Bhutan, das Land der unbestiegenen Gletscher, als neues UNO-Mitglied
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Bhutan, das Land der unbestiegenen Gletscher, als neues UNO-Mitglied

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Text: Blanche C. Olschak, Zürich. Expeditionsaufnahmen: Ursida und A. Gansser, Zürich. Karte: Augusto Gansser, Zürich

Bhutan ist der Völkerfamilie der Vereinten Nationen beigetreten: ein kleines Himalaya-Königreich mit nur 800000 Einwohnern, die — auf einer gesamten Bodenfläche von 47000 km2 -in den fruchtbaren, durch hohe Pässe getrennten Hochgebirgstälern wohnen. Bis vor kurzem unbekannt und von der grossen Welt abgeschlossen, existierte Bhutan im südöstlichen Himalaya in mittelalterlicher, jedoch autarker Wirtschaft, gestützt auf seine alte buddhistische Kultur, selbstgenügsam und offensichtlich glücklich. Erst der gibt. Ausserdem wurde der Unfall beobachtet, und es waren sogleich Leute da, die Hilfe leisten konnten. Die Witterungsbedingungen waren überaus günstig, wodurch die Rettungsflugwacht eingesetzt werden konnte. Wegen angenehmer Temperatur traten keine Komplikationen durch Kälteeinwirkung ein. So darf man wohl sagen, dass sich - abgesehen vom Unglück als solchem - sämtliche Umstände vorteilhaft auswirkten. Die sich aufdrängende Frage: Weshalb sind sie gestürzt, muss ich schuldig bleiben, weil wir vollauf durch die Rettungsaktion in Anspruch genommen waren. Vielleicht war es Unvorsichtigkeit, vielleicht ein Ausrutschen im Eis oder gar eine zu schwierige Passage. Wir wissen es nicht. Ausrüstungsmässig darf den beiden kein Vorwurf gemacht werden. Hingegen sei zum Schluss die Frage erlaubt: Ist es verantwortbar, mit keiner oder doch nur einjähriger Bergerfahrung bereits eine derartige Tour ausführen zu wollenVon den Geretteten haben wir nie mehr etwas vernommen. Bergkameradschaft?

gewaltige Sprung in unser technisches Zeitalter, finanziert von der Entwicklungshilfe Indiens, das Bhutan als UNO-Mitglied auch der Weltpolitik vorstellt, macht auf diesen « Zwergstaat » aufmerksam, der sich zwischen zwei Kolossen, China im Norden und Indien im Süden, durchsetzen muss. Die populäre Orientierung, falls überhaupt vorhanden, schwankt noch zwischen der Frage nach « Butangas » und einer eventuell vergessenen Insel im Pazifik... Ausnahmen bilden England mit seiner generationenlangen Erfahrung in Indien, die auch in die Schulbildung gedrungen ist, und- die Schweiz, deren Bergsteiger mit ihrem Anhang dafür gesorgt haben, dass man sich auch für den kulturellen Hintergrund jener Völkerstämme interessiert, in deren Ländern es noch unbestiegene Gipfel gibt, die zu den ältesten Götter-thronen der Welt gehören. Bhutan ist in diesem Sinne geradezu ein Wunschtraumland aller Bergsteiger, denn es ist tatsächlich « Das Land der unbestiegenen Gletscher ». Wer je das Glück hatte, während der häufig auftretenden Schwierigkeiten in diesen Gebieten von Kalkutta aus, auf dem Flug zum Fuss des Himalaya, ganz Ost-Pakistan umfliegen zu müssen, der hat auch das Glück gehabt - im Winter z.B., wenn die Bergsicht kristallklar ist - einige tausend Kilometer Hima-layagrenze aus der Vogelperspektive beobachten zu können. Während die Kamera tief im Rucksack verstaut bleibt - denn Photographieren aus der Luft ist verboten -, glaubt man die ganze Himalayakette zu erkennen, die sich in 5000 Kilometer Länge vom Karakorum bis zur östlichen NEFA-Linie erstreckt. Dahinter liegt, im Dunst des Horizontes verschwindend, das « Dach der Welt ». Man fliegt sozusagen die Parade der Gletschergipfel ab. Deutlich erhebt sich der Kangchenjunga als Riese aus dem winzigen Sikkim. Nordöstlich davon ragt die « Herrin der Götterberge », der Chomolhari, an der Nordwestgrenze von Bhutan empor. Hier beginnt die Kette der unbestiegenen Grenzberge von Bhutan. Es folgt der « Gletscher des Langen Lebens » ( Tsering Kang ) und dann der Masa Kang, der 7200 Meter über Laya ragt, eine 3800 Meter hoch gelegene Gebirgssiedlung. Masa Kang trägt den Namen des Geschlechtes von « Masang », der vorgeschichtlichen Ahnen der Tibeter Stämme. Er stammt aus einer versunkenen, schamanistischen Zeit, in welcher die Berge noch nicht Throne der Götter, sondern selbst Götter waren. Masang ist auch der Ahnherr von Gesar, dem Helden der Saga Zentralasiens und aller Stämme, die — vom « Dache der Welt » aus - den Himalaya bevölkerten. Gesar wird als legendärer Eroberer ganz Zentralasiens verehrt, und es heisst, dass er wiedergeboren werde, wenn sein Volk in grösster Gefahr ist...

