Die alpinen Unglücksfälle der Jahre 1923—1925
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Die alpinen Unglücksfälle der Jahre 1923—1925

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Es soll die Statistik und Besprechung der alpinen Unglücksfälle wie früher im Jahrbuch so nun in den « Alpen » wieder aufgenommen werden, nachdem sie drei Jahre ausgefallen war. Eine traurige Totenschau, aber wenn je die Toten zu uns reden, so tun sie es hier in eindringlicher Sprache.

Wohl heisst es « de mortuis nihil nisi bene » — von den Toten sage nichts oder nur Gutes—, und verurteilen wollen wir auch nicht; aber Lehren ziehen, das dürfen und müssen wir aus dem Unglück all dieser Gefallenen zur möglichsten Verhütung weitern Unheils. Darin liegt der Wert dieser Publikationen.

Seit der Veröffentlichung der alpinen Unglücksfälle des Jahres 1919 haben sich die Verhältnisse stark geändert. Einen ungeahnten Aufschwung hat das freie Bergsteigertum genommen als Rückwirkung auf Zwang und Greuel der Kriegszeit. Mit der Zahl der Verehrer der Berge ist aber auch die Zahl der Opfer grösser geworden. .'Dies trifft vor allem für die Ostalpen zu, und es ist von unserm Standpunkt aus unmöglich geworden, die gehäuften Unglücksfälle in jenen Gebirgsgegenden genau zu verfolgen. So wird man sich auch in Zukunft auf die Statistik der Bergunglücke in den Schweizerbergen beschränken müssen, die Ernte wird auch so leider gross genug sein. Mit einbegriffen sind hier einzig noch die Hochregionen der Haute-Savoye mit der ganzen Mont Blanc-Gruppe, da sich der französische und der italienische Teil dieser Kette nicht gut von unsern Alpen trennen lassen und die dortigen Unfälle die aktiven Bergsteiger namentlich beschäftigen.

Die Statistik kann sich auch nur mit den tödlich verlaufenden Unfällen befassen. Es würde viel zu weit führen, so interessant es auch wäre, all jenen zahlreichen Fällen nachzugehen, wo der unserer Bergsteigergilde vom jetzigen Papste zugesprochene Schutzpatron Bernhard von Menthon gütig den Bergtod im letzten Augenblicke bannte.

Dafür haben all jene Unglücksfälle Berücksichtigung gefunden, die nicht bloss eigentliche Bergsteiger betrafen, sondern Spaziergänger, Photographen, Blumensuchende, welche ihre Unkenntnis der Gefahren auch der tiefern Gebirgsregionen mit dem Leben bezahlten. Weitern Kreisen möge dieser Teil der Zusammenstellung zur Warnung dienen.

Wir lassen die Aufstellung der tödlichen Unfälle der verflossenen drei Jahre folgen, um nachher auf die einzelnen Gruppen und auf Einzelfälle näher einzugehen.

Statistik. 1923.

Nr. DatumUnfallslelleName der VerunglücktenBemerkungen 1Jan. 15 Bretaye-Chamos- John de PassSturz bei Skitour über eine saireFelswand 2 » 21. Portes du Soleil H. Gex-Collet, guideLawine 35 DIE ALPINEN UNGLÜCKSFÄLLE DER JAHRE 1923—1925.

Datum Vnfallstelle Name der Verunglückten 3 Feb.20.

Val Champagna Dr. Fleischmann 4 März 25.

Rossberg Unbekannt 5 » 31.

Rhonegletscher Kurt Straumann 6 Mai 14.

bei Val Tournanche Ed. Bich, Führer 7 » Auberg ( Wäggital ) LiniFlatti(llj. ) Franz Paolio ( 9j. ) 8 Juli 8.

bei Iseltwald Münz ( 9 j. ) 9 » 8.

Mentschelenspitz Ernst Portner ( 17 j.Stockhornkette ) 10 » 8.

Nünenen ( Stock- Lüthi hornkette ) 11 » 8.

Tschententalalp ( Holländer ) 12 » 21.

Grands Charmoz, M. Lallier Glacier des Nan- tillons 13 » 25.

bei der Bovalhütte Frl. F. Kunz 14 » 31.

Bertolhütte Pfarrer Wüthrich ( 65 j. ) 15 Aug. 1.

Jungfrau Heller, Wolf, Frl. Neu- mann 1(5 » 2.

Rawilpass Ständerat Jos. Ribordy 17 » 8.

Aiguille du Géant Abbé Duquesnon, Jean Charlet, Camille Si- mon, guides 18 » 8.

oberhalb Grimsel- Frl. Lindenmeyer passhöhe 19 » 8.

Lenzerheide Walter Strauss ( 17 j. ), Pfadfinder 20 » 11.

Weisse Frau Wey ( 16 j. ) 21 » 12.

Lötschenpass v. May ( 13 j. Mädchen ) 22 » 13.

Agassizgrat des Sir Henry Hayden, Füh- Finsteraarhorns rer K. v. Allmen und Führer Cosson aus Courmayeur 23 » 14.

Bietschhorn-West- Kellerhals grat 24 » 23.

Zinalrothorn Schär und Sohn 25 » 26.

Col du Géant Perroud ( Träger ) 26 » 27.

PizRosatsch( Süd- Friedrich ( 11 j. Mädchen ) seite ) mit Fri Schenke ( Gou- vernante ) 27 » 29.

Jägihorn ( Platten Paul Dubied der Westwand ) 28 » Brüschalp ( zwischen Karl Meienberg " Wäggi- und Klön- tal ) 29 Sept. 8.

Glärnisch-Nord- Wach ( Jäger ) wand Bemerkungen Lawine Absturz beim Klettern Sturz auf einer Skitour in eine Gletscherspalte Absturz aus unbekannter Ursache Absturz beim Spazierengehen Absturz beim Alpenrosen-pflücken Absturz beim Klettern ( Alleingänger ) Absturz beim Klettern ( Alleingänger ) Blitzschlag in eine Alphütte Lawine, Seilriss, Sturz in eine Gletscherspalte Absturz beim Spazierengehen- Herzschlag durch Höheneinwirkung Absturz beim Abstieg oberhalb Rottalsattel Absturz beim Abstieg vom Rawilpass Absturz beim Klettern aus unbekannter Ursache Absturz beim Aufstieg zum Nägelisgrätli aus unbekannter Ursache Absturz beim Edelweisspflücken Absturz auf einer Eiswand durch Ausgleiten Absturz beim Klettern auf falschem Weg Absturz beim Abstieg auf vereisten Felsen Steinschlag, Seilriss Absturz beim Klettern Sturz in eine Gletscherspalte Absturz auf weglosem Terrain ( Unwetter, Verirren ) Absturz beim Klettern ( Alleingänger ) Ursache unklar ( Sturz, Blitzschlag, vom Wildwasser fortgeschwemmt ) Einbruch eines Firnrestes. Erstickungstod in den Firnblöcken DIE ALPINEN UNGLÜCKSFÄLLE DER JAHRE 1923—1925.

Nr. DatumUnfallstelle 30Sept. 8. Mont Mallet 31 » 11. Kaiserstock-Süd- ostseite 32Dez. 1. Bergschlucht beim öschinensee 33 » 28. Val Buera ( Zuoz ) Name der Verunglückten Rudolf Thann Herrn. Hürlimann Peter Ogi, Führer 1 Herr und 1 Dame Bemerkungen Absturz durch Ausgleiten auf Eishang Absturz durch Versteigen in einem ungangbaren Couloir Absturz auf steiler, gefrorener Grasplanke auf Gemsjagd Lawine 33 Unglücksfälle 43 Tote 1924.

Alb. Jenny Hans Hoffmann Durch Lostreten einer Lawine Durch Lostreten einer Lawine 1 März 2. Rautispitz 2 » 9. Abfahrtsgelände v.

