Das Verhältnis der leidenschaftlichen Bergsteiger zu Gefahr und Tod
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Das Verhältnis der leidenschaftlichen Bergsteiger zu Gefahr und Tod

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Ulrich Aufmuth, D-Oberstaufen

Mit einem gewissen Zaudern nehme ich dieses Thema in Angriff. Ich empfinde es jedoch für meine Person als sehr wichtig, über die Frage des Todes und der Gefahr beim Bergsteigen nachzudenken, habe ich doch im Gebirge selbst schon einmal den Blick über die Grenze getan.

Der Tod gehört zum schwierigen Bergsteigen wie das Blau zum Himmel. Ich meine nicht den Tod als Tatsache, als statistischen Wert. Da kann man ihn als Bergsteiger durchaus für unbedeutend erklären und sagen:

Mir geht es hier nicht in erster Linie um den Tod als Tatsache, sondern um den Tod als eine das Bergsteigen begleitende, bewusste Möglichkeit. Das Bewusstsein der Todesnähe bildet einen der wichtigsten psychischen Bestandteile des extremen Bergsteigens. Würde man das Todesbewusstsein aus dem schweren Bergsteigen herausextrahieren, dann bliebe so etwas übrig wie Whisky ohne Alkohol. Nun spricht man allerdings in Bergsteigerkreisen nicht so direkt vom Tod und vom Sterben. Man redet allenfalls von Gefahr, von Furcht, von Risiko. Man geht mit der Sache sehr dezent um. Vielleicht hat man Angst, sie durch glattes Benennen am Ende gar zu beschwören.

Die seelische Naivität in bezug auf die To-deserfahrung bewahrt sich keiner, der über Jahre hinweg an der Grenze seiner persönlichen Schwierigkeitsskala zu Berg gestiegen ist. Jeder passionierte Alpinist erlebt mit der Zeit Situationen der unmittelbaren Todesbe-drohung, nach denen er dankbar-verwundert registriert: ( Dass das noch einmal gut gegangen ist !) Bei den ganz Passionierten gehen diese To-desbegegnungen im Lauf der Jahre oft in die Dutzende. Die Todesnähe des Schwierigkeits-alpinismus ist für jeden, der diesen Sport betreibt, eine starke persönliche Realität. Man kann diesen Teil der seelischen Wirklichkeit des Bergsteigens natürlich verdrängen. Man kann versuchen, sich die Sache von der Haut zu halten und sei es nur, indem man sich nicht dazu äussert oder darüber nachdenkt.

Im täglichen Leben sind wir ebenfalls oft dem Tod sehr nahe, beim Autofahren zum Beispiel. Was aber bei diesen alltäglichen Situationen der plötzlichen Todesnähe grundsätzlich anders ist als am Berg: Hier sind wir Ausgelieferte, keine Fachleute der Todesbe-herrschung, die mit ihrer Kunst dem Tode und seiner Macht ebenbürtig und vollgerüstet gegenüberstehen. Und ein weiteres: In schwerer Wand ist die Nähe des Todes eine ganz klare, gewaltige Realität: Als Abgrund, der unter uns ist, als feindlich blitzendes Eis, als Herniederbrechen der Séracs und der Lawinen. Hier tritt der Tod mit offenem Antlitz auf, nicht so maskiert und versteckt wie oft im ( gewöhnlichen ) Leben. Im Gebirge machen wir den Tod dingfest. Da zeigt er sein volles Gesicht. Dadurch wird er zum Gegenpart, mit dem man umgehen kann. Beim schweren Bergsteigen üben wir die Kunst, so nahe wie möglich an der Grenze von Sein und Nichtsein entlangzuge-hen. Extrembergsteiger sind Balancekünstler auf der Schneide zwischen Leben und Tod. Die klar gefühlte Todesnähe macht uns das Leben wertvoll, gibt ihm neuen Glanz. Den meisten Menschen freilich jagt die gefühlte Nähe des Todes nur Entsetzen ein. Sie sind froh, sich in möglichst sicherer Distanz zum Tode zu wissen. Ich frage mich daher: Warum ist für manchen passionierten Bergsteiger das Bewusstsein grosser Todesnähe ein fast unverzichtbares Lebenselixier? Da wird manchmal behauptet, es binde uns eine Art von Liebesverhältnis an den Tod. Ist das wahr, kokettieren wir mit ihm in der stillen Absicht, ihm anheimzufallen? Davon halte ich nichts. Die meisten von uns hängen am Leben, das ist gewiss. Arbeiten wir nicht ständig an unserer Fähigkeit, kritische Situationen in den Griff zu bekommen? Und wenn wir im Gebirge einmal in Todesnot geraten, dann stemmen wir uns mit aller Kraft gegen den drohenden Untergang. Dies sind sichere Zeichen dafür, dass wir den Tod nicht wollen.

