Der Ala Dagh in Südost-Kleinasien
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Der Ala Dagh in Südost-Kleinasien

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Georg Künne und Wilhelm Martin.

[G. K.] Im Ala Dagh, dem nordöstlichen Teile des zilizischen Taurus in Kleinasien, war bisher nur ein Gipfel betreten worden, der Aladja Dagh, etwa 3200 m, durch Professor Dr. Franz Xaver Schaffer im Jahre 1901. Die relativ beste Karte für unser Gebiet war bisher Richard Kieperts Karte von Kleinasien, 1911, C IV Kaisarije, Massstab 1:400,000 ( 2. berichtigte Ausgabe ). Vom Kyzyl Dagh bei Bozanti im Süden bis beinahe Jahjaly im Norden, also 75 km weit, zeigt die Karte an Stelle des Hochgebirges in der Hauptsache weisse Flecken. An wenigen Stellen sind Gipfel und Kämme angedeutet, deren Lage und Verlauf grossenteils falsch angegeben ist; von Einzelheiten findet sich unter anderem die Angabe « Imposante Felsgipfel, c. 3000 ». Dass diese Höhenangabe zu gering ist, stand schon seit Schaffers Reise im Jahre 1901 fest. Die englische Karte Asia Minor, Cilician Gates, Scale 1:250,000, von 1919 ( for official use only ), die wir in einer Buchhandlung in Konstantinopel erhielten, zeigt einen zusammenhängenden Kamm vom Karanfil Dagh im Süden bis zum Tale des Göklü Su im Norden, ein Fehler, den Kieperts Karte noch vermieden hat. Die übrigen wenigen Angaben über das Hochgebirge scheinen Kieperts Karte entnommen zu sein. Es war eben im dortigen Hochgebirge vor unserer Reise noch nicht kartiert worden.

Vor Jahren schon las ich in Schaffers « Cilicia » 1 ), dass dieses Gebiet nicht nur für den Turisten viele anregende Aufgaben biete, sondern auch für den Geographen ein noch ganz brachliegendes, schönes Forschungsgebiet darstelle. Es seien « sämtliche Gipfel ungemessen, unbestiegen und unbenannt ». Daran hatte sich laut Schaffers Mitteilung an mich bis zum Antritt unserer Reise nichts geändert. Und dann etwas für das Herz des Alpinisten: « Der Anblick des Hochgebirges ist in dieser Gegend überraschend grossartig und sicher der imposanteste in ganz Anatolien. Ja, er kann, was Kühnheit der Formen und Höhe der Felsgipfel anlangt, ganz ruhig mit unseren alpinen Panoramen wetteifern. Bereketli Maden ist der geeignete Stützpunkt... » Also war das für uns ein würdiges Ziel.

Wir drei Bergsteiger teilten uns so in die Arbeit, dass Wilhelm Martin und Frau photographierten und ich die meteorologischen und topographischen Messungen u.a. m. vornahm. Gottfried Stransky, der Schaffer auf einer Anzahl Reisen als Dragoman begleitet hatte, sorgte als Reisemarschall für die Zusammenstellung der Karawane, für das Verhandeln mit den Einheimischen, den Proviantnachschub und überhaupt für unser aller Wohlbefinden. Während wir in den Bergen waren, blieb er bei den Zelten. Ihm, dem sprachen-kundigen und unermüdlichen Mann, verdanken wir auch die Ermittlung der wichtigsten Berg-, Tal- und sonstigen Ortsbenennungen, soweit sie bei den nomadisierenden Jürüken, die noch am weitesten ins Gebirge hineinkommen, im Gebrauche sind. Die meisten Namen werden auf der letzten Silbe betont.

Das Gelingen von Bergfahrten in fremden Gebieten hängt wesentlich davon ab, dass die Kameraden gut zueinander passen. Da dies bei vielköpfigen Partien oft schwierig ist, war ich vor 1914 zweimal mit nur einem Gefährten in ausseralpine Gebirge 1 ) gegangen. Das ermöglichte rasche und reibungslose Tätigkeit; im Falle wirklicher Gefahr wären wir aber in sehr böse Lagen gekommen. Doch solche Bedenken kannten wir als Junggesellen nicht. Diesmal mussten wir schon etwas vorsichtiger sein, denn Martin und ich sind mittlerweile « mehrfache Familienväter » geworden. Deshalb war es uns angenehm, dass wir zu dritt in die Berge gingen und dass Stransky bei den Zelten war. Wir vier haben uns so gut verstanden, dass wir ein besseres Harmonieren kaum wünschen konnten. Das will allerhand bedeuten, denn bei einer solchen Reise gibt es mehr äussere und seelische Schwierigkeiten als auf einer Alpenfahrt.

Die Gesamtkosten betrugen für jeden der drei Teilnehmer etwa 2500 Franken, wovon ein reichliches Drittel für den Dragoman. Aber ein guter Dragoman ist nicht zu entbehren, denn die türkische Sprache ist schwerer zu lernen als die europäischen, und gerade die vielen Ausdrücke, die man im Umgange mit den Einheimischen, besonders den Jürüken, braucht, werden nicht in der Berlitz School gelehrt. Dazu ist das Verhandeln mit Orientalen für Reisende ohne zuverlässigen und tüchtigen Dragoman schwierig und kostspielig. Sie würden ausgiebig übervorteilt werden und bald bemerken, dass ein Dragoman seiner Reisegruppe viel Kosten erspart. Beim Zusammenstellen der Karawane und beim Mieten der Treiber ist der Dragoman schlechthin unentbehrlich. Er bleibt als Wächter bei den Zelten, leitet die Lagerarbeiten und empfängt die ermüdet heimkehrende Bergsteigergruppe mit Speise und Trank. Es dürfte zurzeit keinen besseren Dragoman für die asiatische Türkei geben als Gottfried Stransky.

Unsere Ausrüstung war die übliche alpine; dazu kamen Martins und mein Zelt, Feldbetten, Schlafsäcke und die übrige Lagerausrüstung. Verpackt wurde alles in Transportsäcken, Rucksäcken und kleinen, besonders stabilen Koffern, die den Tragtieren in Grösse und Gewicht gut aufgepackt werden konnten. Kochgeschirr und Turenproviant kauften wir in Konstantinopel ein. Lebensmittel für den Aufenthalt im Zelt bekamen wir von den Jürüken ( Jaurt = Joghurt, Schafbutter, Hammelfleisch, Brot ). Das übrige wurde von Zeit zu Zeit von Bereketli Maden auf Pferderücken durch den ständigen Gehilfen Stranskys, Jonus aus Nigd6, heraufgeholt: sehr zähe Hühner, Kürbisse, Gurken, Tomaten, Wassermelonen, Zwiebeln, Aprikosen, Äpfel, Brot.

Die Wege im Tal und bis zu den Zeltlagern wurden zu Pferde zurückgelegt. 19 Tage lang befanden wir uns andauernd in einer Höhe von mehr als 2100 m.

In den Sommermonaten herrscht im Gebirge ungemeine Trockenheit, die von grossem Vorteil bei den Bergfahrten ist.

Mit Messinstrumenten waren wir gut versehen. Die Genauigkeit unserer Höhenangaben über dem Meere ist ± 30 bis ± 50 m. Die beifolgende Kartenskizze gibt als erste einen Überblick über den Kammverlauf des Ala Dagh.

Am Morgen des 10. Juli 1927 warfen wir einen letzten Blick auf die Sophienkirche zu Konstantinopel. In Haidar Pascha auf der kleinasiatischen Seite wurden unsere 17 Gepäckstücke in der anatolischen Bahn verstaut, und dann fuhren wir durch die subtropischen Fruchtgärten am Golf entlang nach Ismid. Die Hitze wurde immer ärger. Später nahmen romantische Bergtäler uns auf. Noch 5 Uhr nachmittags zeigte mein Schleuderthermometer im Eisenbahnwagen in Biledjik ( 295 m ) eine Temperatur von 41,6 ° Celsius. Und draussen wehte noch immer ein dörrender Glutwind. Die Metallteile waren im Schatten so heiss, dass wir sie nicht anfassen mochten.

Südost-Kleinasien. Das Gebiet des Ala Dagh und das weitere Expeditionsgebiet ist eingerahmt.

Dann kamen wir in das Gebiet, in dem die letzten griechisch-türkischen Kämpfe stattgefunden haben. Zerstörtes Eisenbahnmaterial lag massenhaft an den Hängen links unter uns, an einer Stelle fünf Lokomotiven.

Am nächsten Morgen war Konia erreicht. Mit der Bagdadbahn ging die Fahrt weiter durch die riesenhafte Salzsteppe Lykaoniens. Über Eregli gewannen wir Ulu Kyschla ( 1426 m ), die höchste Station der Bagdadbahn. Hier stiegen wir aus und fuhren gegen 5 Uhr nachmittags mit unserem Gepäck in einem grossen, klapprigen Fordauto in nördlicher Richtung auf die Wilajets-hauptstadt Nigde zu, erst noch auf guter Strasse, dann fast pfadlos durch die Salzsteppe. Rückwärts in der Ferne verschwand allmählich der firnbedeckte Bulgar Dagh, der bisher für den höchsten Teil des kleinasiatischen Taurus angesehen wurde. Unserem Auto begegneten Kamelkarawanen; wir fuhren vorbei an den Zelten und Lagerfeuern nomadisierender Jürüken. Bei Klissé Hissar, wo früher Tyana lag, sahen wir die Bogen einer römischen Wasserleitung und eine Säule. Dann tauchte Bor auf mit dem Grün seiner Oase und mit seinen steilen Tuffelsen. 816 Uhr abends kamen wir in Nigde an, wo wir im « Palasthotel », dem besten am Platze, ein zwar sehr primitives, aber noch ganz erträgliches Unterkommen fanden.

