Der neueste Jungfrauweg
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Der neueste Jungfrauweg

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

F. von Almen, Lauterbrunnen.

Der neueste Jungfrauweg Von Wenn man bedenkt, welch'enormen Aufwand von Zeit und Mühe es erfordert, um den Jungfraugipfel von Grindelwald aus, vom Eggishorn her oder über die Kleine Scheidegg zu erreichen, so kann man sich nicht wundern, daß man immer und immer wieder zum Roththal zurückkehrte, als dem am nächsten gelegenen, also natürlichsten Ausgangspunkt zur Besteigung der Jungfrau.

Nachdem schon 1828 die englischen Bergsteiger Yeats Brown und Fred. Slade einen vergeblichen Versuch gemacht, die Jungfrau vom Roththal aus zu besteigen ' ), gelang es am 9. August 1864 den Herren Leslie Stephen, Macdonald und Craufurd Grove durch das steile und gefährliche Couloir, das sich direct gegen den Roththalsattel zieht, diesen und drei Viertelstunden später den Gipfel zu erreichen. Damit warSiehe Studen Ueber Eis und Schnee. Supplementband, pag. 10.

-SOF. v. Almen.

der Zugang zur Jungfrau vom Roththal aus gefunden; direct war er, aber weder kurz noch gut. Es dauerte -auch volle sieben Jahre, bis die Besteigung auf diesem Wege wiederholt wurde und zwar am 21. Aug. 1871 von den deutschen Alpinisten Herren Voigt und Liebeskind und am 22. August desselben Jahres von den :Schweizerclubisten Prof. Aeby und Emil Ober, die jedoch an diesem Tage nur den Koththalsattel, den

Um's Jahr 1879 oder 1880 herum ventilirte die Section Oberland — angeregt durch den verstorbenen Oberförster Kern — die Frage aufs Neue, wie auf einem gefahrloseren Wege aus dem Roththal auf die Jungfrau zu kommen wäre, und erhielt von den Führern Fuchs und Lauener auf Befragen die Antwort, es wäre vielleicht möglich, von der Roththalhütte aus über das „ Rothe Brett " verhältnißmäßig gefahrlos auf die Jungfrau zu gelangen. Dabei verblieb es, bis sich im Sommer 1881 Herr Dr. Dttbi von Neuem daran machte, einen sicheren Weg vom Roththal aus zu suchen. Der tückische Zufall verhinderte Dr. Dübi, die Frucht seiner Arbeit ganz und voll zu genießen; zwar erreichte er den Gipfel, aber sein Weg über den westlichen oder äußeren Grat erwies sich als eine schwierige Kletterpartie und kaum leichter practicabel als der berüchtigte Weg durch das Couloir. *. ) Die Aufgabe, vom Roththal aus einen neuen, hessern Weg nach der Jungfrau zu finden, war also noch nicht gelöst. Den ganzen letzten Sommer nun redete man in Fuhrerkreisen davon ., im Herbst einen neuen Versuch zu machen. Schließlich thaten sich die Führer H. v. Almen, Sohn, U. Brunner, F. Graf, Sohn, K. Schlnnegger, alle vier von Wengen, und J. Stäger von Lauterbrunnen zusammen, um das Wagestück zu versuchen, und nicht ohne Bedenken schloß ich mich ihnen an, denn wenn auch ein Sohn der Berge, gehöre ich doch keineswegs zu den wag-haisigen Berggängern, und meine clubistischen Leistungen beschränkten sich bisher auf Schilthorn, Tschingelgletscher und Petersgrat.

« ) S. Jahrbuch XVII, pag. 273.

