Brienzer Holzschnitzer – ein Begriff. Zentrum der Schweizer Holzschnitzkunst
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Brienzer Holzschnitzer – ein Begriff. Zentrum der Schweizer Holzschnitzkunst

BRIENZER HOLZ SCHNIT BRIENZER HOLZ SCHNIT

DIE ALPEN 11/2004

Auf der Spur der Sohlengänger

Zum Vergnügen machen wir uns, unserem Gefühl folgend, auf ihre Spur. Zufällig gelangen wir so zum Hotel Bären, und zwar in den Fussstapfen eines Reisebären-Paars mit Holzkoffern, die scheinbar das Hotel betreten wollen.. " " .Drinnen im Café stossen wir auf einen guten alten Bären, der sich auf die Bar abstützt, mit dem Bierglas in der einen Hand, bereit, mit dem Erstbesten anzustossen. Die Spur scheint gut:Weitere Sohlengänger gehen zu dritt auf den Lampen des Cafés. Einverstanden, das Tier ist ein Symbol für Brienz.. " " .T.rotzdem sind wir darüber erstaunt, wie viele es von seiner Art gibt,und wir fragen uns,wer sie alle aus Holz erstehen lässt.

Abgesehen davon werden hier offenbar nicht nur Bären geschnitzt: An der Tür des Cafés kündigt ein Klein-plakat einen Kuhschnitzkurs an. Ist das Holzschnitzen also eine Spezialität der Gegend? An den Fassaden der Chalets sind geschnitzte Dekorationen zu sehen, eingra-

Foto: André Girard

Z SCHNITZER – EIN BEGRIFF SCHNITZER – EIN BEGRIFF

DIE ALPEN 11/2004

vierte Schriftzüge. Hier ein mit Schnitzerei verzierter Balkon. Dort ein Adler. Und immer wieder geschnitzte Stras-senschilder aus Holz – Alpgasse, Brunngasse – und aus Holz gesägte, schön bemalte Schilder, die einen Wanderer mit roten Socken darstellen auf dem Weg zum Rothorn oder eine elegante Dame mit einem Schirm,die mit ihrem Barsoi, ihrem russischen Windhund, zum Aussichtspunkt Gippi spaziert. Ich wähle die Brunngasse, die mit ihren typischen alten Chalets wohl das schönste Strässchen von Brienz ist.

Birnbäume und Bären

Unter den Balkonen durchgehen, wo das Holz aufgestapelt ist. Stehen bleiben, als ob sich nichts verändert hätte, als ob es wäre wie vor 100 Jahren. Sich vorstellen, wie die bärtigen Holzfäller von den Bergen herunterkommen, ihre Hornschlitten voll mit Abfuhrholz, Tannen, Lärchen, und hören, wie der Bauer nach seinem Birnbaum fragt, den der Schlittenbesitzer gleichzeitig hätte herunterbrin-gen sollen. Birnbaum? Was will er denn mit einem Birnbaum? « Du wirst es sehen, wenn der Winter vorbei ist », antwortet der Bauer.. " " .Und er macht sich an die Arbeit.. " " .Den ganzen Winter lang schnitzt er an seinem Birnbaum-stamm herum. Ein schönes Holz, würdig, das gefährlichste und das am meisten gefürchtete Tier der ganzen Region

Die Brunngasse mit ihren alten, typischen Chalets ist eine der schönsten Strassen von Brienz.

Brienz besteht aus typischen Berner Oberländer Chalets, von denen einige über 400 Jahre alt sind.

Brienz liegt auf dem Nordufer des gleichnamigen Sees; das Dorf wird von einem Bergkamm überragt, der im Brienzer Rothorn, 2350 m, gipfelt.

Fo to s:

An dr é Gi ra rd DIE ALPEN 11/2004

darzustellen: den Bären. In diesem Winter wird er, schön an der Wärme,einen Bären schnitzen.. " " .Und vielleicht auch noch einen zweiten, wenn er gut vorankommt. Nach Winterende wird er aus dem Birnbaum zwei wunderschöne, identische Bären herausgeschält haben, an denen man fast die einzelnen Haare des Pelzes zählen kann.