Tags darauf machten wir unseren Besuch beim Wali, dem Oberpräsi-denten der Provinz, der uns sehr freundlich empfing und uns nach längerer Unterhaltung für den ganzen Tag einen deutschsprechenden Regierungsbeamten mitgab, der uns in freundlichster Weise alles Bemerkenswerte von Nigde zeigte. Wir sahen verschiedene schöne Bauten aus der Seldschukenzeit, mehrere Moscheen, eine wundervolle Medresse ( Lehrerseminar ) und schöne Brunnen. Nigde zerfällt in eine lebende und in eine tote Stadt. Während das griechische und armenische Stadtviertel völlig verlassen und grausig zerstört ist, herrscht im türkischen Bazarviertel reges Leben und im Regie-rungsviertel vornehme Ruhe. Im Tale stehen allenthalben Pappeln und Obstbäume, aber die Berge sind völlig kahl, so dass Brennholz fehlt. Geheizt wird vielfach mit Kuhmist, der feucht an die Hauswände geklebt und von der Sonne getrocknet wird. Über grauen Lehm- und Steinbauten flimmert das Sonnenlicht, leuchtet blauer Himmel.

Am Vormittag des 13. Juli hatte Stransky die Karawane zusammengestellt, so dass wir 1140 Uhr mit mehreren Treibern, drei Packtieren und vier Reitpferden aufbrechen konnten; Stransky und ich ritten auf breitem Türkensattel ohne Steigbügel. Nach anderthalbstündigem Steppenritt war das obstreiche Dorf Eski Gumuschaltes Silber ) erreicht. Nun im Bergtal aufwärts, zunächst steil, dann flacher. Die Talsohle zeigte kleine Äcker mit niedrigem Mais, Bohnen und Tschawdar, anscheinend einer Roggenart; die Berghänge waren felsig und kahl. Darauf ritten wir wieder steiler empor auf das Passplateau des Ütsch Kapular DaghDreitürenberg ), wo wir um 430 Uhr ankamen, auf 2000 m. Hundert Meter unterhalb begannen wieder die Äcker. Wir trafen auf grosse Herden von Schafen und schwarzen, büffelartigen Rindern mit grossem, schwerem Gehörn. Links oben sahen wir alte Höhlenwohnungen. Dann ging es endlos bergab, zum Teil auf plattigen Pfaden hoch über der Talsohle. Wunderschön war die Wanderung durch das malerische, mondbeschienene Tal. Einige Male mussten wir den Bach überschreiten; dann wanderten wir durch die Obstgärten von Bereketli Maden auf 1500 m zum Hause des MüdürAmtsvorsteher ) Soliman Bey, wo wir freundliche Aufnahme fanden und gut verpflegt wurden. Wir schliefen auf unseren Feldbetten.

Am 14. Juli rasteten wir und trafen die weiteren Vorbereitungen. Stransky behielt einen Mann aus Nigde, Jonus, mit seinem Pferde als ständigen Begleiter bei uns und besorgte neue Pferde und Treiber. Mit Einkaufen, Photographieren, Schlafen, Erkundigungen ging für uns übrige die Zeit hin. Noch ziemlich fern im Osten erhebt sich der Ala Daghbuntes Gebirge ). Er bietet ein erhabenes Bergbild: riesige, schroffe Kalkgipfel mit zum Teil schönen Firnfeldern. Das Bergwerk in Bereketli Madengesegnetes Bergwerk ) ist seit langer Zeit eingegangen. Die Einwohner leben von Ackerbau ( Mais, Gurken, Wassermelonen, Tomaten usf. ), Schaf-, Ziegen- und etwas Binder-zucht. Ferner wird Teppichknüpferei betrieben. Martin, der deutsche Arzt, wurde bald von einheimischen Patienten überlaufen.

Am Vormittag des 15. Juli waren Martin und ich mehrere Stunden mit photogrammetrischen Arbeiten an einer abgesteckten Basis beschäftigt.

1110 Uhr vormittags verliessen wir Bereketli Maden mit fünf Reitpferden und drei Packtieren. Jetzt ging es also wirklich « den Bergen zu ». Sie sind uns doch immer die Heimat, ob wir ihnen entgegenwandern im längst vertrauten Alpental, ob das wiegende Ruderboot im hohen Norden uns an den Fuss der eisigen Riesen bringt oder ob wir im Türkensattel ragenden Gipfeln entgegenreiten. « Unsere Berge » schienen uns von Bereketli Maden nicht weiter entfernt zu sein, als die Dolomitgipfel es von Cortina sind. Jetzt aber kam die erste grosse Überraschung. Stundenlang trugen uns die Gäule durch die wellige, graubraune Steppe ostwärts. Wir ritten durch eine Furt des reissenden Adjenüsch Su. Immer riesiger bäumten sich die Berge empor.

In einem Tale westsüdwestlich vom riesigen Massiv des Demirkasyk kroch unsere Karawane empor, und drei Stunden nach unserem Aufbruch waren wir erst in dem Weiler Jallach, etwa 1840 m. Hier machten wir Rast und wurden gastfrei aufgenommen. Teppiche wurden auf dem Erdboden ausgebreitet; Jaurt, Butter, Brot, Zwiebel und Gurken boten willkommene Stärkung.

Nach herzlichem Abschied ritten wir noch eine halbe Stunde im Talgrunde fast eben dahin bis zu der Stelle, wo das Tal sich gabelt. Das südliche Tal heisst Gellinjik Deresse, das nördliche Wadi Narpis bogasse. Während der Tross rastete, gingen Martin und ich rekognoszierend voran. Der Tross folgte später auf dem die beiden Täler trennenden kahlen Geröll- und Grasrücken. Nach etwa einer Stunde wollten die Treiber in dem ziemlich schwierigen Gelände nicht mehr weiter gehen. Erst als ich ihnen von einem zwanzig Minuten höheren Platze aus die Nachricht geben konnte, dass hier gutes Quellwasser sei, fassten sie Mut und kamen nach. Nun lotste ich sie noch zehn Minuten höher hinauf bis zu einer Grasmulde bei einer kleinen Fels- gruppe, die hoch über der Sohle des Wadi Narpis bogasse liegt. Sehr von Vorteil war es, dass Martin noch etwa 100 m höher oben stand. Auf diese Weise war es möglich, unsere Leute wenigstens bis zu dem angegebenen Platze zu bringen. Sie waren schwer erbittert, denn zuletzt war der Weg für Pferde herzlich schlecht, auch etwas exponiert, so dass ungeübtere Alpenfahrer hier schon das Seil verlangt hätten. Es ist gewiss nicht schön, wenn es aufwärts gehen muss « bis zum letzten Hauch von Mann und Ross », aber je höher die Zelte liegen, um so grösser sind die Aussichten auf Sieg. Die Höhe dieses Lagers I, das etwa zwei Stunden oberhalb von Jallach liegt, ist etwa 2290 m.

Der Abend nahte, glühend sank die Sonne. Wir schickten die Treiber und die Pferde zurück, bis auf Jonus aus Nigde, der mit seinem Schimmel-hengst ständig bei uns blieb. Bald standen unsere Zelte. Die wichtigsten Lagerarbeiten waren beendigt, das Feuer lohte, gespenstisch schaute der riesige Demirkasyk auf uns herab, und hoch am Himmel funkelten die Sterne. Bald gingen wir zur Ruhe.

Am 16. Juli brachen Martin, seine Frau und ich erst um 9 Uhr früh mit leichtem Gepäck zu einer Erkundungsfahrt auf. Wir querten zunächst unter den Wänden des Jallachzuges auf der orographisch linken Seite des Wadi Narpis bogasse etwas abwärts bis zu einem Firnflecken von beträchtlicher Mächtigkeit, auf 2250 m. Dann gingen wir weiter bis wir die steinige, wasserlose Talsohle erreichten.

Die alpine Flora in dieser Gegend ist steppenhaft verkümmert, denn so gewaltige Niederschläge von Mitte September bis Mitte Mai fallen, so trocken ist der Sommer. Die meisten Pflanzen zeigen schmales Grün. Besonders fielen uns die Stachelpolster einer Nelkenart auf, mit kleinen, roten Blüten, ausserdem eine schöne, bis zu 3/4 m hohe Distelart, von der jedes Exemplar weisse und rosafarbene Blüten zugleich trug. Ferner bemerkten wir ein in diesem Tale nur 1 m hohes, knieholzartiges Gewächs, das Stransky und andere Baumwacholder nennen; das Grün ist aber nicht, wie beim gewöhnlichen Wacholder, stachlig, sondern weich und zypressenartig.

Bald zogen wir hinüber auf die nördliche Talseite, auf deren Geröllhängen wir die untere Klamm umgingen. Durch die nächste, gleichfalls wasserlose Klamm kamen wir zu einer Quelle, deren Wasser bald versickert. Nunmehr stiegen wir auf der nördlichen Talseite über Schrofen, kleine Kamine und plattige Bänder etwas ausgesetzt in mittelschwerer Kletterei bis zu der Stelle, wo über einen leichten Geröllhang abwärts wieder ein Übergang auf die südliche Talseite möglich ist. Somit hatten wir einen ungehinderten Zugang zu den weiten Geröllfeldern des oberen Tales. Nördlich von uns ragte gewaltig die zerklüftete und plattige Südwand des Demirkasyk empor und im Süden die fast senkrechten Wände der Jedigöl Tepesse. Befriedigt kehrten wir um; am frühen Nachmittage waren wir wieder bei den Zelten.

Demirkasyk, 3910 m, erste Ersteigung.

