«Der Skitourenrennsport wurde vor allem professioneller»
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«Der Skitourenrennsport wurde vor allem professioneller»

Der ehemalige Swiss Ski Mountaineering-Trainer Rolf Zurbrügg über leichteres Material, professionelleres Training und das Problem mit dem Doping.

Sie sind schon lange im Skitourenrennsport dabei. Wie hat sich diese Disziplin in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelt?

Früher waren Skitourenrennläufer noch eine Art Langläufer in den Bergen: Man trug die weichen Langlaufschuhe, und die Bindungen waren im Telemarkstil ohne fixierte Ferse. Man hatte relativ massive Stöcke, die man für die Abfahrt zwischen die Beine nahm und sich dann draufsetzte. So düste man ziemlich direkt den Berg runter, im sogenannten «Hexenritt», den es heute nicht mehr gibt.

2004 wurde der Hexenritt verboten. Weshalb?

Das war eine Entscheidung des internationalen Verbands, um den Sport zu definieren. Man wollte, dass richtiges Skifahren zum Rennen dazugehört und die Athleten nicht einfach irgendwie den Berg hinter sich bringen. Das gab auch Diskussionen. Ich war der Ansicht, dass man so abfahren soll, wie es einem beliebt, solange man sich keiner illegalen Hilfsmittel bedient. Doch inzwischen ist das erledigt. Mit dem neuen Material ist der Hexenritt keine Option mehr.

Beim Material hat sich einiges getan. Was genau?

Heute ist fast alles aus Carbon. Ein Stock wiegt heute nur noch einen Drittel dessen, was früher normal war. Die Schuhe sind viel härter und steifer geworden, sie sind zwar nicht viel leichter als die alten Schuhe im Telemarkstil, doch sie bieten viel mehr Flexibilität beim Aufstieg und gleichzeitig eine enorme Festigkeit für die Abfahrt. Die Ski sind heute breiter, tailliert und gerockt. Das Gewicht hat sich allerdings nicht so sehr verändert, die modernsten Ski sind gegenüber jenen von 2000 nur etwa einen Viertel leichter geworden.

Schaut man die Entwicklung des Gewichts an, so stellt man mit Erstaunen fest, dass nach 2000 zunächst eine Zunahme des Gewichts der Ausrüstung stattfand. Erst später wurde das Material leichter.

Das hat mit der erwähnten Neuorientierung des Sports weg vom Telemark und hin zum richtigen Skifahren zu tun. Im Jahr 2000 wog die gesamte Ausrüstung im Telemarkstil 4400 Gramm, also Skipaar mit Bindung, Schuhpaar und Stockpaar. 2004 waren es 4590 Gramm: Die Stöcke wurden zwar leichter, doch Schuhe, Bindung und Ski wurden durch die Umstellung weg vom Telemark schwerer, dafür hatte man steifere Schuhe mit fixierten Fersen. Von da an erfolgte der Gewichtsverlust durch den Einsatz von Carbon. Heute ist die gesamte Ausrüstung 30% leichter als jene von 2000 – und sie bietet alle Vorteile von Festigkeit, Sicherheit und Robustheit, die man vom normalen Skisport kennt.

Ist die materielle Entwicklung heute ausgeschöpft?

Vom Gewicht her vermutlich schon, wobei diese Prognose heikel ist. Im Jahr 2004 hat mir der Chefingenieur eines Ski­herstellers gesagt, dass man jetzt das Limit erreicht habe, 40 Gramm lägen allenfalls noch drin. Heute ist ein Ski gegenüber damals nochmals 200 Gramm leichter geworden, er hatte sich also massiv geirrt. Man weiss eben nie, was die Technik noch alles hervorbringt. Es scheint nun zwar schon so, dass man beim Gewicht nicht mehr viel rausholen wird. Doch das Material muss auch langlebig und robust sein. Ein superleichter Schuh bringt mir nichts, wenn er zerbricht. Da wird die Entwicklung noch weitergehen, jedenfalls wird immer noch viel getüftelt.

