Bergsteigen - trotz Diabetes
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Bergsteigen - trotz Diabetes

Der nachstehende Beitrag zur Frage der weiteren Ausübung des Bergsports nach Ausbruch der Zuckerkrankheit ist eindrücklich und ermunternd. Er zeigt, dass man sein Schicksal gestalten und auch scheinbar unlösbare Probleme bewältigen kann. Körperliche, anstrengende Tätigkeit und exzellente Blutzuckerkontrolle, wie sie im vorliegenden Fall und von zwei weiteren mir persönlich bekannten Bergsteigern in gleicher Lage betrieben wird, ist die optimalste Prophylaxe gegen die gefürchteten Komplikationen des Diabetes melitus. Bergsteigen ist demzufolge für diese Patienten nicht nur Lust und Freude am Tun, sondern auch Vorsorgemedizin im besten Sinn des Wortes.

Da ist jemand seit fast zehn Jahren Bergsteiger mit Leib und Seele, hat keinerlei gesundheitliche Probleme, ist viel auf grossen und anspruchsvollen Touren unterwegs - und plötzlich erkrankt er an Diabetes ( Zuckerkrankheit ). Wie äusserten sich die ersten Anzeichen der Krankheit, und was sind ihre Folgen? Kann der betroffene Alpinist überhaupt noch Touren unternehmen und wenn ja, mit welchen Einschränkungen? Der folgende Erlebnisbericht gibt nähere Auskunft über einen solchen Fall.1

Erik Detmer ( 31 ) hat das Bergsteigen 1987 entdeckt, ich ( 25 ) 1988. Ab 1989 verbrachten wir fast unsere ganze Freizeit in den Bergen. Im Winter unternahmen wir Skitouren - für Erik durfte es gelegentlich auch ein Eisfall sein -, im Sommer kletterten wir oder gingen auf Hochtouren. Während es Erik dann auch manchmal in eine Nordwand zog, bevorzugte ich anspruchsvolle Wanderungen.

1995 erlaubte uns unsere berufliche Situation, vom März bis November auszusetzen, so dass uns endlich die schon lange erhoffte längere Zeitspanne zum Bergsteigen zur Verfügung stand. Wir begannen mit Skitouren, wobei mir vor allem zehn Tage im Gebiet Safien - Splügen bei ununterbrochen schönem Wetter in bester Erinnerung sind.

Dann kam der April. Wir begaben uns ins Aostatal. Im Gebiet des Rifugio Benevolo wollten wir etwa fünf Tage bleiben und danach den Gran Paradiso versuchen. Das war unsere Absicht - es kam jedoch anders. Zunächst gelangen uns drei schöne Skitouren, obwohl Erik von Tag zu Tag häufiger zum Wasserlösen aufs WC musste und immer stärkeren Durst bekam. Am vierten Morgen wachte ich auf, sah Erik an - und erschrak: Anstatt eines Dreissigjährigen erblickte ich einen alten Mann. Das Gesicht war voller Runzeln, und der Glanz war aus den Augen verschwunden. Erik fühlte sich sehr erschöpft. Wir beschlossen, einen Ruhetag einzulegen und abzuwarten. Doch mir war nicht wohl bei der Sache; ich hatte Angst, Erik falle jeden Moment in Ohnmacht. So beschloss ich, in der Hütte nach einem Arzt zu suchen. Glücklicherweise hatte ich Erfolg. Ich schilderte dem seit einem Jahr pensionierten Kinderarzt die Symptome ( Durst und Wasserlösen ). Er schaute sich Erik etwa eine Minute lang an, dann vermutete er Diabetes - für uns ein Fremdwort -und ordnete den sofortigen Transport ins Spital an. Ein Heli kam, und eine 1 Für eventuelle Fragen steht Erik Detmer, Thormannmätteliweg 31, 3004 Bern, Tel.031/302 69 71, gern zur Verfügung.

Stunde später sass Erik bereits mit einer Infusion versehen in einem Rollstuhl im Spital von Aosta. Leider hatte der Arzt recht gehabt. Eriks Blutzuk-kerwert war von normalen 100 mg/dl Blut auf 850 mg/dl angestiegen. Hätten wir 24 Stunden zugewartet, wäre die Situation lebensgefährlich geworden.

Von jenem Moment an gehören gesunde Ernährung, das Messen des Blutzuckers und täglich mehrmals Insulinspritzen zu Eriks Alltag. Und was wurde aus unserem geplanten Bergsommer? Zurück in der Schweiz lag Erik noch eine Woche im Spital. Trotz der - fachlich falschen - Warnung eines behandelnden Arztes vor Sport wagten wir uns bereits Ende April 1995 wieder an das « Abenteuer Bergsteigen ».

