Bergfahrten im Clubgebiet
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Bergfahrten im Clubgebiet

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Dr. A. Walker ( Sektion Weißenstein ).

Von Im Jahre 1897 führten mich meine Ferien in den östlichen Teil des Mont Blanc-Massivs. Die Sektionen Neuenburg und Diablerets haben sich durch die Erstellung von Clubhütten in diesem Teile des Massivs große Verdienste erworben, und es wird seit der Erstellung derselben das Gebiet von Orny und Saleinaz recht häufig besucht, freilich viel mehr von welschen als deutschschweizerischen Clubgenossen. Ich möchte nun auch diesen letztern den Besuch jener Gegenden empfehlen, sie werden, wenn das Wetterglück auf ihren Touren sie begünstigt, unvergeßliche Erinnerungen mit nach Hause tragen. Freilich wirkt die Nähe des gewaltigen Mont Blanc und seiner Trabanten, der wilden Aiguilles, etwas erdrückend, andererseits ist es aber gerade die Nähe dieser gigantischen Bergriesen, die es ermöglicht, von den um Saleinaz und Orny herumliegenden Gipfeln einen herrlichen Einblick in die von Fels und Eis starrende Hochgebirgswelt des Monarchen zu erhalten. Zudem ist für Liebhaber von Fels- und Eistouren in gleich gutem Maße gesorgt, und auch Damenberge finden sich.

Ausgangspunkt für das Gebiet von Orny bildet das liebliche Champex, von dem aus sich übrigens auch die Clubhütte von Saleinaz in einem halben Tage erreichen läßt. Bevor ich mich an die Hochgipfel machte, wollte ich mich erst durch eine kleinere Tour etwas trainieren. Dafür schien mir der Catogne ein ausgezeichnetes Ziel zu sein. Wer von Villeneuve gegen Martigny fährt, erblickt diesen breit wie der Niesen aufgebauten Berg lange Zeit. Allseitig isoliert steht er da, und man weiß nicht, ob man ihn den Bergen des Bagnesthales oder dem jetzigen Clubgebiet zuweisen soll. Er drängt die Dranse d' Entremont, die sonst wohl einen direkten Weg von Orsières nach Martigny eingeschlagen hätte, stark nach Osten ab. Durch diesen Fluß wird der Catogne von den Bergen des Bagnesthales getrennt; die etwas höher gelegene Thalsohle des Val Champex bildet die Scheidungslinie gegen das Mont Blanc-Massiv. Durch einen schmalen, niedrigen Querriegel, der hinter dem Lac Bergfahrten im Clubgebiet.1 de Champex sich einschiebt, wird der Abfluß dieses Sees gegen Orsières verhindert. Nördlich umspült den Fuß des Catogne die Dranse In steilen Felswänden fallt der Berg nach Südosten ab, westlich ziehen öde Schutthänge und magerer Wald weit an ihm empor; schmale Rasenbänder, die sich unter seinem von Nord nach Süd ziehenden Gipfelgrat westlich befinden, bieten den Schafen dürftiges Weideterrain. Eine einzige Alphütte, die von Catogne, ist am Nordostabhange zu finden, gewiß ein Zeichen, daß der Catogne auch von den Hirten und Sennen als unwirtlicher, unfruchtbarer Geselle angesehen und gemieden wird.

Beizukommen ist dem Catogne fast von allen Seiten, nur nicht direkt von Orsières über die kahlen, steilen Plattenhänge, die den südöstlichen Abfall des Berges auszeichnen. Ich hatte die Absicht, den Fußpfad zu benützen, der auf dem Siegfriedatlas von Champex ausgehend eingezeichnet ist, und machte mich allein, den 25. August, morgens 5'/2 Uhr, von Champex aus auf den Weg. Auf Mittag gedachte ich wieder zurück zu sein, was das Angenehme hatte, nur wenig Proviant mitnehmen zu müssen. Wenn man gewohnt ist, mit Führern zu gehen, wird das Gepäcktragen, besonders im Anfange einer Saison, gewöhnlich etwas unangenehm empfunden, und findet man gerne, man trage auch an einem leichten Bündel noch schwer genug. Durch dünnen Wald ging 's auf dem bezeichneten Pfade, den ich aber gar nicht so deutlich fand, wie ich nach der Karte vermutete, ziemlich steil aufwärts über steiniges Terrain. Bald verlor sich zeitweise jeglicher Pfad; vermodernde Baumstämme, lockerer Schutt mußten betreten werden, schließlich war gar nichts mehr von einer Wegspur zu finden. Unter diesen Umständen gab ich das mühsame Aufwärtstraver-sieren an dem steilen Hange auf und stieg direkt gegen den Gipfelgrat an, den ich freilich auf einem bedeutend südlicher gelegenen Punkte erreichte, als anfänglich in meiner Absicht lag. Ich befand mich jetzt unter dem wild zerrissenen Gipfelkamm, der vom Hauptgipfel zum Punkt 2444, Bonhomme genannt, sich hinzieht.

Der steile Anstieg hatte einen währschaften Durst hervorgerufen, und ich mußte es jetzt schwer büßen, nichts Trinkbares von unten mitgenommen zu haben. Wasser gab 's an dem ausgetrockneten, sonnenbeschienenen Gesellen keines, Schnee zum Schmelzen einstweilen auch noch nicht. Über die steilen Schafweiden, neugierig betrachtet von den hier weidenden Schafen, arbeitete ich mich bald durch trockene Runsen, bald über kleinere, dachfirstähnliche, an den Seiten jäh abfallende Felskämme empor zu dem Gipt'elkamme und wurde hier angenehm überrascht durch die Entdeckung, daß der östliche Abfall des Berges besser zu begehen war als der westliche. Zudem fand sich bald etwas Schnee, mit dem ich meinen Durst bald gelöscht zu haben hoffte. Aber das Geschäft des Schneeschraelzens wollte nicht recht geraten. Ich probierte auf alle mögliche Weise, den Schnee schnell zu Wasser zu machen, aber wurde von keiner Methode befriedigt. Am schnellsten ging es noch, wenn ich ein Stück Schnee fest zusammenballte, auf einen Felsblock legte und das durch den warmen Stein von unten und die aufgelegte Hand von oben erzeugte herabfließende Schmelzwasser mit dem Trinkbecher auffing. Stellenweise fand sich auf dem untern Teile der wenigen, dazu noch im Schatten der Felsen gelegenen Schneeflecke etwas tropfenweise absickerndes Schmelzwasser, das ebenfalls sorgfältig gesammelt wurde. Auf diese Weise konnte wenigstens der brennendste Durst gestillt werden. Weiter über den Grat zeitweise links oder rechts neben demselben kletternd, erreichte ich um 9 Uhr den höchsten Gipfel, auf der Karte Pointe Cherboz ( 2600 m ) genannt.

Das herrliche Panorama entschädigte vollauf für die Mühe der Besteigung. Der Catogne verdiente häufiger besucht zu werden. Westlich dehnt sich vor dem Beschauer das imposante Mont Blanc-Massiv aus, nördlich öffnet sich das Rhonethal, dessen unterer Teil bis auf den Genfersee hinaus sichtbar ist; die Gebirge Savoyens sind zum größten Teil deutlich zu erkennen, der lange Grenzwall zwischen dem Wallis und den Kantonen Waadt und Bern kann bis zum gewaltigen Bietschhorn verfolgt werden, östlich ist ein großer Teil der Walliseralpen sichtbar, besonders auffällig die Berge des Bagnesthales und das Gebiet von Combin und Vélan. Die lang hingezogenen Firnfelder des Grand Combin strahlen in leuchtendem Weiß und blenden das Auge. Senkt man den Blick von diesen Schneeriesen zur Tiefe, so zeigt sich, als weißer Streifen weit in die Berge hineinziehend, die altehrwürdige Straße zum großen Sankt Bernhard, begleitet von der wilden Dranse. Mühen und Strapazen einer Bergtour sind bald vergessen, wenn solch ein Landschaftsbild vor dem entzückten Blicke sich weitet, so daß man aufjubeln möchte vor all der Pracht und Herrlichkeit. Man fühlt sich gehoben und befriedigt bei dem Gedanken, dem Getriebe des Alltäglichen eine Zeit lang entrückt zu sein.

