Der Freiheitskampf der Appenzeller in einer gleichzeitigen Darstellung
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Der Freiheitskampf der Appenzeller in einer gleichzeitigen Darstellung

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Von

G. Meyer von Knonau ( Sektion Uto ).

Das anmutige grüne Land zwischen St. Gallen und dem Säntis, das, nach dem Bodensee hinaus vorgeschoben, eine kleine Schweiz mit ihren Eigentümlichkeiten für sich darstellt, trägt in seiner Bezeichnung den Hinweis auf die Anfänge seiner Geschichte. Der Name für den ehemals gemeinsamen Hauptort der beiden Hälften, in die jetzt das Ländchen zerfällt, zeigt, daß es ein ursprünglich geistliches Gebiet gewesen ist: „ Zelle des Abtes " heißt der Ort.

Dem Kloster St. Gallen gehörte Grund und Boden fast im ganzen Umkreis des heutigen Appenzeller Landes. Ammänner des Abtes übten die niedere Gerichtsbarkeit aus, während die hohe Gerichtsbarkeit bei dem Reiche stand, bis sie von den Königen verpfändet wurde und auf diesem Wege gleichfalls in die Hand des Abtes gelangte. Aber gerade durch diese Vereinigung der ganzen Gewalt zu gunsten des Klosters mußte nun der Trieb nach Erringung der Selbständigkeit geweckt werden, um so mehr, als die Anforderungen an die Steuerkraft sich steigerten, Klagen über Bedrückungen durch die klösterliche Beamtenschaft laut wurden. So kam es, daß, als die schwäbischen Reichsstädte und mit ihnen auch die Stadt St. Gallen, die von der Abhängigkeit gegenüber dem Abte sich schon nahezu völlig losgerungen hatte, sich in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts zu einem großen Bunde vereinigten.

Anmerkung. Der Verfasser sprach über dieses Thema vor der Sektion Uto am 11. Januar 1907.

auch die Ländlein im Gebirge, wie sie hießen — Appenzell, Hundwil. Urnäsch, Teufen — sich dieser Verbindung anschlössen. Der Abt konnte seine Einwilligung dazu nicht verweigern, und so ordneten 1378 die Städte die Angelegenheiten dieser Gemeinden von sich aus: dreizehn Männer sollten gewählt werden, die für die Gesamtheit der Ländleirt die Vertretung darstellten und ebenso darüber zu wachen den Auftrag hatten, daß nicht über Gebühr Steuern erhoben würden, und daneben durfte der Abt noch seine Ammänner setzen, so aber, daß sich die Länd-lein bei den Städten zu beklagen das Recht besäßen, falls der Abt sie-über Gebühr besteuere. Das ist der Anfang einer gemeinsamen selbständigen Verfassung eines Landes Appenzell; denn erst jetzt, 1379,. taucht auch diese Gesamtbezeichnung auf.

