere 2600 Meter und auf Axel Heiberg 2200 Meter. Langgezogene Faltenzüge erstrecken sich auf Axel Heiberg in Nord-Süd-Richtung. Die starke Vergletscherung verleiht dieser Gebirgswelt ein eindrückliches Gepräge - trotz relativ bescheidener Gipfelhöhen ( Abb. 1 ).

Wolf Mountain Gipfel zu bezwingen ist kaum meine eigentliche Aufgabe auf Axel Heiberg. Aber Vermessungsarbeiten führen meinen Begleiter und mich auf einige der schönsten Berge des Expeditionsgebietes, wenn auch beladen mit Theodolit und Stativ. Regelmässige Arbeiten auf dem Baby Glacier, einem wirklich ganz kleinen Gletscher nordwestlich des Basislagers, erfordern alle zwei Wochen den Anstieg über die Südflanke des Wolf Mountain ( 1190,1 m, vgl. Karte 2 und Abb. 3 ). Wenn die Ausdauer dazu reicht, ergibt sich natürlich nach den Arbeiten auf dem Gletscher ein Abstecher auf den Gipfel oder den des benachbarten, noch etwas höheren Black Crown Peak ( 1315,9 m, Abb.4 ). 1000 Höhenmeter bergauf, und erst noch in unverdünnter Luft, setzen dem Arktisneuling doch recht zu: Schon im Frühjahr ist der Schnee knapp. Polargebiete sind Trockenzonen. Niederschläge fallen so kärglich, dass windexponierte Stellen 1 Grosse Talgletscher geben der Axel-Heiberg-Insel ein alpines Gepräge, obwohl die höchsten Berge bloss 2200 m ü.M. erreichen. Flugaufnahme aus dem mittleren Bereich des Iceberg Glacier, etwa bei der linken oberen Ecke der Karte 2.

im unvergletscherten Gelände Axel Heibergs schneefrei bleiben. Trotzdem schleppt man die Ski mit, weil zwischendurch Schnee liegt, in dessen Windharsch man einbricht und hüfttief versinkt. Anschnallen, abschnallen usw., ebenso bei der Tal-, anlässlich derer man mangels ( Unterlage ) immer wieder auf dem unter trügerischem Schnee verborgenen, kantigen Blockschutt landet. Man hofft auf den Sommer - und wird enttäuscht. Hunderte von Metern tief ist der Untergrund gefroren. Solcher Permafrostboden taut zwar nach der Schneeschmelze etwa einen halben Meter tief auf, doch kann Schmelz- und Regenwasser nicht versickern. Es entsteht ein endloser Sumpf, in den man ebenso tief einsinkt.

Die Not mit dem Permafrost macht erfinderisch: Nach allzu grossem Ärger mit Sumpf und Schneematsch ( entwickle ) ich aus kleineren Brettchen eine Art Schneeschuhe, die sich unter den Bergschuhen festbinden lassen. Es stellt sich heraus, dass sie im Frühsommer auch auf dem Schneematsch der Gletscher gute Dienste leisten und bedeutend leichter mitzutragen sind als die Ski. Ohne Schnee-bzw. Sumpfschuhe ist man vor dem Morast nur auf dem raren festen Fels oder dem allgegenwärtigen lockeren Blockschutt sicher, auf dem man dafür die Schuhe ruiniert und dauernd Gefahr läuft, sich die Füsse zu verstauchen. Trotz Mühsal haben die Aufstiege am Wolf Mountain auch ihre Sonnenseiten, sogar ganz buchstäblich, wenn man über den typisch sommerlichen Tieflandnebel gelangt und die Mitternachtssonne von Norden her rosiges Licht über die Bergwelt wirft. Im Juli kommt es auch vor, dass sich der übermüdete Gletscherforscher am Rand ( seines ) Babyglet-schers im Schlafsack und bei unarktisch hohen Temperaturen zur Ruhe legt und trotz Aussicht auf Berge und Gletscher einschläft. Eine Besteigung des Wolf Mountain führt, geologisch gesehen, vom Zeitalter des oberen Jura in die untere Kreide. Dunkle Tonschichten aus dem Jura bieten eine besondere Abwechslung: Seltsam kugelförmige Gebilde liegen herum, und zwar mit Durchmessern von einigen Zentimetern bis über Kopfgrösse. Es handelt sich um sogenannte Konkretionen, bei Photos Jürg Alean denen mineralische Umformungen in den Meeresablagerungen stattfanden. Sie geben dem Material eine grössere Widerstandskraft gegen Verwitterung ( vgl. Abb. 5 ). Selbstverständlich findet so manche der absonderlichen Kugeln als Souvenir ihren Weg ins Gepäck der Expeditionsteilnehmer. Im gleichen Ton ist vereinzelt auch versteinertes Holz zu finden, von Urflüssen ins Meer geschwemmt, das zugedeckt durch Sedimente seine Form erhalten konnte. Wälder sah somit die Axel-Heiberg-Insel im Erdmittelalter, allerdings bei wärmerem Klima und wegen Kontinentaldrift veränderter Breitenlage. Ton verwittert leicht und bildet keine Steilwände. Steilere Partien gibt es dafür im oberen Teil des Wolf Mountain in kreidezeitlichen Sandsteinablagerun-gen und Gabbro. Die Sandsteine Axel Heibergs sind dank kleiner, beigemischter Mine-ralmengen charakteristisch gefärbt und geben den Bergen ihr farbenprächtiges Gepräge ( vgl. Abb.2 ).

