Das Excursionsgebiet pro 1878—79
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Das Excursionsgebiet pro 1878—79

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Fried, v. Salis ( Section KMtia ).

Ton Bekanntlich ist von der Delegirtenversammlung des S. A, C. in Freiburg 1876 das Massiv des Bernina mit dem angrenzenden Bergell und Oberhalbstein und einem Theil von Avers als officielles Excursionsgebiet für die Jahre 1878 und 1879 bezeichnet worden.

Herr Dr. Binet-Hentsch, Vicepräsident des Centralcomite des S.A.C. in Genf, hat sich der grossen Mühe unterzogen, ein Itinerar für den Besuch desselben zusammenzustellen, und es verdanken ihm wohl die sämmtlichen Clubgenossen bestens seine Arbeit.

Herr Dr. Ludwig in Pontresina hat als erwünschte Ergänzung zu dem Itinerar einen Führer — Pontresina und seine Umgebung ( Chur 1878herausgegeben; beide Arbeiten vervollständigen sich auf sehr zweckmässige Weise. Referent wird sich nun die Aufgabe stellen, mit möglichster Vermeidung von Wiederholungen und ohne im Falle zu sein, Kritik an den genannten Schriften zu üben, mehr dem Excursionsgebiete eine neue Richtung abzugewinnen und dabei der herrlichen Topographie der Berninagruppe nur kurz Erwähnung zu thun.

Das ganze Oberengadin bietet eine ganz ungewöhnliche Massen er hebung, und seine Thalsohle erreicht die Höhe von 1800 Meter und darüber. Es darf daher nicht überraschen, dass gerade von diesem Hochthale aus die grösste Höhe unseres Kantons in der Berninaspitze, mit der Quote von 4052 Meter, sich gipfelt.

Der Reiz dieser Gebirgsstöcke mit den sich anhängenden und in langgestreckten Zungen verlaufenden Gletschern, wird durch die Kette der anliegenden Oberengadiner See'n von St. Moritz bis Maloggia in lieblichster Weise erhöht. Die grösste Tiefe des Silsersee beträgt 74 Meter, diejenige des Silvaplanersee 77 Meter. Die bezüglichen Seegründe quotiren sich sonach auf 1796 — 74 = 1722 Meter, 1794 — 77 = 1717 ».

Für den tiefsten Punkt des Excursionsgebietes in Castasegna ergeben sich 682 Meter. Die besten Communicationen führen die Touristen nicht nur in die Haupt-thalrichtungen und Bergübergänge nach allen Seiten, sondern sogar bis ganz in die Nähe der Gletscherenden, und überall bietet sich in mannigfaltigster Weise dem trunkenen Auge eine neue, in sich ganz originelle Scenerie dar.

Keine Gegend der Schweiz hat in gleicher Höhe den Vortheil der bequemsten Strassen nach allen Seiten, wie das Oberengadin. Dicht an diesen prachtvollen Communikationen, welche der fashionablen Welt aus aller Herren Länder die Lustfahrten, im Sommer Vïi angenehm machen, erheben sich die mächtigsten Gebirgsriesen, die wieder ihren anziehenden Reiz auf alle Naturfreunde und Alpenbesucher ausüben.

Die herrlichsten Gletscherstürze und Gletscherzungen senken sich von den unwirthlichsten Höhen bis in die Region der Waldungen hernieder. Wer kennt nicht die kühnen Formen der Eismeere von Palü, Mont Pers, Bellavista, Fortezza, Labyrinth, Morteratsch, Tschierva, Roseg, Sella, Piz Glüschaint, Chapütschin, Fex, Fedoz, Forno, Albigna und Bondasca!

Welch'herrlichen Contrast bilden dagegen die von schönen Lärchen- und Arvenwaldungen umgebenen forellenreichen Seebecken zu dem in denselben sich abspiegelnden zu Eis erstarrten Wasser!

In dieser grossartigsten Natur des Cantons Graubünden bieten die Formationen unserer Riesen mit dem anliegenden Thal- und Gebirgslande die mannigfaltigsten Verhältnisse zum Studium der Mineralogie und der Geologie dar.