In dieser Weise war ein erster Schritt zur Freiheit, in Anlehnung an die Städte um den Bodensee und weiter hinaus in Schwaben, für die Appenzeller geschehen. Aber der Städtebund hatte keinen langen Bestand. Während die Schweizer Eidgenossen im Sempacherkriege ihre Ansprüche auf eigene Geltung siegreich behaupteten, zerschellte bis 1388 der Bund der Städte an der fürstlichen Gegnerschaft. So lag es nahe, daß nunmehr aus Appenzell der Blick sich nach der Schweizer Eidgenossenschaft richtete, zumal nach jenen Ländern Schwyz und Glarus, die in ihren Verfassungsverhältnissen nach ihrer ganzen Lebensweise den Appenzellern so ähnlich waren, deren Waffenruhm einen Anreiz ohnegleichen ausüben mußte. Und dazu kam, daß seit der Wahl des entschlossenen Abtes Kuno, aus dem hegauischen Adelsgeschlechte von Stoffeln, 1379, in den Beziehungen zur Abtei schärfere Reibungen sich einstellten. Harte Maßregeln der Amtsleute, besonders eine in aus-schmückender Weise von der Sage erzählte Ausübung des Totfallsrechtes, daß einem verstorbenen Gotteshausmanne das Feiertagskleid noch aus dem Grabe ausgezogen worden sei, anderweitige Rechtseinschränkungen,, die dem Kloster durch die Landesangehörigen als Vorwürfe entgegengestellt wurden, riefen eine Bewegung in dem Berglande in das Leben, die sich bis zum Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts offen ankündigte. Am 17. Januar 1401 schlössen die Gemeinden, die schon bisher mit den schwäbischen Städten im Bündnis standen, dann aber außerdem nodi Trogen, die sogenannten Sonderleute, Gais, Herisau, sowie noch weitere Orte des Abteigebietes, die außerhalb der Appenzeller Grenze lagen, mit der Stadt St. Gallen, die ebenfalls mit Abt Kuno im Streite war, ein Bündnis auf sieben Jahre ab: gegenseitig sicherte man sich Abwehr gegen ungerechte Angriffe zu. Alsbald erwuchs hieraus heftiger Zwist, weil sich die Bergleute um die grundherrlichen Rechte der Abtei nicht mehr kümmerten, auf eigene Faust zu jagen und zu fischen begannen, besonders auch gegen den verhaßten Propst Johann von Busnang zu den Waffen griffen, Burgen belagerten und einnahmen. Aber nochmals legten sich die Reichsstädte, wenigstens die näher gelegenen, um den Bodensee und im Allgäu, dazwischen und führten am 27. Juni einen Vergleich herbei, durch den Abt Kuno die von der Stadt St. Gallen und den mit ihr verbündeten Gemeinden in Anspruch genommenen Rechte anerkannte. Allein schon waren die Dinge zu weit gediehen, als daß auf diesem Wege noch ein wirklicher Friede hätte hergestellt werden können. Die Gewalttaten setzten sich fort, und bis zum folgenden Jahre 1402 schieden sich die Gegensätze klar auseinander. War schon länger das Gerücht ausgegangen, Abt Kuno wolle sich an die Herrschaft Österreich anlehnen, ja sogar, er trage sich mit dem Gedanken, ihr sein ganzes Land abzutreten, so wurde nun wirklich am 14. Juli dieses Jahres ein Bündnis der Abtei mit Österreich auf fünfzehn Jahre abgeschlossen. Anderenteils sagten sich jetzt die Städte von den Appenzeller Bauern los. Nachdem der Abt seine Sache vor sie gebracht hatte, erklärte eine Versammlung der städtischen Boten, am 21. Dezember aus Constanz, den Bund der Stadt St. Gallen mit den Landleuten als aufgehoben, und die Stadt, ebenso die außerhalb des Appenzeller Gebietes liegenden Gemeinden fügten sich dem Spruche und gaben ihre Verbindung mit den Berggemeinden auf.

Damit jedoch ergab sich als notwendige Folge, daß nunmehr die Appenzeller sich endgültig nach der Seite hin wandten, von der ihnen Unterstützung sicher war. Die Schwyzer schlössen 1403 mit den Appenzellern ein Landrecht ab und nahmen den jungen Freistaat förmlich in ihre Obhut, so daß geradezu in der Person des Curat Cupfferschmid ein Schwyzer in der Stellung eines Landammanns für Appenzell in Tätigkeit trat und dieses Amt mehrere Jahre inne hatte. Durch solche Waffen-hülfe aus der Eidgenossenschaft wurde es jetzt den Appenzellern ermöglicht, ihre Angriffe weiter zu führen, und ebenso wiesen sie am 15. Mai ein für den Abt sich in Bewegung setzendes Heer der Reichsstädte siegreich von der Landmarke an der Vögelisegg zurück; auch die Stadt St. Gallen erlitt dabei schwere Verluste. So machten 1404 die Städte, St. Gallen mit ihnen, gegenüber den Appenzellern Frieden; dagegen wurde die Verbindung des Abtes mit Herzog Friedrich von Österreich noch enger geschlossen. Daraus erwuchs 1405 ein neuer, noch größerer Waffenerfolg, abermals an der Landmark über Altstätten, der Sieg am Stoß. Weit hinaus griff nun in den nächsten Jahren das durch sein Glück kühn und übermütig gewordene Bergvolk, und ein großer Volks-bund „ ob dem See " schien aus seinen Taten herauswachsen zu können. Da geschah im Anfang des Jahres 1408, vor Bregenz, der Gegenschlag, und jetzt mußten die Gemeinden froh sein, wenigstens in ihrem eigenen Lande die Freiheit zu behaupten. 1411 erweiterte sich ihre Verbindung- mit dem einen Lande Schwyz zu einem Burg- und Landrechte mit sieben eidgenössischen Orten, aber freilich so, daß das neue Bundesglied, weit entfernt davon, ein gleichberechtigter Genosse zu sein, eine recht untergeordnete Stellung sich gefallen lassen mußte.Von einer an Groß-machtsgedanken demokratischer Färbung angrenzenden Politik war keine Rede mehr; den Appenzellern wurde vorgeschrieben, daß sie ohne Rat, Wissen und Willen der Städte und Länder keinen Krieg anzufangen, keinem außerhalb der Eidgenossenschaft stehenden Staate im Kriege zu helfen hätten.

