Die Erstbesteigung des Mont Blanc 1786
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Die Erstbesteigung des Mont Blanc 1786

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Josef Auf der Maur, Wädenswil

Ein neu entdeckter Brief des Erstbesteigers Dr. G. Paccard Die

forscher haben Licht in die trüben Machenschaften gebracht. Beim bösen Geist, der diese Fehlinformation in die Welt gesetzt hat, handelt es sich um Marc-Théodore Bourrit, Maler, Kirchenkantor in Genf und Alpinismus-Schriftsteller1.

Dieser Bourrit hatte selbst verschiedene Versuche zur Mont Blanc-Besteigung unternommen, die aber allesamt fehlschlugen. Missgunst verleitete ihn nun dazu, die Verdienste seines ehemaligen Pariser Studiengenossen Paccard zu schmälern und später überhaupt in Frage zu stellen. Dr. Paccards Begleiter, Jacques Balmat, der wenige Tage nach dem erfolgreichen Mont Blanc-Unter-nehmen ein notariell beglaubigtes Zeugnis unterschrieb, worin er Paccards Hauptverdienst am Gelingen der Erstbesteigung anerkannte, liess sich von Bourrit schon in den folgenden Wochen zu einer Lügenversion verleiten: Er selber habe im Juni 1786, also nur zwei Monate vor der erfolgreichen Erstbesteigung, auf dem Grand Plateau übernachten müssen und dabei die Route entdeckt, die er dann mit Paccard für die Besteigung benützt habe. Paccard habe ein Stück unter dem Gipfel grosse Mühe bekundet, so habe er selber zuerst den Gipfel allein bestiegen und hernach auch Paccard unter beträchtlicher Anstrengung hinaufge-holt.

Es würde zu weit führen, den ganzen Ablauf der Auseinandersetzung zu schildern. Doch die Frage bleibt bestehen: Warum hat sich Dr. Paccard nicht mit allen Mitteln gewehrt? Wohl hat er in einem Artikel in der Lausanner Zeitung eine Richtigstellung erscheinen lassen. Aber warum ist die Broschüre nie erschienen, die er in einer Druckschrift angekündigt hatte? Bourrit war publizistisch erfahrener, galt in weiten Kreisen als grosser Alpenkenner und Spezialist für Fragen des Mont Blanc. H. B. de Saussure gelang es zwar, Bourrit zur Zurück-nahme der unverschämtesten Behauptung zu veranlassen, doch sein Spiel mit der Balmat-Version vom schwachen Dorfarzt Paccard trieb er weiter. Die Legende nahm ihren Lauf. Der erfolgreiche Schriftsteller Alexandre Dumas gab ihr den nötigen Schwung für das ganze 19. Jahrhundert. Balmat hatte ihn nach Dr. Paccards Tod entsprechend informiert.

Das Eis brach 1913 wie erwähnt der Berner Gymnasiallehrer, Alpinist und Redaktor des SAC-Jahrbuches Dr. Heinrich Dübi. Trotzdem'Ihm kommen im übrigen durch die Publikation seiner Alpenreisen unbestrittene Verdienste zu. Er ist auch als Illustrator der Werke Saussures bekannt geworden.

er eine Fülle von Belegen zugunsten Paccards vorlegte, lieferten die Anhänger der alten These noch einige Rückzugsgefechte. Dabei diente Dr. Dübi als wichtigstes Argument die Tatsache, dass der deutsche Gelehrte v. Gersdorf, als Zeuge der Erstbesteigung - mit dem Teleskop vom Brévent aus - sich Skizzen angefertigt und genaue Notizen über den ganzen Verlauf aufgezeichnet hatte. Diese Notizen, die erst Dübi aufgefunden hatte, bestätigten den gemeinsamen Aufstieg Paccards und Balmats auf den Mont Blanc-Gipfel und widerlegten somit Balmats Behauptung vom Schwächeanfall des Dorfarztes und seinem Zurückbleiben.