Kinzigkulm über Seenalp nach Muotathal 3Apr. 21. Zindelspitz-Ober- see, Talseite 4Juni Salève 5Juli 13. Tödi-Westwand Kurt Faller Félix Pizzera l.Bodmer ( 19 j. ) 2. Bachmann ( 22 j. ) Steinschlag Absturz beim Klettern 1. Absturz durch Ausrutschen auf Eis unter Schneeschicht 2. Sturz aus Schreck oder Schwindelanfall Absturz durch Ausbrechen eines Felsblocks Im Nebel verirrt. Absturz über eine Felswand ( Alleingänger ) Absturz beim Edelweisssuchen Absturz beim Klettern Steinschlag Absturz ( Ursache unbek. ) Absturz beim Klettern Absturz beim Klettern Vermutlich ausgerutscht ( Alleingänger ) 6 » 15.

Finsteraarhorn, R. von Tscharner Südostgrat 7 » 15.

Am Fuss des Hund- H. Küngle-Schenkel steins 8 » 21.

Parpaner Schwarz- Ernst Bosshard horn 9 » Besso Walter Rauber ( 19 j. ) 10 Col d' Emaney Wehrli ( 14 j. ) 11 » bei Saas-Fee Becker 12 Aug. 3.

Rocher-de-Naye- Fritz Aegerter ( 14 j. ) Felsen(« Grottes » ) 13 » 6.

Schwalmern ( Nord- Werner Lerf grat ) 14 » 16.

Unterhalb Chaux Leon Constant Vuitel rouge-Spitze i. d.

Nähe d. Rochers de Vent 18 » 16.

Glüschaint Dr. Schick, Gareil und Juon ( Führer ) 16 Monte della Disgra- 4 Italiener zia 17 Salève Charles Brun IS » 20.

Matterhorn Dr. Braun und Frau 19 > Ob. Grindelwald- Peter Gertsch gletscher 20 9 Kl. Sattelstöckli Karl Müller ( 16 j. ) ( Nidw. ) 21 > 22.

Jungfrau ( gewöhnl.

Dr. Kurt Fiege Aufstieg ) Im plötzlich aufkommendem Unwetter verirrt und erfroren Offenbar infolge Wetterumschlag erfroren Unwohl, gestürzt Absturz beim Klettern Sturz in Gletscherspalte ( Alleingänger ) Verlust des Gleichgewichts beim Lösen des eingerammten Pickels Absturz unterhalb Rottal sattel DIE ALPINEN UNGLÜCKSFÄLLE DER JAHRE 1923—1925.

Datum Unfallstelle Name der Verunglückten 22 Aug. 23.

Grenzgletscher un- Dr. Topali, Zachmann terhalb P.3722 b.

Abstieg zur Bé- tempshütte 23 » 24.

Graustock Anton Blum ( 18 j. ) 24 » 28.

Weisstor Frl. Carr 25 Aiguille Verte ( Ro- Barons de Meyendorf cheuse-Grat ) ( 2 Brüder ) 20 Gitschenalp Elise Gisler 27 Sept. 2.

Matterhorn Karl Thonner Bemerkungen Im Schneesturm und Neuschnee Absturz auf verdecktem Eis Absturz beim Blumenpfl. Einbruch einer Schneebrücke Im Unwetter verschollen Absturz ( Ursache unbek. ) Auf dem Furggletscher liegend; wahrscheinlich Absturz an der Mosleyplatte. ( Alleingänger ) Absturz ( Ursache unbek. ) Absturz beim Edelweiss- suchen Absturz durch Ausgleiten auf steiler Grasplanke Absturz offenbar beim Begehen einer Wasserleitung 28 » 8. Flüela " WeisshornHaupt 29Anf. " Wiesenfluh ( Berner1 Bauernknecht Sept. Oberland ) 30Sept. 22. StanserhornJost Buchmann ( 19 j. ) 31Okt.17. « Jumelle »b. MonR. Fahrni tana 31 Unglücksfälle 40 Tote 1925.

1Jan. 17. NanzertalJean. Heinzmann, Jäger 2 » Medels b. DisentisAlph. Lutz 3 » 22. Hohe Fluh b. Sapün Wilh. Eilenberger 4Feb. 8. JochpassBeyeler 5 » 12. Schwarzgrat beiEdgar Wills Murren ( Engital ) 6 » 13. Graue HörnerErnst Ruggli 7 » 15. Schwarzhütte am 2 Wegmacher: Anton Ho- Splügenbergsig und Jak. Derungs 8 Mär* 16. Monte Rosa ( GrenzJaritz gletscher ) Lawine vom Rothorn Absturz aus unbekannter Ursache Absturz beim Abirren von der richtigen Route Lawine Durch Schneebrett verschüttet Lawinentod Durch Lawine verschüttet Erschöpfung; Sturz beim Transport in eine Gletscherspalte Durch Schneeschild begraben Absturz beim Klettern Absturz bei einer Hilferei-chung durch Lösen eines Steins Absturz durch Ausgleiten Absturz beim Klettern durch Ausbrechen einer Steinplatte Erschöpfung nach Verletzung Absturz nach Verirren Absturz beim Alpenrosen- pflücken Absturz beim .Blumenpflück.

20. Jöripass Dr Konstan und Führer Guler Paul Bühler Hans Remund, Präsident d. Sekt. Zindelspitz 10Apr. 5.

11 Mai 17.

Balmfluh ( Jura ) Brünnelistock 12 » 17.

13 » 18.

14 » 31.

15Juni 22.

16Juli 5.

17 » 7.

Zindelspitz, Ober- Jakob Steiger seetalseite Hohniesen Aug. Trinkler GrammontJohn Langdorff Milchbachkopf beiFrau Fritz Alp Palfries BockmättelistockBlöchlinger ( 17 j. ) Mythen Alfred Michel ( 21 j. ) DIE ALPINEN UNGLÜCKSFÄLLE DER JAHRE 1923—1925.

Nr. Datum 18 Juli Unfallstelle Col d' Hérens Kurfirsten Blümlisalphorn Tessinerberge Salève Jungfrau Jungfrau ( Rottal ) Jungfrau ( Rottal ) Name der Verunglückten Francis Parlier Hans Wudolvsky Walter Binz u. Frau Fuchs Floriano Borella Marcel Blandin Ing. Schuler Dr. Paul Bromberger 1 deutscher Herr Bemerkungen Tod an Erschöpfung nach Verirren im Schneesturm Absturz durch unbekannte Ursache ( AUeingänger ) Absturz beim Klettern in den « Platten » Absturz aus unbekannter Ursache ( Alleingänger ) Absturz beim Klettern Beim Abstieg plötzlich gestorben Absturz nach Verklettern ( AUeingänger ) Verschollen nach Zurücklassen eines Begleiters unterhalb des 3. Seiles Absturz im Nebel Bergkrankheit Absturz durch Schwindelgefühl Durch Erschöpfung bei Mont Blanc-Besteigung Durch Erschöpfung bei Mont Blanc-Besteigung Tod durch Steinschlag Einbruch einer Schneebrücke. 4 m tiefer Sturz in eine Gletscherspalte 19 20 21 » 22Aug.