Es ist ein sehr erwünschter Umstand, daß über die ersten Jahre des Ringens der Appenzeller nach Unabhängigkeit eine gleichzeitige Schilderung vorliegt. Allerdings reicht sie nur von 1399 bis zum Beginn des Jahres 1405, umfaßt also insbesondere das Gefecht am Stoß nicht mehr.

Im späteren Mittelalter wurden Reimchroniken eine beliebte Ausdrucksweise für historische Berichterstattung in der Muttersprache. Tausende von Versen, bis auf dreißigtausend, ja bis auf hunderttausend, erscheinen da, wie die Sache gerade laufen will, aneinander gereiht, ein oft recht hartes Streckbett für die zu erzählenden Dinge, alles eher, als wirkliche Poesie. Man hat bei der Beurteilung dieser Schöpfungen mit Recht das Werk von Bänkelsängern zur Vergleichung herangezogen, oder wir fühlen uns etwa an die naiven Versleistungen erinnert, die häufig in unseren modernen Annoncenblättern einem Gedanken Gestalt geben sollen, wo Reim und Rhythmus, Logik und Satzbau oft gleicher Weise krank liegen, so daß auf die weitgehendste Gutherzigkeit des Lesers Anspruch erhoben wird. Allein die Verfasser jener Reimchroniken haben zumeist einen großen Vorzug. Sie standen den Dingen, die sie vorbringen wollten, nahe; sie lebten in ihnen und sagten ungeschminkt, was sie sahen oder hörten.

Ein solches Werk ist nun auch die „ Reimchronik des Appenzeller-krieges ", die 1825 im Druck herauskam. Ihr Herausgeber war der Verfasser der bis heute noch durch keine andere Kantonalgeschichte übertroffenen „ Geschichten des Kantons St. Gallen ", Ildefons von Arx, der zur Zeit der Aufhebung des Klosters St. Gallen diesem als Mönch angehörte und in seinen späteren Lebensjahren der durch Gelehrsamkeit und Sachkunde berufene sorgsame Hüter der reichen Schätze der St. Galler Stiftsbibliothek war. Er hat auch das hohe Verdienst, selbst die einzige Handschrift der Reimchronik vor dem sicheren Untergang bewahrt zu haben; denn von ihm wurde das im Schloß zu Wil in der äbtischen Statthalterei liegende Manuskript 1798 nebst anderen wertvollen Stücken mitgenommen, als der Revolutionssturm über die Abtei hereinbrach. Ohne seine rettende Hand wäre, weil nachher jenes Archiv in roher Weise zerstört wurde, diese Kunde eines Augenzeugen für uns verloren gegangen. Eben im bezeichneten Jahre ließ dann von Arx den Text, mit einer lehrreichen Einleitung und mit guten Wort- und Sacherklärungen, in den Druck legen.

Freilich macht die Arbeitsweise des Reimers — Dichter dürfen wir ihn trotz seiner Leistung von 4121 Verszeilen nicht nennen — mitunter einen fast kindischen Eindruck. Rein nur um des Reimes willen werden ganz unnütze Zwischenzeilen eingeschoben. So ist einmal von einer gegen die Appenzeller sich sammelnden bewaffneten Schar die Rede, und da heißt es:

„ Daby warent die von Wil und fünf von Landenberg, es warent nit Zwerg, von Rosenberg und von Rümlang; es was ain guter Anvang, und ouch ain hubsches Spit, hie bey was Hans von Münchwil ".

Ahnlich klingt:

„ Sy brachendt uff gar schnell und zugent ze Bischoffzeil über die Tur Brugg, es ist nüt ain Lug ".

Auch in dem Zusammenhang:

„ Da warent by ainander ( Ir was kainer von Flander ) me den drissig Man". ist der mittlere Vers nur eine Verlegenheitsauskunft.

