Bergsteigen mit behinderten Menschen. Ansteckende Freude
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Bergsteigen mit behinderten Menschen. Ansteckende Freude

Bergsteigen mit behinderten Menschen

Dass Bergsteiger ihre behinderten Sportfreunde sichern, ist noch nicht Alltag. In Meiringen wurde beim zweiten Kurs « Bergsteigen mit behinderten Menschen » 1 vom 14. bis 16. Juni 2002 aber ein weiterer Schritt in diese Richtung getan. Die Stimmung dabei war « super »!

« Claudia, komm jetzt !» Noch fünf Meter, dann ist Barbara Gygax unten am Fuss des Übungsfelsens im Zwärgliwald angelangt – und das müssen alle gesehen haben, vor allem ihre Führerin Claudia. Mit ihr zusammen klettert die behinderte Barbara, die ein Down-Syndrom 2 hat, am liebsten. Eigentlich hätte sie aber gar nicht rufen müssen, denn ihre Jubel-schreie hatten ohnehin schon alle anderen Kursteilnehmer auf « ihre » Seite des Felsens im Klettergarten Rotsteini oberhalb von Meiringen gelockt.

1 Der nächste Kurs « Bergsteigen mit behinderten Menschen » findet vom 13. bis 15. Juni 2003 unter der Leitung von Bergführer Ralf Weber in Hasliberg statt. 2 Menschen mit Down-Syndrom haben – nebst anderen Behinderungssymptomen – lockere Bänder, sog. « Gummigelenke », was rasch zu Überdeh-nungen, zu übermässigem Druck auf die Gelenke und damit zu rheumatischen Beschwerden führt. Beim Absteigen fehlt ihnen deshalb die Sicherheit. Dies kann bis zur völligen Bewegungsblockierung führen. Nur auf Grund eines guten Vertrauensver-hältnisses zur betreuenden Person lässt sich diese Angst zumindest teilweise überwinden.

Zuerst Tränen, dann Jubel Dass das Abseilabenteuer mit Küsschen und Handschlag endet, war nicht von Beginn weg sicher: Nachdem Christine Zehr und Christine Willi, zwei Kursteil-nehmerinnen, den Abseilachter installiert und die Seile nach unten geworfen hatten, verliess Barbara plötzlich der Mut, und sie klebte unverrückbar am Felsen. Ihre Tränen machten die beiden Betreuerinnen ratlos. Gutes Zureden half nichts, Warten war das beste Rezept. Plötzlich fasste sich die 36-jährige Barbara ein Herz und setzte sich in den Schoss ihrer Begleiterin. Zusammen gondelten sie so dem Boden zu. Für alle ein grosses Erfolgserlebnis. « Super », fanden auch die beiden Bergsteigerinnen nach getaner Arbeit und liessen sich von Barbaras blendender Stimmung anstecken.

Sichern unter Druck Die Tour um den Übungsfelsen, Hinaufklettern und Abseilen, war der Höhepunkt des Wochenendes und ein wenig die Feuertaufe für die beiden Teilnehmerinnen. Beim Auswertungsgespräch, das Kursleiter und Bergführer Hans-Heini Utelli mit den 16 Kursteilnehmern und den fünf Behinderten führte, sagte Chri-

Ein Zwischenziel ist geschafft: Die behinderte Barbara Gygax ist mit ihren Betreuerinnen Christine Willi ( r. ) und Christine Zehr ( m .) auf dem Weg nach oben.

Noch zwei, drei Züge, und der Übungsfelsen im Klettergarten Rotsteini ob Meiringen ist bezwungen.

Barbara Gygax hat ihre Angst überwunden. Sehr wichtig, vielleicht wichtiger noch als unter nichtbehinderten Kletterern, ist ein gutes Vertrauensverhältnis in der Seilschaft.

Fo to s:

Ch rist oph Ae bi sc he r

SAC – Zeit für Behinderte

Begründet wurde der Kurs « Bergsteigen für behinderte Menschen » durch die SAC-Millenniumsaktion « Zeit für Behinderte ». Der SAC verkaufte damals eine limitierte Serie Uhren, die die Firma Longines dem SAC für diese Aktion zu einem Sonderpreis zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem erzielten Gewinn konnte das Projekt « Bergsteigen für behinderte Menschen » ins Leben gerufen werden. Diese Mittel sind nun aber aufgebraucht und der SAC hat das Projekt in sein Kursprogramm integriert. Dies wird auch seitens der Behindertenverbän-de begrüsst, die sich insgesamt für eine bessere Integration behinderter Menschen in den bestehenden Sportvereinen einsetzen.

stine Zehr: « Ich war kurz überfordert, als Barbara keinen Wank mehr tat. Sachen, die ich sonst sicher beherrsche, sind mir entfallen. » Eine gute Erfahrung für Hans-Heini. Solche Blockaden könnten immer und überall auftauchen. Umso wichtiger sei es deswegen, dass die Führende das Sicherungssystem so einrichtet, dass sie jederzeit selber eingreifen könne. Christine löste das Problem schliesslich ruhig und souverän. Dass die kleine Tour anstrengend war, sagte sie erst unten. Letztes Jahr bei der ersten Durchführung dieses Kurses sei Barbara eineinhalb Stunden oben geblieben. « Wir haben sie schliesslich mehr oder weniger hinuntergetragen », fügt Hans-Heini Utelli bei.

Vermitteln macht Spass Claudia Rechsteiner, die Lieblingsführe-rin von Barbara, ist Kinderkranken-schwester und hat schon oft mit behinderten Menschen zusammengearbeitet. Barbara habe sie selber zu ihrer Führerin erkoren, erzählt sie. Wichtig sei der behinderten Kletterin, dass Abmachungen eingehalten würden: « Wenn ich sage, dass ich zuschaue beim Abseilen, dann will sie auch, dass ich komme », sagt Claudia. Verantwortung zu übernehmen und den behinderten Menschen etwas zu vermitteln, mache ihr Spass. Aber sie bemerke bei sich die Tendenz, zu viel zu reden, denn: « Sie machen es selber erstaunlich gut », attestiert Claudia den behinderten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Kein Wunder – sie sind auch keine Anfänger: Barbara zum Beispiel klettert schon seit fünf Jahren. Ihre Behauptung, dabei noch nie Angst gehabt zu haben, war hingegen wohl etwas zu cool... a

Christoph Aebischer, Bern Ruedi Diener engagiert sich seit Jahren für den Behindertensport. Er ist selber seit 36 Jahren blind. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, selber aktiv zu klettern oder zu sichern. Christine Zehr nimmt Barbara Gygax auf den Schoss. Mit dieser Sicherheit im Rücken wagt Barbara das Abseilabenteuer.

Ist das sichere Gefühl erst da, machts nur noch Spass: Die Jauchzer von Barbara locken alle Kursteilnehmer auf « ihre » Seite des Felsens.

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