2 Durch Faltung steilgestellte, farbige Sandsteinschichten aus dem Trias- und Jurazeitalter veranlassten Expeditionsteilnehmer, den Berg im Vordergrund dieser Flugaufnahme

Bastion Ridge Nicht nur Ablagerungsgestein findet sich auf Axel Heiberg. Südlich des Basislagers thront jenseits des Expedition River die Bastion Ridge ( 982 m, Abb. 6 ). Die dunkle, dank Erosionsresistenz so markante Felswand ihres Gipfelaufbaues besteht aus Basalt der sogenannten Strand-Fjord-Formation. Riesige Mengen basaltischer Lava ergossen sich in einer Zeit vulkanischer Aktivität über Axel Heiberg. Mit dem Feldstecher lassen sich vom Basislager aus die wunderschönen Basaltsäulen beobachten, die beim Abkühlen der ausgeflossenen Lava durch Schwundrisse entstanden ( vgl. auch Abb. 7 ). Im oberen Kreidezeitalter hatte aus der Tiefe aufsteigendes Magma in unzähligen Gängen seinen Weg zur damaligen Gesteinsoberfläche gesucht. Lavaströme traten aus und bildeten die bis 100 Meter mächtige Strand-Fjord-Formation.

Das ganze Expeditionsgebiet ist auch von sogenannten Gängen dieses Materials durchsetzt. Noch in der Tiefe zu Gabbro erstarrt ( chemisch ähnlich dem Basalt, aber wegen langsameren Abkühlens mit grösseren Kristallen durchsetzt ) und von der Erosion freigelegt, bildet es dank seiner Härte ebenso wie die Strand-Fjord-Formation markante Grate. Weh dem, der sich aber hier mit dem Klettern versucht! Passend ist nämlich der Name eines dieser Gebilde aus Ganggestein am Rand des White Glacier: Rotten Ridge. Auf die darunterliegende Basalt Ridge führt mich eine meiner Begehungen zwecks trigonometrischer Vermessung. Wunderschön ist das Herumturnen hoch über dem Thompson Glacier, bis beinahe das Unglück geschieht: Bei der wohl ersten Berührung durch Menschenhand löst sich ein tonnenschwerer Block, und nur mit knapper Not kann ich dem Monstrum ausweichen, das darauf gletscherwärts fällt und zu Schutt zerschmettert wird.