Herr Professor Theobald hat, nach Studer und Escher, das Verdienst, die Wissenschaft darin wesentlich gefördert zu haben. Auch Herr Dr. Gerhard vom Rath versuchte sich mit Glück daselbst; allein im Detail kann noch ungemein Vieles geleistet und vervollständigt werden.

In botanischer und entomologischer Beziehung ist das Gebiet auch schon vielfach bearbeitet worden, und manch'fleissiger Sammler hat sich dort schon schöne Verdienste geholt.

Wir hoffen und stehen in der Erwartung, dass besonders in der ersten dieser zwei letztgenannten Rieh- tungen über kurze Zeit eine Arbeit von competenter Seite der Oeffentlichkeit übergeben werde, welche an Vollständigkeit und Correctheit der Classification und der Nomenclatur die bisherigen Werke überragen dürfte. Die Flora ist eine äusserst mannigfaltige und reiche in dem Excursionsgebiete und der üppigste Pflanzenwuchs reicht besonders im Rosegthal bis nahe an 3000 Meter ü. M.

So fand Schreiber dies am 21. Juli 1878 in der Höhe von circa 2200 Meter in dem Morteratschthal einen blühenden Johannisbeerstrauch und am Tage vorher oberhalb der Mortelhütte in Val Roseg ( 2410 m ) in den dortigen Granitfelsen eine 0,40 m hohe blühende Arnica.

Der S.A.C., in der Absicht, den Besuch dieser herrlichen Alpenwelt und das Studium in derselben nach den verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen zu erleichtern, hat es für angemessen erachtet, auf die Zeit des officiellen Besuches dieses Excursionsgebietes, zwei Schirmhütten zu errichten.

Die erste dieser zwei Hütten, die Mortelhütte ( nicht Mörtel ) genannt, hat die Section Rhätia, nach dem Rathe unseres gebirgskundigen Mitgliedes, Herrn Präsident Joh. Saratz in Pontresina, in der Alp Ota im Rosegthale, auf der linken Seite des Gletscherstromes in der Höhe von 2400 Meter über Meer und unweit von dem Fusse des Piz Chapütschin an einer Stelle errichtet, wo sie unter hochemporragenden, senkrechten Felsen vollständig gesichert ist und in freundlicher Lage eine prächtige Quelle in nächster Nähe dem Felsgestein sich entringt.

Der Weg nach dieser Unterkunfthütte wird von der Restauration in Margum entweder über die Alp Ota eingeschlagen, oder aber auf der leichtem und kürzern Linie über den Gletscher betreten, welcher im Juli 1878 ausserordentlich gangbar war und, wie es heisst, in der Regel gut zu begehen ist.

Die zweite Hütte haben wir im Morteratschthale, in Boval, ganz nahe der frühern alten Führerstation erbaut. Diese ist ebenfalls auf der Sonnseite des Thales und in einer Höhe von 2459 Meter über Meer und circa 25 Meter über der Gletscheroberfläche gelegen. Auch hier sprudelt ein frischer Born auf der Rückseite des als Anlehnung für den Bau dienenden mächtigen Felsblockes hervor. Der Gletscher von der Alp Nova bis Boval ist nicht allenthalben gut gangbar, wesshalb man es vorzieht, an dem linken Thalhänge den Aufsteig zu vollziehen, welcher durch die Anlage eines bequemen Fussweges bis zur Bovalhütte Seitens der dortigen Localvereine 1878 ungemein erleichtert, ja sogar zu einem schönen Spaziergange erhoben worden ist. Sowohl am Roseggletscher, wie auch an demjenigen in Morteratsch wird ein Zurücktreten nach starken Proportionen bestätigt. Diese beiden Gletscher haben sich in den letzten fünfzehn Jahren um 300 Meter zurückgezogen und auf der ganzen Länge ihrer Oberfläche um ein Bedeutendes gesenkt; man bemerkt diess jedoch um so weniger, je mehr man sich von den untern Gletscherenden gegen die Höhen zu erhebt.

In der untersten Partie des Morteratschgletschers beträgt diese Abnahme vertical gemessen über 30 Meter.