Die erste Woche « Skitouren trotz Diabetes » begannen wir bei der Albert-Heim-Hütte, worauf wir in acht aufeinanderfolgenden Tagen zahlreiche Gipfel bestiegen, verschiedene Hütten besuchten und dabei im Aufstieg nahezu 11000 Höhenmeter zurücklegten. Der Beweis war erbracht: Erik kann als Diabetiker die gleichen Leistungen erbringen wie vorher. Wir waren sehr froh und glücklich über dieses Ergebnis.

Im weiteren Jahresverlauf folgte dann noch eine grosse Anzahl Ski-, Hoch- und Klettertouren, zu denen u.a. auch Eriks Besteigung der Matterhorn-Nordwand gehörte.

Diabetes ist eine Stoffwechselkrankheit. Die Bauchspeicheldrüse produziert nicht mehr genügend Insulin, so dass die Kohlenhydrate aus der Nahrung nicht mehr in die Zellen aufgenommen werden können. Man unterscheidet zwei verschiedene Typen von Diabetes:

 

Typ I: Jugenddiabetes

Unabhängig von der Lebensweise bricht die Krankheit bei etwa 0,5 % der Schweizer Bevölkerung zwischen dem Babyalter und dem 35. Lebensjahr aus. Wird der Diabetes Typ I nicht behandelt, stirbt der Betroffene innert Monaten. Behandelt wird Typ-I-Diabetes wie folgt:

- bedarfsgerechte, ausgewogene und naturnahe Ernährung, keine Diät ( diese Ernährung wäre übrigens auch für Nichtdiabetiker gesünder

- Spritzen von Insulin, zwei- bis viermal täglich, abgestimmt auf Blutzuckermesswerte und körperliche Betätigung

- genügend Bewegung und regelmässige ärztliche Kontrollen ( drei- bis sechsmal jährlich ).

 

Typ II: Altersdiabetes

Daran erkranken etwa 20% der über 60jährigen Schweizer. Die wichtigsten Ursachen sind Übergewicht, zu wenig Bewegung, falsche Ernährung und die Erbanlagen.

Hat ein - schlecht behandelter - Diabetiker über längere Zeit ( ca. 10 Jahre ) häufig zu viel Zucker im Blut, treten gravierende Spätschäden auf ( Erblinden, Gliederamputationen, Nierenschäden ).

Hat der Diabetiker kurzfristig zu wenig Zucker im Blut ( zu viel Insulin gespritzt oder zu wenig gegessen ), dann gibt es eine Unterzuckerung -der Diabetiker zittert und kann ohnmächtig werden. Wenn er genügend Zucker, Orangensaft oder ähnliches einnimmt oder Zucker gespritzt erhält, ist die Unterzuckerung behoben, und der Diabetiker erholt sich bzw. wacht wieder auf. Die Unterzuckerung ist natürlich für den Bergsteiger ein Problem, denn eine Ohnmacht im falschen Moment kann fatale Folgen haben. Aus diesem Grund achtet Erik während der Touren auf eine genügende Ernährung.

Eigentlich hat sich mit dem Ausbruch der Krankheit - zumindest aus der Sicht eines Aussenstehenden - nur wenig geändert:

- Man muss einige Gegenstände mehr mitschleppen (Blutzuckermessgerät, Spritze, Insulin, Diabetikertagebuch)

man benötigt pro Tag ca. 30 zusätzliche Minuten Zeit für Blutzukkermessungen und Insulinspritzen

- es ist gefährlich, nach Lust und Laune zu essen. Übrigens leidet der Diabetiker verständlicherweise, wenn man in seiner Begleitung hemmungslos nascht.

- Ein schöner Nebeneffekt der Krankheit ist, dass eine längere Tour ( sechs bis acht Stunden effektive Anstrengung ) für Erik einen zusätzlichen Reiz hat: Nachher kann er nach Lust und Laune « Ungesundes » essen ( früher war dies normal für ihn -heute ist es ein ganz spezieller Genuss )!

Dieser Beitrag hat zwei Ziele:

- Er soll zu bedenken geben, dass die Gesundheit - derer sich die meisten von uns erfreuen - nicht ein selbstverständliches Geschenk istz

- weitens soll er jene ermutigen, die durch Krankheit oder Unfall plötzlichen neuen und unerwarteten Schwierigkeiten und Problemen gegenüberstehen und bereit sind, daraus das Beste zu machen. Nur wer wagt, gewinnt!

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