Schutt in riesigen Mengen ist charakteristisch für arktische Regionen. Er entsteht wie in den Alpen durch Temperaturwechsel und Frostsprengung. Die Schuttmassen werden aber in der Arktis viel langsamer abtransportiert als in gemässigten oder tropischen Brei- ten. Es mangelt an Wasser als Erosionsagent. Die Auftauschicht des Permafrost bewirkt allerdings in den kurzen Sommermonaten einen gewissen Materialtransport. Der wassergesät-tigte Boden beginnt langsam talwärts zu kriechen. Diese sogenannte Solifluktion lässt über die Jahrtausende die für Polargebiete charakteristischen, rundlichen Geländeformen entstehen, da sozusagen die ganze Landschaft dm Fluss> ist ( auch die sanften Hügellandschaften des Schweizer Mittellandes erhielten während der Kaltzeiten durch Solifluktion ihr Gepräge ). Dennoch ist Erosion in der Arktis ein langsamer Vorgang. Die Abtragungsleistung der Gletscher auf Axel Heiberg ist wegen ihrer kleinen Fliessgeschwindigkeit und weil sie am Rand am Bett angefroren sind gering. Wichtiger ist das Schmelzwasser, das aber nur von Juni bis August in nennenswerten Mengen anfällt. Am stärksten wirkt es, wenn es geballte Kraft entfalten kann: Am Rand der Gletscher des Expeditionsgebietes vermögen die Eismassen dank ihrer Temperatur unter 0°C Seen zu stauen. Einige von ihnen brechen jedes Jahr als gewaltige Wasserflut aus, so auch der zwischen White und Thompson Glacier eingeklemmte Between Lake. Jeweils im Juli erreicht er seine Maximalhöhe. Dann findet das Wasser teilweise über, zum Teil auch durch den White Glacier 3 Ankunft auf Axel Heiberg anfangs Mai. Ende Winter liegen nur geringe Schneemengen auf dem im Hintergrund sichtbaren Wolf Mountain ( vgl. Abb. 4 ). Das Flugzeug landete und startet vom zugefrorenen Colour Lake aus.

5 Konkretion aus dem Ton der Christopherfor-mation vom Fuss des Wolf Mountain 4 Gabbrogestein am Gipfel des Black Crown Peak verwittert wegen eisenhaltiger Mineralbe-standteile zur charakteristisch dunkelbraunen Farbe. Hinter dem Baby Glacier {Schneefeld ganz rechts ) erhebt sich der Gipfel des Wolf Mountain, der gerade das Basislager verdeckt. In der Bildmitte die Zunge des Thompson Glacier, der bei seinem konstanten Vorstoss eine riesige Schermoräne vor sich aufbaut.

7 Basaltsäulen der Strand-Fjord-Formation sind im Frühlingsschnee nahe beim Ende des Expedition Fjord gut erkennbar. Sie entstanden durch Schwundrisse beim Erstarren der Lava.

6 Über dem Tal des Expedition River erhebt sich die Bastion Ridge ( 982 m ü. M. ). Ihre markante Felswand wird durch die erosionsresi-stente Basaltschicht der Strand-Fjord-Formation gebildet. Im markanten Schatten des Wolf Mountain sind Spuren fliessenden Wassers zu erkennen. Es handelt sich nicht um Schmelzwasser ( Aufnahme Anfang Mai; vgl. Abb.8 ), sondern um Wasser von Mineralquellen, die ganzjährig den Permafrost zu durchdringen vermögen. Vorne rechts die Spur eines Schneehasen.

einen Ausfluss. Bis 140 m3 Wasser wurden registriert, die pro Sekunde abflössen und unterhalb der Gletscherzunge gewaltige Gräben aus der Moräne frassen. Wahrscheinlich gehören solche Ausbrüche eisgestauter Seen zu den ganz wichtigen Erosionsereignissen in der Arktis.

Little Matterhorn Bereits im Mai, bevor endloser Sumpf und Geröllhalden das Vorwärtskommen erschweren, entschliessen wir uns noch um 19 Uhr zu einem kleinen Ausflug ( die Lokalzeit halten wir bloss ein, da regelmässig Wettermeldungen über das Radio gesendet werden müssen und weil Kochrhythmus und Schlaf-zimmerruhe sonst allzusehr gestört würden ). Durch die arktisch stille Landschaft sausen wir unter dem uns peinlichen Gebrüll des Motor-schlittens. Problemlos gelangen wir über die vorerst noch wasserlose Flussniederung des Expedition River. Ab Juni wird hier so viel Wasser fliessen, dass das Tal nur noch mit Umweg über den Thompson Glacier zu überqueren sein wird. Auf dem Schuttfächer am Bergfuss fahren wir so lange bergauf, bis das Gefährt im bereits nassen Schnee steckenbleibt. Mit Ski und Fellen geht es weiter aufwärts, zum Little Matterhorn ( Abb. 8 ). Klein ist es tatsächlich mit seinen 737,5 Höhenmetern, aber als so markante Figur im Panorama des Expeditionsgebietes darf es in unserer Gipfelsammlung nicht fehlen. Über ausnahmsweise ganz passablen Schnee gelangen wir rasch bis wenige Meter unter den Gipfel, der zu Fuss zu erreichen ist. Bei vormitternächtlich tiefem Sonnenstand und dramatischer Föhnbewöl-kung sehen wir Gletscher und Berge aus ungewohnter Perspektive.

