Bouldern mit Mättel
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Bouldern mit Mättel

Matthias Müller gehört zu den besten Boulderern der Schweiz – und das seit mehreren Jahren. Wir wollten wissen, wie, mit wem und wo Mättel trainiert oder eben: bouldert.

« Wie oft trainierst du am Fels ?», frage ich ihn. « Da trainiere ich eigentlich nie », meint Matthias. « Du gehst nie raus zum Trainieren ?» – « Nein, ich gehe immer nur bouldern. » Was wie ein Witz daherkommt, das meint Matthias Müller völlig ernst. Wir wollten es genau wissen und haben den amtierenden Schweizer Meister in der Disziplin Bouldern einen Tag lang begleitet. Erste Station: Bern, im Morgengrauen.

Bouldern ist Teamarbeit

Manuel Hassler, regelmässiger Kletterpartner von Mättel und ebenfalls erfahrener Wettkämpfer, ist aus Biel angereist. Im Auto geht es nun Richtung Unterwallis. Mättel und Mani fahren sonst meistens mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ins Gebiet, weil sie selber kein Auto haben. Liegen die Boulders, also die Kletterblöcke, zu abseits, ruft Mättel Freunde vor Ort an. Meistens kommt so ein Transport zustande, denn längst kennt der Boulderprofi die Locals, die so regelmässig an den Blöcken hängen wie er selber. Dabei geht es natürlich nicht nur um die Fahrgelegenheit. Mättel bouldert nicht gern allein. « Ich brauche Leute um mich », erklärt er, « wir spornen uns gegenseitig an, geben uns Ratschläge und ‹spotten› einander. Eine gute Gruppe ist für einen guten Bouldertag einfach essenziell. » Dabei sei allerdings nicht unwichtig, wer mit dabei sei: « Damit man voneinander profitieren kann, sollte man ähnlich stark klettern können. Nicht selten lösen wir ein Boulderproblem sozusagen gemeinsam. Und die Freude ist dann auch noch grösser. »

Vielseitige Interessen

Matthias Müller, zum zweiten Mal Schweizer Meister in der Disziplin Bouldern, gewann mehrere Swiss Climbing Cups ( Bouldern und Speed ) und 2004 das legendäre Rockmaster in Arco, Italien. An Boulder-Weltcups schafft er es regelmässig unter die ersten zehn. Dies gelingt ihm nur, weil er neben grosser Ausdauer und Kraft über eine hervorragende Technik verfügt. Gelegentlich klettert er auch lange Routen und nimmt selbst an Difficulty-Wettkämpfen teil. Doch sein Herz schlägt fürs Bouldern, wo es um das Bewältigen möglichst schwieriger Einzelzüge geht. Bouldern ist Klettern im Detail – fast logisch, dass sich der Mikrobiologe vor allem dafür interessiert.

« Manchmal gibt es Tage, da gelingt einem alles, da fliegt man richtig hoch !», schwärmt Matthias Müller, Schweizer Meister im Bouldern.

Foto: Alex W ydler Foto: Alex W ydler Jedem Boulderer seine Ab-sprungmatte: Die Crash-Pads sind zum Glück leichter, als sie aussehen.

Mättels Lieblingsgebiete Vernayaz, Am westlichen Dorfrand von Vernayaz ( 450 m ) liegen teilweise riesige Unterwallis Blöcke im Wald. Das schattige Gebiet fordert mit vorwiegend schwierigen Problemen. Führer: De Bex à Sion: Du bloc aux longues voies régions Dorénaz, Vallon de Van, Vernayaz, Balmaz, St. Triphon. 134 pages, 2003 Plex, Die Sonnenterrasse oberhalb Collonges auf 1300 m bietet Blöcke mit Unterwallis Boulderproblemen in allen Schwierigkeitsgraden. Aus Rücksicht auf die Anwohner beschränkt man sich auf die über 300 Boulder im Wald [Koord. E570210 / N113890].