Es gibt indes viele Menschen, Bergsteiger, die übertreiben bewusst die Gefahr. Was bedeutet: Das Leben ist ihnen nur noch etwas wert unter der Bedingung äusserster Gefährdung. Sie haben zuviel von der Lebendigkeits-droge ( Todesnähe> nötig, um sich voll und ganz lebendig zu fühlen. Doch auch diese Menschen wollen nicht umkommen. Ihr Ziel ist nicht die Selbstzerstörung, sondern die Steigerung ihres Lebendigkeitsbewusstseins angesichts der äussersten Todesnähe.

Die bewusst einkalkulierte Lebensgefährdung unter Alpinisten hat ihre Abstufungen. Fast immer aber gilt dies: Nicht die Lust am möglichen Untergang lässt uns die Nähe des Todes aufsuchen, sondern das Gegenteil: Die Sehnsucht nach dem äussersten Lebendig-sein. Das Risiko der Vernichtung ist ein Preis, den wir dafür in Kauf nehmen. Mancher ist bereit, viel von diesem Preis zu zahlen, die meisten von uns sind in dieser Hinsicht eher geizig. Niemals aber ist der Tod das Endziel unseres Tuns. Er ist immer ein Unglück. Die Todesnähe gleicht einem Wind, der alle Kräfte der Lebendigkeit und des Lebenswillens in herrlicher Weise in uns anfacht, der aber, wenn er zu stark wird, auch mit einem Schlag die Le-bensflamme löschen kann.

Von einer Sehnsucht nach dem Untergang oder gar einem Todestrieb kann bei den allermeisten von uns keine Rede sein. Die gefühlte Gegenwart der Vernichtung ist für uns bloss Mittel zum Zweck: Mittel zum Zustand eines bewussteren, intensiveren und dankbareren Lebendigseins. Auch für die Gefahrenfreudig-sten unter uns ist das Sterben eine Katastro-phe.Viele von uns aber haben, so glaube ich, zu dieser Katastrophe ein näheres seelisches Verhältnis als die ( normalen ) Menschen. Wir wollen nicht sterben, aber wir haben einen vertrauteren Bezug zur Möglichkeit des Aus-gelöschtwerdens als andere.

Möglicherweise verhält es sich nun so, dass ein im seelischen Untergrund gespeichertes frühes Bedrohtheitserieben bei Menschen mit einer aktiven, vitalen Konstitution im späteren Dasein ein Hingezogensein zu Situationen der realen Todesgefahr erzeugt, wobei ein starkes Bedürfnis am Werke ist, nunmehr über die Vernichtungsbedrohung sichtbar zu triumphieren. Und wo kann ich mir selber eindeutiger beweisen, dass ich Herr bin über mächtige, vernichtungsdrohende Umstände, als in jäher Wand, auf schwindelnden Wächtengraten oder im Heulen des Höhensturms? Da bin ich rings umgeben von handgreiflichen Ver-nichtungsgewalten, und gleichzeitig halte ich sie alle in Schach durch mein Können, mein Wissen und meine Kraft. Ich bin existentiell ( ausgesetzt ), wie ich es früher in seelischer Hinsicht vielleicht einmal war, anders aber als früher bin ich nun am Berg der Herr und Meister der schweren Bedrohungen - wenn auch nicht auf derselben Ebene. Der Vorgang des Höherkommens in einer heiklen Wand bestätigt mir Sekunde um Sekunde in herrlicher Deutlichkeit: Ich bin der Herrscher über schwierigste Verhältnisse. Ich bin stärker als der Stärkste, der nahe lauernde Tod. Ich reize das Raubtier, um zu spüren: Ich habe noch mehr Macht.

