Die Darstellung der Alpen in den graphischen Künsten
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Die Darstellung der Alpen in den graphischen Künsten

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Von Rudolf Bernoulli

Neben der rein kunstgeschichtlichen Betrachtungsweise macht sich in der letzten Zeit mit Recht in steigendem Masse die vom dargestellten Gegenstand ausgehende Schilderung von Einzelgebieten der Kunst geltend. Dieser Gesichtspunkt zeigt neben dem gegenständlichen Interesse mit grosser Deutlichkeit die Verschiedenheit der künstlerischen Einstellung dem Gegenstand gegenüber; ein Ausschnitt der künstlerischen Entwicklung wird auf gemeinsamer Basis des Gegenstandes sich mit schärferem Profil abheben, als bei vollständig heterogenen Darstellungsobjekten, wo das Gemeinsame durch die schwerer zu fassende persönliche Auffassung des Künstlers repräsentiert wird.

Ausgehend von diesen Überlegungen hatte die eidgenössische Kupferstich-sammlung aus ihren Sammlungsbeständen für die Zeit vom 25. Januar bis zum 15. April 1930 eine Schau graphischer Alpenbilder zusammengestellt. Dabei fiel vor allem ins Auge, dass die Graphik sich ihrem Darstellungs-objekt gegenüber anders verhält als etwa die Malerei:

Sie will mit ihrer Eigenart, von einem Bilde eine möglichst grosse Anzahl von Exemplaren zu schaffen, möglichst vielen Beschauern zugänglich sein, während die Malerei sich mit einem Exemplar des Werkes begnügen muss. Da kommt dann der Standpunkt des Künstlers, der unbekümmert um Publi-kumsmeinungen arbeitet, reiner und deutlicher zum Ausdruck.

Die Malerei hat sich der Alpen darum schon lange angenommen; bevor es Landschaftsmalerei gab, finden wir Alpen auf den Hintergründen von Andachtsbildern und Bildnissen; seit dem 16. Jahrhundert haben einzelne Maler Ausschnitte aus der Alpenwelt als selbständige Bilder geschaffen. Aber das waren nicht Schöpfungen, welche eine breitere Masse zu interessieren vermochten. Gelegentlich, als Merkwürdigkeit, oder wegen der topographischen Vollständigkeit wurden Alpenbilder auch von der Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts meist als Buchillustrationen herausgebracht. Aber erst im Verlaufe des 18. Jahrhunderts wurde der Boden geebnet für ein allgemeines Interesse an den Alpen und damit an ihrer Darstellung.

Es ist bekannt, dass Albrecht Hallers Gedicht « Die Alpen », das er im Jahre 1729 geschrieben, in dieser Entwicklung der Dinge eine grosse, ja führende Rolle gespielt hat. Bei einem der ersten Werke, das sich vom naturwissenschaftlichen Standpunkt mit den Erscheinungsformen der Alpen auseinandersetzte, G. S. Gruners Eisgebirge des Schweizerlandes, Bern 1760, wird bezeichnenderweise als Motto ein Spruch aus Hallers Gedicht vorangestellt:

Der Berge wachsend Eis, der Felsen steile Wände Sind selbst zum Nutzen da und tränken das Gelände.

Die graphischen Schilderungen dieses Werkes, die sich besonders mit den Formen des Urgesteins und der Gletscher beschäftigen, sind erstaunlich naiv und naturfern: in den sonderbarsten Formen, wie Termitenhügel, Ziegeldächer oder Kieshaufen stilisiert, erscheinen die uns inzwischen vertrauten Bilder des Hochgebirges.

Der erste Künstler, der, ein für die damalige Zeit unerhörtes Unterfangen, sich mit einigen Mitarbeitern in die Gletscherwelt hinaufwagte, um dort in unmittelbarem Kontakt mit dem Objekt seine Aquarelle und Zeichnungen zu schaffen, war Caspar Wolff von Muri ( Aargau ), 1735—1798. Die Frucht seiner eifrigen Arbeit ist in drei Werken gleichen Inhalts aber verschiedener graphischer Reproduktionstechnik festgehalten worden.