Nun folgte 1924 eine weitere Bestätigung zugunsten Paccards: D. W. Freshfield und H. F. Montagnier gaben eine Biographie des Genfer Gelehrten H. B. de Saussure heraus, worin sie erstmals einen Text aus dessen Tagebuch publizierten. Der Text hält ein Gespräch fest, das Saussure mit Dr. Paccard 14 Tage nach der Erstbesteigung des Mont Blanc bei diesem zu Hause geführt hat. Freshfield schreibt darüber:2 ( Dieses Abendessen ist ein Ereignis von historischer Bedeutung in den Annalen des Mont Blanc, denn wenn uns auch Le voyage des Doktor Paccard nicht gedruckt vorliegt, so haben wir doch den mündlichen detaillierten Bericht, von ihm selbst fünfzehn Tage nach dem Aufstieg erzählt... [Diese Bemerkungen]... kommen jetzt ans Licht, um endgültig die in allen Teilen von Bourrit erfundene, von Alexandre Dumas berichtete und ausgeschmückte Legende zu widerlegen, dass Paccard ein unfähiger Kletterer war, der von seinem rechtschaffenen Gefährten auf den Gipfel gezogen wurde. ) Die neue Sicht fand dann weitere Unterstützung durch die Alpinismus-Schriftstellerin Claire-Eliane Engel in ihrem etwa 1940 erschienenen Buch

ine- é etajJ*f'C e e ( Carte en perspective du Montblanc depuis planpras domaine du Brevem Darstellung des Mont Blanc von Planpras ( Breven-Gebiet ) aus.

AGletscher des Col de l' éguille tronquée.

a. a. a Spuren im Schnee, festgestellt mit dem Fernrohr am Tag nach meiner Erstbesteigung des Mont Blanc 1786.

BD Mächtigkeit der Eisschichten unter dem Grand Plan [Grand Plateau].

E F Mächtigkeit der Eisschichten am Fuss des Dome [Dôme], dort, wo sie den Westteil des Glacier de Taconaz nähren.

GGletscherbrüche ( Séracs ) des Dome [Dôme] und die darunterliegenden [eis-] umschlossenen Felsen.

HFelsen auf dem Niveau der Aiguille du Midi.

KGefährliche Gletscherspalte am Fuss des Dome [Dôme].

MSpalte von mehr als einem Klafter Breite, überdeckt von einer Schneebrücke, die die Stöcke durchstossen. ( Bemerkung Ebels ):

NSpalten, worin jene gestürzt sind, die ums Leben kamen.

0Spalten, wo Julien Devouassous unter die Lawine geraten, [doch] wie durch ein Wunder davongekommen ist.

PÖstlicher Arm des Taconaz-Gletschers.

SWestlicher Arm.

QEcke [Ort] mit verschmutzten Eismassen - eingeschlossen von den beiden Armen des Taconaz-Gletschers - die ihre Farbe vom Felsen R erhält ( R = vom Taconaz-Glet-scher abgeschliffener Rundbuckel ).

0Sonnenaufgang nachmittags, für uns beim winterlichen Tiefststand. Sie [die Sonne] verschwindet danach hinter dem Mont Blanc, dem Dome [Dôme] und der [Aiguille du] Goûté.

TDaumen der Aiguille Stratifiée, wo die Sonne grün hervorkommt.

VDaumen des Dome du Tacul.

XXX Die drei Routen, die ich vor meiner Erstbesteigung auf diesem Plan eingezeichnet habe. Dies unter dem Vorbehalt, mich an Ort und Stelle zu entscheiden. Wo [Als] ich gesehen habe, dass die zwei gelben [Rou-ten] ziemlich ungangbar waren, besonders jene zur Rechten, der Balmat folgte, als ich ihm sagte, dieser Versuchung dürfen wir nicht erliegen. Ich habe als erster gespurt, mit den Beinen halb eingesunken im Schnee [... zur Hälfte im Schnee einsinkend], der roten Linie folgend bis zum Ort, der durch die Lawinemarkiert ist, wo ich sagte: ( Wir sind da .) b.. b.. b Weg, den ich auf demselben Plateau des Bossons-Gletschers verfolgt habe [und] der oft weniger gefährlich ist als jener [Weg] von M. M.

c.c.c Fusspunkte der darüber aufragenden Aiguilles. Es sind schwarze Amphibolitfelsen.