Die Brunngasse, wie sie sich 1906 präsentierte Plaketten, Chalets, Bären, Spielzeug, Weihnachtskrippen oder Pflanzen-tröge: Holz beherrscht Brienz.

Von den Bildhauern für ihre Werke verwendete Kennzeichen Das überall verwendete Holz birgt eine extrem hohe Brand-gefahr in sich. Brienz ist eines der wenigen Dörfer der Gegend, das bislang vor einer Feuersbrunst verschont blieb.

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Diese faulen Engländer

Der Bauer wird zu den Giessbachfällen gehen, um dort seine Bären zu verkaufen, dort, wo sich all die englischen Touristen und ihre Gattinnen mit ihren Schirmen und Luxushunden aufhalten. Fünf Franken? Was sind schon fünf Franken für diese Engländer, die ein Viertel des Jahres im Hotel verbringen und von so weit her anreisen, um dann auf der faulen Haut zu liegen? Er verkauft seine Bären; sie bringen ihm zehn Franken ein. Aber sein Kunde – ein Lord mit Tweedjacke, Knickerbockers und mit Eisen beschlagenem Stock – verlangt, dass er seine Werke kennzeichnet. Er zieht sein Taschenmesser aus dem Sack und schneidet schnell ein X ins Holz, um nicht seinen ganzen Namen, Kienholz, eingravieren zu müssen. Da-

Schnitzerei an der Fassade eines Chalets Beim Spazieren durch die Gassen von Brienz sollte man nicht vergessen, nach den vielen geschnitzten Motiven an den Fassaden Ausschau zu halten.

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rauf hat er aber die grösste Mühe, dem Käufer klar zu machen, dass das X nicht das Kreuz eines Analphabeten ist, sondern ein Teil des Familienwappens der Kienholz, das zwei gekreuzte Fackeln darstellt.

Rauchverbot im Freien

Oberdorfstrasse heute. Zwei alte Männer bringen Feuerholz in einen Schuppen. Grüss Gott! Etwas weiter unten in der Strasse bemerke ich eine auf einer zweihundertjährigen Fassade angebrachte und auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch geschriebene Bekanntmachung: « Bei Föhn ist das Rauchen im Freien verboten. » Sie scheint alt zu sein, ist aber wie die Fassade gut erhalten. Später erfahre ich, dass dieses Verbot immer noch gilt: Bei starkem Föhn patrouillieren Feuerwehrmänner, um sicherzugehen, dass es eingehalten wird. Seine Zigarette nicht richtig zu löschen, ist hier ein Vergehen. Das Brand-risiko ist extrem hoch, und nur wenige Dörfer in dieser Gegend wurden in der Vergangenheit von den Flammen verschont.

Ein Hungerjob?

Ein Handwerker mit blauer Schürze lässt auf dem Fenstersims im Erdgeschoss eines Hauses an der Steinerstrasse eine Holzlokomotive rollen, an die er einen ersten Wagen anhängt. Ein Sinnbild für das gelüftete Geheimnis von Brienz – die Liebe zum Holz und die Leidenschaft für das schöne Kunsthandwerk. Ich trete ein; es ist ein Schreiner-atelier. Es riecht gut nach bearbeitetem Holz, schönes, helles Licht und Cembalomusik von Bach. Melchior Grunder behauptet,. " " .71 Jahre alt zu sein.. " " .Man muss es ihm, diesem athletischen Bergler mit seinen harmonischen Gesichtszügen, glauben. Er hat eine Eisenbahn für seinen

Fo to s: An dr é Gi ra rd Aus Holz geschnittene und schön bemalte Plakette mit einer eleganten Dame mit Schirm, die mit ihrem Barsoi zum Aussichtspunkt Gippi weist.

Holzgeschnitzter Wegweiser mit einem Wanderer in roten Socken auf dem Weg zum Rothorn Holztafel eines Fahrrad- und Motorradgeschäftes DIE ALPEN 11/2004 Martin Flück schnitzt die Inschrift auf einem Grabkreuz.

Der in Holz geschnittene Kopf eines Bergbauern Der Bär an der Bar des Hotels Bären am See lädt den Gast auf ein Glas ein.