Der 17. Juli 1927 war ein Sonntag. Da musste es mir, dem Sonntagskinde, gelingen. Zu einem anderen Sonntagskinde in der Ferne, meiner Frau, flog ein grüssender Gedanke, dann zogen wir 420 Uhr früh talauf, dem stolzen Demirkasyk entgegen. Als Träger ging mit der Steinbockjäger Wele Tschausch ( Tschausch = Feldwebel ) aus Jallach, der etwa ein Dutzend englische Ausdrücke beherrscht und von allen Einheimischen bisher am höchsten am Demirkasyk emporgestiegen war. Er hatte in der Südwand, die ihm noch am gangbarsten erschien, eine Höhle erreicht, die etwa 600 m unter dem Gipfel liegen mag. Hier hatten ihn unüberwindliche Schwierigkeiten zur Umkehr gezwungen.

Wir hofften, am Ostgrat die günstigste Gesteinsschichtung vorzufinden, und holten deshalb zu einer riesigen Umgehung aus. In etwa 2 1/2 Stunden hatten wir wieder die Stelle erreicht, wo wir tags zuvor umgekehrt waren. Fast zwei Stunden lang ging es nun flott über Geröll empor. Weit drüben im Firnkar der Jedigöl Tepesse sahen wir ein Rudel von 20 bis 25 Steinböcken. Nirgends war Quellwasser zu finden. Da blieb uns nichts anderes übrig, als in langweiliger Arbeit Schnee zu schmelzen. Dann gingen wir nicht bis zur Scharte am Talschluss, sondern griffen die Felsen links davon wenige Minuten nach der Rast an ( bei 3300 m, 930 Uhr ). Über geröllbedeckte Platten und Schrofen erreichten wir 1050 Uhr den Ostgrat, bei 3500 m. Hier rasteten wir ein Stündlein. Fast senkrecht bäumten sich die Nordwände der Jedigöl Tepesse mit ihren Eisrinnen empor, ebenso steil schoss die Nordflanke unseres Grates in die Tiefe. Im Osten standen die Tschal Tepesse, und im Westen zeigte sich etwas von unserem Demirkasyk, dessen Grösse wir jetzt noch nicht ahnen konnten. Wir waren überrascht von der riesenhaften Masse dieser Berge. Dem Demirkasyk gaben wir jetzt bereits 200 m mehr an Höhe als heute früh beim Zelt. Da aber die Berge des Bulgar Dagh ( etwa 3560 m ) als die höchsten des kleinasiatischen Taurus galten, konnte der Demirkasyk nur noch etwa 200 m höher sein als unser jetziger Rastplatz, dessen wirkliche Höhe sich bei der genauen Berechnung zu Hause auch als grösser herausstellte, als wir nach den Ablesungen im Gelände annahmen. Deshalb schätzten wir, dass wir spätestens 3 Uhr nachmittags auf dem Gipfel sein würden, und liessen drei grosse Schlafsäcke, zwei Rucksäcke und alles überflüssige Gepäck zurück, leider auch die Windanzüge. Wir fragten Wele, ob er hier auf unsere Rückkehr warten wolle. Er mochte aber gar zu gern mitgehen. Martin und mir war das recht. Wele wurde unserer Gefährtin als alpiner Attache von Jürükistan beigegeben.

Mit Kletterschuhen erreichten wir über einen leichten Plattengrat einen bisher unbestiegenen und unbenannten Gipfel, 3570 m, den wir Marianne Tepe nannten ( 12 Uhr ). Aus riesiger Tiefe schimmerten einige kleine Seen empor. Nun ging es wieder abwärts über viele Grattürme mittelschwer zur tiefsten Scharte vor dem Demirkasyk, etwa 3480 m. Wir rasteten kurze Zeit. Die Stimmung war erwartungsvoll, aber gut, hofften wir doch, in 1 1/2Stunden auf dem Gipfel zu sein.

Wir gingen als eine Partie an zwei Seilen, zuunterst unsere Gefährtin und bei ihr Wele, vor ihr Martin und ich. Wir stiegen nahe am Grat über mittelschwere Felsen nach links zu geröllüberdeckten Platten empor, die ziemlich rasch etwa 100 m Aufstieg erlaubten. Nun war zunächst in der Südflanke nichts mehr auszurichten; die plattigen Gratabsätze schienen immer noch den besten Weg zu bieten. Über den Grat oder links von ihm ging es schwierig empor. Wir freuten uns an der Kletterei, denn unser Bedarf an Schwierigkeit war gerade gedeckt. So ein Gipfel war doch schön; jetzt konnte auch der höchste Punkt nicht mehr fern sein. Von Abbruch zu Abbruch arbeiteten wir uns empor. Wo blieb denn der Gipfel? Wir erreichten einen Gratabsatz bei 3700 m. Der Grat über uns sah jetzt sehr böse aus. Also wieder hinein in die Südflanke.

Ein gutes Band führte fast 20 m weit nach links. Ich eilte bis zu seinem Ende und schaute über eine etwa 50° geneigte Platte nach links; 8 bis 10 m hinter ihr musste ein guter Stand sein. Unverzüglich begann ich die Querung. Die Platte wurde bald sehr schwer, griff- und trittlos. Meine Kletterschuhe fanden Halt auf der schrägen Fläche, meine Fingerspitzen krallten sich ein in winzige, kaum 1 cm tiefe Unebenheiten. Die Linke suchte neuen Halt; vergebens. Rasende Selbstvorwürfe in kriechender Sekunde! Hätte ich doch einen Sicherungshaken eingeschlagen! Zurück! Es ging nicht mehr. Ruhe jetzt! Den Gefährten darf nichts geschehen; denn, wenn ich falle, bilde ich das Gewicht eines Pendels von 25 m Länge. Woher mir die Ruhe kam, ich kann es nicht sagen. Mit nachtwandlerischer Selbstverständlichkeit tastete ich links an der Platte herum, fand winzige Rauhigkeiten, schob mich in weiterem schwerem Ringen die wenigen Meter noch quer über die Platte und fand den sicheren Stand. Martin folgte. Als er fast bei mir war, kam die Reaktion. Das Herz schlug mir bis zum Halse und den Schläfen hinauf, die Hände flogen, die Knie zitterten. Martin landete. Stumm sahen wir uns an.

Während Martin seine Frau sicherte, stieg ich über die nächste, wesentlich leichtere Platte hinauf. Weiter, nur nicht nachdenken! Der Drang nach oben gibt neue Kräfte. Nun ging es dauernd über den ungeheuren Plattenpanzer der Südwand empor. Noch einige Platten. Dann stand ich nicht besonders gut am Fusse einer 20 m langen Rippe, die bauchig, plattig und ausgesetzt schräg aufwärts führte. Ich schaute an den sich darüber aufbäumenden Platten empor. Will denn dieser Aufstieg gar kein Ende nehmen? Die Rippe war nicht schwierig, aber unangenehm, da jede Sicherungsmöglichkeit fehlte. Auch oberhalb der Rippe überall nur schlechter Stand. Und dazu war es spät geworden. Wahrhaftig, wir sehnten uns nach dem Gipfel. Von einem unsicheren Plätzchen aus griff ich eine etwa 60° geneigte Platte an, über die ich gerade hinauf musste. Sicherung hatte ich jetzt überhaupt nicht. Der Kampf war hier sehr schwierig und anstrengend, aber auch von besonderer Schönheit, vielleicht eben deshalb, weil ich so ganz auf mich selbst angewiesen war. Oberhalb der Platte wieder schlechter Stand. Jetzt habe ich es satt. Ein Mauerhaken fährt unter meinen Hammerschlägen singend in eine Gesteinsritze, mein Karabinerhaken schnappt ein; nun habe ich Selbstsicherung, und die Gefährten können gesichert nachfolgen.

Noch einige Platten, über die wir trotz ihrer Schwierigkeit keuchend empor-hasten, dann betreten wir den Grat. Die grosse Höhe wirkte; wir merkten es an Herz und Lunge. Über die Gratstufen eilen wir empor zum höchstenPunkt. Der aber war erst ein Vorgipfel. Erneutes Aufwärtshasten. Endlich war alles andere unter den Horizont gesunken. Der Gipfel war erreicht. 6 Uhr abends.

Jeder sucht sich ein Plätzchen und hängt seinen Gedanken nach. Vom Turm der heimatlichen St. Johanniskirche klingen jetzt die Glocken, meine Mutter lauscht ihnen, meine Schwestern gehen nun wohl zum Abendgottes-dienst. Und in Hohenfinow sitzt meine Frau im Garten, umgeben von unseren Kindern. Und ich feiere hier oben mit lieben Gefährten auf ragendem Gipfel, der alle nahen und fernen Berge feierlich überhöht! Fürwahr, ich bin doch ein SonntagskindNun aber auf, nicht mehr geträumt! Rasch an die Gipfelarbeiten! Martins photographierten, bauten den einen unserer zwei Steinmänner und banden daran ein rotes Tuch fest; ich machte Notizen, verfasste die Gipfelkarte und beobachtete. Der westliche Nebengipfel liegt nach Augenschein und dreifacher klinometrischer Ablesung beträchtlich unter dem Horizont, ebenso jeder andere Gipfel.

Auf unserem Berg sahen wir einen Trichter, dessen Entstehen wir auf Blitz- oder Meteorwirkung zurückführen. Fern im Norden schimmerte ein vergletscherter, breiter, vulkanartiger Berg. Das musste der Erdjas Dagh sein. Im Osten und im Süden starrte ein Heer von Gipfeln auf: hinter den firnumgebenen Jedigöl Tepesse der mächtige Lolut mit seinem grossen Kargletscher, noch weiter südlich der schlanke Esnewit und der breite, wuchtige Bors Dagh. Wele freute sich sehr, auf seinen grössten Heimatberg gekommen zu sein. Er lief, während wir arbeiteten, auch noch auf den wenige Minuten entfernten, niedrigeren Westgipfel hinüber, weil der direkt auf Bereketli Maden hinabschaut. Die Uhr zeigte 635 Uhr abends. Die Abendschatten zogen herauf. Mit leisem Schauder dachten wir an den Abstieg und an die Nacht.