Ebels handschriftliche Bemerkungen:

1in der Legende]:

( Rocher rouge liegt 800 Fuss unter der Spitze des Montblanc, an dessen Ostseite [sich] ein ungeheurer Abgrund [befindet] ).

Ausschnitt aus dem Brief von Dr. Paccard an Dr. J.G. Ebel vom 12. Februar 1823 ( vgl. dazu die Passage auf S.34ab Anm.5 .) vin Beer ( 1959 ), ein prächtiges und reich ausgestattetes Buch, das mit vollständiger Dokumentation die Kontroverse abschloss und Dr. Paccard rehabilitierte.

Der neu entdeckte Brief Paccards Vor dem Hintergrund dieser Kontroverse Paccard-Balmat war es für mich aufregend, als ich im Staatsarchiv Zürich einen Originalbrief Dr. Paccards vom 12. Februar 1823 fand, den er dem Arzt, Naturforscher und Reisebuchverfasser Dr. J. G. Ebel in Zürich geschickt hatte. Darin schildert er nämlich den wirklichen Verlauf der Mont Blanc-Erstbestei-gung. Dem Brief liegt sogar ein eigenhändiger Plan bei, auf dem Paccard mit farbigen Linien drei mögliche Aufstiegsvarianten eingetragen und die Route bezeichnet hat, für die er sich an Ort und Stelle, auf dem Grand Plateau, entschied.

Um den Wert dieses Briefes zu ermessen, muss man bedenken, dass unter den zahlreichen Dokumenten Dübis und de Beers nur wenige Texte von Paccards eigener Hand stammen. Zumeist sind es Aufzeichnungen von Augenzeugen und Briefe aus Paccards Bekanntenkreis. Was Paccard an Material gesammelt hatte, aber aus unbekannten Gründen zu publizieren unterliess, ging später verloren. Der grösste Teil seines Nachlasses soll von Mäusen gefressen oder später achtlos weggeworfen worden sein. Der Brief an Ebel besitzt deshalb um so grösseren dokumentarischen Wert.

Johann Gottlieb Ebel, der aus Schlesien stammende Arzt und Naturforscher, war durch seine ( Anleitung, die Schweiz zu bereisen ) und andere Werke bekannt geworden. Auch in französischer Sprache waren viele Auflagen des Werkes erschienen, das nicht nur die Schweiz, sondern auch die Region Chamonix-Mont Blanc umfasste. In den letzten Jahrzehnten seines Lebens ( er starb 1830 in Zürich ) erhielt er für Neuauflagen des Buches Berichtigungen oder Zusätze. Zwischendurch unternahm er ebenfalls neue Reisen durch die Schweiz und ihre Nachbarschaft. Unter anderem erschien er auch in Chamonix, traf allerdings Dr. Paccard nicht an, wohl aber dessen Sohn Ambroise, der ihm später Mitteilungen über die Gletscher des Mont Blanc-Ge-bietes zukommen liess. Mit dem Brief vom 12. Februar 1823 wollte Dr. Paccard also dem bekannten und geschätzten Reisebuchverfasser Ebel den wahren Sachverhalt bezüglich der Mont Blanc-Erstbesteigung eröffnen, um in ihm einen Advokaten für seine Rehabilitierung zu gewinnen. In seinem wichtigsten, mittleren Teil hat der Brief folgenden Wort-laut:3 ( Erlauben Sie, mein Herr, dass ich mich heute darauf beschränke, die Tatsachen über meine erste Besteigung des Mont Blanc, die zu entstellen man sich bemüht hat - ebenso wie jene, die diesem Unternehmen vorausgehen mussten - wieder an ihren rechten Platz zu rücken. Um mich verständlicher zu machen, übersende ich Ihnen eine Karte4 des nördlichen Teils des Mont Blanc, dessen Zu-gänglichkeitvon dem an den Breven angrenzenden Berg von Planpras aus ich vor meinem Unternehmen entdeckt habe.