So war denn das Stündchen, das ich dem Catogne widmete, bald verflossen. Der Abschied war kurz, ein letzter Blick dem schönen Rundgemälde, dann ging 's bergab. Ich verfolgte den Kamm des Berges nach Süden nicht mehr, sondern stieg ziemlich direkt durch eine steile, mit vegetationslosem Steipgeröll gefüllte Runse zum Val Champex ab. Dieselbe schien mir, von oben gesehen, in ihrer ganzen Länge bis hinab zum Wald, wo sie sich verflachte und Vegetation trug, gangbar zu sein. Heiß brannte hier die Sonne, so daß ich mich beeilte, rasch in den Schatten des dünnen Waldes zu kommen. Bei den Sennhütten von Champex d' en haut erreichte ich wieder den ebenen Thalboden und klomm, nach einem erfrischenden Bade in den klaren Fluten des Baches, die wenigen Meter des hügeligen Rückens empor, die mich von Champex selbst trennten, das ich gerade um 12 Uhr mittags erreichte. Mit dem Catogne als Vormittagsbummel nach einer fast schlaflosen Nacht hatte ich mir mein Mittagessen füglich verdient.

Nachmittags folgten die üblichen Pourparlers mit dem Führer. Ich hatte die Absicht, etwas in das Gebiet von Orny und Saleinaz einzudringen und dort einige Besteigungen zu machen. Die Wirtin in Champex hatte mir Führer Onésime Crettez aus Orsières als zuverlässigen, tüchtigen Burschen empfohlen. Ich hatte, wie das folgende zeigte, keinen Grund, mit der Wahl unzufrieden zu sein. Crettez hat seinen Mann vollauf gestellt. Zuerst machte er zwar ein schiefes Gesicht, als ich darauf bestand, nur einen Führer und keinen zweiten Mann als Träger für das Hochgebirge zu engagieren; doch marktete er nicht lange und gab sich bald zufrieden. Wahrscheinlich wollte er zuerst sehen, wie es gehe; später aber hat er nie mehr etwas von einem Träger gesprochen, auch nicht, als wir den Comhin bestiegen. Punkto Zeit machte er die Bedingung, Freitag abends zu Hause zu sein, denn Sonntags wolle er heiraten, und vorher müsse ihm der Schneider noch das Maß nehmen zu einem neuen Rock. Ich konnte füglich nichts dagegen haben, um so weniger, als er versprach, auf jegliche Hochzeitsreise verzichten zu wollen und sich mir am Tage nach der Hochzeit, Montag Nachmittag, wieder zur Verfügung zu stellen.

So zogen wir denn nachmittags 4 Uhr 20 Min. von Champex ab nach der Cabane d' Orny, beladen mit Vorräten für zwei bis drei Tage. Auch mein Rucksack war etwas schwerer als vormittags auf den Catogne, ich mußte jetzt mein dem Führer gegebenes Versprechen, selbst auch etwas tragen zu wollen, wenn es nötig wäre, einlösen. Der Gang zur Cabane kam mir freilich, in Berücksichtigung der morgendlichen Leistung, etwas sauer vor.

Von Champex nach der Cabane d' Orny stehen zwei Wege offen. Man kann entweder nach Prassony absteigen und den Weg über die sogenannte Combe d' Orny nehmen, oder man geht durch das Val d' Arpette und den Col de la Breya. Der letztere Weg wird am häufigsten begangen. Er führt von Champex aus, zuerst durch etwas Wald langsam ansteigend, in das im untern Teile an schönen Weiden reiche Val d' Arpette. Bevor man das Thal betritt, wird auf dem Wege dorthin bei einer Waldlichtung der Blick nach Norden frei und ein schönes Stück des Genfersees sichtbar, links abgegrenzt durch die wild gezackte Dent du Midi.

Das Val d' Arpette ist kurz und bald bis zum Thalhintergrund zu überblicken. Wenn auch keine durch Formenschönheit oder leuchtende Firnbekleidung sich auszeichnende Gipfel den Hintergrund bilden, so gewährt derselbe doch durch die Abwechslung von Fels und Schnee ein hübsches Bild. Der Weg wendet sich bei den Hütten von Arpette nach links, und steigt man auf steilem Pfade im Walde bergan durch dichtes Alpenrosen- und Heidelbeerengestrüpp. An der Waldgrenze ladet eine herrliche Quelle mit krystallhellem, kaltem Wasser zur Rast ein. Dann zieht sich der Weg durch Geröll zum Col. Von der einstigen Ausdehnung des Glacier d' Orny giebt hier eine aus grünen Steinböcken bestehende Moräne, die auf der Siegfriedkarte ebenfalls eingezeichnet ist und die vom Kamm der Breya sich bergabwärts zieht, deutlieh Kenntnis. Noch einige Schneeflecken sind zu passieren, dann erreichen wir den Col de la Breya. der eine herrliche Fernsicht auf Combin, Vélan und die Berge des Val Ferret eröffnet. Es war 7 Uhr, als wir oben anlangten. Hier überwältigte mich die Müdigkeit, ich warf mich platt auf den Rücken und war nahe daran, einzuschlafen. Gerne wäre ich noch länger liegen geblieben, den Blick auf das blaue Himmelsdach gerichtet, wo kleine weiße Wölklein rasch dahiiihuschten. Aber es war schon spät und die Hütte mußte noch erreicht werden. Den Hängen der Combe d' Orny entlang, in westlicher Richtung etwas absteigend, erreichten wir bald Schneefelder, und nicht lange ging es, so wurde auch die Cabane d' Orny sichtbar auf einem Felsvorsprung über der linken Seite des Gletscherendes. Freilich brauchte es noch manchen Schritt durch den etwas erweichten Schnee, bis wir oben waren, und nicht ungern warf ich,, als wir endlieb um 8V2 Uhr das Obdach erreicht, den schweren, lästigen Rucksack auf den Hüttentisch und meinen Leib aufs harte Strohlager.

Die Cabane d' Orny, im Jahr 1893 neu erstellt von der Section des Diablerets, unter deren Obhut sie steht, ist ein behagliches Heim. Nur erlebten wir gleich bei der Ankunft eine herbe Enttäuschung. Nach dem Reglement sollte die Hütte mit Holz versorgt sein. Aber wie so oft im Leben stimmte auch hier das Reglement mit der Thatsache nicht. Vom letzten Jahr war nichts mehr übrig geblieben und dies Jahr noch nichts heraufgeschafft worden. Guter Rat war teuer. Wir sahen uns mit langen Gesichtern an, bis es Onésime einfiel, lautlos zu verschwinden. Nach etlicher Zeit kehrte er triumphierend, mit einem währschaften Brett beladen, zurück. Er wollte mir nicht gestehen, wo er es gefunden, ich glaube indessen, es stammte aus der Umgebung der alten Hütte, die etwas nach oben rechts von der neuen gelegen ist und keinerlei Inventar mehr hat. Damit war uns geholfen; das nötige Brennmaterial wurde gezimmert und eine schmackhafte Suppe gekocht. „ Ce bois suffit pour notre soupe et le chocolat de demain; demain alors il faut aller chercher des genévriers ", meinte Onésime.