Es war ein prächtiger Herbstsonntag ( 20. Sept .), als wir Mittags den Fourgon des Hotels Staubbach bestiegen und, begleitet von den Glückwünschen der Unserigen, thaleinwärts fuhren. Noch lange sah ich ein weißes Tuch winken, und es wurde mir etwas bange beim Gedanken, wie meine Frau nun während zwei Tagen um mich bangen und kummern würde. Im Stechelberg angekommen, wendeten wir uns links der Stufensteinalp zu. Meine Brust, die sonst nichts weniger als mustergültig genannt werden kann, athmete kaum die reine Alpenluft der höhern Lagen, so fing sie prächtig an zu arbeiten. Die Bärenfluh machte mir gar keine Schwierigkeiten, und beim Vernachten langten wir glücklich in der Roththalhütte an.

Der Comfort daselbst beschränkte sich auf das denkbar kleinste Maß; denn ein perfider Luftzug machte sich durch die Trockemnauern hindurch sehr unangenehm bemerkbar. Stroh und Lische waren verdächtig feucht, um nicht zu sagen naß, und einzelne Eisreste deuteten auf das Vorhandengewesensein eines sogenannten „ Gletschers " hin. Die Roththalhütte befindet sich in einem so traurigen Zustand, weil dem Felsen nach, an den sie sich'lehnt, Regen- und Schneewasser hinuntersickert, welchem Constructionsfehler einzig durch Versetzung der Hütte abgeholfen werden könnte.

Item: wir richteten uns so gut als möglich ein für die Nacht, brauten uns einen währschaften Kaffee und legten uns endlich zur wohlverdienten Ruhe nieder — mit welchen Gefühlen, das läßt sich leicht denken. Furcht des Mißlingens und Hoffnung des Gelingens hielten sich die Wage. Jedenfalls waren wir weit entfernt von dem Ausspruch Ducrot's: „ Je ne reviendrai que mort ou vainqueur !"

Von eigentlichem Schlafe konnte keine Rede sein; deßhalb erhoben wir uns schon um 4 Uhr von unserm Lager, und da das Wetter, so viel man bei der herrschenden Dunkelheit erkennen konnte, sich nicht schlecht anließ, so wurde das Frühstück bereitet und Alles zum Aufbruch fertig gemacht.

Beim ersten Schein der Morgendämmerung — circa um 43/4 Uhr — brachen wir auf. Hier oben hatten wir schönes Wetter; aber unten im Thale, da wogten und drängten die Herbstnebel drohend heran. Doch, wie von guten Berggeistern gelenkt, wichen sie zurück ohne uns erreicht zu haben. Von der Hütte aus gingen wir ein wenig links, um auf den Grat zu gelangen und auf demselben unser Heil zu versuchen, da wir wußten, daß in den Strählplatten und auf dem Rothen Brett für uns absolut nichts zu suchen war. Nach einiger Anstrengung hatten wir den inneren Grat 1 ) erreicht und auf demselben ging es nun durch Gneißfelsen ziemlich steil empor, ungefähr wie auf einer Dachfirst. Das Gestein war gut, und so kletterten wir eine gute Stunde lang leicht upd schnell in die Höhe. Wir waren Alle in bester Stimmung, nur Stäger schienen die „ Roththalgeisteru, von denen H. v. Almen letzte Nacht geträumt, manchmal das Steigen sauer machen zu wollen.

Nun erreichten wir das Gebiet des Kalkfelsens.

