Der Preis der Landschaft
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Der Preis der Landschaft

Wer auf der Grande Traversata delle Alpi (GTA) durch die Berge des Piemonts wandert, stösst auf eine Welt, die man aus den Schweizer Alpen so nicht kennt: überwucherte Alpweiden, verfallende Weiler, sterbende Dörfer (S. 12). Ganze Täler sind entvölkert, komplette Siedlungen werden auf E-Bay versteigert. Wo es noch Leben gibt, ist es fragil. Pensionierte und Aussteiger besiedeln im Sommer romantisch anmutende Ortschaften, die für Familien schlicht nicht mehr bewohnbar sind: keine Schule, kein Winterdienst, keine Jobs. Wie in Rimella, wo ein zugezogener Schwabe gemeinsam mit den letzten Einheimischen versucht, das alte Walserdorf am Leben zu erhalten (S. 22).

Wer in den Schweizer Bergen unterwegs ist, erhält ein anderes Bild der Alpen. Gepflegte Häuser und gemähte Wiesen auch im abgelegensten Tal, Kühe oder doch Schafe bis in die höchsten Lagen, eine Landschaft wie ein Park: Blumenwiesen im Vordergrund, dahinter die wilden Berggipfel, dazwischen Wald und in der Mitte ein Dorf mit einer Kirche. Es ist dieser Kontrast, diese feine Ziselierung der Landschaft, die die Schweizer Alpen von allen anderen Gebirgen der Welt unterscheidet, die sie berühmt gemacht hat, die Grundlage war für den touristischen Erfolg der Schweiz und die diese auch heute noch zum Sehnsuchtsort für Millionen macht.

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Der Unterschied zwischen den Tälern des Piemonts und jenen der Schweiz ist das Geld, das in die Berge fliesst. Gewiss, auch Schweizer Talschaften kämpfen mit Abwanderung, auch hierzulande wächst der Wald, wird das Weideland weniger, schrumpfen und überaltern die Dörfer. Dennoch: Von Zuständen wie im Piemont ist die Schweiz weit entfernt. Während in Italien Staat und Gesellschaft die kleinen Gemeinden in den Bergen längst abgeschrieben haben, sorgt in der Schweiz ein fein verzweigtes System von Direktzahlungen, Zulagen, Subventionen und Finanzausgleich dafür, dass das Berggebiet bewohnbar bleibt. Dass die Leute bleiben – und die Landschaft weiterhin so aussieht, wie wir sie kennen.

Das alles kostet. Der Preis der Landschaft ist hoch. Wie lange wird die Gesellschaft ihn noch zahlen? Wie lange kann sie sich die vertraute, bäuerliche Landschaft noch leisten? Antworten gibt Alpenforscher Werner Bätzing im Interview auf S. 20.

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