Die Aussicht von der Cabane d' Orny ist nur nach Südosten frei und bietet ziemlich dasselbe wie der Col de la Breya. Direkt unter der Hütte liegt der Glacier d' Orny, und jenseits des Gletschers erhebt sich schwer und massiv der felsige Portalet, dem sich rechts die Firnmulde des Col d' Orny, zu dem sich der Gletscher erhebt, anschließt.

Die Pointe d' Orny, die den Col gegenüber dem Portalet begrenzt, ist nicht sichtbar, indem zahlreiche sekundäre Kelsgräte südwärts aus dem Kamm vorspringen, der von der Pointe d' Orny nach der Breya zieht und der das Gebiet von Orny von der Vallée d' Arpette trennt. Auf einer Bergfahrten im Clubgebiet.

dieser Felsnasen,steht auch die Hütte. Ein herrlicher Sonnenuntergang beschloß den schiinen Tag, Gutes für das morgige Projekt auf die Aiguille du Tour versprechend. In unsere Decken gewickelt, genossen wir eine verhältnismäßig gute Nachtruhe, und ich verspürte am andern Morgen von den Strapazen des vorhergehenden Tages nichts mehr.

Es wird nichts schaden, zur Orientierung in dem Gebiet, in welchem die nachfolgenden Besteigungen ausgeführt wurden, etwas Orographisches vorauszuschicken. Vom Col de Balme bis zum Col Ferret zieht sich ein in einer zackigen Linie verlaufender Hoch-gebirgsgrat, dessen wichtigste Erhebungen sind: die Aiguille du Tour(3548 m)* ), dieGrandeFourche(3616 m ), die Aiguille du Chardonnet ( 3836 m ), die Aiguille d' Argentière, der Kulminationspunkt des Grates ( 3908 m ), der Tour noir ( 3844 m ), die Aiguilles rouges 3694 m ), der Mont Dolent ( 3880 m ). Von diesem Grate zieht sich bei der Grande Fourche ein ) Anm. d. Red. Höhenquoten und Rechtschreibung sind den revidierten Blättern Col de Balme und Orsières S. A. entnommen. Siehe.,oben p. 3, Anm.

sekundärer Grat in östlicher Richtung. In dem Winkel, den die beiden Gräte bilden, liegt das Firnbecken des Glacier du Trient, von welchem auch der Glac-ierd'Orny gespiesen wird. Die beiden Gletscher werden durch die Pointe d' Orny voneinander getrennt. Als Erhebungen trägt der sekundäre Grat, der von der Grande Fourche abzweigt, die Aiguilles dorées ( 3543 m ) und den Portalet ( 3347,6 m ). Ein zweiter sekundärer Grat, etwas nördlich vom Tour noir, ebenfalls in westlicher Richtung sich abzweigend, trägt die Erhebungen der Grande Luis ( 3516 m ), des Darray ( 3523 m ) und der beiden Pointes de Planereuse. Zwischen diesen beiden sekundären Gräten liegt der Glacier de Saleinaz. Südlich des zweiten sekundären Grates liegt das Val de la Neuva mit dem Gletscher gleichen Namens. Er wird durch einen dritten, aber nur ganz kurzen Sekundärgrat ohne wesentliche Erhebungen vom Glacier du Mont Dolent getrennt.

Sowohl der Haupt- als auch die Nebengräte zeichnen sich durch einige oft tief eingeschnittene Paßübergänge aus, von denen als die bemerkenswertesten die auf der Karte mit Col du Tour, Fenêtre du Tour, Col du Chardonnet, Col d' Argentière, Fenêtre de Saleinaz bezeichneten genannt sein mögen. Die vier ersten führen von der östlichen Abdachung des Mont Blaue-Massivs in dasselbe hinein, resp. zu den Gletschern von Tuur und Argentière. Die Fenêtre de Saleinaz verbindet Saleinaz mit Orny.

Die Aiguille du Tour ( 3548 m ), von der Cabane d' Orny aus häufig besucht, ist eine unschwierige und dabei doch lohnende Tour. Morgens 4 Uhr brachen wir von der Hütte beim schönsten Sternenhimmel auf. Das matte Licht der Dämmerung erhellte genügend unsern Weg. Mit Verwunderung betrachtete ich die nahe der Hütte gelegene Wallfahrtsstätte, die im Sommer, nach Aussage des Führers, von den Bewohnern von Champex, Orsières etc. häufig aufgesucht wird. Die hölzernen, grob geschnitzten Heiligenbilder des Gnadenortes stecken noch tief im Schnee. Die muß es bei der kalten Nicht auch gehörig an die FüiJe gefroren haben, dachte ich bei mir. Die Moräne des Gletschers überquerend, betraten wir den linken Gletscherrand, folgten demselben und gewannen in mäßig steilem Anstiege die Höhe des Col d' Orny. Hier schwenkten wir links ab und nahmen als Direktionspunkt zunächst den Col du Tour. Längs der Kette der Aiguilles dorées, deren wilde Zacken mit dem rotbraunen Gestein phantastisch stolz himmelwärts ragten, gingen wir ruhig, unbehelligt von Schrunden, unseres Weges. Die Wanderung über den hartgefrorenen Firn, auf dem kaum die Schuhnägel Spuren hinterließen, über das herrliche, wellige, schön geweitete Plateau des Glacier du Trient war ein Hochgenuß. Die Sonne war unterdessen aufgegangen und beleuchtete mit goldenen Lichtbiindeln die Felsen der uns gegenüberliegenden Aiguille du Tour. Unterhalb des Col du Tour wendet man sieh rechts und hat bald den Fuß des Berges erreicht. Hier klafft weit, am Fuße der Aiguille sich hinziehend, der Bergschrund, dessen Überwindung, nach Aussage des Führers, in warmen Sommern oft Schwierigkeiten macht. Zu unserer Sicherung legten wir hier das Seil an. Auf einer guten Schneebrücke vollzog sich die Überschreitung des gähnenden Schrundes leicht; die Felsen waren erreicht, und nun begann ein fröhliches Klettern über die seharfgekanteten, soliden Blöcke des Gipfelstockes unseres Berges. Um 634 Uhr, in nicht ganz drei Stunden, von der Hütte an gerechnet, war unser Ziel erreicht. Fast mit einemmal entrollte sich nach Erreichung des Gipfels ein herrliches Panorama westwärts vor unsern Blicken. Als ein weites Firngebiet, von blauen Schrunden durchzogen, dehnt sich zu unsern Füllen der breite Glacier du Tour aus, und demselben entragt, von zahlreichen steilen Schneekehlen durchfurcht, die breite Wand der herrlichen Aiguille du Chardonnet, ein wilder, unheimlich aussehender Gipfel, mit einem zersägten, zerborstenen Grate von der Fenêtre du Tour ansteigend; links von ihm, in schönem Kontrast, die blendend weiße edle Aiguille d' Argentière, und links von dieser wieder ein Felsberg, die steile Pyramide der Grande Fourche. Nordwärts taucht der Blick in grüne Tiefen, auf den Col de la Forclaz und zu den Hütten von Trient. Den Horizont begrenzen nordwärts die Dent du Midi, die felsige Tour Salière und das Heer der Savoyerberge. Warm und windstill ist die Luft um uns, nicht das geringste Geräusch dringt aus der Tiefe zu unserem erhabenen Sitze empor.