Im Westen Bhutans gibt es einen sogenannten « leichten Pass ». Es ist Pämä La, der « Lo-tos- Pass », ein alter Hochland-Karawanenweg, der seit urdenklichen Zeiten das « Dach der Welt » mit dem indischen Süden verbindet. Er führt aus dem tibetischen Chumbi-Tale über Phari Dzong und den Lotos-Pass durch das Paro-Tal von Bhutan. Dort, in einer Höhe von 1600 bis i 800 Meter, beginnt für alle, die aus dem Norden kommen, « Der Paradiesgarten des Südens », wie Bhutan in alten Texten genannt wurde. Denn dort gedeihen die Früchte des Südens zusammen mit der Vegetation des Nordens; fruchtbare Reisfelder dehnen sich in den schmalen Tälern aus, und der von Süden anstürmende Monsunwind des Sommers schiebt die Vegetationsgrenze der blühenden Rhododendren bis über 3500 Meter hinauf. Über den schwierigeren Lingzhi La ( nördlich des Chomolhari ) kam um 1600 Zhabdung I., der die unabhängige Herrschaft der damaligen Theo-kratie von Dukyü, dem « Land des Donnerdrachens », begründete, das seinen einheimischen Namen der buddhistischen Sekte der Dukpa verdankt. Der Tomo La ( nördlich des Masa Kang ) und dann weiter östlich der Mön La, Pö la und Me La ( im hohen Norden von Lhüntse Dzong und Chörten Kora ) sind nur mehr Ein-mann-Pässe, rund 5000 Meter hoch und noch höher und im Winter unübersteigbar, eine unnahbare Nordgrenze, die sich mit der natürlichen Wasserscheide deckt. Der nächste, östlich der Ostgrenze von Bhutan, vom « Dach der Welt » nach dem Süden führende Weg geht durch Tawang und ist der berühmte Fluchtweg des jetzigen Dalai Lama, der über die NEFA-Linie nach Assam führt.