Allein bei all diesen formalen Mängeln liegt nun eben der Wert dieses geschichtlichen Quellenzeugnisses darin, daß der Verfasser durchaus gleichzeitig schrieb und fortwährend mit den Ereignissen vorschreitend aufzeichnete, was ihm immer zu Ohren kam. Das läßt sich an manchen Stellen deutlich beobachten. So ist beispielsweise an einer Stelle erzählt, daß von Schloß Hohen-Embs aus Kaufmannswaren auf dem Bodensee geplündert worden seien, und da heißt es, daß das den Städten — die geraubten Ballen waren das Eigentum von Basler Kaufleuten — noch lange zu schaffen machen werde. Acht Tage nachher'vernimmt der Reimer, daß trotz der Verwahrung die Ballen aufgebunden wurden und viele Feigen aus ihnen als Geschenke ihren Weg fanden. Dann kommen dem Erzähler noch weitere Nachrichten über diesen Handel zu; aber er wendet sich zu einer weiteren Angelegenheit:

„ Ich wil noch me sprechen: was geschah in kurtzen Tagen, das hört ich do ouch sagennämlich zu den Rechtsverhandlungen, die aus dieser Frage erwuchsen. Freilich ist er darüber noch nicht unterrichtet:

„ Was man mit In geredt hatt, das han ich noch nit vernan ".

So bricht er hiervon ganz ab:

„ Ich wil nun anders ouch anvan was me ist geschechenund er beginnt, wohl mit dem Vorsatz, später wieder auf diese Dinge zurückzugreifen, wann er mehr wissen werde, etwas ganz anderes, eine längere Geschichte von gegenseitigen Überfällen, Brandstiftungen und ähnlichen Gewalttaten der Appenzeller und der St. Galler Gotteshausleute. Gleich im Anfang seines Buches kündigt der Verfasser an, weshalb er an seine Arbeit gegangen sei:

„ Nun will ich etwas heben an, darumb sol mir niemand sin gram, ich sprich werlich uff Man schaid, ich wil es nieman tun ze laid; und verlur ouck niemandt gern ".

Also ganz der Wahrheit gemäß, unparteiisch, so daß er sich niemand zum Feinde mache, will er schreiben. Aber allerdings sei es jetzt eine wunderliche Zeit, und Neuigkeiten genug seien zu erzählen:

„ Es ist vil Wunders geschechen hur, ich sag üch das für war ".

Im Anschluß hieran wird unmittelbar der Übergang auf den Abt Kuno genommen, daß über ihn Klage sei, es gefalle der Welt übel, daß die Rede ausgehe, er wolle das Gotteshaus in eine andere Hand bringen. Korn und Geld habe er viel gesammelt, sehr nach Hab und Gut gescharrt, aber auch viel Hader in der Welt hervorgerufen. Dem Gotteshaus habe er Übeln Schaden gebracht, da er der edeln Leute nicht viel achtete, wie man das nachher wohl gewahr wurde, da ihm große Schmach von seinen eigenen Angehörigen zugefügt wurde, und so lebe er auch auf ungutem Fuß „ mit sinen Herren ", den allerdings nur noch in ganz geringer Zahl neben ihm stehenden Mönchen. Dann kommt die Rede auf die Ursache des Abfalls der Bergleute: der Abt habe seine Amtsleute „ die Puren sohetzen " lassen, auf deren Beschwerden ihnen keine Hülfe gegeben. Wann die armen Leute ihn anriefen, achtete er das gering und wies sie an den Kanzler, so daß sie mit großem Schaden überladen wurden. Da begannen sie, sich zum Propst zu kehren, der ihnen dafür bestellt war, und so erhob sich Neid und Haß, auch zwischen dem Abt und dem Propste. Aber der Verfasser weiß noch mehr, das er nicht sagen will. Bald geschah es auch, daß der Abt „ ein Husfrowen " hatte, die sich sogar im Münster öffentlich sehen ließ, und auch die Klosterherren hatten solche in ihren Häusern und lebten mit ihnen in allem Saus. Anstatt daß sie brüderlich zusammen im Kloster gelebt hätten und nach der Regel gesungen und gelesen, hatten sie sich jeder in ein eigenes Haus getrennt und damit alle Ordnung aufgehoben. Auch noch an einer anderen Stelle wird geklagt:

„ Ain Munck sol singen und lesen, und solt in sim Closter sin; so kuntents ietz nit Latin.

Das mocht sant Gall nit vertragen ".

Dann wird der Zwist, der danach zwischen Abt Kuno und dem Propst von Busnang sich erhoben hatte, noch weiter erläutert. Der Propst vernahm Kunde von Eigenmächtigkeiten des Abtes, von einer nach Constanz gekommenen päpstlichen Bulle, Dingen, denen nun der Propst nachforschte.

Auch jenes Gerücht, daß der Abt dem Herzog von Österreich sein Land zuspielen wolle, beunruhigte den Propst, so daß er die Sache vor die Dienstleute der Abtei, vor den Rat der Stadt St. Gallen, vor die Landleute brachte, worauf kurz danach zu Wil eine Versammlung zusammentrat, die in den Sachen ratschlagen sollte.Von diesem Zwist zwischen dem Abt und dem Propst von Busnang wird geradezu der Ausgang aller dieser Ereignisse abgeleitet:

„ Es was ein böser Anefang ".