Nach etwa einstündigem, durch das Gabelfrühstück gewürzten Aufenthalt ging 's auf dem gleichen Wege zurück. Da uns die Sonne bereits etwas zuzusetzen begann, unterließen wir nicht, der nahen noch im Schatten liegenden Fenêtre de Saleinaz, welche die Aiguilles dorées von der Grande Fourche trennt, einen Besuch abzustatten. Durch die erwähnte Einsattlung sieht man wirklich wie durch ein schmales, hohes Fenster auf den zu Füßen liegenden Glacier de Saleinaz. Hier, im kühlen Schatten der steilen Wände der Grande Fourche, ruhten wir ein Viertelstündchen aus. Einmal dann in der Nähe des Col d' Orny, lag es nahe, auch die nicht weit entfernte Spitze der Pointe d' Orny der Ehre einer Besteigung zu würdigen. Über Felsblöcke und Firn hat man diesen Damenberg bald erreicht. Wir genossen hier ungefähr das gleiche Panorama wie von der Aiguille du Tour. Indessen ist doch der Anblick der Umgebung von der Pointe d' Orny aus weniger hochalpin, dafür vielleicht etwas malerischer, indem Vorberge und Hochalpen sich mehr die Wage halten. Um 10 Uhr ungefähr waren wir auf dem breiten Plateau des Gipfels angekommen und rasteten eine halbe Stunde. Den Rückweg zum Col d' Orny kürzte eine schneidige Rutschpartie, die etwas unterhalb der Spitze begann und fast ununterbrochen hinab bis zum Niveau des Col führte, nicht unerheblich ab, so daß wir von der Spitze in 50 Minuten die Hütte wieder erreicht hatten.

48Dr. A. Walker.

Den Nachmittag dieses Tages widmeten wir größtenteils der Ruhe. Der Führer machte Studien und Experimente über die Wirkung der hochalpinen Insolation, indem er sich seiner ganzen Länge nach in die Sonne legte; ich zog das Stroh und den Schatten der Hütte vor. Im Laufe des Nachmittags erhielten wir Zuwachs. Zwei stramme Studenten der Universität Lausanne, Mitglieder des S.A.C., rückten führerlos, schwer bepackt mit Holz, Proviant, Seil und Steigeisen an, um andern Tags einer der Spitzen der Aiguilles dorées einen Besuch abzustatten. Es war angenehm, etwas Gesellschaft zu haben, und der Nachmittag verfloß rasch unter sorglosem Geplauder. Onésime hatte sich, nachdem er von der Sonne genügend ausgetrocknet sich glaubte, auf die Jagd nach Holz gemacht. Nach Verfluß von 11la Stunden sahen wir ihn wieder den Berg heraufkeuchen, beladen mit einigen alten Wachholderstöcken {genévriers ). Damit waren wir ferneren Sorgen wegen Brennmaterials enthoben. Abends war das herrlichste Wetter, rotgolden beleuchtete die Sonne die Firnmasse des Combin und Vélan. In der Nacht aber schlug das Wetter um. Zuerst fing es an, zu tosen um die Hütte herum, daß der festgefügte Bau in allen Fugen krachte. Dann begann der Regen herniederzuprasseln, alle bösen Geister schienen los zu sein, und die Nachtruhe war eine vielfach unterbrochene. Auch bei Tagesanbruch waren die Wetteraussichten die denkbar schlechtesten. Bleigraue, schwere Wolken wälzten sich von Südwesten über den Portalet und den Col d' Orny. Wir frühstückten und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Als um 5 Uhr das Wetter sich etwas aufhellte, zog ich mit Onèsime ab, dem Fuße des Portalet zu. Auch die beiden Studenten wollten einen Vorstoß gegen ihr Ziel machen. Der Portalet kann von der Cabane d' Orny aus entweder über die Nordostwand oder weiter westlich über den Col des Ravines rousses bestiegen werden. Onésime kannte den ersten Weg noch nicht. Wir hatten uns aber tags zuvor den Berg genau angesehen, auch den Guide Kurz studiert, so daß ein Versuch auch bei zweifelhaftem Wetter sich rechtfertigen ließ. Ein breites Schneecouloir zieht sich über die ganze Nordostseite des Portalet hinab. Durch einen Felspfeiler wird es im untern Teile in zwei Hälften getrennt. Dieses Couloir vermittelt den Anstieg. Der Bergschrund am Fuße desselben machte keine Schwierigkeiten, und rüstig arbeiteten wir uns dann im linken Seitenarme des Couloirs empor, bald auf hartem Firn, bald auf den brüchigen, den Firn begrenzenden Felsen. Zu einer regelrechten Kletterei kam 's nicht, die Steilheit war nicht so groß. Leider hatte sich das Wetter beim Aufstieg wieder zusehends verschlechtert. Bald umhüllten uns die Nebel, und leichter Schneefall trat ein. Indessen stellten sich uns doch keine grööern Hindernisse in den Weg, obwohl die Orientierung wegen dem dichten Nebel etwas erschwert war. Wir überquerten das Couloir in « einem obern Teile nach rechts und stiegen über Felsblöcke zum Nord- Bergfahrten im Clubgebiet.

lit ostgrate des Berges empor. Auf dem Grate, wo heftige Windstöße uns zusetzten, trafen wir bald kleinere Firnpartien, bald Fels. Die bekannte Chandelle des Portalet, ein ungefüger, schroffer Felszacken, der den obern Teil des Grates, von weitem sichtbar, krönt, bekamen wir wegen des dichten Nebels nicht zu Gesicht. Wir hätten durch denselben die Gewißheit erhalten, daß wir auf dem richtigen Wege uns befänden. Doch es war nicht nötig. Da schimmerte bereits aus dem Nebel ein grauer Steinmann hervor; noch einige Schritte, und der Gipfel des Portalet ( 3347,6 m ) ist erreicht.

Das war eine Scene hier oben, ärger als in Dantes Hölle: Schneetreiben, Nebel, sausender, heulender Wind und Kälte. Da war 's gestern auf der!Aiguille°du Tour doch etwas schöner, war mein erster Gedanke. Unter diesen Umständen ließen wir uns von dem Berg nicht lange „ fecken ", wie der Oberländer sagt, nahmen in aller Eile, ohne abzusitzen, einen kurzen Imbiß und stiegen, nach 5 Minuten Halt, auf der Westseite des Berges wieder ab zum Col des Ravines rousses. Es war ein steiler Weg über Firn und frisch überschneite Felsblöcke. Beim Col waren die Nebel schon über uns, und wir sahen bereits in nicht allzu weiter Ferne in der Tiefe die Firnfläche des Glacier d' Orny. Eine steile Firn wand, stellenweise durch aus dem Schnee hervorragende Felsabsätze unterbrochen, führte zu ihm hinab. So viel als möglich benützten wir die Felsen, mußten aber beim Übergang vom Firn zu denselben wegen Vereisung höchst vorsichtig vorgehen. Einmal aus der steilen, heikein Passage heraus, setzten wir uns nieder, verstemmten gehörig mit den Pickeln seitwärts und liefen eine famose Rutschpartie von Stapel gehen, die uns in einem weiten Satze auch über den Bergschrund hinweghalf. Bei geringerer Steilheit des Hanges und geringer Fahrgeschwindigkeit wäre indessen eine solche Überwindung des Bergschrundes nicht ratsam. Sie könnte leicht statt über in den Schrund fuhren, um 8 Uhr 40 Min., 50 Minuten nach dem Verlassen des Gipfels, hatten wir die Cabane d' Orny wieder erreicht. Unsere beiden Studenten waren nicht wenig erstaunt, uns schon vom Portalet zurück zu sehen. Sie hatten des Sturmes wegen ihre Partie, die sie durch ein steiles, vereistes, steinfallgefährliches Couloir geführt hätte, aufgeben müssen.

Nach kurzer Rast in der Hütte packten Onésime und ich unsere Siebensachen zusammen und sprangen in jugendlichem Übermut in einer Stunde und 50 Minuten nach Champex hinab. Ich kam noch gerade recht zum Dîner, das mir nach dem Morgenspaziergang auf den Portalet doch etwas besser mundete als die Konservenkost in der Cabane d' Orny.