Der höchste Berg Bhutans mit 7550 Meter ist « Der Gletscher der Drei Geistigen Brüder » ( Kangkar Pünsum ), dessen Name auf das einst friedliche Nebeneinanderleben der Bhutanesen, Zimmerleute bei der Arbeit 2Fröhliche Bkutanesimun tragen Baumaterial zum Fachwerkbau 3Dzong-Ruine mit Chomolhari-Südwand der Tibeter und der eingeborenen Mönpa Bezug nimmt. Das ganze Nordgebiet Bhutans ist eine herrliche, majestätisch einsame Wüste von Fels und Eis, grösstenteils unbekannt auch den Einheimischen, selten begangen und nur erforscht durch die geologischen Expeditionen von Professor A. Gansser, dessen Aufnahme von der kleinen, einsamen Burgruine zu Füssen des Chomolhari einen Einblick in diese Bergeinsamkeit gibt. Diese Burg mit dem unheimlichen Niemandsland des Chomolhari im Hintergrund stammt aus dem Beginn des i 7. Jahrhunderts, als das « Land des Donnerdrachens » seine Selbständigkeit an der Westgrenze verteidigte. Chomolhari, die gewaltige « Herrin der Götterberge » ( Jo-mo Lha-ri ), ist der — bis jetzt - einzige bestiegene Gipfel Bhutans. Dabei muss noch die erste Besteigung von der tibetischen Seite her erwähnt werden, die von F. Spencer-Chapman 1938 geschildert wurde. Im April 1970 machte sich die erste bhutanesisch-indi-sche Bergsteiger-Equipe zum Chomolhari-Gip-fel auf. Dieses Ereignis ist auch im « Kuensel », dem bhutanesischen Regierungsbulletin, beschrieben. Es hat so echt alt-bhutanesische Aspekte, dass dieser « Besuch der Herrin der Götterberge » mit den Worten des Unterleut-nants Chachu, nach seinem eigenem Erleben, wiedergegeben werden soll:

« Für uns ist der 7320 Meter hohe Chomolhari ein sehr heiliger Berg, denn er ist die Wohnstätte der Göttin Jo-mo Lha-ri. Die meisten Bhutanesen glauben, dass die heiligen Gipfel nicht bestiegen .werden können. Diese Anschauung ist allen Bergbewohnern eigen, vielleicht weil die Berge eine so wichtige Rolle in unser aller Leben spielen. Auch ich wuchs in dieser Anschauung auf und dachte immer, Chomolhari sei ein heiliger Berg, der nicht mit Füssen betreten werden könne. » Trotzdem war es eine freudige Überraschung für Chachu, als Teilnehmer der bhutanesisch-indischen Expedition auserwählt zu werden. Dies um so mehr, als der König, immer be- dacht, die alte Tradition mit dem neuen Leben zu verbinden, dafür gesorgt hatte, dass eine von den Lamas von Thimphu gesegnete Buddha-Sta-tue, in einer Urne, zusammen mit den Fahnen von Bhutan und Indien, auf dem Gipfel deponiert werden sollte. « Wir marschierten als Team, gleich einer Familie auf Pilgerfahrt, zur Göttin Jo-mo Lha-ri. Am 1 q..April 1970 wurde das Basislager an der Eisgrenze, in einer Höhe von 16500 Fuss ( 4950 m ) errichtet. Majestätisch über uns ragend, war der Gipfel des Götterberges zu sehen. Es war ein Ehrfurcht einflössender Anblick. Drei von uns fanden einen Weg bis 19000 Fuss ( 5700 m ) Höhe. Dort wurde Lager I am 18.April aufgeschlagen. » Drei Tage später wurde Lager II auf 23 000 Fuss ( 6900 m ) eingerichtet, und am 23. April startete Unterleutnant Chachu mit dem Fünfer-Team: « Es war ein klarer Tag. Ich betete eine Weile, dann begannen wir aufzusteigen. Gefährliche Strecken mussten überquert und Stufen in das Eis gehauen werden. » Sie erreichten den südwestlichen Gipfel nach einigen Stunden. Nach kurzer Rast wurde der Weg zum Hauptgipfel fortgesetzt: « Nach einiger Zeit, die uns tagelang erschien, waren wir nahe dem Gipfel, knapp hundert Meter darunter. Ich blickte zu dem Sitz der Göttin Jo-mo Lha-ri auf, und... etwas geschah mit mir. Ich wusste plötzlich, dass ich nicht weiter zum Gipfel konnte. Zu stark war ich noch mit der alten Tradition meines Landes verbunden, um so schnell damit brechen zu können. Ich beschloss, zu bleiben und zu warten. Nur zögernd und nach langem Argumen-tieren liessen mich die anderen Kameraden hier, fest am Seil verankert. Sie