So suchen wir passionierten Bergsteiger auf unseren schweren Fahrten das Kräftemessen mit einem greifbaren Tod. In Wahrheit aber ist dieser äussere Tod nicht der wirkliche Widerpart. Wir brauchen das Bestehen äusserer Todesgefahr zur Beschwichtigung eines frühen, eines seelischen Vernichtungsschreckens in uns. Durch die Bewährung in realer Todesgefahr setzen wir ein Gegengewicht gegen Erfahrungen des Ohnmächtigseins, die tief in unsere Seele eingegraben sind. Wir tragen gewissermassen ein Stück Tod beständig in uns, und dagegen kämpfen wir in Wirklichkeit an.

Hier lässt sich noch ein weiterer Gedanke anknüpfen: Stirbt man in den Bergen, dann geschieht das in aller Regel schnell. Und was dabei das eigentlich Wesentliche ist: Es ist ein Hinweggeholtwerden aus der vollen Aktion heraus. Wir gehen hinüber aus einer Position der äussersten Aktivität und Stärke und kommen um das blanke Hilflossein, das unsere eigentliche Todesangst ist, herum.

Aus diesen Gründen lautet unser mehr oder minder bewusster Kalkül: Wenn schon gestorben sein muss, dann am besten am Berg. Dort ist das Sterben das geringere Übel.

Die gewusste und gespürte Todesnähe kann für uns somit vielfältige Bedeutung haben. Immer aber ist auch dieses dabei: Nach dem Überstehen der Gefahr wird auch das Gegenstück des Todes, das Leben, zu einem ebenso intensiv gefühlten und herrlichen Besitz. Weil wir manchmal todesbewusst leben, existieren wir oft auch lebensbewusster.

Bergsteigen und Tod: Materialien Die immer wieder erlebte Todesnähe ( Die zweite Hand greift empor. Die Finger verkrallen sich förmlich im Fels. Nun hängt mein ganzes Gewicht an den Fingerspitzen. Die Füsse rutschen vom Fels, baumeln in der Luft, der Haken, der noch vor wenigen Sekunden meinen Körper hielt, springt heraus und rasselt am Seil hinab. Nun bleiben mir nur mehr zwei Möglichkeiten: Auslassen bedeutet Sturz, einen gewaltigen Sturz bis hinab. Beide Freunde müssten mit... Also hinauf!

Auf die Zähne gebissen... Und nun schnell. Das Seil kommt nicht nach, es zieht mich nach hinten. Die Finger wollen nicht mehr, sie versagen ihren Dienst... Und endlich - in letzter Sekunde - liegt der Überhang unter mir. ) ( Hermann Buhl, Grosse Bergfahrten, S.46 )

Ein unübersteigbarer Abgrund. Ich fühle mich verloren. Körperlich und seelisch erschöpft, verharre ich mindestens eine Stunde lang, unfähig zu denken, angeklammert an diesen einzigen Haken, der uns, den Rucksack und mich, in dieser fürchterlichen Einsamkeit hält. Aber angesichts der Gewissheit des Todes zeigt sich die menschliche Widerstandskraft stärker, als ich es je geglaubt hätte. Nach und nach bekomme ich mich wieder in die Gewalt. Ich sage mir, dass man sich doch nicht einfach damit abfinden kann, tatenlos das Ende abzuwarten, wenn man fünf Tage lang mit aller Kraft sein Leben eingesetzt hat. Je- denfalls flammt der Hoffnungsfunke wieder in mir auf. Ich finde neuen Mut, mich dem Schicksal zu stellen, dem ich mich ausgeliefert hatte, als ich mich auf dieses Abenteuer einliess. ) ( Ein abenteuerliches und äusserst gewagtes Manöver rettet ihn. ) ( Walter Bonatti, In

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