Am folgenden Tage war wieder Prachtwetter. Etwas Geduld in der Clubhütte wäre also wohl angebracht gewesen, wir hätten dann heute auf die Grande Fourche und über die Fenêtre de Saleinaz nach der Clubhütte gleichen Namens gehen können. Von Champex aus direkt war aber nicht wohl eine Hochtour zu machen; wir mußten also auf dem Thalwege zur Clubhütte Saleinaz wandern in der Erwartung, das Wetter werde sich halten, um andern Tags die Grande Fourche besteigen zu können. Um 5'/2 Uhr verließen wir Champex und stiegen über schmale Fußwege, die nur ein Führer kennen kann, auf dem geradesten Wege ins Val Ferret hinab, das wir etwas unterhalb Ville d'lssert erreichten. Bei Praz de Fort bogen wir rechts ab, dem Fuße des Glacier de Saleinaz entgegen. Es war ein klarer Sommermorgen angebrochen, und durch das dunkle Grün der Tannen schimmerte prächtig das tiefe Blau des Gletschers hindurch. Über die Wälder und Gletscher emporragpnd, wird vor uns der steile Clocher de Portalet sichtbar; in entzückendem Kontraste steht der graubraune Ton seiner Felsen gegen das tiefe Blau des Himmels. Doch welch seltene Rutschbahn zieht sich hier durch den Wald! Was bedeuten diese weißen Blöcke, die hier polternd hinabsausen? Der Führer klärte mich auf. Beim Glacier de Saleinaz wird Eis gewonnen. Dasselbe wird in rohe Blöcke zerschlagen, und diese gleiten auf der künstlich erstellten Rutschbahn, wie die Kugeln in der Gleitrinne einer Kegelbahn, bergab, um, am untern Ende ihrer Fahrbahn angelangt, durch eine Barriere von Tannästen weich aufgefangen zu werden. Es ist diese Fahrbahn sogar auf dem Siegfriedatlas durch eine fein gestrichene Linie angedeutet.

Bei allmählich wärmer werdender Sonne stiegen wir die Moräne am rechten Rande des Gletschers hinan und kamen bald zu einer steilen Felswand, deren Ersteigung durch in den Fels eingehaltene Tritte und solide Ketten ganz leicht gemacht wird. Auf der Höhe dieser Wand hat man einen hübschen Blick auf den jetzt tief unten liegenden Saleinaz-gletscher mit seinen blauen, zerborstenen Séracs. Auch die Südseite des Portalet, der uns gestern so unfreundlich empfangen, ist sichtbar. Es gefällt heute dem Berge, sich im warmen Lichte der Sonne zu zeigen. Unser Weg hält sich noch geraume Zeit auf begrastem Terrain auf einem Bücken, um sich dann links gegen den kleinen Gletscher zu wenden, der von der Petite Pointe de Planereuse nordwestlich abfällt. In gewaltigen Felswänden erheben sich zu unserer Linken die beiden Clochers de Planereuse, von denen der eine leicht zu besteigen ist, während der andere erst im Jahre 1896 nach vielen vergeblichen Versuchen bezwungen wurde. Diese Kirchtürme ( Clochers ), die ihre Namen mit Recht tragen, derjenige des Portalet zur Rechten, die zwei von Planereuse zur Linken, geben Überhaupt dem Thaleingang von Saleinaz ein ganz charakteristisches, wildes Gepräge. Kommt man freilich höher in das Thal hinauf, so verlieren die trotzigen Gesellen wegen ihrer geringen absoluten Höhe bedeutend an Ansehen, und von den Hochgipfeln aus werden sie gar nicht mehr beachtet. Um zur Clubhütte zu gelangen, muß der kleine, oben erwähnte Gletscher überschritten werden. Diese Querung verlangt Aufmerksamkeit wegen Steinfallgefahr. Daß diese besteht, zeigen die vielen auf dem Firn umherliegenden größern und kleinern Felsblöcke und Trümmer. Besonders nachmittags heißt es aufpassen und in die Höhe sehen, um einem etwa dahersausenden Geschosse rechtzeitig ausweichen zu können. Die Passage ist indessen nicht sehr lang. Es bleibt noch eine kleine Felswand zu erklimmen, und die Cabane de Saleinaz taucht vor dem Blicke auf. Bis zum letzten Augenblicke ist sie dem Auge verborgen, desto angenehmer die Überraschung, wenn sie auf einmal vor einem steht. Zahlreiche, durch Suchen nach Wasser veranlaßte Rasten hatten unsern Marsch in die Länge gezogen, so daß wir die Hütte erst nach 11 Uhr erreichten.

Die Hütte ist flott ausgestattet und macht der Sektion Neuenburg alle Ehre. Neben den notwendigen Gerätschaften werden eine reiche Bibliothek und eine famose Apotheke nicht vermißt. Die Lage der Hütte läßt nichts zu wünschen übrig. Auf einem über den Gletscher vorspringenden berasten Vorsprung gelegen, beherrscht sie den herrlichen Thal-bintergrund des Val Saleinaz mit dem reichen Kranz der es umschliessenden Hochgipfel. Die Lage wird gewiß auch solche Clubisten befriedigen, die gewöhnt sind, von Clubliütten aus einen vollen Einblick ins Hochgebirge und Ausblick auf schön geformte Hochgipfel zu haben. Die aus Felsquadern aufgebaute Grande Fourche und die mit blendend-weißem Firngewand geschmückte Aiguille d' Argentière, die von der Hütte aus vom Gipfel bis zur Sohle sich zeigen, bilden in ihrem Kontraste ein Schaustück ersten Ranges. Reich ist auch der die Umgebung der Hütte zierende 2Dr. A. Walker.

Blumenflor; ich hatte in kurzer Zeit aus der nächsten Nähe etwa 15 verschiedene Arten alpiner Pflänzchen gesammelt. Zur Feier unserer Ankunft und als Zeichen für von unten Kommende ließen wir an der am östlichen Ende unseres Rasenkopfes aufgestellten Fahnenstange das eidgenössische Banner lustig im Winde flattern. Dasselbe ist von unten auf ziemliche Entfernung sichtbar und markiert den Platz, wo die Hütte steht. Dann lagerten wir uns, nachdem vorerst der große Durst gestillt war, im Schatten der Hütte zu einer kleinen Siesta. Im tiefsten Blau wölbte sich per Himmel Über uns, und die erhabene Stille und Feierlichkeit des Hochgebirges wirkte wohlthuend auf das Gemüt ein. Nach gehöriger Ruhe machten wir uns nachmittags noch an die Ersteigung der Petite Pointe de Planereuse ( 2962 m ), die südöstlich der Hütte, durch ein Firnfeld von ihr getrennt, sich erhebt. Die Ersteigung bietet keine Schwierigkeiten. Das Firnfeld wird leicht ansteigend traversiert, und eine kurze, mäßig steile Kletterei über etwas brüchigen Fels bringt uns auf den Gipfel. Der majestätische, gewaltige Grand Combin zeigt sich uns in vollem Glänze, flankiert von dem an Masse ebenfalls imponierenden Vélan. Entzückend ist der Blick in das zu unsern Füßen tief unten liegende, lang hingestreckte Val Ferret. Allmählich zieht der Abend heran. Drunten im Thale herrscht der Schatten; er klimmt hinan an dem jenseitigen Hange, und in großen Linien zeichnen sich die Umrisse unserer Umgebung scharf auf demselben ab. Um uns aber wogt noch blendendes Licht. Nicht viele Bergsteiger kommen dazu, das Bild des Abends oder gar des Sonnenunterganges auf hoher Bergspitze zu genießen. Ich möchte ihnen ans Herz legen, eine solche Gelegenheit, wo sie sich bietet, nicht vorübergehen zu lassen. Andere Lichttöne, andere Farben zeigen sich dem Auge, als am Morgen; dementsprechend ist auch der Eindruck auf uns ein anderer. Wird morgens das Gemüt sich in einer erhabenen Stimmung befinden, so wird das Panorama am Abend das Gefühl eines feierlichen, stillen Friedens wachrufen. Nach einstündigem Aufenthalt kehrte ich zu unserer Hütte zurück, bei welcher wir das Banner im Abendwinde fröhlich flattern sahen. Die Sonne senkt sich hinter den mächtigen Mauern der Aiguille d' Argentière, im matten Dämmerlichte erscheinen die Umrisse der fern von uns liegenden Kette der Berneralpen, es dunkelt im fernen Osten, das gesättigte Rot der Firnen erbleicht, blasser und blasser werden die Farbentöne des Westens.