Die « Vues remarquables tirées des montagnes de la Suisse », mit Text von J. S. Wyttenbach, wurden zunächst in kleinerem Format als Schwarz-weissblätter in Kupfer gestochen: unmittelbar nachher erfolgte eine Ausgabe grösseren Formates mit handkolorierten Umrissstichen; einige Jahre später dann die umfassendere Publikation von R. Hentzi in Amsterdam ( 1785 ), mit den Farbstichen von Descourtis und Janinet.

Zeigte sich so in merkwürdigem Nebeneinander verschiedenster graphischer Auffassungen zunächst ein noch unsicheres Tasten, so sehen wir wenige Jahre später, wie eine graphische Ausdrucksform fast zur Alleinherrschaft gelangt: der mit der Hand aquarellierte Umrisstich. In der Schweiz hat ihm J. L. Aberli zum Siege verholfen. Er selbst hat nur wenige Alpenbilder geschaffen; doch seine Nachfolger Lory, Lafond, Biedermann, Linck haben neben den Ansichten des Mittellandes auch die Alpenwelt mit ihren Hochtälern und Schneegipfeln geschildert.

Es war F. N. König, der vielseitigste und technisch beweglichste Künstler der Generation um 1800, der den entscheidenden Schritt wagte, die Umrisszeichnung durch den Aquatinta-Unterdruck zu ersetzen. In seinem eigenen Werke lässt sich diese Entwicklung sehr schön verfolgen. Diese technische Errungenschaft wurde von der allmählich ins Breite sich verlierenden Produktion schweizerischer Landschaftsbilder, wie sie von der steigenden Flut der Vergnügungsreisenden in der Schweiz verlangt wurde, mit Geschick verwendet. Einer der fruchtbarsten Verleger aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, J. L. Lamy in Basel, hat dabei ganz besonders auch die Schilderung des Hochgebirges berücksichtigt; er ist einer der wenigen, der ausser dem Berner Oberland, das im Mittelpunkt des Interesses stand, auch abseitigere Gegenden der Alpen schilderte. Er hat auch die einige Jahre früher bei Christian von Mechel in Basel erschienene Schilderung von Horace de Saussures erster Mont Blanc-Besteigung 1785 in grosser Auflage nachgedruckt, wobei er über den Aquatinta-Unterdruck eine dichte Gouachemalerei legte, so dass dem unkundigen Auge die Blätter seiner Verlagsanstalt als Originalmalereien erscheinen.

Diese reiche Produktion von Aquatintablättern mit mehr oder weniger gelungener Bemalung wird allmählich abgelöst von der Lithographie, die inzwischen in Frankreich einen entscheidenden Aufschwung genommen hatte. Es sind auch vorwiegend französische Lithographen, welche nunmehr die Schilderung des Hochgebirges übernehmen. Hier wäre an erster Stelle zu nennen Gustave Dorés Schilderung von Whympers denkwürdiger Matterhornbesteigung vom 14. Juli 1865, die er unmittelbar nach dem Ereignis gezeichnet hat, während der tüchtige Lithograph Eugène Ciceri die Ausführung in Steindruck besorgte, so dass am 1. Oktober desselben Jahres die Blätter in aller Händen waren.

Aber schon früher hatte der fruchtbare elsässische Lithograph Gottfried Engelmann in Mülhausen in der Schweiz Eingang gefunden; er hat eine Reihe von Werken über schweizerische Sitten, Trachten und Landschaften mit technisch hervorragenden Lithographien versehen. Schon im Jahre 1823 gab er zusammen mit Hilaire Sazerac die « Lettres sur la Suisse » heraus mit sehr hübschen Lithographien nach J. L. F. Villeneuves Zeichnungen.