Aber nicht nur gegenüber dem Abte und den Mönchen von St. Gallen, sondern sogar gegenüber dem Papste hält der Reimctironist mit seinem Urteil keineswegs zurück. Aller Unfriede — meint er — kommt jetzt von den Pfaffen. Ein gewisser geldgieriger Geistlicher, namens Cuni-bach, hat einen Streithandel mit den Reichsstädten am See in Rom anhängig gemacht, worauf der Papst ihm darüber schriftliche Zusicherung gab, indem er früher den Städten gegebene Briefe einfach aufhob. Wer kann das billigen?:

„ Wen das ist ain erschrockni Sach, das daz vom Bapst selb geschacb, und Gut nam darumb ".

Doch auch schon in den einleitenden Worten dieses Abschnittes finden sich scharfe Äußerungen gegen die geistlichen Personen:

„ Und wil üch betütten.

es kumpt och viel von Gaistlichen Lüten gross Brest in die Welt ".

Es wird ihnen vorgeworfen, daß sie nach dem Geld scharren, böses Beispiel geben.

Jedenfalls hat also die Reimchronik nicht einen Geistlichen zum Verfasser gehabt. Allein auch gegen andere Stände äußert der Verfasser seine Abneigung.

Der Reimer ist auf die bürgerlichen Kreise, besonders auch auf die Bürger von St. Gallen, nicht gut zu sprechen. Diese sind mit ihrem ruhigen Leben nicht zufrieden; vielmehr maßen sie sich im Lande der Abtei immer mehr Gewalt an, so daß sie selber Herren sein wollen:

„ In Stetten ist grosser Übermut; niemand ist dem andern nitt gnu gut, und ist Hoffart vast vil, als ich üch sagen wil, und hand daby nit Gotzvorcht ".

Freilich in noch viel höherem Grade ist die Erbitterung gegen die Bauern ersichtlich, und ohne Frage steht die Reimchronik im wesentlichen auf einem den Appenzellern abgünstigen Standpunkt.

Ganz besonders ist es die Anknüpfung der Appenzeller Bauern mit den Schwyzern, die auf das ausdrücklichste den Urheber der Reimchronik beschäftigt. Daß die Bergleute gegenüber Schwyz schwuren und dabei die Kosten der zu bringenden Hülfeleistungen zu übernehmen hatten: „ si gabend den von Schwitz Sold "

wird betont. Dagegen hatten sie dann auch sich Schwyz in der Weise unterzuordnen, daß sie von dort einen Kriegshauptniann zugesandt erhielten. Über diesen Hauptmann Löry bringt nun die Reimchronik verschiedene wichtige Aufschlüsse, wobei die Abneigung gegen diesen von außen her gegebenen Führer des Aufstandes greifbar hervortritt. Schon gleich im Anfang heißt es:

„ Was das nüt ain Schand! das der darzu komen !"

Löry kam anfangs zu Fuß in das Appenzeller Land; aber recht bald wurde er beritten und ging recht übermütig mit den Appenzeller Bauern um. Sie durften nichts reden; wer ihm widersprach, den mochte er wohl an Geld bestrafen. Er sprach immerfort, alles sei sein, Land und Leute, die dem Gotteshaus angehört hatten, seien sein. Er verstand wohl zusammenzuscharren und sich reichlich bedienen und unterhalten zu lassen; er führte die Kühe hinweg, und er selbst ließ sich wohl verpflegen, vorzüglich durch Lieferung von Fischen, die ihm nach Speicher, wo er seinen Sitz hatte, gebracht werden mußten. Dann setzte er einen Ammann ein, der auch von Schwyz herkam, damit er über die Appenzeller zu Gericht sitze. Mochten sie nun also ihren wahren Herrn aus I dem Lande getrieben haben, so haben sie es damit noch nicht erreicht, ihre eigenen Herren zu sein:

„ Was dat nüt Gottes Räch? das es darzu kam so schnell, das ain Bub inn hatt Appentzell, und ander Lüt und Land? was dat nüt ain Schand ?"