Wir stiegen auf demselben Wege ab, denn den kannten wir, und alle anderen Seiten des Berges sahen noch böser aus. Eilig zogen wir über den Grat hinunter. An den Platten mussten wir bald unsere Eile etwas mässigen. Gegen 7 Uhr lohte ein rotes Alpenglühen auf, unheimlich drohend, nach einiger Zeit kam ein zweites, schwächeres. Dann dämmerte es schnell. Wir kamen zu der 60° geneigten Platte. Meine Gefährten hatten sie überwunden; ich musste mich über diese Stelle abseilen. Den Sicherungshaken vom Aufstieg hatten wir leider wieder herausgeschlagen und mitgenommen. Da sah ich links im Sinne des Aufstieges einen losen Block liegen, der viele Zentner schwer sein mochte. Ein vorsichtiges Probieren; er hielt. Rasch wurde ihm eine Seilschlinge umgelegt, dann glitt ich über die Platte hinunter, indem ich das doppelte Seil möglichst wenig belastete. Glatt liess sich das Seil nachziehen.

Die Dämmerung nahm zu und hinderte von nun an sehr beim Klettern, so dass die bauchige Rippe mir bittere Not machte. Freundliche, tröstende Worte, die der unsichtbare Martin aus der dämmernden Tiefe zu mir empor-sandte, gaben mir eine Art moralischen Halt. Bald darauf warteten Martin und Frau auf mich am Fusse einer jähen Platte auf einem 2 m langen und 1 1/2 m breiten, nach aussen geneigten Geröllfleckchen. Wele, der ja immer zwei Seillängen unter mir war, hatte beim letzten Licht die Platte unter uns überwunden und den bösen Plattenquergang auf schmalem Band umgangen, hatte das gute Band gewonnen und war in der Tiefe verschwunden. Uns zwang die Dunkelheit auf unserem Plätzchen, bei 3730 m, zum Freilager. 8 Uhr abends.

Martins und meine Stimmung war, wie wir uns später eingestanden, hundsmiserabel. Dicke Wolken standen am Himmel und liessen einen Witterungsumschlag befürchten. Der Abstieg am nächsten Morgen über die Platten bei Vereisung und Neuschnee konnte gut werden. War es nicht doch unverantwortlich leichtsinnig, auf eine so lange und so schwere Bergfahrt eine Frau mitzunehmen, auch wenn sie sich schon an einigen Viertausendern als gute Bergsteigerin bewährt hatteDer erste Kälteschauer überlief uns. Unsere warmen Sachen und die schönen Essvorräte lagen mehrere Stunden unter uns. Doch, was hilft die stille Wut! Auf jetzt, und für möglichste Sicherheit gesorgt! An einem eingeschlagenen Haken machte ich meine lange Reepschnur fest, und an dieser wurde das Seilende eines jeden von uns kurz festgeknotet. Ein Firnrest über uns sorgte während des grössten Teiles der Nacht für fliessendes Wasser, dessen Kühlung wir durch untergelegte Seilschlingen zu massigen trachteten. Unsere Gefährtin in der Mitte bekam den einzigen Rucksack, den Martin getragen hatte, um die Füsse und das einzige Reserve-jäckchen an. Noch ein paar Brocken Schokolade und Zucker zwischen die Zähne, Taschentuch um den Hals, Hutkrempe herunter, Papiereinlage in die Schuhe, Handschuhe an: nun war alles erledigt.

Das Wetter hatte ein Einsehen. Etwa 930 Uhr liessen die Wolken den eben aufgegangenen Mond frei. Der gab ein schönes, helles Licht, denn vor einigen Tagen war Vollmond gewesen. Während Martin und ich schweigend vor uns hinstarrten, gab unsere wackere Gefährtin sich alle Mühe, uns durch muntere Erzählungen aufzuheitern. Dafür sei ihr noch heute gedankt. Dann kam die Müdigkeit, aber Schlaf ward uns nicht beschieden. Gegen Mitternacht wurde das Frieren immer ärger. Wir beklopften uns gegenseitig den Rücken und machten im Sitzen Freiübungen, die eine tolle Kombination darstellten von rhythmischer Gymnastik, moderner Ausdruckskunst und alt-heiligen, kultischen, jürükischen Bewegungen. Alle Viertelstunden schauten wir nach der Uhr. « Hallo! Die erste Stunde des neuen Tages haben wir hinter uns. » Bleiern kam die Müdigkeit. Hin und wieder rutschte der eine oder der andere im Schlafe etwas ab, aber das sichernde Seil tat seine Schuldigkeit, und der Nachbar schob den Schläfer wieder auf seinen Platz.

Ich mag kurz vor 2 Uhr ganze fünf Minuten geschlafen haben, aber die waren schön. Ich lag im blütenweissen Bett daheim, die Nacht war trotz der Julihitze von erfrischender Kühle. Warum hatten wir nur unsere Reise so bald beendigt? Aber den Demirkasyk haben wir doch, sprach ich vor mich hin, und wie schön ist das weiche, warme Bett. Behaglich streckte ich mich aus, vermisste nur das Fussende. Nun reckte ich den rechten Arm. Verfault, juchhe! Was ist die Bettkante hart, das weisse Linnen kantig! So hell hat doch der Mond noch nie ins Schlafzimmer geschienenHa, was ist das? Weiss beschienene Steine bilden das Linnen meines Bettes. Ich liege hoch oben in der Südwand des Berges. Aber den Demirkasyk haben wir doch, knurrte ich ingrimmig vor mich hin.

230 Uhr morgens eine Stimme aus der Tiefe. Wir mussten uns getäuscht haben. Die Stimme kam näher. 3 Uhr früh erschien zu unserem grenzenlosen Staunen Wele mit unseren drei Schlafsäcken. Er war nach Mond- aufgang zu unseren Sachen abgestiegen, hatte dort kurze Zeit ausgeruht und war dann den langen Weg zu uns zurückgekehrt. Wir dankten ihm herzlich und krochen sofort in die Schlafsäcke. Da der meinige am weitesten war, fanden Wele und ich darin Platz. Freilich schloss nun die Klappe nicht mehr, so dass die kalte Luft ziemlich viel Zutritt hatte. An Schlaf war auch jetzt nicht zu denken, dazu waren wir schon zu sehr durch-gekältet. Zwischen 4 und 5 Uhr war es am schlimmsten; deshalb brachen wir erst um halb 6 auf.

Trotz Frostgefühl und lähmender Gliedersteifheit hiess es jetzt, in dem schwierigen Gelände alle Kräfte und alle Besonnenheit zusammennehmen. Beim Quergang, der diesmal wesentlich angenehmer unterhalb der bösen Platte auf ausgesetztem Bande durchgeführt wurde, hatte ich es gut. Drüben auf dem Bande standen die andern. Martin war nur 10 m von mir entfernt und sicherte vortrefflich. Nun ging es über das Band zum Grat. Wir waren wieder Herr unserer Kräfte geworden und stiegen behaglich die schönen, schwierigen Absätze hinunter. Wir kamen auf die leichteren Felsen und zur Scharte, zirka 3480 m, die wir 730 Uhr früh erreichten.

Wele brach nach kurzer Rast auf, um unser Gepäck vom Ostgrat des Marianne Tepe ins Wadi Narpis bogasse hinunterzutragen. Wir wollten von der Scharte durch die etwa 300 m hohe, steile Geröllschlucht direkt absteigen. Gerne hätten wir noch etwas gerastet, aber der Hunger! Also weiter, talwärts! Die Rinne muss im Aufstieg ein gemeiner Schinder sein, im Abstieg war sie gemütlich. Wir erreichten das Tal in einer Höhe von etwa 3150 m. Nach einiger Zeit erschien Wele mit dem Gepäck. Das gab ein fröhliches Tafeln und Rast bis 10 Uhr vormittags.

Nun gemütlich talab, diesmal immer auf der Talsohle und durch die romantische Klamm. Während die anderen vorauseilten, schlug ich mir mehrmals mit dem Hammer Gesteinsproben ( Kalk, wie im ganzen Ala Dagh ) herunter. Die Abbrüche der Klamm wurden meist in geringer Höhe über dem Grunde umgangen, nur zuletzt einmal etwa 30 m hoch über etwas ausgesetzte Schrofen. Und jetzt hinaus ins sonnige Gerölltal, den Zelten entgegen. Jonus kam mit seinem Schimmel, unsere Gefährtin wurde in den Sattel gehoben und hielt mit uns königlichen Einzug im Zeltlager, 1230 Uhr mittags, wo uns Stransky froh empfing. Nun schlafen, essen, schlafen, hatte doch die Besteigung 32 Stunden gedauert.

An den folgenden Ruhetagen wurden die Tagebücher ergänzt. Ich machte meteorologische Beobachtungen, ferner Peilungen im Interesse der im Entstehen begriffenen Kartenskizze; auch beobachtete ich den Polarstern. Darüber ist an anderer Stelle berichtet. Auch Martin hatte keine Ruhe, denn in mehrstündigem, zum Teil mehrtägigem Ritte kamen zahlreiche Patienten mit Augen- und Ohrenkrankheiten, Malaria, Gelbsucht, Herzleiden, Magenleiden, Darmfisteln usf. und erbaten Rat und Hilfe von dem deutschen Arzte. Es waren Männer, Frauen und Kinder, Türken und Jürüken, Arme und Reiche; jedes Lebensalter war vertreten. Zum Teil waren es malerische Typen, darunter ein turbanbedeckter Hodscha, der englisch sprach. Auch die Reichen ( einer hatte 3000 Stück Schafe und ent- sprechend viel anderes Vieh ) waren sehr schlecht gekleidet, aber fast alle ritten auf Pferden oder Eseln trotz des steilen Anstieges. Die Leute hatten Ungeziefer, waren aber sonst sauber und hatten gepflegte Hände und zum Teil rot gefärbte Fingernägel.

