Der Dérochoir des Diablerets
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Der Dérochoir des Diablerets

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Patrick Vuilleumier, Renens

.'Der Hang des Dérochoir befindet sich auf der Walliser Seite der Diablerets. ( Red. ) Die Cabane Barraud mit den Diablerets von der An-zeinde-Seite Ich komme voran, gleich einem Automaten, der nur dazu da ist, die Spur nicht zu verlieren, die der von Anzeinde in das Solalex-Tal einfallende Nachmittagswind härtet.

Ich beschleunige meine Schritte, denn der Wind lässt mich erstarren; der Mont Grange in meinem Rücken ist nur noch eine schwarze Silhouette im roten Schein der untergehenden Sonne.

In Anzeindaz geht einzig vom weissen Hang der Diablerets eine unbestimmte Helligkeit aus. Im Dunkeln überschreite ich die Schwelle der Cabane Barraud, die mir an diesem Abend besonders willkommen ist, denn die kleine Brise hat sich zu einem stürmischen Südostwind entwickelt.

Allein, ohne Hast, bereite ich mein Nachtessen und habe Musse, von jener Skiabfahrt des Dérochoir zu träumen, zu der mir der Gedanke dank des Geologieunterrichts gekommen war; pflegten doch unsere Lehrer ihre theoretischen Erläuterungen zum besseren Verständnis mit Diapositiven zu untermauern. Wir behandelten das Gebiet der helvetischen Decken, und da war es in der Tat pädagogisch überaus wertvoll, als - um die Überlagerung der Diableretsdecke durch diejenige des Wildhorns zu erklären - eine Ansicht der Südwand des höchsten Gipfels der Waadtländer Alpen gezeigt wurde. Das vermochte sowohl den Geologiestudenten zu faszinieren, der damit die Zusammenhänge erfasste, als auch den auf Neues begierigen Skiläufer: Denn hier liess sich erkennen, dass sich zwischen der Tête de Barme und dem Punkt 3041 ein langer von felsigen Rippen durchsetzter Hang herabzieht, zwischen denen ein herrliches Skifahren möglich sein muss. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass dieser Hang heisst; wirklich ein schöner Name für den, der sich an ihm versuchen will. Dank der Südexposition kann der Skifahrer hier mitten im Winter frühlingshafte Verhältnisse vorfinden oder sommerliche im Frühling; es liegt somit an ihm, die Lage zu beurteilen. Die Erfahrung zeigt, dass im Februar, im Anschluss an eine Periode sonniger Tage, die wohl besten Bedingungen herrschen, während im März die grossen Temperaturunterschiede die Oberfläche des Schnees ungünstig beeinflussen, indem diese dadurch ungleichmässig und uneben wird.

Ich erinnere mich dabei an den letztjährigen Versuch, der 400 Meter oberhalb des Pas de Cheville wegen des durch die bereits zu intensive Sonneneinstrahlung faul gewordenen Schnees gescheitert war. Wir waren damals, im Februar 1983, zu spät aufgebrochen und hatten damit eine gute Gelegenheit verpasst -einige Stunden vorher wäre der Schnee noch ideal zum Skifahren gewesen.

5& V«u*"v * An diesem Abend schläft der Wind nicht ein. Die Cabane Barraud vibriert viel mehr unter seinem Ansturm, was mich dann auch veranlasst, die Zeit des Aufstehens hinauszuschieben. Denn wenn der Wind anhält, wird auch der Schnee morgen früh erst später weich werden.

Der Wecker läutet um 5.00 Uhr. Immer noch klappert der Fensterladen im Wind: Ein erhoff-ter Aufschub, hatte ich doch beschlossen, mir in diesem Fall noch eine Stunde im weichen Bett zu gönnen.

Schliesslich ist es 7.15 Uhr, als ich die Hütte verlasse und auf den Pas de Cheville zusteure. Die Kapuze bis auf die Augen heruntergezo-gen, versuche ich mich gegen die Böen zu schützen, die mich mit voller Gewalt treffen. Ich lasse den Pass rechts liegen und erreiche den Wandfuss, wo ich die Ski mit den Steigeisen vertausche. Jetzt hat der Wind nachgelassen, und die Temperatur steigt schnell an dieser so exponierten Flanke. Ich verfluche die Wärme des Bettes, die mich zurückgehalten hat. Der Schnee ist noch sehr hart, so dass ich schnell an Höhe gewinnen kann. Im Versuch, Die Südseite der Diablerets von der Tête de Bellalué. Rechts im Bild das sich von der markanten dunklen Gipfelwand nach rechts hinabziehende Couloir des Dérochoir die verlorene kostbare Zeit einzuholen, eile ich auf meinen Steigeisen so rasch aufwärts, bis mir fast die Luft ausgeht. Auf dieser durch die starke Tauwirkung und den Frost des März zerfressenen Schneefläche komme ich mir vor wie eine Fliege, die über das picklige Gesicht eines Jünglings kriecht: Durchsichtige, filigranartige Eisformationen finden sich neben unzähligen kleinen Vertiefungen, in denen manchmal ein kleines Stückchen schwarzen Kalkgesteins liegt. Allerdings beachte ich diese Einzelheiten wohl nur, weil mein Gesichtsfeld nicht über meine Fussspitzen hinausreicht.

