Der Weg nach Norden wird wärmer
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Der Weg nach Norden wird wärmer Folgen des Klimawandels in Norwegen

Im Land der Mitternachtssonne schmelzen die Gletscher weg, und die Fische schwimmen davon. Die Klima-erwärmung bietet aber auch Chancen: Sie macht Norwegen zum Winzerland und Badeparadies.

Das Königreich Norwegen bildet den westlichen Teil der skandinavischen Halbinsel und ist mit 1750 Kilometern das längste Land Europas. Der Landesname «Norge» bedeutet so viel wie «Weg nach Norden». Über zwölf Breitengrade erstreckt sich dieser Weg von Kristiansand an der Südküste bis Hammerfest, der am nördlichsten gelegenen Stadt der Welt, wo die Sonne im Sommer zwei Monate lang nicht untergeht. Obwohl das Land auf ähnlich nördlicher Breite liegt wie Alaska und Sibirien, ist das Klima in Norwegen im Vergleich zu diesen Gegenden erstaunlich mild und feucht. Der Grund dafür ist der Golfstrom, der relativ warmes Wasser vom Äquator bis in den Nordatlantik spült. Die Küstengewässer bleiben deshalb auch den gesamten Winter über weitgehend eisfrei. In Norwegen trennt der Gebirgszug der Skanden den schmalen, humid geprägten Küstenstreifen im Westen vom kontinental geprägten Klima im Osten. Die vom Meer aufgenommene Feuchtigkeit regnet an der Westseite der Gebirge ab. So zählt Bergen zu den regenreichsten Städten in Europa. Im Landesinnern nehmen die Niederschläge ab, die Temperaturen sind übers Jahr weniger ausgeglichen. In nördlichen Breitengraden kann es im Winter bis zu minus 50 Grad Celsius kalt werden, im Sommer dagegen kann das Thermometer auf 30 Grad Celsius klettern.

 

Kirschblüte am Hardangerfjord

Zum Frühlingsbeginn werden an der Küste Westnorwegens die höchsten Temperaturen und am wenigsten Niederschlag gemessen. Im Mai blühen die Obstbäume entlang des Hardangerfjords vor der Kulisse der gleissenden Firnen des Folgefonna-Gletschers. Auch am nördlich gelegenen Sogne-fjord bieten die Obstplantagen im Frühjahr eine einzigar­tige Blütenpracht. Das Fjordland Norwegens ist sehr fruchtbar und hat die nördlichste Obstbepflanzung der Welt. Und das, obwohl es auf den gleichen Breitengraden wie Süd- und Mittelgrönland liegt. Dank dem Golfstrom ist das Klima mild und begünstigt im Fjordinnern den Anbau von Äpfeln und Birnen, ja selbst von kälteempfindlichen Kostbarkeiten wie Kirschen oder Erdbeeren. Die Klimaoasen des Westfjordlands haben rund 170 Wachstumstage im Jahr, in denen sogar die Kultivierung von Aprikosen und Pfirsichen möglich ist. Schon heute steigt die Nachfrage nach norwegischen Obstsorten, denn besonders in ihrem Geschmack sollen sie die Qualität ihrer mittel- und südeuropäischen Kollegen übertreffen. Zu verdanken ist dies den relativ kühlen Nächten sowie den milden und langen Tagen im Sommerhalbjahr.

 

Klimawandel verschiebt Jahreszeiten

Wegen der Erderwärmung beginnen Frühling und Herbst immer früher. Der gesamte Jahreszyklus habe sich in den vergangenen 50 Jahren um 1,7 Tage nach vorne verschoben, berichten Forscher der Universität Berkeley in Kalifornien der britischen Fachzeitschrift «Nature». Der Temperatur­anstieg und die daraus resultierende stärkere Wasserverdunstung führen zu einer Veränderung der Niederschlagsmengen und der Vegetation. So verschieben sich laut dem Klimaexperten der Universität Erlangen-Nürnberg, Donat-Peter Häder, die charakteristischen Vegetationszonen nach Norden. In einer 2009 publizierten norwegischen Klimastudie des Meteorologischen Instituts, des Nansen-Zentrums und des Meeresforschungsinstituts haben Forscher 70 Faktoren und zahlreiche Modelle ausgewertet und für Norwegen eine Prognose für das kommende Jahrhundert gewagt. Im Allgemeinen werden noch grössere Klimakonsequenzen für dieses Jahrhundert erwartet als bisher. Norwegen hat zu allen Jahreszeiten in allen Landesteilen mit deutlich höheren Temperaturen, mehr Niederschlag und einem kräftig steigenden Meeresspiegel zu rechnen. Die Wachstumsperiode soll sich um zwei bis drei Monate verlängern. Dagegen wird sich die Wintersaison wegen mangelnden Schnees wohl im ganzen Land stark verkürzen. Im Norden, in der Provinz Finnmarken, sollen die Durchschnittstemperaturen um fünf Grad Celsius steigen, im Winter sogar um bis zu sieben Grad Celsius. Laut Klimaforscher Helge Drage vom Bjerknes-Klimaforschungszentrum in Bergen ist das «eine gewaltige Steigerung». Die Klimaszenarien sagen voraus, dass die stärksten Temperaturanstiege und die grössten Umweltveränderungen im Norden stattfinden werden. Über die dramatischen Folgen der Veränderungen sei nur wenig bekannt.