Ich habe auf diesem Plan eine Folge von Punkten eingezeichnet, um die Passagen zu vermerken, die eine einfachere Aufstiegsmöglichkeit zu bieten schienen, und ich habe besonders die mittlere hervorgehoben, die bis oberhalb des Grand Plateau mit roter Farbe eingezeichnet ist. Jene auf jeder Seite, die mit Gelb markiert sind, sollten dazu dienen, meine ganze Aufmerksamkeit wach zu erhalten, 3 Aus dem französischen Originaltext übersetzt von Roswitha Beyer, Bern. Die Übertragung ins Deutsche musste hier in etwas freierer Form erfolgen, da eine wörtliche Übersetzung des Textes streckenweise zu einer fast unverständlich schwerfälligen Sprache geführt hätte. Hingegen ist die Schreibweise der Ortsnamen dem Originaltext entnommen worden. ( Die Red. ) 4 Vgl. Abbildung auf Seite 30/31.

wenn ich mich an Ort und Stelle befände, und so meine Wahl bestimmen, um keine Möglichkeit des Erfolgs zu versäumen. Ich hatte durch die verschiedenen Versuche, die ich 1783 und 1784 von allen Seiten her unternommen hatte, Gefallen an dieser Art von Expeditionen gefunden, bei denen niemand mehr auf ein Gelingen hoffte. Niemals hatte man vermutet, dass der Mont Blanc über das Schnee- und Eisfeld, das auf dem Rocher Rouge ruht, zugänglich ist. Weder mein Reisegefährte noch jene, die mit ihm einen [Besteigungs-] Versuch unternommen hatten, hatten die Passage sehen können, weder am Abend noch am folgenden Tag. Denn das Wetter war neblig, als sie am Abend abstiegen, und sie haben auch gar nicht davon gesprochen. Letzterer [Bal-mat], der die Nacht am Rand der mit K bezeichneten Spalte verbracht hatte, hat sie auch nicht am nächsten Tag sehen können, weil sie von diesem Ort aus nicht einblickbar ist, selbst nicht von jenen, die höher liegen und die sich unter dem Grand Plateau befinden. Er besass so wenig Kenntnis von dieser Passage, dass er davon keine Ahnung hatte. Als ich ihm meine Karte von diesem Gebiet zeigte, zweifelte er daran, dass man dort aufsteigen könne, und er schlug mir sogar vor, vom Grand Plateau aus zum Dome [Dôme] zu gehen, noch als ich ihm gesagt habe, ,dieser Versuchung dürfen wir nicht erliegen '.

Die Erklärung, die er in Gegenwart von Zeugen am 10. August 1786 abgegeben hat, die ich in Händen habe und die im Journal de Lau-sanneam 12. Mai 1787, Nr. 1/74, abgedruckt wurde, in der er freimütig die Wahrheit bekennt, ehe die Genfer Sekte sich angestrengt hat, sie in eine Lüge zu verdrehen, ist ein rechtlich hieb- und stichfester Beweis:5 Er erklärt dort, dass er sich mir im Wissen um die Ortsabwesenheit meines Führers, vorstellte, um seine Dienste anzubieten - dass er die anlässlich des Versuches vom Dome du Goûté [Dôme du Goûter] aus benützte Route auf den Mont Blanc vorigen 8. Juni als unbegehbar erkannt hatte - dass ich mir mit dem Fernglas Kenntnis von den örtlichen Gegebenheiten verschafft hatte - dass wir ohne den von mir eingehaltenen gleichmässigen Schritt nicht ans Ziel gekommen wären - dass, obgleich er am selben Tag vom Dome [Dôme] abzusteigen wünschte, wie er es versprochen hatte, ich seine Darstellungen als Ausflüchte angesehen habe - dass ich nicht der Route folgen wollte, die sie bei ihrem letzten Versuch eingeschlagen hatten, sondern dass ich mich direkt der Route des Grand Plateau zugewendet habe - dass ich selbst ihm meine neue Route gespurt habe, indem ich ihm in einem steilen Hang am Fuss des Grossen Mont Blanc vorausging - dass ich fortfuhr, behende zu steigen, dass, als wir der höchsten Spitze nahe waren, er sich nach links wandte, um einen Steilhang zu umgehen, den ich mutig überwand, um direkt auf den höchsten Gipfel des Mont Blanc zu gelangen - dass der Umweg ihn etwas zurückwarf und dass er gezwungen war zu laufen, um fast gleichzeitig mit mir auf dem Gipfel anzukommen.