Ungewohnt ist auch der Untergrund, auf dem wir uns befinden. Der Gipfel des Little Matterhorn besteht zwar aus der bereits erwähnten vulkanischen Strand-Fjord-Forma-tion. Umgeben ist der Berg jedoch von Anhydrit, dem wasserfreien Verwandten des Gesteins Gips. Berge aus Anhydrit sind an sich 8 Little Matterhorn ( 737,5 m ) nach einem grösseren Schneefall im Frühjahr. Die im Vordergrund vorbeiziehenden Karibous haben noch kleine Geweihe. Hinter der Tiergruppe erkennt man die für Permafrostboden typische, sanft gerundete Geländeform mit abwärts gerichteten Streifen. Diese entstehen durch langsames Fliessen innerhalb der Auftauschicht des Per-mafrostbodens.

Schema Stark vereinfachte Darstellung von Anhydrit-diapiren südwestlich des Expeditionsgebietes. Die turmförmigen Anhydrit- schon erstaunlich, ist das Gestein doch recht gut wasserlöslich. In feuchteren Regionen würde es rasch abgetragen, während es im ariden Klima von Axel Heiberg markante Erhebungen bildet. Die Entstehung des Anhydrits geht auf das Zeitalter des Perm zurück, als sich in wahrscheinlich tropischen Flachmee-ren Gips bei Verdunstung grosser Meerwas-sermengen anreicherte. Hunderte von Metern dicke Gipsschichten wurden im Laufe der Jahrmillionen im Zuge einer tektonischen Senkung durch mesozoische und tertiäre Gesteinsschichten von bis 12000 Meter Mächtigkeit zugedeckt. Nun ist aber Gips in der Tiefe sowohl spezifisch leichter als auch plastischer ( d.h. verformbarer ) als andere Sedimentgesteine. Schon während des Mesozoikums begannen die Gipsmassen aufwärts zu drängen. Während der tertiären Faltungen gelangte der Gips besonders in die Antiklinalen ( Faltenge-wölbe, vgl. Schema ), die er an einigen Stellen, jetzt umgewandelt zu Anhydrit, durchbrach. Derartige in der Erdkruste aufsteigende Gebilde werden als bezeichnet.

Ganz aus Anhydrit, also auch der Gipfel, besteht der Colour Peak am Ende des Expedition Fjord ( Abb. 10, vgl. auch Abb. 9 ), rund 12 Kilometer westlich unseres Standorts auf dem Little Matterhorn. Nachdem Colour Peak und der Rest des Panoramas auf Film gebannt sind, machen wir uns auf den Heimweg. Günstige Schneeverhältnisse verleiten zu Kapriolen bei der Abfahrt. Bald ist die Skispur von mächtigen Löchern unterbrochen. Rechtzeitig massen stossen in den Faltengewölben auf. Der Diapir beim Little Matter horn ist komplizierter aufgebaut. Schwarz dargestellt ist der Basalt der vulkanischen Strand-Fjord-Formation. Aus: Hoen, E.W. ( 1964 ),

für die nachmitternächtliche Wetterbeobachtung und Radiomeldung in den Süden erreichen wir das Basislager.