sagten mir, dass doch nichts Schlimmes dabei sei, zur Wohnstätte der Göttin Jo-mo Lha-ri zu gehen und dort zu beten. Wir alle waren dorthin gegangen als bescheidene Pilger. Das ist die Art der Bergsteiger: sie lieben und respektieren die Berge und besteigen sie nicht, um sie zu entheiligen. Kurz darauf kehrten die vier Kameraden zurück, nachdem sie die Flaggen und die Urne Grenzkette des Tsering Kang - « Gletscher des langen Lebens » - in N-Bhutan Die noch völlig unbekannte nördliche Grenzkette Bhutans, östlich des Chumhari Kang in Lunana Gefrorener See nordwestlich Lunana; im Hintergrund die noch unerforschte Tsenda-Kang-Gruppe Photos U. und A. Gansser, Küsnacht ZH mit der Buddha-Statue am Gipfel gelassen hatten. » Gemeinsam mit Chachu kehrten sie ins Lager II zurück. Dort trafen sie die zweite Gipfelmannschaft, die gerade in bester Stimmung zu ihrem Ziele aufbrach. Es war jedoch kein glücklicher Versuch. In einem plötzlichen Wetterumschwung verlor sich diese zweite Gruppe. Trotz allen Anstrengungen konnte keine Spur von ihr gefunden werden. « Mit schwerem Herzen musste die Suche schliesslich aufgegeben werden. Es war erschütternd, solange es dauerte... Dennoch, wenn ich wieder die Gelegenheit erhalten würde, so würde ich abermals zu den heiligen Bergen gehen. Sie sind so gut. Man fühlt ihre Heiligkeit. Berge wirken auf den Menschen. Wenn man einmal bei ihnen gewesen ist, ist mannicht mehr derselbe. Wenn man einmal auf einem Berg gewesen ist, dann fühltman sich irgendwie reiner, von etwas Heiligem berührt! » Diese Stimme eines jungen bhutanesischen Bergsteigers beleuchtet den gewaltigen, sozusagen übergangslosen Sprung von der alten in die neue Zeit, den Bhutan wagen musste. Indien hatte - ab 1948 - die alten, noch aus der britischen Ära stammenden Staatsverträge geerbt und erweitert. Die Klausel der Verständigung in aussenpolitischen Fragen gipfelte jetzt - positiv ausgelegt - in Indiens Vorschlag, Bhutan als UNO-Mitglied aufzunehmen. Die Wirtschaftshilfe wurde zu Fünfjahresplänen erweitert, wovon die beiden ersten ( in einem Umfang von zusammen 300 Millionen Rupien ) hauptsächlich Schulbauten und vor allem das Strassennetz betrafen, das jetzt Bhutan von Süd nach Nord und in einer West—Ost-Verbindungslinie zu erschliessen beginnt. Der dritte Fünfjahres-plan ist am t i.April 1971 angelaufen und umfasst 355 Millionen Rupien, wovon 300 Millionen als indisches Geschenk bezeichnet werden, bestimmt für ein Erziehungsprogramm, die Landwirtschaft und Kleinindustrie.

Mit dem westlichen « Produktionsauge » betrachtet, mag Bhutan tatsächlich ein unterent- wickeltes Land sein, das seine Schätze - von der Wasserkraft bis zu der noch nicht extensiv betriebenen Landwirtschaft und Viehzucht -nicht zu nützen weiss. In Wirklichkeit war jedoch Bhutan, das ganz abgeschlossen von der Aussenwelt für sich leben konnte, vollständig autark. Für seine kleine Bevölkerung war eine Extensivierung der Wirtschaft gar nicht nötig. Nicht umsonst wurde es im Norden « Paradies des Südens » genannt, in dem alles von selber wächst. Die « Wasserkraft », nur genützt, um die bis 2800 Meter Höhe florierenden Reisfelder zu nützen, brachte überreiche Ernten, so dass der Reisüberschuss zum Warenaustausch mit Tibet, gegen Salz und andere Güter, voll reichte. In Gegenden zwischen 1200 und 1600 Meter Höhe, wie z.B. in Phunaka, der königlichen Winterresidenz, wachsen Bananen, Zitrus-früchte, so gross wie Kürbisse, und kleine Orangen und Nüsse ohne besondere Pflege neben Bambus- und Nadelwäldern, die reichlich Baumaterial liefern: für Bambushütten und die alten, nagellosen Fachwerkbauten der Häuser, Burgen und Klöster. Die Schafe, Ziegen, Rinder und die Yaks des Nordens gaben genug Milch, Fleisch, Wolle, Leder und Horn, genau soviel oder sowenig, als eben gebraucht wurde. In einer kleinen, autarken