5 Vgl. dazu das Photo des Originaltextes auf Seite 33.

Wie ich glaube, genügt das, mein Herr, um all das zu widerlegen, was man diesem Subjekt zur Ehre hat anrechnen wollen; wobei man mich zugleich als Kriminellen hinstellen wollte, weil ich gewagt habe, als erster eine Besteigung des Mont Blanc zu unternehmen, ohne die Beteiligung jener, die sich diese Ehre vorbehielten. Ich hätte rechtliche Genugtuung erhalten können, denn ich verfügte über die Möglichkeiten dazu. Aber man hat mir gesagt, dass es von mehr Seelengrösse zeugt, wenn man vorzieht, Beleidigungen zu ertragen, als ihnen entgegenzutreten, indem man sie bestrafen lässt; dass die wahre Ehre und das Verdienst darin bestehen, Unrecht zu ertragen, und nicht, es zu rächen.

Ich habe auf der Karte, die ich Ihnen übersende, die Strecke ( a a a. .) rot eingezeichnet. Es ist dieselbe wie jene, die man mit dem Fernglas von Planpras aus am Tag nach meinem Aufstieg in den Schnee eingeprägt sah. Ich habe darauf die Namen zugefügt, die man damals den Felsen, Gletschern usw. gab. Und ich habe die Orte angegeben, an denen man vorbeigekommen ist, um zum Gipfel des Mont Blanc zu gelangen. Besteigungsversuche sind aber nicht immer von Erfolg gekrönt. Regen, Schnee, Gewitter, Lawinen, Spalten sind die hauptsächlichsten Hindernisse, wie auch der Mangel an Luft, der nicht jedem Temperament angenehm ist. Es wäre zu wünschen, dass man von der Rundsicht, die man von diesem Gipfel hat, einen Panoramaplan anfertigt. Ich habe eine drehbare Camera obscura bauen lassen; aber schöne Tage wären nötig, wie jene, die ich für Mr. Clissold gewählt habe. ) Verlauf der Erstbesteigung des Mont Blanc Es ist sicher erwünscht, wenn wir auf Grund des neu gefundenen Briefes den Verlauf der Erstbesteigung in kurzen Zügen wiedergeben. Die Vorgeschichte des Unternehmens beginnt 1760, als der Genfer Naturforscher Horace-Bé-nédicte de Saussure das Tal von Chamonix durchwanderte und sich an der Aussicht vom nördlich vorgelagerten Brévent ( 2700 m ) aus so begeisterte, dass er in der Folge eine Belohnung ausschrieb für den, der als erster den Mont Blanc-Gipfel ersteigen oder einen gangbaren Weg dahin finden würde.

Im Jahre 1775 erfolgte der erste ernsthafte Besteigungsversuch durch vier Männer aus Chamonix, die bis zur Jonction am Bossonsgletscher und zu den Felsen der Grands Mu- lets gelangten. Bourrits Beschreibung der Gletscherwelt ob Chamonix ( 1775 ), Saussures erster Band seiner ( 1779 ) und Goethes Besuch in Chamonix ( 1779 ) machten das Tal und seinen Berg wohl attraktiver und berühmter. Besteigungsversuche gab es jedoch erst 1783, als drei Bergführer bis zu den Grands Mulets und M.T. Bourrit bis zur Jonction gelangten. Anno 1784 suchte Paccard neue Routen im Gebiet des Tacul-oder Géantgletschers, und am 9./10. September dieses Jahres gelangte er mit einem Begleiter bis knapp unter den Gipfel der Aiguille du Goûter, womit er eine Höhe von 3700 m ü. M. erreichte. Der regenreiche Sommer 1785 brachte den alpinistischen Unternehmungen keinen Erfolg. Saussure musste seine Expedition, an der auch sein Vater und Sohn Bourrit beteiligt waren, wegen Neuschnee abbrechen. Paccard selbst verzichtete in diesem Sommer auf einen weiteren Versuch.