Einer zwar nicht neuen, aber in riesigen Dirnen- sionen auftretenden Erscheinung begegnet man zwischen der Chünetta und dem Chamin, woselbst die Thalwand einen sanften einspringenden Bogen beschreibt. Dort liegt das Gletschereis trotz der concaven Curve nicht in voller Höhe am Abhänge, sondern dasselbe senkt sich in seinem Querschnitte ziemlich genau nach dem gleichen Winkel wie der gegenüberliegende Abhang, nämlich nach der Böschung von 1 auf IV2, so dass zwischen Berg und Gletscherstrom ein circa 30 Meter tiefes Thal auf eine Länge von. zwei Kilometer gebildet wird.

Ein ähnliches Verhalten wird auch an dem Roseggletscher, da wo man von diesem nach der circa 20 Meter höher gelegenen Mortelhütte aufsteigt, beobachtet. Auch hier bildet die Gletscheroberfläche mit der Thalwand keinen horizontalen Uebergang, sondern man muss auch hier in ein Thal hinabsteigen, ehe man an die Bergwand gelangt.

Ohne Zweifel ist die nicht unbedeutende Erwärmung der Ostsüdost zugekehrten Thalwände Ursache an der zunächst in so hohem Grade eintretenden Abschmelzung des Gletschereises.

An dieser Stelle muss Namens der Section Khätia ein Wort der Entschuldigung eingeschaltet werden, dass ihrerseits zu der Collaudation der zwei Clubhütten in Mortel und Boval, 20. und 21. Juli 1878, keine officielle Einladung an sämmtliche Sectionen des S.A.C. erlassen worden ist. Gestützt auf den Beschluss der Generalversammlung in Thun 1875 glaubte man im Jahre 1879, ähnlich wie im Jahre 1877 in Glarus, im officiellen Excursionsgebiete eine Schaar Mitclubisten zu einer freien Vereinigung begrüssen zu können und hatte hiefür eine förmliche Einweihung der Bauwerke sich vorbehalten. Der Beschluss des S.A.C. in Interlaken 1878 hat den Thunerbeschluss umgestürzt und die frühere Bestimmung wieder eingeführt, dass die Clubfeste jährlich abgehalten werden sollen. Dieses möge zu unserer Rechtfertigung dienen.

Der S.A.C. war in unserem Excursionsgebiete auch in anderer Richtung thätig. Er hat diese Alpenwelt mit ausgedehnten Gletschern, aber auch saftigen Kräutertriften ausersehen für eine Zufluchtsstätte des Hochwilds. Auf Vorschlag und Antrag der Section Rhätia ist neben zwei andern Freibergen der dritte Bannbezirk unseres Kantons in dieses Revier verlegt worden.

Entgegen einem Commissionalgutachten, das sich die Regierung des Kantons Graubünden seiner Zeit von anderer Seite hat geben lassen, sind die bei dem schweizerischen Departement des Innern von der Section Rhätia eingereichten Vorschläge 1876 durch die kantonalen und eidgenössischen Behörden unverändert gutgeheissen worden. Der Bannbezirk in der Berninagruppe, mit dem allein wir heute den freundlichen Leser näher bekannt zu machen gedenken, liegt in der östlichen Hälfte des officiellen Excursionsgebietes.

Die nördliche Spitze desselben liegt bei Samaden in der Vereinigung des Flaz mit dem Inn. Der Flaz- und Berninabach bilden im Osten die Grenze bis in die Alp Nova, von welchem Punkte aus sie dann längs des Morteratschbaches und der linken Seite der Gletscherzunge am Morteratsch sich südlich zieht bis auf den Piz Bernina. Vom Piz Bernina bis zum Piz Tremoggia und dem Passe gleichen Namens, also im Süden, fällt die Grenze des Freiberges mit den Landesmarken zusammen. Im Westen wird dann unser Wildrevier durch den das Fexthal durchströmenden Bach bis Sils-Maria und im Norden bis Samaden durch den Inn und die Ufer seiner Seen begrenzt. Das so eingerahmte Gebiet des Freiberges im Bernina erhebt sich von 1700 m bis 4050 m über Meer. Es umfasst daher dasselbe eine Höhenzone von durchschnittlich 2350 m. Der Flächeninhalt des Bannbezirkes berechnet sich auf 14,300 Hectaren = 143 Quadratkilometer.

Das Rosegthal ist für den Aufenthalt der Gemsen und der Murmelthiere ein Revier, wie wir kein zweites haben, und dasselbe umschliesst für sich allein eine Höhenzone von über 2000 m verticaler Erhebung.