Unsere Nachtruhe war meist gut. Und wenn wirklich einmal der Schimmel von Jonus sich losriss und über die Spannstricke unserer Zelte stolperte, oder einige Rinder unser Kochgeschirr untersuchten, warf Stransky ihnen einige Kraftausdrücke oder Steine an die dicken Köpfe, so dass sie angsterfüllt davontobten.

Jonus hatte die Nachricht gebracht, dass der Müdür nach Nigde reiten müsste und unsere Post mitnehmen könnte. Schnell schrieben wir Grüsse an die Lieben daheim. Dann bestieg Jonus seinen Schimmel und brachte unsere NE.chrichten ins Tal.

Am 21. Juli früh erstiegen Martin und ich vom Zelt aus einen etwa 2700 m hohen Zacken im Jallachkamm zu Orientierungszwecken. Ein Einblick in die obere Gellinjik Deresse war aber nicht zu erlangen. Dann packten wir alles zusammen, um ein neues Standquartier zu gewinnen.

Während Stransky den Rest der Sachen im Lager fertig machte, gingen wir anderen südwestwärts voraus. Martin rekognoszierte, seine Frau folgte ihm, ich blieb bei den Treibern und den zwei Tragtieren. Schon nach einer Viertelstunde warf das eine der beiden seine Last ab. Während die Treiber die Sachen wieder aufpackten, führte ich das andere Tier weiter, das ebenfalls nach kurzer Zeit mit zur Seite gerutschter Last zum Liegen kam, und zwar an einem Trümmerhang von etwa 45° Neigung. Da der Untergrund nicht eben weich war, suchte das Ross hin und wieder seine Lage zu verändern. Ich musste mit aller Gewalt verhindern, dass es dabei in die Tiefe stürzte. Endlich kamen die Treiber nach, und mit vereinten Kräften wurde alles in Ordnung gebracht. Martin kam über unangenehme Konglomerathänge zu uns zurück, nachdem er festgestellt hatte, dass Pferde unmöglich an den Fuss des Lolut gelangen könnten. Demnach schickten wir Bescheid zu Stransky, packten alles von den Tieren ab und blieben an Ort und Stelle, etwa 2130 m, östlich oberhalb der Gellinjik Deresse. Bald kam Stransky mit dem Rest der Sachen. Wir schlugen die Feldbetten auf und schliefen, gut eingehüllt, unter freiem Himmel.

Nunmehr mussten wir in ein südlicher gelegenes Tal übersiedeln. Demnach ritten wir am 22. Juli 745 Uhr früh mit den neuen Tieren, die soeben aus dem Tale angekommen waren, hinab und talaus, dann auf dem linken Talhange des Gelinjik Deresse durch wüste Konglomerate immer höher hinauf, um den Fuss des Jedigöl Dagh westlich herum. Wir kamen zu einem Jürükenzeltlager und rasteten. Wieder wurde Martin um ärztliche Hilfe gebeten. Die freundlichen Leute bewirteten uns mit Milch und Jaurt. Ein offensichtlich begüterter Mann lud uns in sein Zelt aus braunem Ziegenhaar ein; die zahlreichen verschleierten Frauen drückten sich mit abgewandtem Kopfe scheu seitlich auf die Kissen.

Von diesem Lager aus ritten wir in südöstlicher Richtung mehrere hundert Meter über der Sohle der Emli Deresse auf der nördlichen Talseite, vorbei an einem andern Jürükenlager ( wieder viele Rinder, Ziegen, Schafe, Hunde ) bis zu einem etwa 2480 m hohen Platze mit dürftigem Grün. Ein Weiterweg zu Pferde sollte angeblich unmöglich sein. Hier errichteten wir unser Zeltlager II. Wir waren langsam geritten, bergauf und bergab, und hatten diesen Platz 12 Uhr mittags erreicht. Die Landschaft war in der letzten Stunde immer grossartiger geworden; und die Lage des Zeltplatzes war einzig schön. Wir blickten über die tiefe Talfurche hinüber auf eine Reihe von stolzen Bergen; der Esnewit war der schönste und gewaltigste. Am Talschluss standen Poss Dagh und Sirmalik. Mit heissen, begehrlichen Augen betrachteten wir den Esnewit. Aber wie sollten wir den bezwingen? Zu sehr war er durch riesenhafte Wände verteidigt. Zum ersten Male auf dieser Reise wurden wir angesichts einer Aufgabe kleinlaut. Am 23. Juli taten Martin und ich einen Erkundigungsgang.

Jedigöl Dagh, 3560 m, erste Ersteigung.

Wir wählten uns den Zeltberg aus, den die Jürüken Jedigöl Dagh nennen. Sein Gipfel konnte nach unserer Schätzung nur etwa 600 m höher liegen als die Zelte, also etwa 3100 m. Wir brachen 730 Uhr auf und versprachen den Zurückbleibenden, um 1 Uhr mittags wieder bei den Zelten zu sein. In nördlicher Richtung stiegen wir etwa 400 m empor über spärlich mit Pflanzen bewachsene Hänge und Geröll. Der Gipfel blieb rechts. Wir querten hinein in die Westflanke. In dieser wechselten Platten, Geröll und Schrofen, meist unschwierig, aber unangenehm. In einer Plattenmulde stiegen wir empor. Etwa 300 m unter dem Gipfel brachen wir aus dem anstehenden Gestein einige Stücke spätig-stengligen Kalkspat. Ein kleines Firnfeld wurde gequert. Dann folgten wieder Geröll, Schrofen, Platten.

Zu unserer Überraschung war auch dieser Berg weit höher, als wir ihn eingeschätzt hatten. Obwohl wir flott gestiegen waren, hatten wir um die Mittagsstunde den Gipfel noch nicht erreicht. Da die letzten 100 m unter dem Grat ungemütlich aussahen, legten wir jetzt das Seil an. Martin ging voraus. Die etwa 45 ° bis 50 ° geneigten Platten waren zwar nur mittelschwer, aber mit losen Trümmern und feinem Griess bedeckt, so dass wir manchmal wie auf rollenden Kugeln standen. Und nirgends fand sich ein Sicherungsplatz. Unter diesen Umständen war das Seil nur ein Hindernis; gern hätten wir es abgelegt, doch war es bei unserem unsicheren Stande nicht mehr möglich. Also hinauf! Martin sagte einmal: « Wie an der Zmuttseite des Matterhornkopfes, wenn sie nicht vereist ist. » Diese Stelle forderte von uns unbedingte Sicherheit und Ruhe, wie sie erst nach langjährigem Bergwandern erlangt wird. Leise schleifte das Seil auf den Platten, mit ruhiger Sicherheit stieg Martin über mir durch das widerwärtige Gelände empor. Endlich standen wir auf dem Grat. Einige Seillängen noch nach Norden, dann war der Gipfel erreicht, 3560 m: 1240 Uhr mittags.

Senkrechte Riesenwände fallen nach Norden ab in ein unsagbar ödes Gerölltal. Nördlich davon ragte rechts die Jedigöl Tepesse empor, links der niedrigere Jallachkamm, über den der riesige Plattenkoloss des Demirkasyk herüberschaut. Östlich von unserem Gipfel führt der Kamm über einige kleine Erhebungen zu dem mächtigen Lolut, der von hier nicht allzu bösartig aussah. Und nun aufgeschaut, hinweg über die tiefe Furche der Emli Deresse zu den Bergen im Süden. Am gewaltigsten war das Dreigestirn: links Poss Dagh, rechts Bors Dagh und in der Mitte der mächtige Esnewit. Er sah von hier nicht mehr so unangreifbar aus, aber lang, sehr lang musste der Anstieg bis zum letzten Gipfelaufbau werden.

Wir bauten den Steinmann; Martin photographierte, ich nahm die nötigen Ablesungen vor. Dann rasteten wir beschaulich im Windschutz auf der Südseite.

225 Uhr begannen wir den Abstieg über den Grat, der zum Lolut führt. Wir drangen leicht bis ungefähr zur tiefsten Stelle vor. Als wir dann kaum 100 m über leichte Platten südlich abgestiegen waren, standen wir am oberen Ende der riesigen Geröllhänge, welche die nach Süden ziehende Talschlucht ausfüllen. Jetzt gelang der Abstieg rasch, und 345 Uhr konnten wir nach rechts ( Westen ) um einen Felsvorsprung herum in die Emli Deresse einbiegen bei 2700 m. Nun geschah ein Gang hoch über der Talsohle auf landschaftlich schöner Wild- und Viehfährte um verschiedene Felsecken herum, bis uns zum Schluss sanftere, bewachsene Hänge zu den Zelten leiteten, die wir 430 Uhr nachmittags erreichten. Die beiden Zurückgebliebenen waren schon in grosser Sorge um uns gewesen.