Im Juni 1786, nur zwei Monate vor Paccards Erfolg, stiegen zwei Führer-Equipen von verschiedenen Seiten her zum Dôme du Goûter auf, um die Marschzeit zu erkunden und zu vergleichen. Schon weit oben stiess auch Jacques Balmat, der nachmalige Begleiter Paccards, zu ihnen und gelangte mit den fünf Führern zum Dôme und zu den Vallotfelsen. Als ein Unwetter die Führer zur Umkehr bewog, trennte sich Balmat von ihnen und streifte noch etwas herum. Schliesslich war er genötigt, im Gletscherbereich der Dome-Ab-hänge oder unten auf dem Bossonsgletscher zu übernachten. Dass er dieses Abenteuer schadlos überstand, mag spätere Alpinisten und auch Paccard ermutigt haben. Doch Balmat hat später aus dieser Episode die Behauptung konstruiert, er habe anlässlich dieses Abenteuers im Alleingang den

Diese Behauptung wurde zum wichtigsten Beweisstück der Balmat-Anhänger für die These, dass er die Route entdeckt habe. Deren Glaubwürdigkeit aber stand und fiel mit der Wahrheitstreue oder dem lügnerischen Verhalten Balmats. Im vorstehend abgedruckten Brief vom 12. Febraur 1823 weist nun Dr. Paccard nach, dass Balmat die Route zwischen den Rochers Rouges gar nicht gesehen haben konnte.

Dr. Paccard hatte sich auf die Erstbesteigung gut vorbereitet. Der 1757 geborene junge Arzt stand im kräftigsten Alter und war alpinistisch bestens trainiert. In Gletscher-Er-fahrung stand er kaum jemandem nach. Wenn seine Ausrüstung bei der Erstbesteigung so bescheiden war - es fehlten Leiter, Seil, Beil und Sonnenschutz -, so ist zu berücksichtigen, dass Paccard seit langem naturwissenschaftliche Studien betrieb und mehrere Messgeräte, inbegriffen ein etwas primitives Quecksilberbarometer, mitschleppte. Wie aus dem Brief hervorgeht, hatte Paccard vom nördlich vorgelagerten Brévent und von Planpraz aus seit drei Jahren mit dem Teleskop die Morphologie des oberen Gebirgsteils und besonders die Gletscherverhältnisse im Bereich des Grand Plateau studiert. Danach hatte er einen Plan gezeichnet, auf dem drei mögliche Varianten des Aufstiegs eingezeichnet waren. Die Entscheidung für die Variante Ancien Passage, die heute als gefährlich gilt und nicht mehr begangen wird, traf er laut seinem Brief an Ebel erst auf dem Grand Plateau.

Im Sommer 1786 stellte Paccard fest, dass die Eisverhältnisse im Bereich des Grand Plateau günstig waren. Da er bescheidenen Aufwand gewohnt war und auf Expeditionskara-wanen verzichtete, konnte er rasch handeln. Sein üblicher Berggefährte, H. Pornet, war abwesend. So nahm er als Träger den Bauern, Strahler und Gemsjäger Jacques Balmat mit. Einen Führer benötigte er nicht. Balmat sagte gerne zu. Dies wohl in der stillen Hoffnung, dass Paccard zu seinen Gunsten auf den Mont Blanc-Preis verzichten werde. Darin wurde er nachher auch nicht enttäuscht, da Paccard diese materielle Belohnung weder anstrebte noch benötigte. Die Ausrüstung bestand aus genagelten Schuhen, Eissporen, Gamaschen und 2V2 Meter langen Alpenstöcken, wie wir sie von zeitgenössischen Bildern kennen. Auf letzterem Requisit konnten sie nötigenfalls über breite Eisspalten rutschen. Im Rucksack verstauten sie verschiedene Messgeräte sowie Brot und Fleisch. Zum Übernachten auf dem Eis nahmen sie eine Decke mit.