Löry's Tod fiel noch in die Zeit, die der Reimchronist in sein Buch zusammenfaßte. Auf einem Streifzuge, bei dem das Dorf Zuckenried verbrannt wurde, begegnete die von Löry geführte Schar Constanzer Söldnern. Da traf ihn ein Pfeil, und man mußte ihn zuerst nach Speicher und dann auf einem Karren nach Appenzell hinaufführen. Hier lag er noch fünf Wochen an der Wunde krank:

„ Do ward erst gerochen sin großer Übermutt. Es tut niemer gutt über kurtz als über lang. Im ward je der Sold, das er sterben muß ".

Vor dem Tode wählte er sein Grab zu Einsideln. Dann hatten sie noch große Not, ihn einzunähen und in ein Gewand zu bringen. Schließlich stießen sie ihn in einen Sack und brachten ihn auf einem Roß an das Ziel, wo er begraben wurde. Danach heißt es am Schluß:

„ Er hat menggen zogen ab das Sin wider dem Rechten, und wollt allweg vechten; davon gieng es Im also ".

Die Ansicht wird geäußert, es sei, wenn auch mancher den Löry beklagen mochte, mancher andere seines Todes froh gewesen.

Schon der Herausgeber Ildefons von Arx hat aus diesen Gesinnungs-darlegungen wohl den sicheren Schluß auf die Standeszugehörigkeit des unbekannten Verfassers getan. Er sagt, daß wohl ein in der Stadt St. Gallen ansässiger Mann adeliger Geburt das Buch geschrieben habe. Denn da, wo von den Städten und von St. Gallen im besondern die Rede ist, wird darüber geklagt, daß die Leute adeligen Standes zu wenig Geltung in den städtischen Mauern besäßen. Es heißt da, das sei übel, daß, wenn auch einer von gutem Geschlechte wäre, ihm aber der Säckel leer stünde, er sich unter Buben bücken müsse. Und an einer anderen Stelle, wo von den schweren Verlusten der St. Galler in dem noch zu erwähnenden Gefechte vor den Toren der Stadt die Rede ist, wird geklagt, daß es in dem Kampfe an weisen Leuten, die schon mehr in Feldzügen beteiligt gewesen seien, gefehlt habe:

„ so möcht man dester bas sin geneseD, und wärint gewesen wolgeborn, so hätt man also nüt verlorn ".

Die adeligen Anführer würden nichts unterlassen haben; sondern sie hätten gute Ordnung gehalten. Gute Hauptleute soll man nicht von sich stoßen.

Legt man sich nun die Frage vor, was der Hauptinhalt der in dem Buche vorgeführten Ereignisse sei, so muß gesagt werden, daß es im wesentlichen fortgesetzte Schilderungen von gegenseitigen Plünderungs-zügen, von Einäscherungen, von oft rasch aufeinander folgenden Entführungen von Viehherden, bald von der einen, bald von der anderen Seite sind, die diese Massen von Versen füllen. Da ziehen einmal zweihundert Schwyzer Söldner und mit ihnen sechshundert Appenzeller über Goßau hinaus gegen Wil und dann in das Toggenburg hinauf, wobei danach vierundzwanzig Schützen ans Wil das Rauben und Brennen vergelten und bei der Verfolgung den Plünderern Schaden zufügen. Hernach vergelten ebenso feindliche Kriegsknechte bei Goßau das Verübte, wobei zwanzig Appenzeller in dem in Brand gesteckten Hause erstochen oder verbrannt wurden, und ebenso stecken die Edelleute in Goßau selbst ein Haus in Feuer, wobei auch die Häuser des Pfarrers und Kaplans in Flammen aufgingen. Weiter wurden siebzehn Appenzeller Söldner, die im Waffenstillstand Vieh geraubt hatten, gefangen genommen. Ebenso rächen sich die Forster, die vorher durch die Appenzeller Schaden erlitten hatten, und treiben, der eine siebzehn und der andere zwanzig Rinder, aus den von ihnen aufgebrochenen Ställen über den Rhein nach dem Schloß Hohen-Embs, das ja überhaupt fortwährend eine Ausgangsstelle der feindlichen Unternehmungen war.

Dabei ist nun der Verfasser insoweit nichts weniger als einseitig, indem er auch ganz offen Untaten berichtet, die von den Gegnern der Appenzeller ausgingen.

So erzählt er schon ganz im Anfang, daß der Propst von Busnang einen ersten Anlaß zum Sturm gab. Er war auf die Jagd gegangen, und wie er da auf das Feld kam, sah er einen Bauern, der übel von ihm gesprochen hatte. Der Bauer wollte dem Propst ausweichen und rief dann, als er sah, daß man auf ihn losgehen wollte, nach Hülfe. Da erhielt der Propst Unterstützung von herzukommenden Herren, die jenen festhielten, so daß der Propst einen Hund auf ihn hetzen konnte und daß der Bauer übel litt. Da lief er gen Goßau hinein, und es wurde Sturm geläutet, so daß die Bauern dem Propst hinwider vor sein Schloß liefen und ihn bedrohten.