Am folgenden Rasttage wurden wieder eine Reihe von Beobachtungen gemacht und die Tagebücher nachgeführt. Martin wurde abermals von Patienten heimgesucht, und Stransky brachte aus dem nahegelegenen Nomaden-zeltlager die « neuesten Nachrichten von Jürükistan ». Dort waren einige Berittene aus der Gegend von Kaisarie angekommen. Sie fragten die Jürüken, ob sie nicht einige Leute mit einem geraubten Mädchen gesehen hätten. Die Jürüken antworteten: « Ja, vor zwei Tagen sind hier einige bewaffnete Männer mit einem Weibe angekommen und haben in der Nähe ihr Zelt aufgeschlagen. In der Nacht hat das Weib jämmerlich geheult und geschrien. Da sind wir hinübergegangen und haben die Männer gefragt: Was macht Ihr da mit der Hanum? Sie haben auf einen gezeigt und gesagt: Das ist die Hanum von diesem. So, haben wir gesagt, wenn das Deine Hanum ist, kannst Du mit ihr machen, was Du willst. Dann sind wir wieder zu unseren Zelten gegangen. Am nächsten Morgen sind die Männer mit der Hanum weiter geritten nach Mittag zu den Schluchten des Aladja Dagh. » Da blieb den Verwandten nichts übrig, als schwerbewaffnet, wie sie waren, und rache-schnaubend hinter den Räubern herzuziehen. Frauenraub ist hier nichts Seltenes; er ist vielfach der Sport von leichtsinnigen jungen Leuten aus begüterten Familien. Wohl werden Frauenräuber streng bestraft, aber nur, wenn man sie fassen kann, und das ist in dieser einsamen Gegend mit ihren zahlreichen Schlupfwinkeln schwierig. Auch wagt sich nicht so leicht jemand an die gut bewaffneten Räuber heran. Wenn sie nicht erkannt werden, ist ihnen nicht beizukommen; und auch dann macht ein gutes Stück Geld noch manches ungeschehen.

Wir mussten unser Lager nun in die Nähe des Esnewit verlegen. Am 25. Juli früh waren deshalb die neuen Treiber mit ihren Tieren bei uns. Zwei Pferde hatte der findige Stransky von Ali, dem grössten Räuber der Gegend, gemietet. Wir fuhren gut dadurch, dass wir unter seinem Schutze standen. Er war uns gegenüber stets zuverlässig und fürsorglich. 950 Uhr zogen wir mit dem ganzen Tross ostwärts an der Nordseite der Emli Deresse entlang, stiegen allmählich in die Talsohle hinunter, wo wir einen vom Wetter mitgenommenen Baumwacholder mit mächtigem Stamme sahen, und dann etwa 150 m aufwärts in demjenigen südlichen Seitentale, das von dem Passe zwischen Esnewit und Bors Dagh herabzieht. Wir schlugen um Mittag das Lager auf in einer Höhe von 2280 m, da die Pferde in dem rauhen Blockwerk nicht höher gehen konnten. Etwa 300 m oberhalb des Zeltplatzes steht an der orographisch linken ( westlichen ) Talseite eine etwa 150 m hohe, schlanke Felsnadel. Vielleicht wird sie einmal von einem Kletterer des 21. Jahrhunderts bestiegen, wenn hier alle grossen Gipfel bezwungen sind. Trinkwasser war nicht in der Nähe. Martin und ich kehrten von unserer Erkundigung zurück. Unterdessen hatten die anderen das letzte Wasser weggetrunken, so dass wir beide durstig wieder aufsteigen mussten, um von einem Firnfleck Schnee zu holen. Inzwischen wurden die Zelte aufgestellt und die Einheimischen mit den Tieren zurückgeschickt.

Am späten Nachmittage gab es eine freudige Überraschung. Als eben der Bergschatten auf unser Tal gefallen war, floss etwa 50 m östlich vom Zeltplatze an einer bisher trockenen Stelle reichlich gutes Quellwasser. Es sprudelt stets vom Nachmittag bis zum Morgen und versiegt, sobald die ersten Sonnenstrahlen auf den Hang fallen. So hatten die Einheimischen doch recht, die uns von einer « Nachtquelle » erzählt und das Tal nach ihr « Emli Deresse gedje bunar » genannt hatten. Die Leute hatten auch berichtet, vom Passe zwischen Bors Dagh und Esnewit könne man über verschiedene Gipfel hinweg an den Fuss des Esnewit gelangen.

Esnewit, 3730 m, erste Ersteigung.

Am 26. Juli 1927, l 30 Uhr früh, gebot der Wecker das Ende der Nachtruhe. Im zuckenden Scheine des Lagerfeuers, das der unermüdliche Stransky entfacht hatte, erschienen aus unsern Zelten einige verschlafene Gestalten. 240 Uhr brachen wir auf, Martin, seine Frau und ich; Jonus ging als Träger von Martins sehr schwerem Rucksack mit. Erstes Ziel war der im Süden gelegene Pass zwischen Bors Dagh und Esnewit. Das mit wüsten Trümmern erfüllte Tal hat eine durchschnittliche Neigung von 17°. Zwei Stunden nach dem Aufbruche, als es eben hell geworden war, streikte der faule Träger Jonus und kehrte wieder um, so dass Martin jetzt schwer zu schleppen hatte. Die ausgedehnten Firnlager des Tales reichen bis etwa 2800 m herab. Leider waren wir zu hoch rechts oben, so dass wir uns über Hänge von widerwärtigem Geröll und zusammengebackenem Griess emporschinden mussten. Endlich erreichten wir das obere Firnfeld. Zuletzt stiegen wir über steiles Geröll auf den zwischen Bors Dagh und Esnewit gelegenen Pass, etwa 3220 m, 630 Uhr.

Etwas unterhalb der Passhöhe fanden wir auf der Südseite noch einen Firnflecken trotz des ungewöhnlich heissen Jahres. Nach Norden schauten wir durch die Emli Deresse gedje bunar hinaus auf die Berge der Lolutgruppe. Der Blick nach Süden bot eine grosse Überraschung: Kein zusammenhängender Kamm, wie ihn die englische Militärkarte angibt, zieht vom Ala Dagh zum Karanfil Dagh im Süden; der Raum zwischen diesen beiden schroffen Massiven ist vielmehr von sanften, wald- und grasbedeckten Höhen ausgefüllt. Fern im Süden unter einer Wolkenschicht ahnten wir die Ebene von Adana und dahinter das Mittelländische Meer.

Nach einer Rast von 25 Minuten stiegen wir ostwärts über einen leichten Trümmerkamm auf den ersten Zwischengipfel, etwa 3380 m, 10 Minuten später wieder über leichte Stufen und Platten den Grat hinab, dann unter dem zweiten Zwischengipfel hindurch und beträchtlich ansteigend auf die nächste Scharte, etwa 3420 m.

Um den Esnewit zu erreichen, mussten wir nunmehr einen nach Süden abstreichenden Querkamm überschreiten, von dessen Scharte eine steile Firnrinne herabzieht. Wir griffen die mittelschweren Felsen nördlich von dieser Rinne an. Eine Stelle war ziemlich schwierig. Von der Schartenhöhe, etwa 3520 m, schritten wir wieder unter einem Zwischengipfel über Platten und Geröll auf die unmittelbar westlich vom Esnewit gelegene, nach Norden überwächtete Scharte, etwa 3500 m, hinter der eben zwei Steinböcke verschwanden. Hier rasteten wir von 11 Uhr bis 11 50 Uhr. Martin und ich erkletterten einen kleinen Felskopf und erblickten nach Norden über die hohe Schartenwand hinab einen kleinen Gletscher mit Spalten und blauer Eiszunge, die unten geröllbedeckt war. Nun aber empor!

Der Gipfel sieht von hier wesentlich freundlicher aus. Wir stiegen zunächst in der Richtung auf den Südwestgrat über einen steilen Geröllhang und eine zum Teil eiserfüllte Geröllrinne mit tunlichster Eile aufwärts. 1230 Uhr standen wir beim Beginn der Felsen, 3630 m. Die Kletterschuhe wurden angelegt. Stufen, Platten, kurze Kamine führten uns aufwärts, und unsere Laune wurde geradezu glänzend, als es mir gelang, « einen kleinen Haken nach links zu schlagen » und einen von unten böse aussehenden Gratturm rechts zu lassen. Froh betraten wir den Grat in einer Höhe von etwa 3690 m. Er führt fast horizontal bis zum obersten Gipfelkopf. Die Überwindung der verschiedenen zackigen Grattürme konnte nur noch eine Frage der Zeit sein. Nun begann ein fröhliches Klettern. Die Türme wurden teils überstiegen, teils seitlich auf schmalen Simsen umgangen. Eine nur 4 m lange, leichte Reit-stelle bot lustige Abwechslung. Immer wieder schauten wir links über unsere Aufstiegswand hinab, und rechts stürzte die riesige, firndurchsetzte Ostwand ab. Stets fanden wir gute Sicherung. Der Gipfelkopf sah aus einiger Entfernung noch abweisend aus, zuletzt wurde der Anblick etwas gemütlicher. Ich musste leicht nach rechts in die gelbrote Wand ausbiegen und über eine jähe Platte emporsteigen. Über ein Band und Felsstufen erreichten wir den fast horizontalen Gipfelgrat. Er war noch etwa 30 m lang, sehr schmal und brüchig. Nach seiner Überwindung standen wir auf dem höchsten Punkte, etwa 3730 m. Es war 240 Uhr nachmittags. So war der stolze Esnewit unser geworden. Wohl war die Bergfahrt lang, aber doch nicht entfernt so schwierig, wie wir gefürchtet hatten. Fast jeder unserer grossen Gipfel hat uns eine Überraschung gebracht: vier haben wir beträchtlich unterschätzt; den Esnewit haben wir überschätzt; er hat uns angenehm enttäuscht, war immer abwechslungsreich und nie so schwierig, dass wir die Ruhe verloren.