23 » 24 » 25 » 26 » 27 » 28 » 29 » 30 » 31 » 32»> 16. 29.

bei Cap. MargheritaCasimir Pic, Führer Auberg ( WäggitalFrau Gertr. Amberger Piz RosatschHans von Bersig Cab. Vallot ( MontFritz Giger Blanc ) ChamonixFernand Olivier ( 20 j. ) Aiguille Blanche deDr. Willy Richardet Peuterey GalenstockFrl. Paschkies 33 » Weisshorn Frau Noli Absturz mit einem Schnee- brett 34 » Schafberg ( Kiental ) Walter Höltzer Absturz beim Edelweiss- pflücken 35 » Fisistöcke Frl. Elisabeth Maben Absturz beim Klettern aus unbekannter Ursache 36 » Agassizjoch Felix Lochmann ( 20 j. ) Tod durch Erschöpfung 37 » Petit Mont Blanc Frl. Weil, Paris Absturz aus unbekannter Ursache 38 » Peters grat Arthur Ungethum, Ri- Im Schneesturm verirrt und chard Müller, Walter erfroren Riederberger 39 t Pilatus 1 Fräulein Fehltritt bei nächtlichem Aufstieg 40 » 16. Blackenalp ( Gegend Alois Frei ( 16 j. ) Absturz beim Klettern ( Al- des Scharberges ) leingänger ) 41 » 31. Gr. Wendenstock Jul. Häberle Absturz beim Klettern ( Al- ( Couloir ) leingänger ) 42 » Ryffelberg Dr. Selley Absturz aus unbekannter Ursache ( Alleingänger ) 43 Sept. Piz Lagrev Frau Steinbrecher Absturz aus unbekannter Ursache 14 » Monte Rosa Dominico Jacchini, Füh- Absturz aus unbekannter rer Ursache 4-, » Aiguille du Dru Alfred Couttet, Führer Absturz beim Klettern durch Ausbrechen eines Blockes Nr. DatumUnfallslelleName der VerunglücktenBemerkungen 46Okt. 4. MürtschenstockAd. Gross ( 20 j.Absturz beim Klettern ( Al- leingänger 47 » 15. Rochers de Naye Aug. Lerch, Max Thilo, Absturz beim Klettern ( Grat zur Dent de Michel Kouzmine Hautandon ) 48Dez. Val d' Hliez Ignaz BovardDurch Staublawine verschüttet 48 Unglücksfälle55 Tote Zusammenstellung.

UnglücksfälleTote 1923 3343 1924 3140 1925 4855 Total 112 138

1. Die Unglücksfälle im Winter.

Die Skiunfälle machen 13,6 % mit 18 Toten aus.

Sie sind mit zwei Ausnahmen Folgen von Verschüttungen durch Lawinen und Schneebretter.

Aus dem Studium aller Unfallsberichte erkennen wir, dass es sich in keinem Fall um leichtsinniges Gebaren oder falsche Einschätzung der Verhältnisse gehandelt hat. " Wir müssen im Gegenteil erkennen, wie trotz aller Vorsicht und trotz richtiger Massnahmen der Partien der weisse Tod doch sein Opfer zu treffen wusste.

An den « Portes du Soleil » erkannte der Führer Gex-Collet wohl, dass er sich mit seinen Genfer Herren bei dem vielen Neuschnee auch auf dieser an und für sich leichten Wanderung in gefährlichem Gelände befand. Und gerade ihn musste die direkt am Pass sich lösende Lawine begraben. Trotz dem Auseinanderziehen der Kolonne ist die Lawine beim Beschreiben einer Zickzackkurve im Aufstieg durch das horizontale Einschneiden der Ski im Hang ausgelöst worden 1 ).

Auch im Aufstiege zum Rautispitz am 2. März 1924 war eine Kolonne durch verschiedene kleine Schneerutsche gewarnt. Sie zog sich richtigerweise auseinander, sie ging teilweise in Waldstücken gedeckt vor, und an weniger steilem Hang als dem eben überquerten machte sich ein Schneebrett frei, riss drei Mann mit in die Tiefe und gab bloss zwei davon aus seiner Masse wieder zurück.

Es beweist dann ferner der traurige Tod von Bergführer Guler am Jöri-pass, wie schwer an bedrohter Stelle ein Fehler oder Sturz in der Reihe der Skifahrer sich rächen muss. Dort kam Gulers Herr am steilen Hang durch Ausgleiten zu Fall und löste durch diese Störung des Gleichgewichtes der Schneeschicht einen Schneeschild los. Guler wäre es wie zwei andern Teilnehmern möglich gewesen, zu entkommen, der brave Mann aber wandte sich hilfereichend dem Gestürzten zu, und beide blieben in dem Rutsch begraben.

In dieselbe Kategorie gehört das Unglück Fleischmann im Val Champagna. Führer Hosang verliess mit drei Turisten Muottas Muraigl zirka um 10 Uhr. Nach ungefähr 1% Stunden erreichte die Gesellschaft die Stelle, wo der Abstieg gemacht werden sollte, ungefähr am Fusse des Felskopfes P. 2816. Auf fester Altschneeunterlage lag 10-20 cm pulvriger Neuschnee. Die Abfahrtsstelle konnte nicht als absolut gefahrlos bezeichnet werden, worauf der Führer bei seiner Abfahrt mit Mahnung zur Vorsicht hinwies. Noch war Hosang nicht in der Talsohle angelangt, als er hinter sich laut lachen hörte. Der erste Herr war ins Rutschen gekommen, und Dr. Fleischmann stürzte ihm nach. Die beiden erkannten die Gefahr nicht, aber ihr Fall hatte die ganze Schneeschicht in Bewegung gebracht, und der Rutsch vollzog sich, Dr. Fleischmann in sich begrabend. Bei sturzloser Abfahrt wäre dieses Unglück vermieden worden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Fleischmann, obwohl er nach 15 Minuten ausgegraben, schon tot war. Eine endgültige Erstickung in pulvrigem Lawinenschnee dürfte in so kurzer Zeit selten sein, wurden dagegen schon Verunglückte nach 5 Stunden wieder zum Leben gebracht.

Aber unberechenbar ist die Lawinengefahr überhaupt.

Im prächtigen, ungefährlichen Abfahrtsgelände von Kinzig-Kulm über Seenalp nach Muottathal fand im März 1924 ein junger Skifahrer durch das Lostreten eines Schneebrettes an einem kurzen, steilen Hang den Tod. Schnee-und Windverhältnisse liessen auch an dieser unvermuteten Stelle diese für den Skifahrer so gefährlichen Gebilde entstehen. Sicht und Wetterverhältnisse waren am Tage des Unglücks selbst gute.

Am B. Februar 1925, dem Tag des schweizerischen Skirennens in Engelberg, zog abends eine Kolonne bewährter Bergfahrer über den Jochpass zurück ins Haslital. Sie folgten der gut markierten Route des Militärpatrouillen-laufes vom Morgen, welche sich am Nordosthang des Graustockes hinzog. Gut sichtig und kühl war die Witterung. Da, beim Pfaffenhaufen, zirka 70 m über dem Trübsee angekommen, erreichte sie das Schicksal. Eine kleine Lawine löste sich hoch oben in den Felsen des Graustockes, riss den besten Mann aus der Reihe und warf ihn über eine 16 m hohe Felsstufe zu Tode. Den Schneebrettern, welche die Staublawine am Fusse der Graustockfelsen gelöst hatte, konnten zwei Kameraden knapp entgehen.

Und wer hätte sich je am gebräuchlichen Übungshügel durch Lawinen bedroht geglaubt? Am 28. Dezember 1923 fuhr eine mächtige Staublawine über die Übungsfelder am Westausgange des Dorfes Zuoz dahin und begrub zwei Kurgäste. Die Tage, die dem Niedergang der Lawine vorausgingen, brachten andauernden Schneefall bei kalter Temperatur. Die Schicht Neuschnee ( leichter Pulverschnee ) betrug im Tal 40-50 cm, an der Abbruchstelle mag sie 60-80 cm hoch gewesen sein; sie war ausserordentlich trocken, locker und mit der Unterlage nicht verbunden. Dazu fegte in der Unglücks-stunde ein heftiger Sturm über die Gegend. Demzufolge mag der ganze aus- gedehnte Hang vom Munt Albanas gegen Val Buera in Bewegung gekommen sein. Mit riesiger Wucht schoss die Schneemasse aus der Enge des Val Buera befreit hervor und ergoss sich auf die Wiesenfläche ob Crasta auf eine Breite von mehr als 300 m, noch ein Stück der Kirchhofmauer mit sich reissend. Bemerkenswert ist noch, dass eine Grundlawine durch den Luftdruck am gegenüberliegenden Hang von Muntatsch gelöst wurde und der Spur ihrer Vorgängerin vernichtend folgte.