Das Wetter ist auf einer Arktis-Expedition immer ein Thema. Axel Heiberg kann mit misslich trüben Sommern aufwarten, in denen feiner Nieselregen und Nebel wochenlang anhalten. Wir aber haben Glück. Ich selber konnte zwei Sommer auf der Insel verbringen. Der erste war recht gut, der zweite war wunderschön. So lange dauern stabile Hochdrucklagen, dass ich mich nach Regen sehne, der als Entschuldigung für Arbeits- und Marschpausen herhalten könnte. Selbst der Juli-Tief-landnebel ist ziemlich rar, und die mittlere Temperatur dieses Monats berechnen wir als + 9°C. Mittags steigt das Thermometer bis auf fast 20°C, ein Rekord in den Messreihen auf der Insel. Bei den täglichen Wettermeldungen am Radio rezitieren wir immer wieder mit Genuss: ( Himmel wolkenlos, Sichtweite unbeschränkt, Windstille ), während andere Stationen weiter im Süden von Nebel und Stürmen berichten. Durch die monatelangen Wetterbeobachtungen entwickelt man ein gutes Gespür für die Atmosphäre. Den Südwind schätzt man am wenigsten. Er ist es, der die sonst weiter südlich vorbeiziehenden Fronten heranführt und Regen oder Schnee bringt. Dafür vertrauen wir dem föhnartig trockenen Wind, der über den Phantom Peak aus Nordosten zu uns gelangt. Vom Polarhoch kommt kein schlechtes Wetter. Das nördliche Eismeer ist ganzjährig zugefroren und liefert kaum Feuchtigkeit. So kommt es auch, dass es die südwestlichen Berge Axel Heibergs sind, an denen die Gletscher auf kleinsten Höhen vorkommen ( schon 400 Meter hohe Hügelzüge tragen kleine Gletscher ), während die Schneegrenze bei uns im Zentrum und im Nordosten mehrere hundert Meter höher liegt. Zu Märschen über Schnee und Eis kommen wir dennoch auch im Sommer bei Massenbi-lanzmessungen auf dem Baby und White Glacier. Während der Baby Glacier harmlos ist, wartet der White Glacier mit beachtlichen Spalten auf. Das Firngebiet des White Glacier ist mir trotz seiner bezaubernd harmonischen Szenerie immer etwas ungeheuer. Der Schnee ist fast immer stark windverblasen und erschwert das Erkennen der schwächlichen Schneebrücken. Beim Fahren auf Motorschlitten oder Ski bedeutet Geschwindigkeit etwas kleineres Risiko; aber immer wieder bricht der Schnee in der zurückgelassenen Motorschlit-tenspur ein, und vielsagende Löcher tun sich auf. Neben glaziologischem Sachverstand ist auch eine rechte Portion Glück im Spiel: Jedenfalls falle ich immer nur dann in eine breite Spalte, wenn ich gerade angebunden bin oder mich an einem Lastschlitten festhalten kann.

Punkt 1780 m Ohne Schlitten, aber mit Ski ausgerüstet, wagen wir uns zu zweit gegen Ende Juli auf 10 Der im Hintergrund sichtbare Colour Peak ( 559,4 m ) besteht aus Anhydrit, der aus grosser Tiefe aufgedrungen ist. Links hinten erkennt man Eisberge im Expedition Fjord. Sie stammen vom Iceberg Glacier, einem der zwei Gletscher Axel Heibergs, die das Meer erreichen. Am Rande des mit Wollgras bestandenen Sumpfes steht einer der beiden Wölfe, die sich wochenlang im Bereich des Basislagers aufhielten und grosses Interesse für die Tätigkeiten der Zweibeiner entwickelten.

eine besonders lange Bergfahrt. Die Vermessungsarbeiten sind weitgehend abgeschlossen, und auch keine anderen dringenden Arbeiten stehen an. Ein namenloser Berg jenseits des Thompson Glacier hat es mir schon lange angetan, besonders auch, seit ich seine in den Karten nicht markierte Höhe mit dem Theodoliten auf 1780 Meter bestimmt habe. Damit ist er gleich hoch wie die höchsten Erhebungen ganz oben am White Glacier. Auch müsste von seinem Gipfel aus das östliche Tiefland von Axel Heiberg sichtbar sein. Ausgerüstet für zwei Übernachtungen marschieren wir bei einer Temperatur los, die uns als grosse Hitze erscheint ( gegen 20°C ). Wohl auch durch die Wärme schläfrig geworden ist der Schneehase, auf den ich ganz zu Beginn der Unternehmung um ein Haar trete. Den Schneehasen waren wir auch beim Basislager immer ziemlich gleichgültig. Jedenfalls spielten, kauten und schliefen sie ungeniert gleich neben unserer Hütte. Gelegentlich erschraken sie dann aber doch und rannten kopflos im Kreis herum, so als ob sie sich nicht zu einer Fluchtrichtung entschliessen könnten.

Auf dem vorerst noch schneefreien Thompson Glacier tragen wir die Ski die ersten paar Kilometer. Man kommt auf dem vorwiegend flachen Gletscher schnell voran - bis riesige Schmelzwasserströme den Weg versperren.

Polare Gletscher sind so kalt, dass Schmelzwasser nur schlecht in sie eindringen kann. Das Wasser fliesst manchmal kilometerweit an der Oberfläche. Ich stelle mir immer wieder vor, wie grauenhaft ein Sturz in einen dieser Ströme sein müsste, da bei ihren blankpolierten Trögen kaum ein Entrinnen möglich wäre. Dieser hier ist gerade noch so gross, dass man eine Überquerung wagen kann. Dabei fällt allerdings ein Ski ins Wasser. Glücklicherweise fliesst es nach kurzer Distanz in einen wunderschön blauen Schmelzwassersee, aus dem wir den abtrünnigen Ski herausfischen können.