Das Holzschnitzatelier der kantonalen Holzschnitzerschule Brienz, der einzigen ihrer Art in der Schweiz Aus Holz geschnitzter Bär. Gemäss den Aussagen einer Schülerin der kantonalen Holzschnitzerschule von Brienz ist das Schnitzen des Kopfes am schwierigsten.

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An dr é Gi ra rd DIE ALPEN 11/2004

Enkel Adrian gemacht. Eine Dampflokomotive und zwei Passagierwagen – noch zu gross für die Hände eines Zwei-jährigen, aber wenn der Grossvater den Namen eines der drei Könige trägt, ist das Geschenk vielleicht eine Himmelsgabe. Als er jung war, absolvierte Melchior Grunder eine Lehre als Holzschnitzer in der Holzschnitz-schule von Brienz, dann besuchte er eineinhalb Jahre lang eine Kunstgewerbeschule in London. Doch zu jener Zeit brachte das Holzschnitzen so magere Einkünfte, dass er seinen gelernten Beruf nur nebenbei ausübte. Holzschnitzer – ein Hungerjob?

Martin Flück macht die gleiche bittere Feststellung, obwohl sein Haus mit Werkstatt und Laden auf die Hauptstrasse hin ausgerichtet ist. Vom Holzschnitzen kann man nicht leben! Dennoch ist er stolz auf seinen Beruf und zeigt mir seine Fotoalben, wo man ihn in Begleitung von « Jean-Pascal », wie er den früheren Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz liebevoll nennt,erkennt.. " " .Denn Martin Flück, Meister der Holzverzierung, hatte die Ehre, sein Talent im Bundeshaus anzuwenden,wo er Zierleisten und Flachreliefs restaurierte und insbesondere einen monumentalen Schreibtisch im Ehrensalon des Bundespräsidenten verzierte.

Kreditkarten und Fremdwährungen akzeptiert

Zwei Cars, die auf der Hauptstrasse vorbeifahren, verdunkeln die Werkstatt von Martin Flück. Sie halten etwas weiter vorne, vor der berühmten Manufaktur von traditionellen Holzgegenständen: Jobin of Switzerland. Hier werden « alle Kreditkarten und alle Fremdwährungen akzeptiert ». Dazu « verpackt und verschickt » das Haus – in alle Ecken der Welt, wohlverstanden.

Die Touristen sind entzückt. In diesem Heiligtum der Holzschnitzerei gibt es bearbeitetes Holz in allen Tönungen und Arten, vom Erzengel Gabriel zum indischen Elefanten, von Jesus am Kreuz zu Wilhelm Tell mit der Armbrust, von den Pariser Strassenkindern von Montmartre bis zu den kleinen skandinavischen Trolls, die aus einem Holz gemacht sind, das wie Plastik aussieht. Beim Ausgang kann der Käufer, verführt von so viel geschnitztem Holz, gleich selbst Hand anlegen: Ein Stamm aus Lindenholz steht ihm zur Verfügung, wo er die von seinen Vorgängern mit Ach und Krach begonnene Schnitzarbeit weiterführen kann, um ihr die Form der gewählten Vorlage zu geben: jene eines Bären! a

Aus dem Französischen von Christine Kopp,

Unterseen

Kantonale Holzschnitzerschule Brienz

Die kantonale Holzschnitzschule Brienz, 1884 gegründet, wurde 1927 in eine kantonale Berufsschule umgewandelt, die einzige ihrer Art in der Schweiz bis heute. Die vierjährige Ausbildung wird mit einem eidg. Fachausweis abgeschlossen. Jedes Jahr werden vier bis acht neue Kandidaten zugelassen. Dabei handelt es sich um Männer und Frauen verschiedener geografischer und beruflicher Herkunft. Zurzeit zählt die Schule 24 Schüler, davon sind 60% männlich und 40% weiblich.

Holzschnitzerin bei Jobin: Suzann Büllmann, Schülerin im vierten Jahr der kantonalen Holzschnitzerschule Brienz, macht ein Praktikum bei Jobin.

Werkzeuge des Holzschnitzers DIE ALPEN 11/2004

Wissenschaft und Bergwelt

Scienza e mondo alpino

Science et montagne

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