Diese Beispiele aus der langen Reihe der Unglücksfälle mögen wieder einmal genügen zur Erkenntnis, dass auch das harmloseste Skigelände seine Lawinengefahr hat und dass es absolute Gesetze nicht gibt über Möglichkeit und Unmöglichkeit der Lawinenbildung. Selbst ein Schutzhaus an der Passstrasse, mag es auch Jahrhunderte seinen Zweck erfüllt haben, es ist nicht gefeit gegen die Auswirkungen ausserordentlicher Verhältnisse. Die Trümmer der Schwarzhütte am Splügenberg zeugen dafür. Zwei Wegmacher, die vor den niedergehenden Lawinen flüchteten und sich nun in dieser Hütte gesichert glaubten, fanden darin schlafend ihr Ende.

Von einem andern Kapitel der winterlichen Gefahren des Hochgebirges spricht der Tod des bekannten alpinen Skifahrers Kurt Straumann. Jede ernsthafte Diskussion der Frage, ob mit oder ohne Seil auf Gletscher, muss verstummen vor dem Anblick des Toten, der von seinen Kameraden aus tiefer Gletscherspalte gehoben wird. Sorglos fuhr Straumann den ihm wohlvertrauten Rhonegletscher hinunter. Knapp am Ufer nahm den nicht durch das Seil Gesicherten eine Längsspalte auf.

Als wohl ausgesprochen seltener Skiunfall mag noch der Tod eines Engländers im Januar 1923 aufgeführt werden. Dieser des Skifahrens kundige Mann fuhr bei Bretaye-Chamossaire über eine hohe Felswand hinaus-Es konnte nicht festgestellt werden, ob dieses plötzliche Abbrechen des Ski. geländes nicht bemerkt wurde, oder ob die Fahrt nicht mehr gebremst werden konnte.

2. Die Unglücksfälle im Sommer.

Auch im folgenden kann unmöglich jedes Unglück genau behandelt werden. Es sind eben in vielen Fällen die nähern Umstände in ihren Ursachen und Wirkungen nicht abgeklärt, und man ist oft nur auf Vermutungen angewiesen. Ihre letzte Erkenntnis haben die Opfer mit in den Tod genommen, und selbst die Einvernahme von Augenzeugen gibt oft keine Erklärung. Denn rein subjektiv sind eben augenblickliche Unsicherheits- oder Schwindelgefühle und können von Kameraden der Verunglückten so wenig wahrgenommen werden wie irgendein plötzlicher Misstritt oder das Ausbrechen eines Griffes.

Es hat darum nur Wert, auf feststehende Tatsachenbestände einzugehen, deren Besprechung uns nützliche Schlussfolgerungen ziehen lassen oder die an sich von Bedeutung sind.

Wir haben schon oben auf die Unglücksfälle hingewiesen, die beim Blumenpflücken oder Spazierengehen in der Voralpenregion entstanden sind. Sie machen in unserer Statistik 11,7 % mit 14 Toten aus. Wir lassen hier allein die Zahlen sprechen.

Dagegen müssen wir auf eine andere Kategorie genauer eingehen, die unsere Statistik schwer belastet und die auf ein Minimum herabgesetzt werden sollte.Voll Schauer stehen wir vor der langen Reihe Toter, die durch allzu tollkühnen Wagemut, durch Selbstüberschätzung und völlige Unkenntnis der Gefahren der Berge das Leben verloren haben.

Es ist hier der Ort, wieder einmal zu betonen, dass das Bergsteigen eine ernste Tätigkeit ist und dass die Berge, wenn sie ungestraft betreten sein wollen, eine strenge Schule verlangen und nur grosse Erfahrung das Begehen der Hochalpenregion sichert. Und wären unsere Berge nicht sehr gutmütig, die Zahl der Opfer könnte noch weit grösser sein bei der Art und Weise, wie sie von einer grossen Zahl Turisten heute herausgefordert werden.

Es sind vor allem Ausländer, in diesen drei Jahren namentlich Deutsche und Österreicher, die in wahrhaft leichtsinniger Weise unsere Berge betreten haben. Wohl mögen die einen eine gute Kletterschulung aus den Ostalpen mit sich bringen, wohl haben andere vielleicht winterliche Klettertouren ausgeführt, aber Eis und Schnee unserer Hochgipfel verlangen eben mehr. Dieser Unterschätzung des Berges mögen die beiden Unglücksfälle des Jahres 1924 am Matterhorn zugeschrieben werden. Sowohl die Partie von Dr. Braun als auch der Münchner Alleingänger, der Student Karl Thonner, wurden vor ihrem Aufstieg gewarnt. Letzterer schlug diese Bemerkungen lachend in den Wind; er fiel schon kurz darauf offenbar an der Moseleyplatte und wurde zerschmettert auf dem Furggletscher aufgefunden. Dr. Braun und seine Frau stürzten zwei Stunden nach ihrem Aufbruch von der Matterhornhütte linkerseits des zweiten Couloirs, kurz nachdem sie einer Partie zugerufen hatten, dass sie sich verstiegen hätten und sich gerne anschliessen würden.

Wie das Matterhorn, so fordert auch die Jungfrau ständig Opfer dieser Art. Ist der Aufstieg auch gar zu verlockend, sieht man doch vom Jungfraujoch aus an schönen Tagen den Sommer hindurch stets eine breite Spur nach ihrem Gipfel ziehen. Aber eben darin besteht die Gefahr und die Versuchung, denn die Jungfrau ist kein leichter Berg, der Gipfelgrat oberhalb des Rottalsattels ist sehr exponiert. Häufig, namentlich in der spätem Jahreszeit, ist der Firnmantel auf diesem Grate zerschmolzen, und das blanke Eis tritt zutage, die Schwierigkeit dieses Gratstückes noch erhöhend. So sind denn an dieser Stelle schon viele Turisten zu Tode gestürzt, und dasselbe Schicksal ereilte am 1. August 1923 zwei Wiener Herren und eine Dame, die führerlos die Jungfrau bestiegen hatten und deren Bergtüchtigkeit für die Jungfrau nicht genügte. Das Unglück geschah während des Abstieges, indem der Zuletztgehende an der Felsrippe oberhalb des Querganges strauchelte und, ohne dagegen anzukämpfen, von oben in seine ahnungslosen Gefährten hineinglitt, so dass die ganze Seilpartie auf die jäh abbrechende Eisflanke hinausgeschleudert wurde, um in dem gewaltigen Absturz der Rottalfelsen ihren Tod zu finden. Von grosser Unterschätzung des Berges zeugt auch das Unglück des folgenden Jahres: Es brach am Spätmorgen des 22. August 1924 eine deutsche Dreierpartie vom Berghaus Jungfraujoch auf, um führerlos die Jungfrau zu ersteigen. Warnenden Stimmen wurde das Vorhandensein eines « Kuhpfades », auf dem nichts passieren könne, entgegengehalten. Am Rottalsattel pfiff ein ungast- licher Wind und zwang die Partie zur Rückkehr. In jenem Sommer musste der Bergschrund durch einen vereisten Firnkamin umgangen werden. Diese Stelle wurde der Partie zum Verhängnis, und eben jener Herr, der von einem Kuhpfad gesprochen hatte, musste das Leben lassen.

Nicht scharf genug kann man aber das Treiben von Bergsteigern verurteilen, das zu den beiden Unglücksfällen des Jahres 1925 ebenfalls an der Jungfrau führte.

Im August dieses Jahres unternahm ein des Hochgebirges völlig unkundiger deutscher Alleingänger den Aufstieg durch das Rottal. Er muss die Tur so unterschätzt haben, dass er sogar seinen Rucksack in der Hütte zurückgelassen hatte in der Meinung, rasch auch wieder durch das Rottal zurückzusteigen. Er stürzte in der Höhe des zweiten Seiles, nachdem er sich zu weit nach links in die Felsen des Silberlauitobels verklettert hatte.