 

Wird Norwegen zum Winzerland?

Der Klimawandel eröffnet den Norwegern aber auch neue Perspektiven: Die Sommer werden länger und wärmer. Dies könnte den nördlichsten Obstanbaugebieten der Welt weiter Konjunktur verschaffen. Und es gibt auch ehrgeizige Projekte: Wie das deutsche Magazin «Stern» berichtet, will die junge Anne Engrav mithilfe eines grossen deutschen Weinguts den Weinbau während des skandinavischen Sommers zum Blühen bringen und den rauen Norden in ein Winzerland verwandeln. Sie ist die Erste, die die Vision des edlen Nordweins professionell verfolgt. Da es auf diesem Gebiet keine Erfahrungswerte gibt, handelt es sich um ein Pilotprojekt. Norwegen sei momentan wohl nicht das idealste Wein- anbaugebiet, räumt die junge Nachwuchswinzerin ein, doch sie glaubt, dass es mit dem Klimawandel durchaus das Potenzial habe, eines zu werden. Wenn das Experiment funktioniert, könne man dem Klimawandel auch etwas Positives abgewinnen. Inzwischen sind 130 robuste Rieslingsetzlinge in der Gegend von Kristiansand, einem der wärmsten Orte Norwegens, gepflanzt worden. Mit dem Versuch liesse sich auch erkennen, welche Möglichkeiten und Grenzen der Klimawandel bietet.

 

Badeparadies ohne Fische

Möglicherweise werden sich mit dem Klimawandel nicht nur günstigere Bedingungen für die Landwirtschaft einstellen, auch die Sommersaison für Touristen dürfte sich ausweiten und Norwegen zum Badeparadies machen. Denn das Meer wird wärmer. Was dem Menschen gefällt, davor fliehen hingegen die Fische. Und das macht den Norwegern Sorgen: Tromsø liegt an einem Fjord direkt am Golfstrom. Dort werden zu 70% Kabeljau gefischt. Der Kabeljau ist für Norwegens Fischindustrie von grosser Bedeutung, denn er wird nach ganz Europa exportiert. In Tromsø beschäftigt sich laut der Deutschen Welle das renommierte Norwegische Polarinstitut mit dem Wandel im Wasser und den Folgen für den Fisch. Weil Eis und Schnee in der Arktis schmelzen, gelangen grosse Mengen mildes Süsswasser ins Meer und vertreiben den Norwegern die Fische. Diese fliehen nach Norden in die kühleren russischen Gewässer. 2009 haben russische Fischer von einem aussergewöhnlich guten Jahr profitiert. Doch in der Barentssee ist man sich schon seit 40 Jahren uneinig über die Grenze zwischen Norwegen und Russland. Dass der Klimawandel den Kabeljau nun in diese Grauzone treibt, macht die Sache auch nicht einfacher.

 

Dramatischer Gletscherrückzug

In Norwegen gibt es rund 1600 Gletscher, die eine Fläche von etwa 2600 Quadratkilometern bedecken. Viele dieser Gletscher ziehen sich an den Gebirgen im Westen entlang und befinden sich in Fjordnähe. Mit 487 Quadratkilometern ist die Eiskappe des Jostedalsbreen der grösste Gletscher auf dem europäischen Festland. Noch in den 1990er-Jahren trotzten die Gletscher Norwegens dem weltweiten Gletscherschwund. Damals wuchsen 11 von 25 beobachteten Gletschern, da relativ milde Winter den westlichen Berghängen reichlich Schnee bescherten. Seit 2000 gehen die Gletscher aufgrund mehrerer Jahre geringer winterlicher Niederschläge und infolge von Hitzesommern signifikant zurück. Allein 2004 verlor der Briksdalsbreen 96 Meter an Länge. Dies ist der grösste jährliche Längenverlust dieses Gletschers seit dem Beginn der Messungen im Jahr 1900. Von 1995 bis 2005 zog er sich insgesamt um 176 Meter zurück. Forscher des Bjerknes-Zentrums der Universität von Bergen befürchten, dass bei einem langfristig prognostizierten Temperaturanstieg von 2,3 Grad Celsius in den nächsten 100 Jahren fast alle Gletscher Norwegens schmelzen könnten. Die Folgen wären Wassermangel im Sommer und Energieknappheit. Denn Norwegen deckt fast seinen gesamten Elektrizitätsbedarf mit Wasserkraft – nicht zuletzt dank den Gletschern. Die Eisdecken sind ein wichtiger Speicher für trockene Perioden, denn ihr Wasserabfluss im Sommer garantiert eine gleichmässige Wasserversorgung. Um die Folgen des Gletscherschwundes präziser abzuschätzen, untersuchten die Wissenschaftler Sedimente am Grund norwegischer Seen. An ihrer Zusammensetzung lässt sich ablesen, ob der See von Gletscherwasser gespeist wurde oder nicht. Die Forscher kamen zum Schluss, dass vor 6000 bis 8000 Jahren alle Gletscher Norwegens komplett abgeschmolzen waren. Damals lag die durchschnittliche Temperatur 1,5 bis 2 Grad Celsius höher als heute. Von den 1600 Gletschern des Landes werden nur knapp 28 ihr Eis ins nächste Jahrhundert hin­überretten können.

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