Der Mönch von Salzburg
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Der Mönch von Salzburg

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Fritz Gysi.

Am Hofe des salzburgischen Erzbischofs Pilgrim des Zweiten, der an heidnischer Prunkentfaltung, Schlemmerei und Gewalttätigkeit mit den italienischen Fürstenhöfen der Frührenaissance wetteiferte, trieb sich ein seltsamer Mensch herum, ein düstrer Mann in Strick und Kapuze, der wie ein warnender Prophet durch die Freudensäle und Lustschlösser des geistlichen Magnaten schlich, der sich aber nicht mit der Rolle des Busspredigers begnügte, sondern prächtige Natur- und Liebeslieder ersann und damit auf alpenländischem Gebiete eine Nachblüte des deutschen Minnesangs heraufbeschwor.

Das war am Ausgang des 14. Jahrhunderts, als auf der hochragenden Trutzfeste Hohensalzburg ein Bluturteil nach dem andern gefällt wurde und ihr Beherrscher, eben jener machtgierige Erzbischof Pilgrim, seine geistliche Würde freventlich dem Kriegssport aufopferte. Die Lieder jenes unheimlichen Unbekannten, Dichtungen und Melodien, tauchten da und dort auf und fanden einen Ehrenplatz in der bald darauf verfassten, heute in der Münchner Nationalbibliothek verwahrten « Colmarer » Liederhandschrift. Jedoch weder der Literatur- noch der Musikgeschichte ist es bisher gelungen, sein Inkognito zu lüften und das menschlich künstlerische Geheimnis um den rätselhaften Gesellen zu entschleiern. Der Mönch von Salzburg — so heisst er kurzerhand bei den Historikern und Liedforschern. Sein Wesen ist Legende halb und halb Realität, und seine dichterisch-musikalische Hinterlassenschaft enthüllt ein merkwürdiges Gemisch von mystischer Versenkung und unverhohlener Sinnenfreude.

Diesen anonymen Mönch von Salzburg, der infolge der mangelhaften Kenntnis seiner Personalien und wegen seiner dämonischen Erscheinung an die ebenfalls schwer ergreifbare Gestalt des Tannhäusers gemahnt, darf man insofern in einen gewissen Zusammenhang mit dem Alpinismus bringen, als er einer der ersten deutschen Dichter war, welche in ihrer Lyrik kräftige Naturlaute angeschlagen haben. Nicht nur, dass dieser phantasiereiche Träumer und Beobachter in herrlich landschaftlicher Umgebung lebte und somit den Gegensatz von höfischem Lärm und stiller Ländlichkeit doppelt zu verspüren bekam — der Mönch von Salzburg hat noch aus einem andern Grunde Anspruch darauf, als echter, unerschrockener Poet bewundert zu werden: weil nämlich in seinen Reimen und Weisen ein wirkliches Naturgefühl sich offenbart, eine Hingabe an Luft, Licht und landschaftliche Schönheit, wie sie zur Zeit der ausklingenden Gotik in der Kunst selten genug war.

Wohl hat sich der Mönch von Salzburg, von der modischen Strömung ergriffen, in der Hauptsache der Liebespoesie verschrieben. Wer kann wissen, ob er ein wirklicher Klosterbruder war oder ob sich unter seiner warnenden Maske nicht ein im weltlichen Minnedienst zerrüttetes Ritterleben barg? Darauf deuten schon die Titel seiner Dichtungen. Wer diese aufmerksam durchgeht, wird bald herausfinden, dass diesem stilistisch zwar zeitgebundenen, aber innerlich um so freieren Sänger die Freude an der Natur oft als das Höhere galt als die ästhetischen Réglemente der höfischen Kunstdichtung, deren Formalismus zu sprengen er eifrig bemüht war.