Einige Tage später machten sich zwei weitere deutsche Herren an diesen Rottalaufstieg. Sie hatten als einzige Vorbereitung einige Wanderungen in Deutschland ausgeführt. Diese Jungfrautur sollte die erste Unternehmung in den Schweizerbergen sein. In 12 Stunden waren sie von der Hütte bis in die Nähe des dritten Seiles gelangt. Dort blieb der eine, leicht verletzt und erschöpft zurück. Der andere machte sich noch abends 7 Uhr an den weitern Aufstieg mit der Bemerkung, er wolle noch schnell über den Gipfel ins Joch, um Hilfe zu holen. Von diesem Momente an blieb er verschollen, während der andere Herr am folgenden Tag ins Tal gelangte.

Führen wir hier noch den Todessturz des bergungewohnten deutschen Alleingängers im Couloir des Grossen Wendenstockes an, so sind die Unglücke dieser Klasse genügend gezeichnet. Man wird sich darüber nicht wundern, sie dürfen aber nicht den Schwierigkeiten unserer Berge zugeschrieben werden und sollen auch nicht den Ruf des Bergsteigertums belasten.

Ein weiteres Beispiel von Leichtsinn gibt das Unglück an der Tödi-Westwand vom 13. Juli 1924. Junge Burschen aus dem Kanton Zürich wagten sich an jenem Tage an diese ernsthafte Wand. Die fünf vereinzelt aufsteigenden Burschen kamen in einer Höhe von zirka 3200 m in etwas vereiste Felsen und leicht überfirnte Eisflecken. Auf einer solchen kam plötzlich einer dieser verzettelten Partie ins Gleiten, schlug noch einige Male auf Felsköpfen auf und fuhr mit rasender Geschwindigkeit in die Tiefe. 5 Minuten später stürzte ein zweiter, der in guter Stellung auf einem Felsköpfchen gestanden hatte, kopfüber seinem Kameraden nach. Ein Schreck oder Schwindelanfall muss ihn überkommen haben. Zwei gleichzeitig aufsteigende Seilpartien der Sektion Zimmerberg nahmen sich den drei übrigen, sich in schlechter Verfassung befindenden Kameraden der Abgestürzten an. Der eine davon hatte keine Steigeisen bei sich, der andere trug sie auf dem Rucksack. Die Schuhe der beiden waren sehr leichte « Bergschuhe ». Ein Seil soll einer der beiden Verunglückten im Rucksack nachgetragen haben ( 15 m für 5 Personen !). Wie es sich herausstellte, ging den Leuten jegliche Kenntnis der Seiltechnik ab; das Seil musste ihnen umgelegt, und dem einen mussten sogar die Steigeisen angeschnallt werden. Einzig einer, der als Alleingänger diese Tödi-traversierung ausführen wollte und sich den vier übrigen angeschlossen hatte, war ein guter Berggänger. Von der mangelhaften Ausrüstung, über die Unkenntnis der zu erwartenden Schwierigkeiten bis zum Fehlen jeder Technik des Bergsteigens ist in diesem Unglück alles enthalten. Ein imperatives Halt setzen die Berge solchem Tun entgegen.

Und rächen sich solche Fehler schon bei guten Berg- und Wetterverhältnissen, so wirken sie sich doppelt unheilvoll aus, wenn ein plötzlicher Wetterumschlag eine unsichere Partie überrascht oder ungeahnte Schwierigkeiten am Berg eintreten. Lassen wir auch darüber unsere Unfallstatistik sprechen.

Am 11. August 1925 überschritt Dr. Lochmann mit seinen beiden Kindern, einem 20jährigen Sohn und einer 19jährigen Tochter, das Finsteraarhorn und stieg nach dem Agassizjoche ab. Schlechtes Wetter überraschte sie, und die Partie musste am Finsteraarjoch biwakieren. Die beiden jungen, solchen Verhältnissen nicht gewachsenen Menschen waren in völlig erschöpftem Zustande, und am Morgen war denn auch der Sohn gestorben, und die Tochter konnte durch eine Rettungskolonne, die in der Strahlegghütte zu alarmieren Dr. Lochmann eben noch die Kraft hatte, aus ihrem apathischen Zustande knapp wieder ins Leben zurückgerufen werden.

Im August desselben Jahres brachen drei junge deutsche Turisten von der Tellialp im Lötschental nach der Mutthornhütte auf. Sie kamen auf der Höhe des Petersgrates in einen Schneesturm und müssen bald jede Orientierung und damit jeden Halt verloren haben. Man fand sie, vom Seile losgebunden, an den verschiedensten Stellen auf den Firnfeldern, die sich vom Westfuss des Tschingelhornes nach der Mutthornhütte hinunter erstrecken. Ein Kompass wurde auf den Toten nicht gefunden.

Ebenso tragisch, aber ebenso selbstverständlich ist das Unglück Schär am Zinalrothorn. Vater Schär, dessen Pflegesohn und ein Student aus Chemnitz beschlossen, am 23. August 1923 um 4 Uhr morgens in Zermatt aufzubrechen, um eine Überschreitung nach Mountet auszuführen. Der Himmel war bedeckt, das Wetter hielt sich aber bis gegen 1 Uhr mittags, als die Partie eben die « Gabel » erreicht hatte. Hier begann es zu schneien. In der falschen Annahme, dass die Traversierung rascher auszuführen sei als ein Rückzug, stiegen die drei Turisten weiter. Sie müssen offenbar keine Ahnung gehabt haben von den an sich schwierigen Türmen des Nordgrates, die in ihrem überschneiten und vereisten Zustande den beiden Schweizern dann auch das Leben gekostet haben. Kälte und Wind hatten die Leute schon ziemlich erschöpft, so dass allein für die Traversierung der « Bosse » bis zur Stelle des sogenannten « Rasoir » 2-3 Stunden benötigt wurden. Zwischen 7 und 8 Uhr abends war es dann mit der Kraft von Schär vorbei, und vom « Rasoir » nieder-kletternd, stürzte er plötzlich ab, seinen Sohn mit sich reissend. Der deutsche Student rettete sich, indem er geistesgegenwärtig sich vom Grat in den entgegengesetzten Abgrund schwang und so der Seilpartie das Gegengewicht verschaffte. In dieser kritischen Lage bei stetigem Schneetreiben und grosser Kälte blieben die drei die ganze Nacht hängen. Der Sohn Schär starb in dieser Nacht, während der junge Deutsche beim Morgengrauen noch die Kraft hatte, zur Mountethütte abzusteigen. Jeder Bergsteiger mag sich zu diesem Unglück selbst sein Urteil bilden.

Als Beispiel über das Gesagte von ausserordentlichen Verhältnissen diene folgender Fall: Die Weisse Frau in der Blümlisalpgruppe erhält in der ersten Hälfte des Sommers bei guten Schnee- und Firnverhältnissen von Bern aus Massenbesuch. Im August glänzt aber dann meist vom sogenannten Dreieck herunter das blanke Eis ins Tal. Dann wird die weisse Frau zu einer ernsthaften Eistur, und selten werden ihre Besucher. Unter solchen Hoch-sommerverhältnissen stieg ein Vater mit seinen zwei Söhnen diesem Gipfel entgegen. Man sah die Partie etwa 40 m unter dem Gipfel umkehren und dann lange halten. Die Eisverhältnisse mussten ihnen Schwierigkeiten bereiten. An dem oben genannten Dreieck glitt beim weitern Abstieg denn auch einer der Söhne aus und riss das ganze Seil mit sich auf den 500 m tiefer liegenden Blümlisalpgletscher hinunter. Bei diesem Sturz verlor nur der 16jährige Sohn das Leben. Der Vater war ein tüchtiger Bergsteiger, aber die Partie als Ganzes scheint diesen schwierigen Verhältnissen eben nicht gewachsen gewesen zu sein.