Hauswirtschaft und Heimindustrie entstanden die bunten Webereien, deren schönste aus reiner, im Süden Bhutans gezogener Seide doppelseitig gewoben wurden. Das im einfachen Verfahren hergestellte bhutanesische Pflanzenfaserpapier war in ganz Zentralasien berühmt, einst auch die als unschlagbar bezeichneten Schwerter und die mit Rhinozeroshaut belegten Rundschilde, der Glockenguss und die Silberschmiedarbeiten. Das Eisenerz wurde in einem heute ganz unergiebigen Tagbau gewonnen. Eisenkettenbrük-ken gab es vom i ^.Jahrhundert an; sie verbanden schwingend, aber gangbar die Ufer der in der Monsunzeit bedrohlich anschwellenden Flüsse. Die grossen Burgen, die Zentren der fünfzehn Distrikte, ehemals Sitz der geistlichen und weltlichen Macht, erheben sich mit ihren sich nach oben verjüngenden Mauern wie aus Fels und Erde gewachsen. Denn nicht das Terrain durfte geebnet und dem Werke angepasst werden, das Bauwerk musste der Natur angepasst, ja so sehr in sie hineingepasst werden, dass es wirklich mit ihr verwachsen zu sein scheint. Auch heute noch sind diese einst strategisch wichtigen Bauten, die das ganze Tal dominieren, die wichtigen Distriktszentren der Administration und der Verwaltung mit den angeschlossenen alten Klostertürmen und Gebäuden. Die Burg der Hauptstadt Thimphu erwies sich schnell als zu klein für den auch dort neu beginnenden Bürokratismus, der zwangsläufig mit der Entwicklung auftrat. Da wurde der alte Bau vergrössert und ein neuer Flügel dazu errichtet: ganz im alten Stile von singenden Bhutanesen, mit dem Steinbruch in nächster Nähe. Singende Frauen stampften die Erde in die Rahmen der Pisébauten, und flinke Zimmerleute dübelten die Holzbalken nagellos zusammen wie seit eh und je. So werden auch die Felsenklöster in höchsten Berghöhen trotz feuchtem Nebel und Monsunstürmen erhalten: dort, wo manchmal der ganze Fachwerkbau eines Tempels vor und um eine natürliche Altarnische gebaut wurde, die sich tief in eine Felswand erstreckt... Einsam sind diese Hoch-landgebiete, und nur selten trifft ein Pilger eine andere Wandergruppe im Hochwald.

Jetzt, mit der Strasse, wächst auch der Betrieb in den vom Verkehr berührten Punkten. Plötzlich waren auch mehr Menschen da, keineswegs nur die indischen Strassenbaupioniere, die ihre Himalaya-Hochlandstrassen bereits von Ladakh bis zu den NEFA-Gebieten gebaut haben; man sieht sie nur schneller als die vielen nepalesischen Strassenarbeiter, die mit 80000 Fremdarbeitern rund i oder Bevölkerung ausmachen. So wachsen mit der Strasse auch die Bedürfnisse, und so mancher Bergsteiger und Hochlandtourist, der in Bhutan sein ureigenstes letztes « Shangrila » sucht, blickt jetzt traurig auf die Telephondrähte und Telegraphenmaste, die neben der Strasse aus dem Boden herauswuchsen und jetzt zum Bild von Thimphu gehören, genau so wie die sausenden Jeeps und der Helikopterplatz, der als kleinerer Bruder des ebenfalls kleinen Flugplatzes von Paro die Landung des neuen, technischen Zeitalters bezeugt, das - besonders von den jungen Bhutanesen - tolerant und freudig angenommen wird. Dabei ist es wohl wie überall unter analogen Verhältnissen: Die Jungen tragen nicht mehr das Amulett oder Reisealtärchen um den Hals, sondern ein kleines Transistorradio, aus dem sie Jazztöne aus Kalkutta pressen und dabei gerne vergessen, dass man bei guter Wetterlage auch die « Stimme von Lhasa » hören kann, die - entgegen allen offiziellen Communiqués—aufsässig und in allen erwünschten und unerwünschten Sprachen und Dialekten « Heim ins Mutterreich » plärrt... Dabei hat Bhutan zum zweitenmal in seiner jungen, modernen Geschichte das grosse Glück, den richtigen Mann im richtigen Moment an der Spitze zu haben: Urgyän Wangehuck, der erste einstimmig erwählte König von Bhutan, führte sein Land bereits seit 1907 vorsichtig und damals noch immer, dank des