Cresciano, Hunderte griffiger Gneisblöcke in den Kastanienhainen oberhalb von Tessin Cresciano locken Kletterprominenz aus der ganzen Welt an. Führer: Am- brosio, Antonello et al., Cresciano Boulder, 120 S., Sprachen D, E, I, 2002 Chironico, Dieses riesige Gebiet mit gut 1300 Problemen erfreut mit Tessiner Am- Tessin biente und optimaler Felsqualität. Für jede Trainingsform ideal. Führer: Am- brosio, Antonello et al., Chironico Boulder, 238 S., Sprachen D, E, I, 2006 Magic Wood, Für ambitionierte Boulderer im Sommer das Bouldereldorado schlecht- Averstal hin. Die Granitblöcke liegen im Bergwald oder direkt am Bach auf 1300 m [Koord. E753200 / N158400].

Obwohl von Sponsoren unterstützt, versucht der Profi aber gar nicht erst vom Klettern zu leben: « Mir ist wichtiger, dass ich eine gute Ausbildung besitze und einmal einen Job habe, der mir gefällt. » Für den Sohn eines Bergführers ist die Leidenschaft für den Fels natürlich nahe liegend – « aber es gibt auch noch Kaffee, Suppe, Nudeln: Der Kocher ist immer mit dabei und macht aus jedem Bouldertrai-ning ein gemütliches Picknick.

Foto: Charles Mori Foto: Charles Mori Foto: Charles Mori An der Sturzgrenze: Mani Hassler in Les yeux rouges ( 7 c+ ). Die Lande-matten, auch Crash-Pads genannt, und die schützenden Hände von Spottern verhindern im Fall eines Sturzes Verletzungen. Ohne Kampfgeist und Tricks wie « Foothook » und Gegendruck ist hier nichts zu machen: Mättel in Shaolin ( 7 c+ ) anderes im Leben ». Zurzeit schreibt er an seiner Doktorarbeit in Sportbiologie, und für den Lebensunterhalt jobbt er als Monteur von Stahlbauten.

8b zum Frühstück

Der Boulderprofi, Jahrgang 1979 und Mitglied der SAC-Sektion Altels, ist in Reichenbach aufgewachsen und vergangenes Jahr nach Bern gezogen. Von da liegen die Boulder-Mekkas der Schweiz alle zu weit weg, um regelmässig hinzufahren. Dem « Magic Wood » im Averstal oder Cresciano und Chironico im Tessin stattet Matthias nur sporadische Besuche ab. Anders die Gebiete im Unterwallis: Sie sind von Bern aus gut zu erreichen. Heute besuchen wir zuerst die Blöcke von Vernayaz im Walliser Talgrund, nördlich von Martigny. Die Felsen liegen im Schatten, die Temperatur unter zehn Grad. Ich erwarte, dass Mättel und Mani sich vor dem Klettern aufwärmen. Das tun sie auch: mit heissem Kaffee, den Mättel auf dem mitgebrachten Kocher zubereitet. Beide sind sich einig: « Einen Bouldertag muss man gemütlich angehen. » Minuten später klettert Mättel Catched by the devil ( 8b [fb] ) sozusagen zum Frühstück! Zum Vergleich: Die schwierigsten Einzelzüge in einer 6a-Kletterroute sind etwa so schwer wie ein 5a-Boulderproblem.

Plaisir und Training

Unsere nächste Station sind die Blöcke von Plex, einer nach Süden ausgerichteten Terrasse oberhalb von Collonges mit Blick auf den Montblanc. Hier stösst Reto Hartmann zu uns, einer der aktivsten Boulderer im Unterwallis. Reto arbeitet an einem Boulderführer über diese Region und ist daher für Mättel die erste Adresse, wenn er Tipps für lohnenswerte Boulders braucht. Gemeinsam werden jetzt die Crash-Pads, die Absprungmat-ten, ausgelegt. Der nächste Boulder ist mit 8a+ ( fb ) zu bewerten und trägt noch keinen Namen. Mättel hangelt an winzigen Griffen durchs Dach und steigt über die Kante zum Top, so locker, als wärs Auf dem Weg zu den Blöcken von Plex reicht der Blick bis zu den Dents du Midi: Genuss-volles Wandern gehört beim Bouldern dazu. Auf höchstem Boulderniveau bestehen Griffe oft nur noch aus ein bisschen Reibungsfläche. Für einen optimalen Halt werden sie vorher mit etwas Magnesia eingepudert.