Es mochte wohl vorkommen, dass der Mönch von Salzburg seinen Zeit-und Zechgenossen mächtig ins Gewissen redete. Gehen wir aber seiner literarischen Tätigkeit auf den Grund, so ergibt sich mit grosser " Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zärtliche und Anmutreiche viel zu sehr Dichter war, um als trockener Sittenprediger über den sehr unchristlich sich gebärdenden Salzburger Hof Gewalt erlangen zu können. Es ist wohl das Richtigere, anzunehmen, dass er, als ein Wissender und Weitschauender, bewusst mithalf, eine dem Untergang geweihte Kulturepoche künstlerisch zu verklären, sie, wehmütig zwar und vereinsamt aber gänzlich unsentimental, ins Grab zu singen.

Trotz den dem Minnekodex folgenden Gestaltmotiven und Ausdrucksformen bewahrt des Mönchs von Salzburg Darstellung oft einen volkstümlich frischen Zug, was darauf schliessen lässt, dass der Dichter-Komponist gelegentlich auch mit der bäurischen Schicht in Berührung gekommen ist. Ein so derbkräftiges, nach Heuschober und Stallwärme duftendes Sittengemälde wie « Das Kuhhorn » kann nur einer hingeworfen haben, der sich im fröhlichen Kreise der Älpler und ihrer Dirnen herumgetrieben und dort mit den Alltags-gewohnheiten der naiven Bergbevölkerung vertraut geworden ist. Hier, wo es zwischen Bursch und Mädchen handgreiflich älplerisch zugeht und ein naturgewachsener, unschuldiger Sensualismus der feudalen ars amandi Hohn spricht, ist, ganz abgesehen vom Inhaltlichen, jede Spur von höfischer Zimper-lichkeit auch aus der Wahl der Worte geschwunden. Es klingt einem wie aus einer Alphütte entgegen, wenn der robuste Dichter beginnt:

« Untarnschlaf x ) tut dem sommers wohl, der ohn'Straf lieblich ruhen soll bei der Dirne auf dem Stroh: in der Stirne macht es froh. » Da die Zeit, in welcher der Mönch von Salzburg seine « Tag»- und « Nacht-lieder » verfasste, in bezug auf melodische Originalität eine verhältnismässig arme war, wird man auch seinen Sangesweisen keinen allzu grossen persönlichen Wert beimessen dürfen. Doch fand gerade er, als ein um den gelehrten Kram unbekümmerter Tonpoet, manch einen « Tenor von hübscher Melodey » und hat mit solch natürlichen und wohl öfters dem Volksmund abgelauschten Tonfolgen die Sprödigkeit und Steife der von der Ästhetik der höheren Stände geforderten Liedweise überwunden. Für die Volkstümlichkeit, die diesem Freiluftsänger auch als Musiker eignete, möge folgende Melodie sprechen. Sie Nachmittagsschlaf.

gehört zu einem Gedichte, betitelt « Der Falke », das stofflich seine Abhängigkeit von des Kürenbergers berühmtem Sehnsuchtsliede auf den ersten Blick verrät und lautet1 ):

Ich hab zu Hand ge - lok - ket mir hat ver - lo - ren all sein Gir und tat sich von mir leichen, erstrei - chen. Hätt ich 's gè-beizt nach ist mir wor - den meinem Mut, es war so wild nie wor - den. Das tat ich nicht und un - ge-zahm, das tut mir weh im Her - zen, und.wie'smiral - le tat ihm gut, darum hab ich 's ver - lo - ren. Es Freude nahm: so könnt'es wen - denSchmer-zen.

Für die freilich nur hypothetische Beeinflussung älterer Liedweisen durch alpine Instrumente — vor allem durch die Schalmei, das Krummhorn und das eigentliche Alphorn — könnten die deiche » des Salzburger Mönches vielleicht als gewichtige Belege gelten. Doch wie überall, wo Gesang- und Instrumentalmusik in lebendigem Austausch miteinander stehen, heisst es auch hier vorsichtig sein bei der Prioritätsbestimmung, damit Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Jedenfalls zeigt sich bei dem namenlosen Dichter-Kompo-nisten, der manchmal auch im Metrischen seine eigenen Wege ging, ein deutliches Bestreben, mit der Melodieführung aus dem Banne der alten Kirchentonarten loszukommen. Auch in dieser Hinsicht dürfte der Mönch von Salzburg den fortschrittlichen Künstlern seiner Zeit beizuzählen sein.

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