Verständnisses der Briten, unberührt von der Aussenwelt, in eine neue Zeit. Sein Enkel, der jetzige König Jigme Dorje Wangehuck, geniesst nicht umsonst eine unbestrittene, ganz natürliche Autorität, denn er hat praktisch auf sie verzichtet. Er war es, der nicht nur die Volksversammlung nach bester alter Tradition der Bhutias neu belebte. Er verzichtete auch auf sein Vetorecht, noch mehr: auf seinen Vorschlag wurde die Volksversammlung souverän erklärt, auch einen Herrscher abzusetzen, der gegen das Volkswohl handeln sollte, was bereits zweimal durch ein volles Vertrauensvotum für diesen modernen König verdankt wurde. Bei aller Toleranz, die eingeboren in diesem kleinen buddhistischen Bereich ist, kann der Sprung von einer selbstgenügsamen mittelalterlichen Kultur in das technische Zeitalter nicht leicht sein. In diesem Sinne ist es für Bhutan vielleicht noch ein Glück, dass der Traum eines « Touristenparadie- ses » wohl noch nicht so schnell verwirklicht werden kann. Die Besucher waren bis jetzt immer noch spärlich. Bis 1921 waren es praktisch nur dreizehn diplomatisch-britische Missionen, die bekanntgeworden sind. Erst ab 1952 bereisten zuerst Freunde der aufgeschlossenen Königsfamilie das Land, darunter die schweizerischen, englischen und amerikanischen College-Kolleginnen der Königin. Japanische Botaniker, englische Biologen und Schweizer Geologen konnten u.a. Forschungsexpeditionen durchführen. Vom Standpunkt der Tibetologie und Frühgeschichte aus ist Bhutan wahrhaft ein « Land der verborgenen Schätze », wie alte, seltene und wiederent-deckte Blockdrucke genannt werden. Sie werfen ein ganz neues Licht auf diesen südöstlichen Himalayastreifen, wo schon in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts die ersten buddhistischen Tempel geweiht wurden und Ende des 8.Jahr-hunderts die grossen buddhistischen Missionare, wie Padmasambhava, im Westen und Osten des Landes die ersten Felsenklöster gründeten. Alte Steinstrassen führen auch über hohe Bergpässe bis jenseits der Ostgrenze des Landes und bezeugen mittelalterliche Verbindungswege zwischen kleinen Fürstentümern. In den Hochgebirgstälern haben sich nicht nur älteste Dialekte erhalten, sondern auch alte Bräuche. Noch konnte man es erleben, dass Gäste « eingetanzt » werden von mit Seidenröckchen und wippender Kopfzier geschmückten Tänzern, die den Weg des Gastes mit Trommelwirbel von allen schädlichen Kräften reinigen. Noch wird der alte Heldentanz bei grossen Neujahrsfesten in den Tempelhöfen der Burgen gepflegt, und die rituellen Maskenspiele entfalten den ganzen alten Zauber symbolischer Dramatänze. Noch gibt es - und wird es sicher noch lange geben - weit entlegene Felsennester, bei denen sich die Klostererker mit ihren Fach-werkbaurahmen balkonartig über dem Abgrund wölben. Eine Malschule in Bumdah ob Paro hält die Tradition der Freskenmalerei aufrecht, die in unnachahmlicher Farbenpracht die Tempel-mauern, ja auch die Felswände über Bergklö- stern schmückt. Die Gebetsfahnen wehen, und es drehen sich die Gebetsmühlen — die kleinen mit Handbetrieb, die grossen mit natürlichem Was-serantrieb -, um den buddhistischen Wunsch für Glück und Segen für alle Lebewesen, viel tausendmal verstärkt, in alle Weltrichtungen zu verbreiten, und jeder wünscht es diesem kleinen Himalayaland, dass es das, was gut ist an der alten Tradition, hinüberretten kann in eine Zeit des technischen Aufschwunges, den es bereits tapfer zu verarbeiten begann.

Quelle: Bhutan - Land der verborgenen Schätze ( Text Blanche C. Olschak, mit Bo Farbtafeln von Augusto und Ursula Gansser; Hallwag Verlag, Bern 196g; englische, erweiterte Ausgabe Bhutan - Land of Hidden Treasures, Allen & Unwin, London 19711. Blanche Olschak, in Zusammenarbeit mit Geshé Th. Wangyal: Mystik und Kunst Alttibets; Hallwag Verlag. Bern, Weihnachten 1971.

Feedback