Noch eine andere Geschichte wird dem Propst zur Last gelegt. Zu Wittenbach ließ er einem Bauern sein Haus über dem Kopf anzünden und den Mann selbst erschlagen. Nur die Frau konnte aus dem Feuer entrinnen, während sie ihr Kind verbrennen lassen mußte.

Immerhin stehen neben diesen auf die Länge ermüdenden Schilderungen kleinen Krieges, mit seinen abstoßenden Handlungen, einige größere Ereignisse, denen der Reimer sichtlich stärkere Aufmerksamkeit zuwendet.

Das ist erstlich die Belagerung und Gewinnung der ansehnlichen Burg Clanx, des festen Platzes des Abtes bei Appenzell. Abt Kuno hatte die Burg dadurch für sich bewahren wollen, daß er sie den Reichsstädten in Verwahrung zu geben gedachte. Auch hatte der Abt den Platz, damit er sich behaupten könne, mit Nahrungsmitteln wohl versehen. Dagegen beging er den Fehler, nur gewöhnliche Söldner in die Feste zu legen, denen er allerdings einen sechsmal geringeren Lohn geben mußte. Auch hier wieder wird nun getadelt, daß der Abt nicht zwei oder drei wohl erfahrene Leute edler Geburt mit dem Befehl ausgestattet habe. So kam es eben, daß diese ungenügende Besatzung die Burg schon gleich beim ersten Angriff, als die Bliden aufrückten, übergab. Darauf wurde das Schloß in Brand gesteckt. Aber ausdrücklich hebt dabei die Reimchronik hervor, daß hier nicht die Appenzeller Bauern die eigentlichen Täter waren. Vielmehr waren St. Galler Bürger, die bei der Einnahme beteiligt waren, die ersten, die das Feuer auf den hölzernen Gängen der Burg anlegten. Freilich waren die Bauern mit der Zerstörung wohl einverstanden. Der Reimer sagt:

„ Man sprach: die Landtzlüt hettens tan, die Mar han ich nit vernan. Sy sprachen zu den von sant Gallen: was Ir tund, das wil uns gevallen, und wellend thun, was Ihr wend, machend Im nun ain Butt End ".

An zweiter Stelle ist aber ganz vorzüglich das wichtigste Kampf-ereignis in den ersten Jahren der Führung der Waffen durch die Appenzeller in sehr anschaulicher Weise von der Reimchronik vorgebracht. Auch die chronologische Ansetzung ist hier ganz nachdrücklich eingefügt:

„ Ich han noch übersehen, uff welchen Tag es ist besehenen.

Es geschah in den Jaren, do von Cristus Geburt waren vierzechen hundert Jar, das sag ich üch für war, und darnach in dem dritten, do ward gestritten in dem Meyen am fünfzechendiste Tag, für Warheit ich das sag ".

Abt Kuno hatte die Reichsstädte um den Bodensee um kriegerischen Zuzug ersucht, und diese hatten ihre Hülfe in ansehnlicher Weise eintreten lassen. Zunächst gedachten diese Truppen eine Tat der Appenzeller zu vergelten, die das Schloß Rosenberg bei Herisau in Brand gesteckt hatten. Sie warfen das Feuer in den Ort Herisau selbst und zerstörten ihn mit der ganzen umliegenden Gegend. Darauf sollte ein Auszug des ganzen Heeres, dem sich die Bürger der Stadt St. Gallen und Gotteshausangehörige anschlössen, nach dem Appenzellerlande hinauf, über Speicher gegen Trogen, folgen. Aber die Bergleute waren gewarnt; denn in sonderbarer Unvorsicht wurde der Verkehr nach St. Gallen hinein nicht gesperrt, und Frauen, die in die Stadt kamen, brachten den Bericht nach Hause:

„ Wie möcht mir das wol gefallen, das ettlich warend von Appentzell der Wib lüften gar schnell ze sant Gallen us und in.

Wie möcht es jemer nütz sin?

Das ist vast ze klagen ".