Überblicken wir abschliessend nochmals die Gesamtheit dieser näher ausgeführten Unglücksfälle, so muss kurz gesagt werden, dass sich alle Partien für ihr bergsteigerisches Können die Ziele zu hoch gesteckt hatten. Die subjektiven Gefahren der Berge häufen sich unter solchen Umständen so, dass Unheil daraus entstehen muss. Nur der darf sich führerlos an einen Berg wagen, der jeder Eventualität gewachsen ist und den weder ein Schneesturm schreckt, noch eine Eiswand zittern macht. Wir dürfen ruhig behaupten, dass durch die Mitnahme eines Führers jeder dieser Unglücksfälle vermieden worden wäre.

Auf all die vielen Fälle, die in unserer Statistik mit dem knappen « Absturz beim Klettern » bezeichnet sind und die zum grossen Teil sicher auch zu der eben besprochenen Art der Bergunglücke gehören, kann wegen der Unkenntnis des Unfallherganges nicht weiter eingegangen werden. Es muss nur darauf aufmerksam gemacht sein, dass auch die Vorberge viel zu oft unterschätzt werden, sonst hätten nicht namentlich die Glarner- und Schwyzer-voralpen und die Berner Stockhornkette als Einzugsgebiete der Zürcher und Berner Sonntagsturisten ihre vielen Toten.

Auch die Alleingänger sind in unserer Statistik reichlich vertreten, sie sind, wo es sich um eigentliche turistische Unfälle handelt, bezeichnet.

Von diesen 14 Unglücksfällen spielten sich neun in der Voralpenregion ab, und es gilt von ihnen das oben Gesagte. Die drei Todesfälle von deutschen Alleingängern im Hochgebirge sind ebenfalls angeführt, und so muss hier nur noch zur erneuten Warnung der einsame Tod jenes Grindelwaldner Trägers angeführt werden, der auf dem Obern Grindelwaldgletscher in einer Spalte verschwand.

Als Alleingänger fiel auch der ausgezeichnete Führerlose Dubied von Winterthur. Nachdem er mit einem Freunde bereits schwere Bergfahrten hinter sich hatte, bestieg er allein im Anschluss an eine Überschreitung des Baltschiederjoches das Jägihorn. Sein Freund war schlecht disponiert und wanderte allein zur Baltschiederklause hinunter. Er musste spät am Abend Dubied zerschmettert wiederfinden am Fusse des Plattenschusses der West- wand. Dubied hatte offenbar im Abstieg die normale Route, welche die Wand in einem Couloir bezwingt, zu früh verlassen und ist in schwerem Gelände gestürzt.

Wir sind nun in unserer Besprechung mit diesem letzten Unglück bei den objektiven Gefahren der Berge angelangt.

Manchen Meister, der sein Gesellenstück längst hinter sich hatte, haben sie unter Führerlosen wie Führern in diesen drei Jahren zu Fall gebracht.

Jede Meisterschaft fordert Schule und Übung und jede Wahrscheinlichkeitsrechnung sagt uns, dass in unserem Falle mit der Zahl der Bergturen, die zur Erwerbung und Erhaltung der Meisterschaft eben notwendig ist, die Möglichkeit eines Unglückes wächst. Schicksalsgemäss findet so Jahr für Jahr manch guter Mann seinen Bergtod.

Ich rufe die Manen eines Alexander Burgener, eines Emil Rey und gedenke der Männer wie Andreas Fischer, Ludwig Purtscheller, Emil Zsigmondy, A. F. Mummery, H. O. Jones, George Leigh Mallory.

Auf unserer Ehrentafel stehen die Namen der jungen Führerlosen Willy Richardet, von Tscharner, Dr. Topali, die bekannte Bergsteigerin Frau Noll-Hasenklever und die Führer Guler aus Klosters, Peter Ogi aus Kandersteg und der Chamoniarde Alfred Couttet.

Die Unglücksfälle dieser Klasse lassen sich einteilen nach den objektiven Gefahren des Felsen, der Eis- und Schneeregion und nach denjenigen, welche die meteorologischen Verhältnisse entstehen lassen.

Bei den objektiven Gefahren im Fels ist es vor allem der Steinschlag, der verhängnisvoll wirkt. Vier Todesfälle sind ihm in diesen drei Jahren zuzuschreiben. Ich erwähne darunter das Unglück vom Jahre 1923 am Bietschhorn, weil es an einer Stelle geschah, wo man nie an eine Steinschlaggefahr dachte. Beim Aufstieg zum ersten Gendarm des Westgrates, beim sogenannten « Frühstücksplatz », traf eine Steinlawine eine Dreierpartie. Sie riss Herrn Kellerhals und Frau Sandreuter aus Winterthur in die Tiefe. Letztere wurde ungefähr 20 m unter der Unfallstelle durch das Seil aufgehalten und blieb verletzt liegen, während das Seilstück zu Herrn Dr. Kellerhals gerissen war, was seinen weitern Absturz und Tod zur Folge hatte.

Tragisch wirkte dann der Tod des Berner Akademikers Willy Richardet an der Aiguille Blanche de Peuterey. Zu dritt waren sie am 10. August 1925 von Courmajeur zur Überschreitung des Mont Blanc über den Peutereygrat aufgebrochen. Nach der Querung des Brenvagletschers machten sie sich am Abend dieses Tages an die Felsen der durch Steinschlag berüchtigten Ostflanke der Aiguille Blanche. Die Sonne beschien seit längerer Zeit diese Flanke nicht mehr, und ohne einen Stein fallen zu hören, gelangte die Partie auf den obern Biwakplatz. In der Nacht schlug das Wetter plötzlich um, und es begann in der Morgenfrühe zu schneien und zu regnen. Eine Umkehr von dieser langen Fahrt war unbedingt angezeigt. Unter diesen Wetterverhältnissen wurde aber in der Wand der Steinschlag wach, und kurz vor dem Ausstieg auf den Gletscher überschüttete denn auch die drei eine mächtige Steinlawine. Nebel verhinderte die Sicht und damit ein Ausweichen. Schutzlos waren sie so der Gefahr ausgesetzt, und ein unheilvoller Stein streckte denn auch Richardet nieder. Die Leiche konnte des anhaltenden Steinschlages wegen erst am übernächsten Tage geborgen werden.

Eine weitere Gefahr im Fels bietet das Ausbrechen von Steinblöcken, an denen sich der Kletterer hält. Und hier finden die Unglücksfälle meist nicht an Stellen schlechten Gefelses statt, da hier die nötige Vorsicht geübt wird, sondern meist in gutem Gestein, dem man zu sehr vertraut.

Es fiel dieser Gefahr im Jahre 1924 der junge Rudolf von Tscharner zum Opfer. Er wollte mit einem Kameraden vom Studerfirn her den Südostgrat des Finsteraarhorns zwischen Vorgipfel und Gipfel erreichen. Es war dies, wenn auch ein neues, so doch kein waghalsiges Unternehmen. Es ging denn auch alles gut bis ungefähr in die halbe Wandhöhe.Von Tscharner war eben weit vorausgeklettert und hielt sich an einem grossen Blocke fest. Dieser löste sich und lag mit seinem ganzen Gewicht plötzlich auf der Brust des Kletternden. Von Tscharner stürzte um die doppelte Seillänge frei rücklings in die Luft. Das gut gesicherte Seil hielt diesem Ruck nicht stand, so dass Tscharner über die ganze Wand hinunter zu Tode fiel.

Das genau gleiche Schicksal erreichte den Führer Couttet an der Aiguille du Dru an einem Aufstieg, den er schon zu mehreren Malen durchgeführt hatte, und wohl mit einem Blocke, der ihm früher immer als sicher erschienen war.