Schmelzwasserseen sind ebenfalls ein Zeichen für sogenanntes Eis ( Temperatur unter dem Druckschmelzpunkt ). In der Schweiz kommen solche Seen in besonders schöner Ausbildung auf dem Grenz-/Gorner-gletscher vor, bei dem kaltes Eis aus der Region des Colle Gnifetti herunterströmt ( vgl. QH III, 1987, S. 121 ff. ). Wie erwartet stossen wir weiter gletscheraufwärts auf den Abflusskanal des Astro Lake, eines vom Thompson Glacier gestauten Sees. Der gewaltige Graben ist mindestens 20 Meter tief, und enorme Wassermengen tosen durch ihn dem Expedition River entgegen. Dort, wo sich das Wasser in eine kolossale Gletschermühle stürzt, umgehen wir das Hindernis und folgen dem Kanal auf derjenigen Seite, die uns den Zugang zum Wreck Glacier ermöglicht. Der Wreck Glacier ist ein Seitengletscher des Thompson Glacier. Der Name geht auf einen Flugzeugabsturz zurück, den der Pilot glücklicherweise gut überstand. Neben dem Wreck Glacier 11 Kleines Steinbrechpolster und Zwergwei-denblüten 12 Arktischer Mohn beim Basislager schlagen wir auf einem paradiesischen Fleck Tundra das Lager auf.

Anderntags marschieren wir zeitig los, diesmal auf Ski. Im Gegenlicht blendet das Eis des Wreck Glacier und sieht aus wie flüssiges Blei - ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Fünfeinhalb Stunden geht es ununterbrochen und langsam bergauf, bis schlussendlich die nächste Erhöhung wirklich die letzte ist. Der Blick wird frei auf die seltsamen Eisloben, die im Osten gegen ein weites Tiefland fliessen. Dank der für Axel Heiberg typischen klaren Luft geht der Blick bis zum Nansen Sound, der jetzt teilweise eisfrei ist. Schwach erkennen wir noch Teile unserer grossen Nachbarinsel Ellesmere. Wir sind auch hoch genug, dass wir im Nordwesten über die McGill Ice Cap ( heute Müller Ice Cap, vgl. Abb. 2 ) hinwegsehen können. Längst sind alle Getränkevorräte aufgebraucht, und kilometerweit kein Wasser! Die intensive Sonnenstrahlung bringt uns auf den Gedanken, Schnee zu schmelzen. Trotz Kälte auf dem Gipfel gelingt dies auf dem schwarzen Skibelag recht gut.

Die anschliessende Abfahrt über den Astro Glacier ist traumhaft schön, obwohl nur am Anfang ein steilerer Hang einige Schwünge erlaubt. Bald lasse ich mich in flacheren Par- tien von den Ski geradeaus tragen und geniesse, wie die farbenprächtige Landschaft an mir vorbeizieht. Auch unterhalb der Firnlinie fahren wir auf dem blanken Eis einfach weiter, da es regelmässiger und flacher als das des White Glacier ist. Für eine weitere besuchen wir das Südufer des Phantom Lake ( Abb. 9 ), von dem wir wissen, dass sich dort in einem Depot noch ein paar uralte Dosen englischen Plum-Puddings befinden. Anderntags geht es nach einer Wasserstandsmessung dieses grössten eisgestauten Sees des Expeditionsgebietes heimwärts. Zu überqueren ist dabei der grösstenteils von Eisbergen gefüllte oder zugefrorene Astro Lake. Dabei breche ich prompt durch das morsche Eis und muss von meinem Kollegen mühsam herausgefischt werden. Mein Eispickel ist seither Teil der Sedimente am Seegrund. Daraufhin marschieren zwei einsame Gestalten ohne weitere Zwischenfälle über den Thompson Glacier dem Basislager zu, wobei einer der beiden auf dem Rucksack seine Kleider trocknen lässt.

13 Herbstfarben auf Axel Heiberg. Mitte August beobachtet der Schneehase verwundert unsere Vorbereitungen für die Rückreise in die {Zivili-sation !. Von September bis Mai werden winterliche Verhältnisse herrschen. Tiefste Temperaturen von bis unter minus 50 °C werden auftreten. Gerade wegen der Länge des Winters gibt es in der Arktis keine Winterschläfer. Auf schneefreien Flecken muss weiterhin nach Nahrung gesucht werden.

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