Da werden die flüchtigen Gazellen wenig beirrt durch die Touristen, wenn diese noch so zahlreich erscheinen und nach den mannigfaltigsten Richtungen ausschwärmen; wissen jene sich doch sicher unter dem Schütze ihres Erhard!

Diesem wachsamen, thätigen und sehr verständigen Wildhüter verdanken wir über den Stand des Hochwildes daselbst die folgenden Zahlenangaben:

Der Bannbezirk in der Berninagruppe beherbergt gegenwärtig über 400 Gemsen. Der Lieblingsaufenthalt derselben ist das Rosegthal.

Wenn wir annehmen, dass im Sommer die eine Hälfte sich auf das im Osten gelegene Morteratsch- /»y thal und im Westen auf die Seite von St. Moriz bis Surlej und Fex vertheile, so ziehen sich dagegen im Herbste, wenn die Alpen von Hirten, Touristen und Allem frei werden, die meisten in dem Rosegthale zusammen, wo sie mit der stationären andern Hälfte den Winter verleben und zwar mit Vorliebe auf der Sonn- resp. linken Thalseite.

Eine erfreuliche Vermehrung der Gemsen ist constatirt; so verzeichnet Erhard in seinem Tagebuch bis 80 Stücke, die er an einem einzigen Tage zu Gesichte bekam.

Interessant sind die Aufzeichnungen über die Jungen. 1876, 4. Juni, wurden in der Alp Ota unter 32 Stück 9 junge Gemszicklein gesehen; 1877, 16. Juni, an der Tschierva unter 16 Stück keine Jungen. Es hatten also am 16. Juni noch nicht alle Geissen geworfen. 1878, am 24. Juni beobachtete Erhard in Val Morteratsch in einem grössern Rudel 10 Junge.

Diese Notizen stimmen mit den sehr fleissigen Aufzeichnungen des Wildhüters Derungs in Lugnez überein, welcher die Geburt der meisten Gemszicklein auch auf die ersten Tage des Monats Juni setzt. Als früheste beobachtete Erscheinung von Gemsjungen notirt Erhard ein am 21. Mai 1878 im Val Morteratsch gesehenes, wenige Stunden altes, noch sehr schwaches Thierchen. Der jährliche Abschuss an Gemsen im ganzen Umfange unseres Kantons schwankt zwischen 800 und 900 Stück.

Murmelthiere trifft man in unserem Gebiete zu Tausenden, und diese muntern Thiere tragen von der ersten Hälfte April bis in die erste Hälfte des Monats Oktober viel zur Belebung des Gebirges bei. Nach ihrem sechsmonatlichen Winterschlafe in ihren künstlich angelegten Bauen arbeiten sich die tüchtigen Schaufler im Frühling oft durch hohen Schnee an die Oberfläche, um schon frei gewordene Rasenplätze zu besuchen. Nach eigener Beobachtung, Frühling 1878, am Tomülpasse.

1877, 18. Mai, war Erhard Augenzeuge einer Mur-melthierbegattung auf freier Schneefläche.

1877, 16. Juli, beobachtete er die ersten jungen Murmelthiere in Val Roseg.

1878, 26. Juli, die ersten Jungen im F.exthal.

Je mehr junge Murmelthiere in einem Reviere sich vorfinden, desto musikalischer ist die Gesellschaft, während die alte Marmotta das Zischen nicht mehr liebt und lautlos vor dem Feinde in die Höhle schlüpft, wie Referent, der im letzten Jahre am Valserberg unerwartet einer solchen ganz in die Nähe kam, selbst bezeugen kann.

Die Murmelthierbevölkerung ist am schwächsten im Morteratschthale vertreten, wohl wegen der Gras-armuth desselben.

Von den Hühner sor ten findet sich in unserem Freiberg das Schneehuhn am häufigsten und kommt sehr zahlreich vor. Ausserdem halten sich hier auch ziemlich viele Birkhühner und Pernischen ( Steinhuhn ) auf, welche letztern 8 — 10 Junge ausbrüten und aufziehen. An Haselhühnern ist das Gebiet dagegen sehr arm; dieselben kommen nur an zwei Stellen in geringer Zahl, kaum ein Dutzend, vor. Sie lieben mehr die tiefere Lage. Das Auerhuhn kommt gar nicht vor.