Auf einmal dringen Jodler an unser Ohr, und aus der Tiefe sehen wir zwei Gestalten gegen die Hütte emporklimmen, nach denen wir schon lange gespäht. Es ist Clubgenosse Meier aus Solothurn, der versprochen hat, heute abend mit mir in der Clubhütte zusammenzukommen, mit einem Träger. Rasch wird ihnen eine warme Suppe bereitet, die ihnen nach der Ankunft auch trefflich mundet. In dunkler Nacht dringen dann noch Jodler hinaus in die erhabene Gletscherscenerie aus der hellen Tenorkehle meines Clubgenossen, bis bessere Einsicht uns zwingt, das Lager aufzusuchen, um gerüstet zu sein für die Strapazen des kommenden Tages. Die Ruhe, die draußen über den Firnen herrscht, hat jetzt auch im Innern der Hütte sich Bürgerrecht erworben. Friedlich schlummern Führer und Tourist nebeneinander. Die bekannte braune Clubhüttenfauna, die sonst zum regelmäßigen, freilich vom Centralkomitee nicht, geforderten Inventar unserer Clubhütten gehört, hat unsere Nachtruhe nicht gestört.

Am 29. Juni galt 's der Grande Fourche, jenem imposanten Felsbau, der im Vordergründe des Glacier de Saleinaz gegenüber der mächtigen Aiguille d' Argentière sich erhebt. Im tiefen Dunkel einer prächtigen Sternennacht marschierten wir noch schlaftrunken um 2 Uhr 25 Min. von der Clubhütte ab und suchten im Scheine unserer Laterne über Gufer und Firnflecke den Pfad zum Glacier de Saleinaz hinab, wobei es freilich ohne einiges Stolpern über Felsblöcke und in Löcher hinein nicht abging. Die feste Firndecke des Glacier de Saleinaz gestattete dann ein besseres Vorwärtskommen. Wir steuerten hinüber zum ( orographisch ) linken Gletscherrande und stiegen dort in ziemlich gerader Linie gegen unser Ziel an, das, nur in großen Umrissen erkennbar, dunkel und phantastisch sich vor uns erhob. Nach cirka dreiviertelstündigem Gehen erwies sich die Laterne als überflüssig und wurde im Firn zurückgelassen. Mit dem allmählichen Erwachen des Tages waren die Formen der uns umgebenden Berge deutlicher geworden: Im Süden erkennen wir die Kette, die von der Pointe de Planereuse über Tita Naire, Darray, Grande Luis zur Aiguille de la Neuva zieht. Zur Linken des letztern Berges reckt der finstere Tour noir sein felsiges Haupt empoi ", und vor uns erhebt sich die an hochalpiner Pracht ihresgleichen suchende Aiguille d' Argentière, der „ Clou " von Saleinaz. Zerborstene, im schönsten Blauweiß leuchtende Hängegletscher, von zerrissenen Felsrippen eingerahmt, senken sich in steiler Flucht von dem kühnen Nordostgrat über die wilde nordöstliche Flanke des Berges zum Gletscherplateau. Jeden Augenblick glaubt man, die zerborstenen Eisbastionen müßten in tollem Übereinander zu Thale stürzen und sich vereinigen mit dem Chaos von Blöcken und Firnmassen, die den Fuß des Berges umgeben, stumme Zeugen der Lawinenstürze, die so oft den stillen Frieden des Hochgebirges stören. Angesichts dieser herrlichen Hochgebirgslandschaft erreichen wir, stetig vorrückend, den eigentlichen Fuß der Grande Fourche und ziehen uns in leichtem Bogen um dieselbe herum an ihre der Aiguille du Chardonnet zugekehrte Westseite. Unterhalb der Felsen machen wir hier ein Viertelstundchen Halt. Um 48/4 Uhr beginnt die fröhliche Kletterarbeit über die granitnen, respektabeln Quadern unseres Berges. Vortrefflich sind Tritte und Griffe. Meist klettert man frei und offen über Wandpartien, über gestuften Fels, zeitweise versenkt man sich etwas ins Innere des Felsenleibes und er- klimmt einen kleinen Kamin, bald wieder verspricht ein Firnfleck rascheres Fortkoramen, wo das Beil des vorangehenden Crettez Stufen schlagen muß. Nach dem Seil verlangen wir einstweilen nicht.

Das Klettern über solche Felsen, über soliden, wenig verwitterten Granit, wie er im Mont Blanc-Gebiet die Regel bildet, ist ein köstliches Vergnügen. Die Blöcke sind fest ineinander gekeilt, sie wanken selten; unbesorgt kann man in kräftigem Anziehen der Arme den guten Griffen vertrauen. Unverdrossen klimmen wir so stetig am steilen Hang des Berges empor. Ein gewaltiger roter Felspfeiler, den wir lange von unten gemustert, weil er uns ein ernstliches Hindernis schien, wird erreicht. Wir umgehen ihn nach rechts und begrüßen die Sonne, die schon längst das Firnbecken des Glacier de Saleinaz mit ihrem Glänze erhellt hat, während wir im Schatten des Berges kletterten. Sicher geleitet uns Onésime durch das Felslabyrinth. Es wäre schon möglich, sich hier zu verrennen, wenngleich auch gesagt werden muß, daß man bald etwas rechts, bald etwas links in der einzuschlagenden Richtung unschwierige Varianten findet. Ganz schwer ist übrigens die Kletterei an der Grande Fourche nicht; wenn man erhebliche Schwierigkeiten trifft, so ist man nicht auf dem richtigen Wege. Ich entsinne mich nur einer Stelle, die schwieriger war, eine kleine, senkrechte Wandpartie, die nur spärliche Griffe bot und die zu oberst mit einem kräftigen Klimmzuge aus dem Hange überwunden werden mußte, ohne daß die Füße nachhelfen konnten. Auch sonst haben überdies die Arme an dem Berge genug Arbeit zu leisten. Aber das soll nicht verdrießen, das gehört eben zur Kletterei, und wenn diese Arbeit so rasch in die Höhe bringt, wie an den Felsen der Fourche, so ist sie eben genußvoll. Nach einer Kletterei von l3 4 Stunden ist die Spitze ( #616 m ) erreicht. Mit einem freudigen Jauchzer, in den alle einstimmen, wird vorerst die Ankunft markiert; dann lagert man sich auf der großen, leicht geneigten Felsplatte, die den Gipfel krönt, im warmen Sonnenschein. Über uns wölbt sich ein klarblauer Himmel, kein Lüftchen regt sich, und behaglich können wir uns dem Genüsse des Anschauens einer hoHialpinen Landschaft erster Ordnung hingeben. Nur wenige Thalgründe sind von unserer stolzen Warte sichtbar. Firnbecken umgeben den Fuß unseres Berges, und ein herrlicher Gipfelkranz ergötzt das Auge. Mehr indessen als die dort in der Ferne winkenden Gipfel der Waadtländer-, Berner- und Walliseralpen, unter welchen wir freilich manch lieben Bekannten erkennen, fesselt uns die nächste Umgebung: die in strahlender Weiße erglänzende Aiguille d' Argentière, die elegante, herausfordernde Aiguille du Chardonnet mit ihrem zerzackten Grate und vor allem die gewaltige Riesenmauer der Droites und Courtes mit der Aiguille Verte, die dort jenseits des Argentièregletschers in schwindelnder Steilheit sich erhebt, eine Wand, welcher nichts ähnliches im Alpengebiet an die Seite zu stellen ist. Dagegen vermag die imposante Wand des Vieschergrates, die zum Finsteraarhorn sich zieht, nicht aufzukommen, auch nicht die schöne Eismauer, die von der Jungfrau westlich zum Lauterbrunner Breithorn sich erstreckt. Einzig der wilde Ostabsturz des Großen Combin zum Zesettagletscher, der freilich viel weniger ausgedehnt ist, hält nach dem, was ich bisher in den Schweizeralpen gesehen, den Vergleich aus. An der grausig schönen Verte erkennt man eben, daß man sich im Mont Blanc-Massiv befindet, wo die alpine Wildheit am sprechendsten zum Ausdruck kommt und die Proportionen ins Riesenhafte anwachsen.