Da bis hieher Alles so gut gegangen war, so gönnten wir uns, trotz der in Aussicht stehenden Alkohol-vorlage, einen stärkenden Schluck, banden uns, je drei zusammen, vorsichtig an 's Seil, und aufwärts ging 's in den warmen Strahlen der Septembersonne über zertrümmerte Kalkfelsen, wohl drei Stunden lang. Rechts ging 's in steilem Abstürze zum Roththal hinunter, und die ganze Zeit unseres Aufstiegs donnerten und polterten die Eisschläge durch das berüchtigte Couloir hinunter, so daß man nur mit Schaudern an die verrufene Passage denken konnte. Wir dagegen auf unserm Grat waren sicher vor Lawinen,. Eis- und Steinschlägen und rückten rasch vorwärts, bis der Knotenpunkt sichtbar wurde, wo unser Grat sich mit dem westlichen vereinigt. Hier kam die erste ernstliche Schwierigkeit in der Form eines Felskopfs,, der sich vor uns aufthürmte. Der Bursche war nicht zu umgehen, wollten wir nicht riskiren, in 's Bodenlose zu fallen, und zur linken Seite machte glänzendem Eis eine allfällige Passage noch schwieriger ( wenigstens hatte es den Anschein ). Der Stier mußte daher bei den Hörnern gepackt werden. Der Felskopf hatte eine Höhe von circa 3 Meter. Graf mußte als Bahnbrecher voraus. Eine kleine Spalte gewährte Händen und Füßen einigen Halt. Dazu halfen wir mit Händen und Pickeln nach, bis er oben war; nun wurde Einer um den Andern am Seil hinaufgehißt.

Hier begann das Reich des Granits; wir kletterten dann wohl eine gute Stunde in den Granitblöcken empor, was uns sehr forderte. Die Aussicht erweiterte sich; die Silberlücke schimmerte links unter uns, und von da an galt es bei uns als ausgemachte Sache, das Wagestück werde uns gelingen. Plötzlich zeigte sich der Grat eine kleine Strecke weit vergletschert, und rechts und links fiel er ziemlich steil ab. Es wurden daher Stufen gehackt und die Stelle möglichst vorsichtig passirt. Nun ging 's noch eine kleine Stunde vorwärts, bis wir auf ein großes Firnfeld kamen, welches auf Blatt I der Excursionskarte den Namen „ Hochfirn " trägt.

Die Uhr zeigte nahezu auf 11, und so lagerten wir uns denn, um eine Pause zu machen, das Mittagsmahl zu verzehren und die herrliche Aussicht zu genießen, die sich vor uns aufthat. Links über das Silberhorn hinaus schweiften unsere Blicke in weite Fernen, und die Gasthöfe des Bödeli schimmerten herauf, wie Kinderspielzeug. Hoch oben winkte uns. die Jungfrau in eisiger Schöne, und um 11 */a Uhr brachen wir zu ihrer endlichen Bezwingung auf. y Zuerst mußte eine sanft geneigte Gletscherwand durch Stufenhacken überwunden werden; dann folgte eine längere Gletscherpartie, die wir uns mit einem Glase Wein verkürzten und versüßten, bis wir etwa 10 Minuten unter dem Jungfraugipfel den Grat betraten, der sich vom Roththalsattel heraufzieht. Noch eine Stelle mußte durch Stufenhacken bewältigt werden, und circa um halb 1 Uhr setzten wir unsern Fuß auf den vielbegehrten Jungfraugipfel.

Die Aussicht von dieser hehren Warte aus brauche ich nicht zu schildern, haben sie doch schon so viele Clubisten genossen; auch wäre meine Feder zn_ schwach, würdig zu schildern, was das entzückte Auge da Herrliches erschaute. Das aber wird man uns gewiß gerne glauben, daß wir, und besonders ich, in Wonne schwelgten, war uns doch gelungen, auszuführen, wonach man Jahre lang getrachtet hatte: die Besteigung der Jungfrau vom Roththal aus auf kurzem, sicherem Wege.

Der Aufenthalt auf dem Jungfraugipfel war einzig schön; allein schließlich mußte doch Abschied ge- nommen werden, galt es doch, nun so schnell als möglich das Hotel auf dem Eggishorn zu erreichen, um von dort aus unsere Lieben zu benachrichtigen, wir seien heute Abend nicht im Stechelberg abzuholen, und sie so aus Kummer und Angst zu erlösen. So stiegen wir denn endlich mit Umgehung des Roth-thalsattel-Schrundes auf den Jungfraufirn nieder und wanderten der Concordiahütte zu. Die Schatten wurden länger, der Tag begann sich zu neigen. Drei Mann ruhten hier ein wenig aus, während der Kaffee kochte, die andern aber forcirten den Aletschgletscher, und am Märjelensee ließ Brunner, der Nimmermüde, seine Kameraden im Stich, stürmte eilenden Laufes zum Hotel Jungfrau hinüber und spedirte Schlag halb 8 Uhr das ersehnte Telegramm nach Lauterbrunnen, welches dort, besonders in Führerkreisen, gewaltige Aufregung hervorrief.