Später nahm die Steindruckerei Lemercier in Paris geradezu eine Monopolstellung ein. Alles irgendwie Bedeutsame der 60er und 70er Jahre, was die Lithographie hervorbrachte, ist dort gedruckt worden. Daraus ergab sich auch ein unerhörtes technisches Raffinement, das allen denjenigen zugute kam, die sich dieser bewährten Druckerei bedienten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt auch die schweizerische Landschaftsmalerei einen bedeutenden Aufschwung. Sie reisst die Führung auch auf dem Gebiete der Alpenschilderung an sich. Es ist nicht mehr der Zeichner, der getreue graphische Schilderer, der das Wort erhält, sondern das grosse Gemälde wird nun in kleinerem Format reproduziert; der graphische Charakter verschwindet mehr und mehr neben der völlig malerischen Auffassung. Steffan, Calarne und Diday sind die Vertreter der neuen Richtung des malerischen Alpenbildes. Nicht mehr ein bestimmter lokaler Charakter bedingt die Haltung des Bildes, sondern die Gesamtstimmung: das Brausen des Windes, das Einfallen des Nebels, die Frische der Höhenluft, das Rauschen der Bergbäche vereinigen sich zu einem eigentümlichen Gesamteindruck, der dieser neuen Alpenschilderung in überraschender Weise eigen ist. Diday hat eine ganze Folge von « Tableaux de la Suisse » herausgegeben, welche der Genfer Lithograph Terry nach seinen Gemälden umgezeichnet hat. Lemercier hat dann den Druck übernommen.

Die Erfindung der Photographie und der von ihr ausgehenden Repro-duktionsmöglichkeiten liess diese Entwicklung noch weiter gehen. Die graphische Darstellung geriet in völlige Abhängigkeit von der Malerei. Es brauchte eine starke Willensanstrengung von Seiten der Vertreter der graphischen Künste, sich von dieser Vorherrschaft loszumachen. Aber im Verlauf des ersten Jahrzehntes des 20. Jahrhunderts gelang diese Befreiung gewissennassen im Gegensatz zu der fortschreitenden Vervollkommnung der photomechanischen Reproduktion, welche den graphischen Künsten auf dem Gebiete der Gemäldereproduktion jede Betätigung unmöglich machte. Schweizerische Künstler aller Temperamente haben in der verschiedensten Weise sich mit der Hochgebirgswelt auseinandergesetzt. Die Tendenz der Vereinfachung, zusammen mit der Berücksichtigung der Eigenart des jeweiligen graphischen Prozesses, hat eine erfreuliche Vielgestaltigkeit und einen überraschenden Reichtum hervorgebracht. Bekannt ist die Rolle, die Ferd. Hodler in der Alpendarstellung der neueren Zeit gespielt hat; seinem Einfluss konnte sich kaum einer der Zeitgenossen ganz entziehen. Etwas von seinem Geiste schwebt auch über der neuen Publikation: « Schönheiten der Alpenstrassen », welche von einem Stabe der tüchtigsten zeitgenössischen schweizerischen graphischen Künstler geschaffen und von der schweizerischen Oberpostdirektion herausgegeben worden ist.

Doch die Entwicklung drängt stets weiter; die Schilderung der Landschaft um ihrer selbst willen macht neuerdings einer verstärkten Stimmungs-schilderung Platz, welche die Umwelt mit dem betrachtenden Menschen in Verbindung bringt. Natur und Mensch, innen und aussen verwachsen zu einer neuen Einheit; diese letzte Phase der Entwicklung wird in bezug auf die Alpenschilderung von zwei der bedeutendsten schweizerischen Künstler, von F. Pauli und J. Epper, mit Nachdruck vertreten.

Der Hinweis auf die vielfachen Möglichkeiten in der Auffassung eines an sich gleich bleibenden Objektes wurde angesichts dieser Ausstellung besonders eindringlich zum Bewusstsein gebracht. Gerade dass bestimmte Naturaus-schnitte von einem stets wiederkehrenden Standpunkt aus zu den verschiedensten Zeiten von den verschiedensten künstlerischen Temperamenten geschildert werden, lässt uns dankbar erkennen, wie sehr das Werk des bildenden Künstlers eine Bereicherung und Belebung des Natureindruckes ermöglicht.

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