Unser schmaler, in die Luft hinauszeigender Hochsitz bot wenig Raum, dafür aber eine um so schönere Aussicht. Demirkasyk und Lolut standen im Norden und noch mancher ragende Gipfel. Ganz draussen im Norden war der Erdjas Dagh sichtbar. Im Westen sahen wir den Bors Dagh und betrachteten ihn mit wachsendem Verlangen, und im Südwesten, jenseits der niedrigeren Wald- und Grasberge, lag der Karanfil Dagh. Die Ebene von Adana war von einem wattigen Nebelmeer bedeckt, aber jenseits dieser Ebene erschien der langgestreckte Amanus über den Wolken. Westwärts schauten wir über das Gebirge bis in die Gegend von Eregli, im Südwesten zeigte sich der firnbedeckte Bulgar Dagh. Besonders wild war der Vordergrund: die riesigen, firndurchsetzten Wände des Esnewit und sein turmreicher Südwestgrat, der zuletzt nach Süden umbiegt und einige selbständige, turmartige Gipfel trägt.

Die üblichen Gipfelarbeiten wurden erledigt. Wir bauten zwei Steinmänner, photographierten und nahmen Beobachtungen vor. Gar zu gern hätten wir noch länger oben im Sonnenglanze gerastet, aber wir durften nicht zu lange verweilen, denn weit war der Heimweg zu den Zelten.

305 Uhr nachmittags verliessen wir unsere hohe Warte. Der Abstieg erfolgte auf demselben Wege. 630 Uhr abends hatten wir die Passhöhe vor dem Bors Dagh wieder erreicht und gaben uns der prachtvollen Abendstimmung hin. Nach mühevollem Umherstolpern durch die Frühnacht standen wir 950 Uhr abends bei den Zelten.

Bors Dagh, ca. 3680 m, erste Ersteigung.

[W. M.] Schon von unserm ersten Hochgipfel, dem Demirkasyk, aus war uns im Süden ein Berg durch seine regelmässige Pyramidenform aufgefallen. Nach unseren klinometrischen Messungen musste es sich mit um eine der höchsten Erhebungen des Ala Dagh handeln. So war unser wissenschaftliches wie alpines Interesse gleichermassen im Spiele. Erst vom Jedigöl Dagh aus hatten wir Einblick gewonnen in die zahlreichen Felsschluchten dieses Gipfelmassivs. Vom Zeltlager III, dem sogenannten Nachtquellenlager, hatten wir auf dem Wege zum Esnewit den ersten Teil des Anstieges kennen gelernt, der bis zum Gedje bunar-Pass für beide Gipfel gemeinsam war.

Wieder brachen wir zu frühester Morgenstunde von unserem Lager auf, schüttelten unserem Dragoman und dem türkischen Diener die Hände und arbeiteten uns mühsam durch die grossen Block- und Geröllhalden empor. Bald waren unsere Zelte den Augen entschwunden, nur die Felswände warfen die Bufe der Zurückgebliebenen als Echo durch das enge Tal. Fast vertraut erschienen uns die riesenhaften Felskulissen zu unseren beiden Seiten. Von links her grüssten die Firnfelder des Esnewit, vor uns zeichnete sich die feine Linie der Passhöhe, unseres nächsten Zieles, von dem tiefblauen, wolkenlosen, südlichen Himmel ab. Ein langer Quergang an einem mergelartigen Steilhang schaffte Herz und Lungen schwerste Arbeit, bis es uns gelang, zu steilen Firnfeldern hinüberzuqueren. Selig fühlten wir wieder festen Firn unter unsern Nagelschuhen. Bald fuhr der Eispickel in den stark vereisten Hang und schuf uns eine wahre Himmelsleiter zum Gedje bunar-Pass.

Glücklich warfen wir die Rucksäcke ab und setzten uns auf das Geröll zur ersten längeren Rast nieder. Als Vertraute grüssten uns von Süden her die waldigen Höhenzüge der zilizischen Pforte; am Horizont verschwand im ersten Morgendunst die feine Silhouette des Amanusgebirges. Das Wetter war zwar nicht ganz so sicher wie am Tage der Esnewitfahrt, doch schien der Berg viel leichter und die Kletterei kürzer zu sein.

Bald brachen wir wieder auf. Schon anfangs hatten wir eine kleine Enttäuschung, denn die Hänge des Grates sind steil und merkwürdigerweise trotz ihrer Neigung mit feinem Geröll bedeckt, das, leicht eingebacken, zusammenhält, bei jeder Belastung aber unter dem Fusse wegrutscht. Mehrere plattige Absätze unterbrachen diese unangenehmen Anstrengungen. Erleichtert atmeten wir auf, als wir den eigentlichen Felsgrat des Bors Dagh betraten und unsere Kletterschuhe anlegen konnten. Über Platten, Stufen und kleine Kamine, über schmale, luftige Türme ging es in schwieriger, aber abwechslungsreicher Kletterei den Ostgrat hinan auf den Vorgipfel, dessen Höhe etwa 3500 m beträgt. Eine Scharte trennte uns vom letzten Gipfelaufbau. Hier wurden unsere Gesichter aber schnell länger. Dicht am Grat mussten wir durch einen sehr schwierigen, glatten, 5—6 m hohen Stemmkamin empor, der links über eine leichtere, aber ausgesetzte Wandstelle umgangen werden kann. Dann stiegen wir über eine recht schwere Platte, stets scharf am Grat haltend, zum höchsten Punkt, den wir über unangenehme schuttbedeckte Platten 2 Uhr mittags erreichten. Bis zum letzten Augenblick war der Erfolg unserer Fahrt problematisch gewesen, zumal Schnee- und Gewitterwolken drohten.

Über dem Grate des Jedigöl Dagh blickte der Gipfel des Demirkasyk zu uns herüber und weckte Erinnerungen an die schweren Stunden, die wir an seinem Felspanzer verbracht hatten. Zu unserer Rechten grüsste der Esnewit, entgegengesetzt senkte sich der Blick über schroffe Wände zu den dunstigen Höhenzügen, in deren waldigen Schluchten Bozanti an der Bagdadbahn liegen musste.Viel Musse blieb uns nicht, denn auch hier wieder verdiente die Gipfelrast nicht so recht ihren Namen. Aneroidab-lesung, Kompasspeilungen, klinometrische Messungen, Geländeskizzen, Bau eines Steinmannes und photographische Aufnahmen verbrauchten zu viel Zeit.

Nach drei Viertelstunden begannen wir den Abstieg auf dem gleichen Wege. In drei Stunden waren unsere zurückgelassenen Bergschuhe und damit das Ende der Schwierigkeiten erreicht. Was folgte, war nur noch anstrengend. Doch war uns das ganze Gelände jetzt schon so vertraut, dass wir unangeseilt, jeder für sich, zur tiefsten Einschartung hinabjagten. Prasselnd fuhren wir über die Geröllhalden ins Tal, zischend durchfurchten unsere Bergschuhe den weichgewordenen Firn. Diesmal umgingen wir wohlweislich das Blockmeer in der Talsohle und trafen bei beginnender Dunkelheit in unserem Lager ein, dessen Feuer uns im letzten Teile als Ziel weithin entgegengeleuchtet hatte.

Lolut, ca. 3840 m, erste Ersteigung.