Was hat sich abgesehen vom Material noch verändert?

Vor allem hat die Professionalisierung Einzug gehalten. Das Training ist viel spezifischer geworden. Es gibt heute Athleten, die in erster Linie Skitourenrennläufer sind, wie Kilian Jornet, Martin Anthamatten, Damiano Lenzi oder Jennifer Fiechter. Früher war es mehr die Winterdisziplin der Langläufer und Bergläufer. Natürlich machen die Athleten im Sommer ebenso ihre Läufe oder sind auch starke Bergsteiger. Aber ihr Fokus liegt auf den Skitourenrennen. Nur an den Vertical-Rennen (also nur Aufstieg) schaffen es vereinzelt auch Berg- oder Ausdauerläufer in die Top Ten an einem internationalen Rennen. Da sieht man, was die Neuorientierung gebracht hat: Es kommt heute auch sehr stark aufs Skifahren an.

Allerdings nimmt die Öffentlichkeit einen Kilian Jornet nicht unbedingt als Skitourenrennläufer wahr, sondern kennt ihn vor allem von seinen extrem schnellen Begehungen in den Bergen, etwa jener des Matterhorns.

Das stimmt. Auch ein Andreas Steindl oder ein Martin Anthamatten, beides Bergführer, sind Spitzenleute, die auch in anderen Sportarten mithalten können und etwa im Sommer mit sehr schnellen Zeiten an den Viertausendern unterwegs sind. Das gibt dem Skitourenrennsport eine positive und moderne Ausstrahlung. Die Athleten sind nicht einfach «Skitüreler» in ihrem eigenen Kosmos, sondern ganzheitliche Topsportler, die auch abseits vom Skitourensport Aufmerksamkeit erregen.

Verglichen mit klassischen Skirennen hat man beim Skitourenrennsport das Gefühl, er drehe sich mehrheitlich um sich selbst.

Das Interesse ist am Wachsen. Grossanlässe wie eine PDG haben durchaus eine Bedeutung in einer breiteren Öffentlichkeit. Doch man kann Skitourenrennen natürlich nicht so schmackhaft präsentieren wie eine Lauberhornabfahrt. Dazu ist man einfach zu oft im abgeschiedenen Gebirge unterwegs, und es gibt keinen spektakulären Zielhang oder dergleichen, wo man eine Tribüne aufbauen könnte.

Wie steht es um die körperliche Limite? Können Skitourenrennläufer rein physisch noch schneller werden?

Die Spitzenzeiten wurden in den letzten 20 Jahren nicht viel schneller, und es wird auch in Zukunft keiner kommen, der plötzlich massiv schneller ist als die anderen. Früher waren die Athleten ebenfalls sehr fit und haben im Training viel richtig gemacht. Neuzeitliche Superrekorde mit modernen Trainingsmethoden mussten vielfach wegen Dopingvergehen im Nachhinein korrigiert werden.

Dann ist Doping also auch im Skitourenrennsport ein Thema?

Wie in allen Leistungssportarten kommt das auch hier vor, wenngleich nicht in dem Umfang, wie man es etwa vom Radsport kennt. Es gab in den letzten zehn Jahren lediglich zwei bis drei bekannte Vorfälle, bei denen man vorsätzliches Doping feststellen musste. Also nicht nur Missgeschicke, wo jemand des Dopings überführt wurde, weil er versehentlich einen verbotenen Hustensirup eingenommen hat. Die Elite ist dem internationalen Kontrollprogramm angegliedert (WADA, Swiss Olympic und Antidoping Schweiz), das heisst, die Sportler müssen immer bekanntgeben, wo sie sich aufhalten, und mit spontanen Kontrollen rechnen, auch ausserhalb der Saison. Verpassen sie diese oder befinden sie sich nicht dort, wo sie angegeben haben, kann das im Wiederholungsfall gleich gewertet werden wie eine positive Kontrolle.

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