Der mangelnden Technik des Kletterns muss wohl eines der Unglücke in den Berner Voralpen zugeschrieben werden. Es ist bekannt, dass mancher Griff bei richtigem Anfassen auf Druck hält, dagegen sich löst, wenn daran gezogen wird. So scheint denn bei jenem Unfall in geschichtetem Gestein eine Platte wie eine Schieblade herausgezogen worden zu sein, was den Absturz des Kletterers zur Folge hatte.

Als lehrreiches Beispiel mag hier noch das ergreifende Unglück vom Mai 1925 am Brünnelistock dienen. Mehrere Partien bestiegen an jenem Tage diesen Berg, worunter drei Herren aus Lachen und etwa 15 Mitglieder der Sektion Baden des S.A.C. Die Lachener Herren hatten den Gipfel bereits erreicht, als einer von ihnen, der Präsident der Sektion Zindelspitz, Hans Remund, einem Mitglied des Badener Clubs beim Aufstieg über einen Felsen behilflich sein wollte. Der Steinblock, an dem sich beide festhielten, war diesem doppelten Gewicht nicht gewachsen und stürzte mit ihnen in die Tiefe. Remund erlitt einen Schädelbruch und blieb tot liegen.

Als letzte Opfer der Felskletterei sollen noch die drei Mitglieder der Sektion Diablerets angeführt werden, die bei einer Überschreitung des Grates « Gais Alpins », der das Massiv der Rochers de Naye mit der Dent de Hautandon verbindet, abgestürzt sind. Alle drei waren geübte und vorsichtige Berggänger und hatten diese Kletterei schon mehrere Male ausgeführt. Bei dem einen bildete diese Todesfahrt sogar die 22. Überschreitung dieser Felszähne. Augenzeugen waren bei dem Unglück nicht vorhanden, und man ist auf Vermutungen angewiesen. Es scheint, dass zwei der Kletterer an der schwierigsten Stelle des Grates, an der « Pointe à Milon », offenbar durch Ausbrechen eines Griffes fielen und den dritten, der über ihnen sicherte, mit sich rissen. Man fand sie alle zerschmettert am Fusse der Felsen.

Eine dritte grosse Gefahr für den Kletterer sind die vereisten Felsen, Das Unglück von Sir Hayden mit seinen beiden Führern scheint darauf zurückgeführt werden zu müssen. Es war dies jene Partie, die drei Wochen verschollen blieb, bis man sie am Fusse des untersten steilen Felsabschwunges des Agassizgrates des Finsteraarhorns fand. Nur durch einen Absturz in diesen an sich schwierigen und zu jener Zeit vereisten Felsen konnte man sich den Tod dieser drei guten Bergsteiger erklären. Beim Abmarsch dieser Partie aus dem Tale war nur bekannt, dass eine Reihe von Besteigungen unternommen werden sollte. So kam es denn auch, dass man, als die Vermutung eines Unglückes auftauchte, keine Ahnung hatte, wo nach den Vermissten zu suchen sei. Aus diesem Fehlen jeden Anhaltspunktes wollen wir in diesem Falle eine Lehre ziehen, um so mehr, da auch in die Hüttenbücher von Sir Hayden keine Eintragungen gemacht worden waren. Man sollte es sich zur Regel machen, im Tale den ungefähren Plan jedes Bergunternehmens zurückzulassen und auf jeden Fall im Hüttenbuch das Ziel der Besteigungen vorzumerken. So könnten Such- und Rettungsexpeditionen planvoller und rascher arbeiten.

Zu den objektiven Gefahren von Eis und Firn führen wir folgende Unglücke auf:

Einem sommerlichen Schneerutsch fiel am 17. August 1925 die deutsche Bergsteigerin Frau Noli zum Opfer. Begleitet von den Herren Prof. Pfann und Trier hatte sie, vom Bieshorn herkommend, den Gratast, der vom Weisshorn-Ostgrat, P. 3781, nach Nordosten sich absenkt, überschritten und stand nun auf dem südlichen Arm des Biesgletschers, der östlich von P. 3781 abfliesst. Vom Schalliberggletscher, der sie nach der Weisshornhütte führen sollte, trennte sie nur noch ein steiler Schneehang. Der Kamm dieses Schneehanges liegt in der Richtung P. 3781—P. 3365. Trotz der Steilheit liess nach Mitteilungen von Pfann die Schneebeschaffenheit dieses Hanges eine Schneebrettgefahr nicht vermuten, da er, nach Nordosten gerichtet, bereits über eine Stunde im Schatten lag und kein Neuschnee vorhanden war. Dagegen war der alte Firnschnee schwer und bis auf das Eis erweicht, so dass immerhin nach einem Drittel des Weges wegen Spurarbeit die Reihenfolge gewechselt wurde. Die Partie stieg den Hang in der Fallirne an und bog erst in den letzten 60 m etwas nach links aus. Trier war ungefähr 20 m unterhalb der Kammhöhe angelangt, als plötzlich zirka 10 m über ihm die oberste Schneeschicht ( 20-30 cm dick ) über die ganze Breite ( 300 m ) des Firnfeldes losbrach. Alle wurden umgeworfen und glitten trotz Bremsversuchen mit der wogenden Schneemasse in die Tiefe. Ein Schrund bot dem ganzen Rutsch Halt. Pfann blieb auf der obern Schrundlippe mit gebrochenem Oberschenkel liegen, während Frau Noli und Trier in die Spalte geworfen wurden. Frau Noli wurde von den fallenden Schneemassen so unglücklich zugedeckt, dass sie offenbar sehr schnell erstickt sein muss. Trier blieb heil.

Pfann meint, dass es sich um ein « Windbrett » gehandelt habe. Die Mehrzahl der Sommerlawinen folgt aber eher dem Muster der Frühjahrslawine; das mehr winterliche Schneebrett ist selten. So glauben wir auch hier, dass eher eine nasse Altschneerutschung diesem Seil dreier bewährter Führerlosen zum Verhängnis wurde.

Der Lawinengefahr ist auch im Sommer grösste Aufmerksamkeit zu schenken.

Im August stieg eine aus fünf Personen bestehende Partie von Macugnaga her nach Überschreitung des Weisstores nach Zermatt ab. Die Reihenfolge am Seil im Abstieg war folgende: an der Spitze der Träger, ihm folgte kurz aufgeschlossen eine Dame, dann zwei Herren, während den Schluss der Kolonne ein Führer bildete. Unweit der Cima di Jazzi brach der Träger durch eine Schneebrücke in eine Gletscherspalte ein. Die Dame hatte nicht die Kraft und Möglichkeit, ihn aufzuhalten, sondern musste ihrem Vormann, da sie bloss etwa 4 m von ihm entfernt angeseilt war, buchstäblich in dasselbe Loch nachlaufen. Erst jetzt konnten der Führer und die beiden Herren den Schlag des Seiles aufhalten. Die Dame hing etwa 4 m tief frei am Seil und unter ihr 4-5 m tiefer hing an ihr der Träger, ebenfalls ohne mit Händen oder Füssen einen Halt finden zu können. Es gelang den drei Männern nicht, die Verunglückten aus der Spalte zu bekommen, die Last war viel zu schwer, und zudem schnitt das Seil tief in den Neuschnee ein. Die Dame muss in dieser Lage bald gestorben sein, während der Träger von einer Rettungskolonne noch gerettet werden konnte.

Es ist zu diesem Unglück zu bemerken, dass an die zweite Stelle am Seil ein Mann hingehört hätte und dass die Seildistanz auf diesem mit Neuschnee bedeckten, spaltenreichen Gletscher zwischen Nummer 1 und Nummer 2 viel grösser hätte genommen werden sollen. Nur auf diese Weise wäre für den Träger die nötige Sicherung geboten gewesen.

Auch der folgende Fall zeigt, wie schwierig die Rettung eines Menschen aus einer Gletscherspalte ist und dass sie einem einzelnen Manne kaum je gelingen mag.