Unser zweites Déjeuner auf der Spitze der Grande Fourche mundete uns nicht weniger gut als das erste unterhalb der Felsen, und fröhliche Weisen erklangen hinaus in die freie und schöne Alpenwelt. Rasch war das Stündchen verflossen, das wir oben zubrachten. Etwas vor 8 Uhr wurde der Abstieg angetreten, für welchen wir durch das Seil verbunden wurden. Ziemlich auf dem gleichen Wege ging 's durch das Chaos der Granitblöcke hinab. Bald entschwand die Spitze des Berges unsern Augen, der gewaltige rote Turm, der wie ein Gendarm den Berg bewacht und der, von oben gesehen, zu einem Nichts zusammengeschrumpft war, nahm wieder größere Dimensionen an, der Gletscher, der tief zu unsern Füßen gelegen, rückte unserm Gesichtskreis n.!iher. Wir erreichen ihn rechts ( im Sinne des Abstiegs ) von unserer Anstiegsroute und bekommen hierbei Gelegenheit, mit dem hier ganz respcktabeln Bergschrund Bekanntschaft zu machen, von dem wir beim Anstieg gar nichts bemerkt hatten. Auf einmal stehen wir nämlich vor der klaffenden Spalte desselben. Weil sein oberer Teil stark überhing, hatten wir von oben gar nichts vom Schrund bemerkt. Da hieß es, aufpassen. Anders als im Sprung war nicht hinüberzukommen. Mein Genosse Meier, der noch nie eine größere Gletschertour unternommen, sah den Schrund ziemlich mißtrauisch an. Onésime organisiert die Art des Übergangs. Die beiden mittlern binden sich vom Seil los, dann macht der Führer den Sprung. Tief gräbt er sich im jenseitigen Hange ein und findet guten Stand Das Seil kommt zurück, der zweite bindet sich an und wagt den Sprung. Bald stehen wir alle vereinigt jenseits des bösen Schrundes. Das Seil wird aufgerollt, und jeder strebt auf eigene Faust zum ebenen Gletscherplateau hinab. Der steile Firnhang erlaubt das Abfahren. Aber unserem Freunde Meier, der noch keine Übung hatte, ist das Gefälle zu stark, und behutsam, von einem der Führer unterstützt, kommt er Schritt für Schritt den Firn hinab. Dann trotten wir gemächlich durch den jetzt weicher gewordenen Schnee um die Grande Fourche herum zu unserer trauten Hütte zurück, die wir um 11 Uhr 15 Min. wieder erreicht haben.

Nachmittags gab 's allgemeines Schlafen; die Führer legten sich wie die Eidechsen an die Sonne, Meier und ich betteten uns auf den wollenen Decken der Hütte zu wohlverdienter Siesta im Schatten des Hüttendaches. Wir waren glücklich, daß uns keine unverschämten Fliegen und Mücken plagten, wie es drunten im Thale der Fall zu sein pflegt, wenn man im Sommer zur Mittagszeit im Freien ein Schläfchen machen will. Über uns wölbte sich Stetsfort der klarblaue Himmel, und die Sonne ergoß eine Fülle von Licht über die uns umgebenden blendenden Firne. Auch der Abend bot wieder das gleiche herrliche Farbenspiel wie tags vorher, und nachts spannte sich das funkelnde Sternenzelt über Gletscher und Fels. In Erwartung eines ferneren schönen Tages legten wir ans zar Ruhe. Unsere Erwartung sollte indessen etwas getäuscht werden.

Am 30. Juni, früh um 2 Uhr 40 Min., brachen wir wieder von der Hütte auf. Unser Ziel war der Grand Darray ( 3523 m ), den wir nach dem Val de la Neuva zu traversieren beabsichtigten. Der Darray ist ein von Saleinaz aus ziemlich häufig besuchter Berg. Die Tour gilt nicht als schwierig und ist, was sowohl Route als Aussicht betrifft, recht lohnend. Der Berg ist erst im Jahre 1885 zum erstenmal bestiegen worden, wohl deshalb, weil er als Gipfel nicht viel über den ihn mit dem Massiv verbindenden Grat hervorragt und von keiner Seite her ein besonders imponierendes Äußeres aufweist. Unsern Träger, den Meier mit Vorliebe „ garçon " betitelte, was ihm Freude zu machen schien, schickten wir allein weg, er sollte ins Thal und für uns Proviant und Kochgeschirr ins Val de la Neuva zum Biwakplatz hinaufbringen, von wo wir andern Tags den Tour noir in Angriff nehmen wollten. Wir drei andern aber stiegen gemächlich über sanft geneigten Firn zum Col de Planereuse an. Der Firn war schon weich für den frühen Morgen, kein gutes Wetterzeichen; wir vermochten auch im Dunkel der Nacht leichte Wölklein über uns zu erkennen, die in raschem Zuge von Westen herangezogen kamen. In etwas mehr als einer Stunde war der Col erreicht. Hier tritt uns ein von der Tita Naire herabkommender Gletscherbruch entgegen, den wir in leichtem Bogen nach links umgehen. Dann steuern wir zwischen zahlreichen Firnschründen in steilem Anstieg hindurch und kommen in die hufeisenförmig von den beiden Darray umschlossene, nach Osten offene Firnmulde, in der wir etwa bis zu ihrer Mitte vorrücken. Der Weg ist jetzt ganz aussichtsarm, und wir können unsere Aufmerksamkeit ganz unserm Frühstück widmen, das uns zum weitern Anstieg stärken soll. Dann wenden wir uns links, wo eine steile, vereiste Firnhalde etwas Arbeit verspricht. Die Axt des Führers fährt ins Eis; klirrend springen die Eissplitter weg und sausen uns beiden, die wir direkt in der Falllinie unter dem Führer stehen, ums Gesicht und auf die Hände, was oft nicht wenig schmerzt. Da zudem noch ein eisigkalter Wind weht, ist die Situation nicht gerade gemütlich, was auch Freund Meier bestätigt. Wir begrüßen deshalb die Felsen, die uns leicht zum Ostgrat unseres Berges hinauffuhren, dem wir noch eine ganz kurze Strecke folgen müssen, bis uns der aus dem Nebel hervortretende Steinmann belehrt, daß wir den Gipfel des Darray zu unsern Füßen haben. Die Uhr zeigt 6 Uhr 45 Minuten; langsam fängt es an, zu schneien. Adieu Aussicht! Etwas mißmutig betrachten wir unsere Umgebung, da erbarmt sich unser der Berggeist; mit kräftigem Blasen fegt er den Nebelschleier weg und gestattet uns kurze Zeit einen Blick auf die uns umgebende interessante Landschaft. Der mächtige Grat, der uns gegenüber vom Mont Dolent zur Aiguille d' Argentière zieht, fesselt vor allem unsere Aufmerksamkeit, und hier ist es wieder der unheimliche, trotzige Bau des Tour noir, der uns recht aus der Nähe bewillkommt. Schwarze Nebel spielen an ihm und lassen ihn noch wilder und frostiger erscheinen, als er sonst schon ist. Steil erhebt er sich aus dem Val de la Neuva, dessen unbestrittener Beherrscher und zugleich Glanzpunkt er ist. Ob wir wohl morgen dort hinaufkommen?