Am Nachmittag des 7. August verliessen sie miteinander Chamonix und übernachteten auf der Montagne de la Côte in einer Schäferhütte auf etwa 2300 m Höhe. Der Abmarsch geschah nicht heimlich, wie es später legenden- haft behauptet wurde. Schon die Ausrüstung konnte den neugierigen Talbewohnern nicht verborgen bleiben. Dann waren einige Vertraute in den Plan eingeweiht, und als man am folgenden Tag die beiden Gipfelstürmer in den Eisregionen beobachten konnte, war das ganze Dorf auf den Beinen. Der schon erwähnte deutsche Gelehrte v. Gersdorf stand bis am Abend des B. August an seinem Teleskop und notierte eifrig Zeit und Bewegungsrichtung der zwei kleinen wandernden Pünktchen.

Balmat zweifelte vorerst am Gelingen der Expedition, weil Paccard über die Montagne de la Côte anstieg. Dieser versicherte ihm aber, dass er diese Gegend schon seit drei Jahren beobachtet habe. Beim Aufstieg zum Petit Plateau geriet das ganze Unternehmen in Gefahr. Balmat wollte mit Hinweis auf seine Familie umkehren. Dass sein erst einige Wochen altes Töchterchen schwer erkrankt war, hatte Balmat dem Doktor verheimlicht. Es wird deshalb vermutet, dass er aus finanziellen Gründen an der Erstbesteigung interessiert war. Im Moment der Krise sah Paccard in Balmats Äusserungen jedoch nur Ausflüchte und ermunterte ihn zum Ausharren. Paccard übernahm nun den Vortritt über das steilste und schwierigste Stück, nämlich über das Schnee- und Eisband des Ancien Passage östlich über dem Grand Plateau. Er entlastete den Träger Balmat und übernahm einen Teil von dessen Gepäck. Bei den Petits Rochers Rouges verlor Paccard im Sturmwind seinen Hut, dies, obwohl er ihn festgebunden hatte. Das bewog ihn dann, nicht wie vorgesehen hier zu biwakieren, sondern weiterzugehen, um noch gleichentags zur Gipfelbesteigung zu schreiten. Allerdings war die Zeit dazu schon recht fortgeschritten. Um nun möglichst rasch voranzukommen, stieg Paccard das letzte Teilstück direkt über den steilen Hang hinauf. Balmat hingegen schwenkte nach links aus und A LA MEMOIRE DU M. ICHEL GABRIEL PACCARD CHAMONIX 1757-1827 QUI FIT EN COMPAGNIE DE JACQUES BALMAT LE 8 AOUT 1786 LA CONQUETE DU MONT BLANC HOMMAGE RECONNAISSANT DES CLUBS ALPINS 1932 machte einen grossen Bogen, was einen längeren, doch weniger mühsamen Aufstieg versprach. Paccard marschierte rüstig voran. Beide mussten in der dünnen Luft gelegentlich Atempausen einschalten. Infolge des Umweges sah sich Balmat am Ende genötigt, beinahe in Laufschritt zu fallen, damit er noch fast gleichzeitig mit dem Doktor ( ) den Gipfel erreichte. Es war bereits 18.23 Uhr. Die Höhendifferenz von 2500 m ab Biwak hatten sie in 14V2 Stunden beinahe in einem Zug bewältigt.

Da sich die Sonne dem Untergang zuneigte und Wind und Kälte ein Biwak auf dem Gipfel verunmöglichten, blieben die Erstbesteiger nur eine halbe Stunde. Das genügte knapp, um die wichtigsten Messungen durchzuführen. Die Sicht war gut. Vom Tal aus sah man die beiden Pioniere schon bald wieder in erstaunlicher Geschwindigkeit abwärtssteigen. Vor Einbruch der Nacht erreichten sie das Grand Plateau. Bei Mondschein folgten sie ihrer Spur und erreichten ihr vorheriges Nachtlager, wo sie zwei Stunden rasteten. Im Verlauf des weiteren Abstieges behinderte eine heftige Augenentzündung Paccard so stark, dass er kaum alleine hätte weitergehen können. So liess er sich durch seinen Gefährten leiten, der allerdings ebenfalls unter den Son-neneinwirkungen litt. Um 8 Uhr morgens kamen sie zu Hause an, wo sie sich während der nächsten Tage pflegen und erholen mussten.

Ein Gedenkstein für Dr. Paccard D.W. Freshfield schrieb 1924 in seiner Saus-sure-Biographie ( S. 194 ):

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