Eine bedeutende Vermehrung der rothen und weissen Hasen wird vom Jahre 1877 auf Herbst 1878 beobachtet, was im Vorjahr nicht der Fall gewesen sein soll. Das Jahr 1878 war an Hasen in unserem Kanton im Allgemeinen sehr reich, und war der Abschuss derselben ausser den Freibergen, an rothen sowohl wie weissen Berghasen, sehr bedeutend.

Von Raubwild ist unser Gebiet nicht sehr stark bevölkert. Reineke macht zwar dort auch seinen Sommeraufenthalt, soll aber im Winter zu gutem Theil nach dem Engadin und Bergell sich hinabziehen, um seine Mahlzeiten weniger kalt und mager halten zu müssen.

Der Edel- und Steinmarder kommen ebenfalls vor, leben jedoch meistens im Hochgebirge, woselbst nach Erhards Aussage ihre Hauptbeschäftigung darin besteht, den Schneehühnern nachzustellen.

Im letzten Jahre sind im Freiberge 4 Steinadler gesehen worden. Der grosse Uhu, der Erzfeind der jungen Hasen, ist ziemlich zahlreich. Im Mai 1877 hat Erhard das Nest eines solchen entdeckt.

Der Bann im Berninabezirk ist vom Monat October 1876 an auf die Dauer von 5 Jahren nach den oben angegebenen Grenzen festgesetzt und dauert daher noch bis Ende September 1881. Wie es dann nach Ablauf des ersten Quinquenniums mit den bisherigen Freibergen gehalten werden soll, ob ein Turnus beliebe oder ob die gleichen Reviere noch länger beizubehalten seien, wird sich alsdann fragen.

Mit dieser für das Schonwild sehr wichtigen Lösung wird die Section Rhätia des S.A.C. sich zeitig genug ernstlich befassen und im Interesse des Wildstandes ihren Einfluss abermals zur Geltung zu bringen suchen.

Es mag noch erwähnt werden, dass das Rosegthal in den Jahren 1866 — 1868 als Acclimatisationsstätte für ein Renthierpaar gedient hat. Zwei durch die Oberengadiner gemeinnützige Gesellschaft aus Thiergarten, das. Männchen von Paris, das Weibchen aus Köln, bezogene Renthiere kamen in übel aussehendem Zustande Ende Juni 1866 gleichzeitig in Pontresina an.

Für den Sommer wurde ihnen die über 2000 m über Meer gelegene Alp Misaun im Val Roseg angewiesen, während sie den Winter im Dorfe Pontresina zuzubringen hatten.

Die Thiere hatten sich in der Alpenluft sehr bald erholt, ihr Aussehen gewann zusehends, und der junge Spiesser wuchs zu einem starken Bocke heran, der durch seine tollen Streiche manche Verlegenheit bereitete. Der Acclimatisationsversuch ist in soweit vollständig geglückt, als die Thiere daselbst sehr wohl gediehen; allein ein bei der Wahl der Exemplare begangener Fehler konnte nicht mehr so leicht gut gemacht werden. Wegen zu hohen Alters der Kuh wollte keine Nachzucht gelingen. Bei diesem Versuche hatte man Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass das Renthier in grössern Heerden für unser Land als Hausthier nur Verwendung finden könnte, wenn dasselbe an das Futter unseres Rindviehes zu gewöhnen wäre. Das von jenem so bevorzugte Renthiermoos findet sich bei uns in zu geringer Menge und seine Beschaffung für die Winterfütterung kommt zu hoch zu stehen.

Ueberdies legten die Thiere während des zwei- jährigen Aufenthaltes wenige Beweise dafür ab, dass sie dem Menschen leicht dienstbar gemacht werden könnten, vielmehr zeigten sie sich sehr ungelehrig und störrisch. Aus diesen Gründen und weil man keine Aussicht auf ihre Fortpflanzung hatte, wurden die Thiere an den Turiner Thiergarten verkauft. Wer sich über obigen Versuch nähere Belehrung verschaffen will, möge pag. 206 des Jahresberichtes der naturforschenden Gesellschaft Graubündens, Neue Folge, XIII. Jahrgang, Chur, in Commission bei L. Hitz, 1868, nachschlagen.

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