Später rückte auch ich mit der Nachhut unter das gastliche Dach des Gasthofs ein, wo wir von Herrn Cathrein auf 's Herzlichste aufgenommen und bewirthet wurden. Den folgenden Morgen stiegen wir nach Viesch hinunter; ein Wagen brachte uns nach Obergestelen, Abends nächtigten wir bei Freund Der neueste Jungfrauweg.9?

Nägeli auf der Grimsel, und Mittwoch kehrten wir nach Hause zurück.

Auf der Excursionskarte des S.A.C. läßt sich unser Weg prächtig verfolgen. Wir gingen von der Clubhütte über Punkt 2764 aus links auf den Grat, der sich in nordöstlicher Richtung gegen den „ Hochfirn " hinzieht und sich, bevor er denselben erreicht, mit zwei andern Gräten von West und Süd vereinigt; hier befindet sich die einzige schwierige Stelle.Von hier aus geht der Weg über Firn gegen die Zahl 4 der Quote 4166, dann rechts auf den Grat und zum Gipfel empor.

Ziehen wir das Facit aus den Ergebnissen unserer Jungfraubesteigung, so ergibt sich:

Von der Roththalhütte aus haben wir in circa 7 Va Stunden auf einem für schwindelfreie Gänger leicht zu begehenden Weg, der sicher ist vor jeder La-winen-, Eis- und Steinschlaggefahr, den Jungfraugipfel erreicht. Da nun der Weg nicht mehr gesucht zu werden braucht, so kann der Anstieg wohl in 5-6 Stunden bequem gemacht werden.

Von der Berglihütte am Mönchjoch und der Concordiahütte braucht man gewöhnlich ungefähr ebenso viel Zeit, von der Guggihütte mindestens fünf Stunden mehr; rechnet man dazu, daß die Roththalhütte von Lauterbrunnen aus leicht in 5 Stunden erreicht wird, während der Zugang zu den andern Hütten vom Thale aus weit längere Zeit erfordert, so spricht die Zeitdifferenz entschieden zu Gunsten unseres neuesten Jungfrauweges. Im Sommer ist derselbe bei stellenweisem Schnee noch viel leichter zu begehen, als im Herbst, 7 weil bei unserer Fahrt die Kalkfelsen am Morgen bereift und daher sehr glatt waren, weßhalb mit großer Vorsicht vorgegangen werden mußte.

Die Führer, welche den neuen Jungfrauweg eröffnet haben, werden im Frühling ihr Möglichstes thun, denselben noch practicabler zu machen. So soll nicht nur die schwierige Stelle durch Sprengung des bewußten Felskopfes und, wenn dann noch nöthig, Einrammen von Eisenstangen oder Seilen leicht passirbar gemacht, sondern auch die Bärenfluh stellenweise corrigirt werden, damit auch weniger geübte Berggänger in die großartige Gebirgswelt des Roththals gelangen können. Allerdings müßte, wenn das Roththal wieder stärker besucht werden soll, dann auch die Clubhütte umgebaut und bei dieser Gelegenheit an einen günstigem Ort versetzt werden.

Wir geben uns der Hoffnung hin, der S.A.C. werde diese Sache zu der seinigen machen und nächsten Sommer dieses Werk ausführen, wenn sich unsere Angaben über den neuesten Jungfrauweg bewahrheitet haben werden. Zu diesem Zwecke sind die oben genannten Führer bereit, die nächste Saison den neuen Weg zu begehen mit Jedem, der es wünscht.1 )

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