Bergwunden statt Bergwunder
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Bergwunden statt Bergwunder Neue Ausstellung «Intensivstation» im Alpinen Museum

Willkommen in der Wunderwelt des Winter-sports: Das Alpine Museum zeigt in «Intensivstation» die Kehrseiten des winterlichen Event- und Funtourismus. Im Zentrum stehen die Fotografien von Lois Hechenblaikner, der durch kühle Dokumentation den Finger auf Wunden legt.

«Have Fun»: Dazu fordert eine Tafel in einem deutschsprachigen Skigebiet auf. Fun, Fun, Fun: Das ist die Devise des Massenskitourismus. Fun im und auf dem Kunstschnee, Fun mit Feuerwerken, Fun beim Après-Ski. Diese Funkultur hat ihre Kehrseiten. Steht im Zentrum des Wintersports eigentlich die Sehnsucht nach der Natur, so entpuppt sich vieles – sicher nicht alles – bei genauerem Hinsehen als Unnatur: als künstliche, arrangierte, gebaute Natur – als Alpenfabrik.

 

Ein unerbittlicher Dokumentarfotograf

Jemand, der sehr genau hinsieht, ist der 54-jährige österreichische Fotograf Lois Hechenblaikner. Er dokumentiert unerbittlich die Spuren, welche die Fun- und Eventkultur, die Erlebnisindustrie an den Skiorten hinterlässt. Nicht die hehren Alpen zeigt er, sondern die Pistenbahnen, mit denen die Natur planiert wird. Und die dann im Sommer wie Wunden aussehen. Er zeigt, welche gewaltigen und gewaltsamen Erdumwälzungen für die Reservoirs notwendig sind, die erst die riesigen Produktionsmengen der Schneekanonen ermöglichen. Er zeigt die geradezu absurd anmutenden Bühnen, die für die Winterevents aufgeschlagen werden, an deren Ende Abfallberge sich erheben. Und er blickt hinter die Kulissen der Alpengastronomie: Schaudernd sieht man die industriell anmutenden, computergesteuerten Getränkeanlagen, die mit ihren Schläuchen, Kontroll- und Messgeräten an eine Intensivstation denken lassen.

 

Wer ist eigentlich der Patient?

Ironisch, ja geradezu zynisch nennt Hechenblaikner diese Welt «Winter Wonderland». Und in der Ausstellung, die auf den Fotografien von Hechenblaikner basiert, heisst diese Welt unverblümt und mehrdeutig «Intensivstation». Denn es lässt sich sehr wohl fragen, ob die Eventindustrie dazu da ist, die Touristenmassen in eine Art künstliches Koma der Freude und der Besinnungslosigkeit zu versetzen oder ob die drangsalierte Natur nicht endlich einer Reanimation bedürfte. In jedem Fall sicher ist: Hechenblaikners Bilder haben Schockpotenzial. Sie ziehen gewissermassen den Schnee der Unschuld von der vermeintlichen Alpenidylle, die von der Eventindustrie verkauft – und zugleich verraten wird. Die Skiorte, die die «Intensivstation» zeigt, liegen zwar nicht in der Schweiz, sondern in Österreich und im Südtirol, die Fotografien stellen jedoch zugleich die Frage, wie in der Schweiz mit den Ressourcen der Berge, wie hierzulande mit dem Event- und Massentourismus umgegangen wird.

 

Wo Abfallberge sich erheben

Wenn Beat Hächler, Direktor des Alpinen Museums, solche Fragen aufgreift und anpackt, dann sind die Darstellung und Vermittlung der touristischen Erlebniswelt mit Garantie ihrerseits ein Erlebnis, in diesem Fall vielleicht ein schockierendes. Schon der Auftakt spricht eine klare, kalte Sprache: Man betritt zuerst einen klinisch sterilen Raum, gelangt dann in einen Raum, in dem sich geschredderte Skis häufen – das Resultat einer Skisaison eines Tiroler Skiorts. Im Zentrum stehen die grossformatigen Fotografien von Hechenblaikner, die so raffiniert inszeniert werden, dass die Konfrontation und damit die Irritation unvermeidlich sind. Im Hodlersaal dann rattert in einem Endlos-Loop eine Ski-Schreddermaschine. Es ist dem Publikum überlassen, hier einen Bezug zu Hodlers monumentalem Gemälde «Aufstieg und Absturz» zu machen, das den Triumph und die Tragödie der Matterhorn-Erstbesteigung dramatisch vor Augen führt. Ein weiterer Raum entführt in die Welt des Après-Ski: herzlich Willkommen in der Welt der Alpenparties, der Flaschenberge, der unheimlich heimeligen Grosslokale.

 

Operation gelungen

Schnell, sehr schnell möchte man diese künstliche Welt wieder verlassen. Vielleicht auch kommt eine Sehnsucht auf nach der guten alten Skihütte, die man durch den tiefen, echten, nicht von Schneekanonen produzierten Schnee erreicht, jenseits jedes Events, in einer Stille, die nicht Fun ist, sondern im wahren Sinne des Wortes Erlebnis. Aber die Ausstellung «Intensivstation» lässt bis zum bitteren Ende nicht locker. Im letzten Raum finden sich nochmals zwei Grossaufnahmen von Hechenblaikner: Sie zeigen Gletscherreste im Sommer, abgedeckt und geschützt durch grosse Planen, die das Wegschmelzen des Eises verhindern sollen. Schliesslich gehört die Gletscherwelt mit zur Basis der Eventkultur. Und diese Basis muss erhalten bleiben.

Planen erinnern an Leichentücher. Die Ausstellung «Intensivstation», dramatisch in ihrer Konzeption, endet mit der Feststellung, dass die Operation zwar gelungen, der Patient jedoch gestorben ist.

Infos

Die Ausstellung: «Intensivstation». Alpines Museum der Schweiz, Helvetiaplatz 4, Bern. 28. September 2012 bis 24. März 2013. www.alpinesmuseum.ch

Weiterlesen: Lois Hechenblaikner: Winter Wonderland, Steidl Verlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-86930-376-5. Fr. 54.www.hechenblaikner.at

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