Der Bergsteiger in Europa kann sich oft keine Vorstellung machen von den Schwierigkeiten der Orientierung, die man als Eindringling in unerschlossene, unvermessene Berggebiete fremder Erdteile hat. Da gibt es keinen Bädeker, keine Generalstabskarte und keinen Hotelportier oder Führer, der dienstbeflissen Namen und Höhen angibt; da gibt es keine Wege, keine Markierungen, keine Richtungspfeile. Was nützen die photogrammetrischen Filme des Hochgebirges auf abgesteckter 200-m-Basis, wenn sie unentwickelt beim grossen Gepäck auf den Tragtieren verstaut sind, was nützen alle Kammverlaufskizzen vom Tal aus, wenn man gegen Abend nach einem vielstündigen Ritt, hungrig und verdurstet, müde und vor Steifheit kaum fähig, selbständig aus dem Sattel zu steigen, am Eingang zu irgendeinem Tal steht und entscheiden soll, ob diese steilen Wände, diese sich immer wieder gegeneinander verschiebenden Felskulissen und Gipfel identisch sind mit dem aus 20 Kilometer Entfernung vom Tal her projektierten Anmarsch! Jetzt beginnt überhaupt erst die eigentliche Arbeit und erweist sich die Zähigkeit des Europäers. Eine gut eingearbeitete Fussball- oder Hockeymannschaft kann nicht Besseres im Zusammenspiel leisten, wenn sie allen Anforderungen gleichzeitig genügen will. Da arbeitet sich der jeweilige Führer und Pfadfinder mit seinen steifen Muskeln in der Talsohle oder am Steilhang empor, ängstlich darauf bedacht, grossblockiges und scharfkantiges Geröll zu vermeiden, das die Tragtiere nicht überwinden können; er sucht einen ebenen, möglichst geschützten, hochgelegenen Platz zum Aufschlagen der Zelte, in der Nähe einer Quelle, mit der Möglichkeit, Holz oder Gestrüpp aus der Tiefe herauf-zuschleppen. Hat er etwas Geeignetes gefunden und thront er hoch über der Karawane irgendwo auf einem Felserker, um von hier den Anmarsch zu leiten, so heisst es, mit allen möglichen türkischen und arabischen Brocken die mehr oder weniger faulen Treiber mit ihren Pferden nachzulocken. Die doch anerkannt erfolgreiche Loreley war eine elende Anfängerin, gemessen an der Beredsamkeit unserer Expeditionsmitglieder. Die anderen unten in der Tiefe hatten keine leichtere Aufgabe. Da galt es, neben dem eigenen Reitpferd die Tragtiere zu zerren und zu stossen; nur « der Anfänger glaubt bekanntlich, dass Pferde und Skier lenkbar sind ». Hier rutscht das aufgeladene Gepäck auf eine Seite, dort wälzt sich ein Maultier mitsamt unseren Rucksäcken, Instrumenten und photographischen Apparaten vor Müdigkeit am Boden; die Treiber werden mürrischer und mürrischer. Stets besteht die Gefahr, dass sie Gepäckstücke « verlieren », um sie später gelegentlich aufzusammeln und für sich zu verwerten. In der Mitte des Trosses, begütigend und anfeuernd, unser unermüdlicher Dragoman Stransky und meine Frau, gegenüber der selbst die unheimlichsten Typen unserer einheimischen Begleiter sanfter und friedfertiger werden. Gegen Abend ist endlich das Ziel erreicht, die Lasten werden abgeworfen, Treiber und Tragtiere verschwinden in der Tiefe, um noch vor völliger Nacht leichteres Gelände zu erreichen. Einsam und verlassen sitzen wir auf unserem Gepäck. Im Laufe der Zeit hat jeder seine besonderen Lagerfähigkeiten und -aufgaben herausgefunden: den Boden von allzu grossen Blöcken säubern, Zelte aufschlagen, Feldbetten zusammensetzen, Proviantkisten und Gepäck übersichtlich verstauen, Holz und Wasser holen, kochen, Instrumente ablesen, Tagebuch führen. Längst flackern die Laternen im Nachtwinde, bis sich die Expeditionsmitglieder um eine leere Seifenkiste als Tisch zum leckeren Mahle versammeln. Es entsprach den sich langsam herausbildenden gesellschaftlichen Formen, dass jeder seinen eigenen Felsblock zum Sitzen mitbrachte. Neben all den Mühen liegt aber doch viel Poesie in diesem Lagerleben, trotz allen Strapazen, von denen sich der europäische Alpenwanderer keinen rechten Begriff macht. Es handelt sich ja hier nicht nur um die körperlichen und seelischen Leistungen während der eigentlichen Besteigung, sondern ebenso um die zermürbenden Belastungen während der Anmärsche: tagelange Ritte; unerträgliche, ungewohnte, ausdörrende Hitze; Unterernährung durch geschmacklose, nicht zusagende Einheimischenkost; zuweilen gestörte, ungenügende Nachtruhe infolge Ungeziefers; Hitze, Kälte; Lagerlärm durch Treiber und Tragtiere, die sich von ihren Pflöcken losreissen, um unser Gepäck zu durchwühlen. Das alles kommt im Laufe von Wochen zusammen und untergräbt die körperliche Leistungsfähigkeit wie Energie. Gerade für diese beiden war unsere letzte Tur auf den Lolut ein guter Prüfstein. Von den verschiedensten umliegenden Bergen hatten wir ihn angepeilt und vermessen. Da uns vorläufig die gleichzeitigen Ablesungen der türkischen Stationen aus der Ebene fehlten, waren wir ungewiss, welcher Gipfel sich später bei der Nachprüfung als der endgültig höchste des Ala Dagh und damit des gesamten Taurusgebirges herausstellen würde.

Beim Ritt zwischen Hochlager I und II hatte sich die direkte Annäherung von Bereketli Maden durch ein Hochtal als unmöglich erwiesen, weil die Talsohle schon im Anfang für Tragtiere unbegehbar war. Unsere Gipfelrast auf dem Jedigöl Dagh gab uns zum ersten Male Einblick in die wildzerklüftete, von der Ebene nicht sichtbare Flanke des Lolut, die eines Versuches wert schien. Unsere Zelte standen in etwa 2470 m Höhe. 415 Uhr morgens verliessen wir das Lager. Dreieinhalbstündiger Marsch in einer Geröllschlucht brachte uns zum Grat zwischen Jedigöl Dagh und Lolut. Ausser vielem anderen beweisen gerade diese « Schinder » durch ihre unendliche Länge, dass man den innerasiatischen Hochgebirgsregionen schon wesentlich näher ist. Wer sich je mit schwerem Rucksack durch diese Ströme von grossen und kleinen, losen und festen Blöcken unter asiatischer Sonne emporgequält hat, versteht die bewegten Klagen der Bestürmer des « Daches der Welt ».

Todmüde warfen wir uns an der Gratkante nieder. Nur der Tiefblick zur anderen Seite entschädigte. Dann zog der Weiterweg all unsere Aufmerksamkeit auf sich. Abgesehen von einer gutartigen Erhebung zieht der Grat in weitem Bogen zum Gipfelmassiv unseres Berges. Alles entbehrliche Gepäck blieb auf der letzten Scharte zurück, nur den Luxus eines — ach so gewichtigen — Siedeapparates mit zwei Thermometern gestatteten wir uns. Mit Kletterschuhen ging es den Grataufschwung an kleinen, festen, abwärts geneigten Griffen etwa 10 Meter empor. Bald wurden wir rechts in die Wand gedrängt. Doch ermöglichten geröllbedeckte Bänder, schlecht gestufte Schrofen und Platten, uns in der Nähe des Grates zu halten. Die gesamte Wand ist von einer seltenen Brüchigkeit, oft hatten wir auf mehrere Seillängen keine einwandfreie Sicherungmöglichkeit. Nach mehreren, ziemlich schwierigen Wandstellen arbeiteten wir uns wieder zum Grat empor, der als schöner, ausgesetzter, fast horizontaler Reitgrat etwa 20 Meter lang zu einer flachen Scharte führt. Immer wilder werden die Türme, die sich uns entgegenstellen. Der nächste, riesige Grataufbau zwingt uns erneut zu einem Quergang in die Wand nach rechts. Langsam aber stetig kommen wir vorwärts, denn das trostlose Gerölltal unseres Aufstieges sinkt immer tiefer. Über ziemlich schwierige, brüchige Felsen erreichen wir weit oberhalb den Grat, der zuletzt als grauer, plattiger Turm steil in die schmale Scharte vor dem obersten Felsaufbau abbricht. Wir sind aufs äusserste niedergeschlagen.

In gelben, senkrechten, unangreifbaren Wänden bäumt sich der Gipfel vor uns auf; kaum 100 Meter horizontal entfernt, doch von hier aus sicherlich unersteiglich. Fast 10 Stunden sind seit dem Aufbruch von unserem Hochlager vergangen, die für Kletterstellen beträchtliche Höhe von über 3700 m macht sich bemerkbar, die Müdigkeit meldet sich. Zudem scheint sich ein Wetterumschlag vorzubereiten. Sollten wir auf unserer letzten, grossen Bergfahrt noch im allerletzten Augenblick abgeschlagen werdenEine gelbe Sand-reisse zieht steil aus der schmalen Scharte nach Süden. Etwa 10 m steigen wir durch sie zu einem kleinen Felserker hinab, um Einblick in die Wand zu bekommen. Erst nach mehrfacher Prüfung wagen wir uns auf ein ausgesetztes, nach aussen geneigtes Band, das uns in gut gangbaren, gestuften Fortsetzungen in die Fallinie unter dem Gipfel bringt.

Noch immer zweifelten wir am Erfolge. Zwei je 10 m hohe, fast grifflose Verschneidungen führten uns in recht schwieriger, vor allem unheimlicher Kletterei auf abwärts geneigte Geröllplätzchen, die mich in ihrem Mangel an Sicherungsmöglichkeit an das Matterhorndach erinnerten. Über die losen Blöcke wegschleichend, erreichten wir 215 Uhr den Hauptgipfel.

Der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt, es fing an zu graupeln. Pflichtgemäss, wenn auch mit innerem Widerstreben, wurden Messungen, Steinmannbau erledigt. Dann zogen wir auf gleichem Wege in die Scharte und von hier der gelben Sandreisse folgend in die oben plattige, unten gut gestufte Südwand. Die grosse Steinschlaggefahr trieb uns zur Eile. Um so angenehmer war der weitere Abstieg durch die nach Süden hinabziehende Geröllschlucht in die Emli Deresse. Kann man sich denn auch Schöneres denken, als nach schwerer Erstbesteigung in aussereuropäischem Lande mit lieben, erprobten Kameraden auf steilem Geröllhang, auf den Pickel gestemmt, in warmer Nachmittagssonne ins Tal zu fahren, aus dessen Tiefe als winzige braune Fleckchen unsere Zelte heraufgrüssen? Es war unsere letzte Bergfahrt im Ala Dagh.

Nach einem Rasttage begann der Abstieg ins Tal des Korkun Su. Während unsere Gepäcktiere beladen wurden, gingen wir auf eine Grasrippe hinaus und nahmen Abschied von den Bergen, in unserem Rücken die Steilhänge zum Jedigöl Dagh und Lolut, uns gegenüber der stolze Esnewit. Wir wussten, dass wir sie wohl nie in diesem Leben wiedersehen würden. Still und wehmütig bestiegen wir die Pferde und folgten unseren Tragtieren. Tagelange Ritte in dörrender Sonne durch unsichere Gegenden folgten; unruhige Nächte mit bereitgelegtem Revolver und Dolchmesser.

Doch unser Glück blieb uns treu wie in den Bergen. Über die weiten, öden Steppen, über die waldigen Vorberge hinweg folgten sie uns mit ihren höchsten Gipfeln. Und wenn wir in Mersina zur frühesten Morgenstunde auf dem Dach unseres Hauses sassen, um jeden Luftzug vom Mittelländischen Meer her auszukosten, dann schimmerten hoch über dem Dunst der Ebene, hoch über den Kumuluswolken scharfumrissene Felswände. Uns grüssten die Hochgipfel des Ala Dagh.

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