Als die Absicht von diesem Überfall in den Bergen bekannt geworden war, da sprach — so erzählt die Reimchronik — der Hauptmann der Appenzeller: „ Wir sollen Ordnung haben und an die Letzi ziehen; wer aber fliehen möchte, dem ginge es übel, und er käme um Leib und Leben. Ich will Euch noch raten, damit es besser besorgt sei, daß wir Gott anrufen sollen, und dann gehen wir heimlich hinter die Letzi und liegen da verborgen ". Das wurde sorgfältig ausgeführt, und der Hauptmann traf noch viele weitere Anordnungen. Nicht einmal zweihundert Mann stark traten sie da an der Seite des Hauptmanns hinter die Letzi. Darauf zog das Heer der Städter aus, aber ohne Ordnung zu machen und zu halten ( hier schiebt nun eben der Reimer den oben erwähnten Vorwurf ein, daß man keine rechten Führer gehabt habe:

„ Ich hört ouch do sagen, es ist wol ze klagen, das es nit geschach ". ) Die Reiter waren beim Ausmarsch voran, worauf die Schützen sich anschlössen, der Gewaltshaufen ganz hinten folgte. Als nun der Zug an die Letzi kam, wollte man sie aufhauen, und jetzt erst sahen sie auf einmal die hinter der Letzi verborgenen Bauern, die mannlich zum Angriff anliefen. Da floh mancher Mann, der vorher ein frisch tapferer Mann gewesen war. Weder zu Roß noch zu Fuß hielten sie Stand, und die Bauern legten ihnen harte Buße auf. Manchen Mann, der sonst wohl davon gekommen wäre, zertraten die Rosse der Flüchtigen. Denn sie flohen alle, in arger Scheu, und keiner wollte bleiben:

„ Es war ze vil gesin von Wiben; won aine jagt zechen.

Was Wunder ist nie geschechen ?"

Die Bauern liefen den Flüchtigen nach und taten ihnen noch mehr Schande an. Durch nicht mehr als zwanzig Mann wurden noch die Mühlen vor der Stadt angezündet. So war große Klage in der Stadt St. Gallen; übel gefiel es ihnen, daß man sie so gejagt hatte. Sie waren gar verzagt:

„ Ainer kam hüt, der andere morn, und hatten vil Lût verlorn ".

Es war eine große Schande, und es tut den Städten noch lange Weh, da sie manchen Biedermann eingebüßt haben. Wie waren sie so gar erschrocken! Sie rückten von St. Gallen, jedermann, wieder nach Hause und wollten nicht mehr heranziehen. Die siegreichen Bauern aber schickten gar bald nach Schwyz und nach Unterwaiden und warben Hülfe um Sold, so daß alsbald wohl sechshundert Leute von Schwyz herankamen.

So ist das Treffen, das nach Vögelisegg genannt wurde, hier anschaulich erzählt.

Dagegen reicht, wie schon gesagt, die Eeimchronik nicht bis über das noch wichtigere Ereignis, die Schlacht am Stoß, hinaus, und überhaupt nimmt das Reimwerk ein ziemlich unbedeutendes Ende. Allerdings hatte gerade das hier noch zuletzt Erzählte für die Stadt St. Gallen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Der Schwyzer Hauptmann wollte nämlich die Stadt auch dadurch schädigen, daß ihr der gewohnte Vorteil und Nahrung bringende Markt entzogen und nach Appenzell verlegt werde; den auf den Wochenmarkt nach St. Gallen gehenden Leuten sollten ihre Waren weggenommen werden. So schließt denn das Buch folgendermaßen:

„ Nun wil ich anders anvan ze sagen von den von Appentzell, als sy hattend gar schnell ein nüwen Markt gemacht.

Des hattend die Schwyzer acht, und hüttend uff den Wegen.

Wer des Markts wolt pflegen gen sant Gallen in die Statt, dem naments, das er hatt.

und ze Markt wollt tragen.

Sy torffentz nieman klagen, des ward menger beroubt.

Es war der Hirsch erlobt, sy nament Käß und Schmaltz.

Wen sy bedurftentz Saltz, so namentz mit In Garn; sy mustint haimlich varn, aid es was In gnan. Nun wil ich davon lan. Amen. Deo Gratias. "

Nach den hier einzeln eingestreuten Proben erscheint das schon oben geäußerte Urteil wohl berechtigt, daß wir nichts weniger als mit einem Kunstwerk hier zu tun haben. Auch der Inhalt verliert sich ja oft in ganz untergeordnete Dinge, wie noch aus einer Reihe von Proben sich beweisen ließe. Aber der Wert dieser Mitteilungen liegt darin, daß sie unmittelbar aus den Ereignissen selbst herausflossen, und so viel sich aus anderweitigen Nachrichten feststellen läßt, ist auch auf deren Wahrheit in bündiger Weise zu schließen.

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