Die ersten 400 Meter sind auf diese Weise schnell geschafft, wobei mir jetzt genau so warm ist wie beim ersten Versuch, und auch der Rhythmus ist entsprechend. Zum Glück trägt der Schnee noch. Die Sonnenbrille ist vom Schweiss beschlagen. Ich würde gern meine wattierten Hosen, die mir an der Haut kleben, gegen Shorts auswechseln. Weiter oben klumpt der Schnee an meinen Steigeisen und bricht unter meinem Gewicht bereits hie und da ein. Einige zehn Schritte höher, wo die Hangneigung etwas abnimmt, versuche ich, mit Fellen weiterzukommen. Sicherlich handelt es sich dabei um eine unpassende Fortbewegungsart, denn immer noch befinde ich mich in 40° steilem Gelände, aber sie hat den Vorteil, den Rücken zu entlasten, und bringt Abwechslung in den Aufstieg. Die breit angelegte Wand erlaubt lange Traversen. Drei Kehren weiter oben nimmt die Neigung erneut zu, so dass ich es für klüger erachte, die Ski abzuschnallen. Ich gewinne dann nochmals hundert Meter, wobei ich eine tief ausgetretene Spur hinter mir lasse.

Auf 2900 Meter erreiche ich einen Absatz unter der Gipfelwand der Tête de Barme. Hier halte ich an. Es wird jetzt höchste Zeit, die Abfahrt in Angriff zu nehmen, um den Schneerutschen, die nicht mehr lange auf sich warten lassen werden, zuvorzukommen. Die morgendliche Verspätung hindert mich daran, über eine gut verfirnte und leicht zu überwindende Rinne, die in unmittelbarer Nähe emporführt, auf das Gipfelplateau der Diablerets aufzusteigen. Schade! Oder eigentlich: Um so besser! Denn das bietet einen guten Grund, wiederzukommen, dann aber in der Kühle des Morgens. Auf meinem Balkon sitzend, verschnaufe ich etwas. Eine überwältigende Landschaft breitet sich vor meinen Augen aus: Beginnend bei den Dents du Midi bis hin zu den Berner Alpen liegt das ganze Wallis zu meinen Fussen.

Gegen 10.30 Uhr bin ich bereit, um den ersten sanften Schwung in die weiche Unterlage zu ziehen. Von da an folgen sich die Schwünge, zuerst langgezogene, dann kürzere, je nach Laune und Gelände, denn die Breite des Hangs erlaubt alle Varianten. Einige Halte, um wieder zu Atem zu kommen, vor allem aber um diese kostbaren Augenblicke zu verlängern. Kleine schwarze Steinchen scheinen es mir nachtun zu wollen, entschliessen sich dann aber, die direkte Linie zu wählen. Hoffentlich halten sich ihre grossen Brüder noch eine Weile oben ruhig! 20 Minuten später geniesse ich auf der Verebnung des Pas de Cheville, auf meinem Rucksack sitzend, die Sicherheit dieses Platzes, von dem aus ich nichts als den oberen und den unteren Teil des Hanges vor mir habe. Der Fuss der Flanke liegt auf 2114 Metern, die auf 3041 Metern, die Neigung variiert zwischen 40° und 45°. Der Hang liegt also innerhalb der Möglichkeiten jedes guten Skifahrers, der sich nicht scheut, seine Last etwas mehr als 900 Meter hinauf zu tragen.

Zufrieden? Ja, vielleicht sogar erleichtert, denn seit Januar habe ich gespannt auf den Augenblick gewartet, in dem alle günstigen Voraussetzungen gegeben sein würden. Auch glücklich, eine eigenständige Abfahrt geschafft und einen Plan in die Wirklichkeit umgesetzt zu haben.

Der Wind vom Morgen bringt sich wieder in Erinnerung und zwingt mich, Schutz zu suchen. Er muss einen Widerwillen gegen die Südwand der Diablerets haben, denn er bläst wieder mit voller Kraft und treibt mich - vielleicht, um Verzeihung zu erlangen - bis nach Anzeinde.

Aus dem französischen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern.

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