Beim Abstieg vom Galenstock stürzte von einer Seilpartie, bestehend aus einem Führer und zwei Damen, die eine der Damen in eine Spalte. Da die Frau dabei eingeklemmt wurde, vermochte der Führer nicht, sie aus eigener Kraft herauszuziehen. Nach vierstündiger Arbeit einer Rettungskolonne wurde die Verunglückte tot geborgen.

Diese drei traurigen Unglücksfälle mögen die Gefahren der Gletscher wieder einmal genügend illustrieren und zu jeder Vorsicht mahnen.

Die objektiven Gefahren der Eis- und Schneeregion steigern sich aber ins Doppelte, wenn ein Wetterumschlag hinzutritt.

Solchen Verhältnissen erlagen die guten führerlosen Gänger Dr. Topali und Zachmann aus Genf. Die beiden hatten vom 22./23. August in derCabanna Margherita genächtigt und am Morgen des 23. die Parotspitze bestiegen. Im späten Vormittag wurden sie vom plötzlich ausbrechenden Schneesturm im Abstieg zur Betempshütte überrascht. Auf dem Grenzgletscher unterhalb P. 3722 müssen sie beim Überschreiten des Bergschrundes in dem ziemlich hohen Neuschnee, der mit der Eisunterlage nicht verbunden war, ins Rutschen gekommen sein. Nebel und Schneetreiben mag ihnen die Sicht und damit die Orientierung über die Steilheit des Hanges, in dem sie sich befanden, genommen haben. Sie glitten in einen Eisbruch hinunter, in dessen oberer Hälfte sie gegen einen vorstehenden Eisturm geschleudert wurden und dabei den Tod fanden. Eine Neuschneelawine, die durch das Rutschen ausgelöst wurde, folgte den Unglücklichen und deckte sie zu.

In dieses Kapitel gehört weiter das Unglück am Glüschaint. An diesem unschwierigen Berg erlagen ein Führer und seine beiden Herren dem Unwetter, dem sie durch eine Umkehr nicht rechtzeitig entwichen waren und dem sie dann physisch und psychisch nicht gewachsen waren.

Auf die genau gleiche Weise gingen vier Italiener am Monte della Disgrazia zugrunde, und an der Aiguille Verte im Abstieg auf dem Rocheusegrat, vielleicht schon beim Übergang zu den « Courtes », blieben die beiden ausgezeichneten Führerlosen Barons de Meyendorf im Unwetter verschollen. Ein kluges Abbrechen der Tur hätte auch diese Menschenleben erhalten.

Als weitere objektive Gefahr, wie sie die meteorologischen Verhältnisse bergen, ist noch der Blitzschlag anzuführen. Wir finden in unserer Statistik auch diese Möglichkeit bestätigt, indem ein Holländer auf der Tschentenalp bei Adelboden sogar nach seiner Flucht in eine Sennhütte erschlagen wurde.

Es muss nun noch auf eine besondere Art von Todesfällen eingegangen werden, die sich namentlich im letzten Berichtsjahre stark häuften und die ihre Ursache wieder im menschlichen Organismus haben. Weniger interessieren uns darunter die Abstürze infolge von Schwindelgefühl, Schwindel ist im allgemeinen gewissen Menschen angeboren und kann nur schwer, mit grosser Energie und Ausdauer, völlig überwunden werden. Jeder wird auf leichtern Bergfahrten erfahren, ob er dem Schwindel unterworfen und ob er deshalb grössern Aufgaben gewachsen ist. Nicht selbst ist dagegen von vornherein zu erkennen, ob das Herz einer Höheneinwirkung standhalten kann. Es muss darum anhand dieser Statistik auf diese Gefahr hingewiesen werden. Sie besteht vor allem für ältere Leute. So ist der Tod von Pfarrer Wüthrich, eines 65jährigen Mannes, in der Bertolhütte sicher darauf zurückzuführen, dass das alternde Herz den durch die Höhenlage bedingten grössern Ansprüchen an Zirkulation und Atmung nicht mehr gewachsen war. Auch die Ursache des plötzlichen Todes eines deutschen Turisten im Abstieg von der Jungfrau mag in dieser Richtung gefunden werden.

Auffallender sind aber die gehäuften Todesfälle, wie sie jeweils der « Bergkrankheit » zugeschrieben werden. So starben im Sommer 1925 kurz hintereinander eine deutsche Dame im Wäggital und zwei Mont Blanc-Besteiger laut den Meldungen an « Bergkrankheit ».

Am 6. August 1925 wurden in der Vallothütte ( 4362 m ) am Dôme du Goûter zwei Gesellschaften getroffen, zwei Bergsteiger aus Genf einerseits, vier Luzerner anderseits. Alle hatten wegen Unwetters schon mehrere Tage in der Hütte zugebracht, und bei jeder Partie befand sich nun ein anscheinend Schwerkranker. Mehrere Partien, die eine Mont Blanc-Besteigung beabsichtigt hatten, befassten sich sofort in aufopfernder Weise mit dem Abtransport der Kranken. Der eine davon konnte, nachdem er am Seil von der Vallothütte zum Domesattel hinabgelassen worden war, von seinen Gefährten gestützt 36 noch marschieren. Der andere wurde, in Decken gehüllt, über die Schnee-und Eisflächen des Grand und Petit Plateau nach Grands Mulets hinabgezogen. Der Zustand des erstem, Gyger von Luzern, verschlechterte sich aber zusehends, und in der Höhe des Petit Plateau verschied er plötzlich. Olivier, der während des Transportes und auch während der Nacht in der Grands Mulets-Hütte dauernd bewusstlos war, langte am übernächsten Tag in Chamonix an und starb dort am Tage nach seiner Ankunft.

Solche Todesfälle müssen zum Aufsehen mahnen.

Die Bergkrankheit ist kein selbständiges Krankheitsbild, sondern bildet einen Symptomenkomplex, der aus den verschiedensten Ursachen entstehen kann, mangelhaftes Training der Atmungsorgane, vernachlässigte langsame Anpassung des Körpers an die grosse Höhenlage spielen dabei sicher eine Hauptrolle. Man berücksichtige das, bevor man sich an die 4000er macht. Aber auch jede Magenverstimmung, wie sie ja in den Bergen durch die unregelmässige und veränderte Nahrungsaufnahme häufig ist, kann zu Bergkrankheit führen ebenso wie eine beginnende Infektionskrankheit. Vor allem muss aber vor Herzkrankheiten gemahnt werden. Ein geschädigter Herzmuskel, ein Herz mit angeborenem oder erworbenem Klappenfehler mag den Ansprüchen des Tieflandes genügen, er wird aber versagen, wenn eine gesteigerte Leistung unter Höheneinwirkung von ihm verlangt wird.

Unter solchen Schädigungen werden wohl die Ursachen der beiden Todesfälle am Mont Blanc zu suchen sein. Und es müssen tiefere organische Schäden angenommen werden, dass auch nach dem Transport ins Tal keine Besserung eintrat. Allerdings hatte auch der schädliche Einfluss der Höhe auf die kranken Körper schon tagelang bestanden.

Nur ein ganz gesunder Organismus darf sich an Höchstleistungen in den Bergen wagen.

Wir sind am Ende unserer Besprechung.

Jede Unfallursache ist in unserer traurigen Totenschau zu finden, über deren Verhütung warnende Stimmen schon längst in Wort und Schrift sich vernehmen liessen. Sie haben hier ihre bittere Auswirkung gefunden.

Die Berge haben uns damit wohl geschreckt, und feindlich sind sie uns entgegengetreten, indem sie uns vielleicht einen lieben Freund von der Seite gerissen. Trotzdem. Kein Bergsteiger wird deshalb seinen Pickel in die Ecke stellen und die Hochzinnen und mit ihnen einzige Hochgefühle im Leben lassen wollen. Das wäre auch nicht im Sinne unserer Berge. Aber einen ernsten Ruf zur Vorsicht haben wir abermals vernommen, den wir nach jeder Seite hin beherzigen wollen.Walter Sieqfried.

Chef des alpinen Rettungswesens im Berner C. C.

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