Kompakter Granit, ein knackiges Problem und ein Freund, der aufpasst: für Mättel das höchste der Gefühle, hier in Catched by the devil ( 8b ) Kleines Boulder-Abc Boulder Wenn Boulderer und Boulderinnen bouldern ( von engl. Felsblock ), dann klettern sie seilfrei eine Kurzroute an einem Block oder einer Wand, stets in Absprunghöhe.

Crash-Pad Landematte, die unter dem Boulder auf den Boden gelegt wird. Sie sorgt für weiche Stürze und gemütliche Pausen. Jeder Boulderer nimmt jeweils eine mit; je mehr Leute zusammen bouldern, desto angenehmer die Landung...

Fontainebleau Fontainebleau bei Paris ist eines der ältesten und berühmtesten Boulder-(fb)gebiete der Welt und prägte die gängige französische Boulderschwierig- keitsskala ( abgekürzt fb ).

Grip Grip heisst eigentlich « Griff », bezeichnet inzwischen aber auch die Ober- flächenbeschaffenheit eines Griffes. Guter Grip heisst darum auch gute Reibung.

Spot Fleck/Ort, bedeutet für Boulderer ein lohnendes Klettergebiet.

spotten Wenn Boulderer spotten ( von engl. to spot ), dann federn sie mit den Armen den Sturz eines Kletternden ab.

Zahnbürste Griffe und Tritte werden immer wieder gereinigt, weil zu viel Magnesia- pulver die Reibung verschlechtert.

eine Fingerübung, während ihn Mani und Reto spotten und dabei vergnügt miteinander plaudern. Tatsächlich sieht das nicht nach hartem Training aus... Aber der Schein trügt. Sobald die Wettkampfsaison wieder losgeht, wird Mättel auch wieder an künstlichen Griffen trainieren, meistens im Trainings-raum von Boulder-Schweizer-Meisterin Annatina Schultz oder in der Boulder-halle B2 in Pratteln. Wenn es darum geht, besser als die internationale Elite zu klettern, wird das Wort « Training » wieder angebrachter sein als hier im schönen Tannenwald bei warmer Sonne und Blick auf die Dents du Midi. a Charles Mori, Eber tswil Fotos: Charles Mori Jede Bewegung muss perfekt stimmen: Die einzelnen Kletterzüge werden darum vorher im Kopf « geübt », Hände und Füsse machen schon mal mit. Immer wieder versucht Manuel Hassler über die Kante hochzukommen, während Mättel aufmerksam spottet, doch der Zug gelingt nicht. Vielleicht klappts beim nächsten Mal.

Ebenso wichtig wie spannende Boulderprobleme sind Boulder-freunde und Trainingspartner. Hier beschreibt Reto Hartmann ( rechts ) in Plex einen Untergriff.

Formschöne Felsen im idyllischen Märchenwald von Plex: Hier nähert sich Bouldern einer Art von Poesie.

it dem Wallis teilt sich das Valpelline Gipfel wie jenen der Dent Blanche, des Mont Brulé oder der Dent d' Hérens. Und ähnlich wie zu den nördlichen Seitentälern führt der Zugang ins Valpelline über ein viel befahrenes Tal, das italienische Aostatal. Doch der grosse Touristenstrom zieht am Eingang vorbei. Denn im Valpelline erleichtert keine Seilbahn den Aufstieg. Die Natur an den Bergfl anken ist noch fast unberührt, nur am Talende beherrscht ein grosser Staudamm das Landschaftsbild. Dank der Passstrasse über den Grossen St. Bernhard fi ndet schon sehr lange ein Austausch zwischen den Walliser Gemeinden und jenen des Aostatals statt. Mit dieser Verkehrsader erreichen Schweizer Besucher auch den Eingang des Valpelline, ohne sich durch den Verkehr im Haupttal zwängen zu müssen.

Ein aufmerksamer Beobachter wird rasch feststellen, dass die Traditionen im Valpelline denen in den Walliser Alpen sehr ähneln: Auf den Weiden überwiegen die Eringer Kühe, in der Architektur dominieren herrliche Gebäude aus Stein mit wenigen Scheunen, die Felder erhalten ihr Wasser mit vergleichbaren Bewässerungstechni-ken – nur heissen die Suonen hier Rus.

T E X T / F O T O SStéphane Maire, Commeire ( ü )

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