Trotz Nebel und Kälte hielten wir es drei Viertelstunden auf dem Gipfel aus. Behaglich deponierte Onésime das Gipfelbuch mit der Blechkapsel, das er aus der Clubhütte auf meinen Wunsch mitgenommen und in welches künftighin die Besteigungen des Darray eingetragen werden sollen, unter dem Steinmann, jedenfalls froh, es nicht weiter mitschleppen zu müssen.

Dann machten wir uns auf zum Abstieg ins Val de la Neuva über die Südseite des Darray, ein Weg, der vor uns weder im Aufstieg noch im Abstieg je gemacht worden war. Wir verfolgten zuerst den felsigen Grat, der zum Kleinen Darray hinüberführt und der keine Schwierigkeiten bietet, und stiegen dann, als ein großer Gendarm das Weiterkommen auf dem Grat erschwerte, nach links ab, wo das Terrain aus steilen, lockern Felspartien mit dazwischenliegenden Schneekehlen bestand. Tief unter uns gähnten die zahlreichen Spalten des Glacier de la Neuva. Vorsichtig stiegen wir bald auf Fels, bald durch die Schneecouloirs ab, hatten einzelne kleinere, vereiste Stellen zu überwinden, standen aber doch ziemlich bald oberhalb des Bergschrundes, der zum Glück hier von Lawinenschnee fast vollständig ausgefüllt war, so daß wir ihn rutschend passieren konnten. Auch durch das Spaltengewirr des Glacier de la Neuva fanden wir unbehelligt unsern Weg. Im Spätsommer und in Jahren mit wenig Firn könnte hier das Durchkommen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Man hält sich am besten möglichst an den linksseitigen Gletscherrand, nahe den Felsen der Pointe des Essettes. Das wilde Val de la Neuva, das selten Besuch von Touristen erhält, bildet ein alpines Schaustück ersten Ranges. In wildem Sturze wälzen sich die zerborstenen Séracs des Gletschers von allen Seiten ins Thal hinab; steile, zersägte Felsgräte rahmen den Thalhintergrund ein. Jähe Couloir schießen von ihnen nieder. Der Col d' Argentière, die tiefste Einsattlung jenes Grates, der die Westseite des Thaies abschließt, einer der wildesten Gletscherpässe, ist deutlich sichtbar; als Wächter im Hintergrund des Kessels thront der imposante Tour noir, ein dunkler Granitkoloß. Zu der weiter links von ihm sich erhebenden tadellos weißen, schön gewölbten Firnkuppe des Mont Dolent steht er in reichstem Kontraste. Beide Berge verbindet der wilde Gipfelkamm der Aiguilles rouges. Schwarze Gewitterwolken, die immer dichter von Westen heranzogen, machten die sonst schon fast unheimliche Scenerie des einsamen, abgelegenen Thaies noch schauriger. Dämmerung trat ein, ein Unwetter drohte und ließ unsere Lage, weit entfernt von einem schützenden Obdach, nicht gerade beneidenswert erscheinen. Auf den tiefern Firnhängen konnten wir indessen lange Strecken abfahren und erreichten noch glücklich vor dem Regen den Biwakplatz, der tief unten auf der linken Thalseite neben der Gletscherzunge gelegen ist. Es ist ein großer Granitblock, unter dem man sich hier verbergen kann. Etwas nasses Heu bezeugt, daß da schon Menschen Unterkunft gesucht haben. Unser Träger, der garçon, war bereits angelangt ( es war 10 Uhr vormittagsein Kochgeschirr und Holz hatte er heraufgeschleppt. Bei der Unsicherheit des Wetters war indessen ein Biwak, bei welchem man vor dem Regen fast gar keinen Schutz gefunden hätte, nicht gerade nach aller Geschmack, und als deshalb das Wetter auf den Nachmittag keine Miene zum Bessern machte, gaben wir, Freund Meier mit Vergnügen, ich niedergeschlagen, unsere Absichten auf den Tour noir auf und pilgerten nachmittags 2I/a Uhr thalauswärts, unserem Ausgangspunkte Champex zu. Über Moränen, ein ausgewaschenes, trockenes Bachbett und durch dünnen gestrüppreichen Wald erreichten wir pfadlos das Val Ferret bei der Häusergruppe von L' Amône, in deren Nähe eine verlassene Eisen- und Bleimine sich findet. Der Gang auf schmalem FahrsträlJchen durch die blumigen, in herrlichster Farbenpracht prangenden Matten des Val Ferret mit seinen zahlreichen, aber meist ärmlichen Hütten und Ortschaften war ungemein genußreich. In Bezug auf Speisen und Getränke darf man freilich in den wenigen dürftigen Schenken, die man passiert, nicht viel erwarten. Man kriegt den üblichen Landwein, etwas Käse und Brot, wenn 's gut geht noch Eier und Salami, aber keine Table d' hote. Auch mit der Unterkunft für die Nacht dürfte es meistenorts schlecht bestellt sein. Etwas sauer kam uns der letzte Anstieg, die 500 Meter von Ville d' Issert nach Champex hinauf, vor; hier setzte auch der sonst stets muntere und zufriedene garçon eine mürrische Miene auf. Um 6 Uhr 10 Min. hielten wir unsern Einzug ins Hôtel du Lac in Champex in etwas defekter Beschaffenheit; besonders Freund Meier hielt es für geraten, einiger Blößen wegen, die das Gestein des Darray beim Abstieg in seine nicht ganz hocligebirgsfesten Hosen gemacht, schleunigst sich den Blicken der Kurgäste zu entziehen. Er hatte auch sonst genug von Hochtouren, er war des Vergnügens wegen in das Hochgebirge gezogen, und als man hier, wie er sagte, „ schaffen mußte wie ein Hund und dazu nur Konserven essen ", und es nicht wohl anders zu machen war, war er für einige Zeit vom Hochgebirgsfieber befreit.

Wir hatten übrigens gut gethan, den Tour noir aufzugeben; die nächsten Tage gab 's heftige Gewitterregen, Nebel bis nach Champex hinab, Wind und Kälte. An einem etwas bessern Nachmittage riskierten wir einen Spaziergang auf die oberhalb Champex gelegenen Berge, von wo man einen hübschen Blick auf den lieblichen, zu Füßen liegenden Lac Champex hat, wurden aber während der nur vierstündigen Abwesenheit vom Hotel zweimal durch heftigen Gewitterregen gehörig gewaschen.

Von all den ausgeführten Touren verdient wohl keine das Prädikat „ schwierig ", mehrere hingegen dasjenige „ sehr lohnend ". Es dürfte dies vielleicht für viele Clubgenossen ein Ansporn sein, die Schritte auch einmal nach Orny oder Saleinaz zu lenken. Ich wünsche ihnen hierzu ein herzliches Glückauf!

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