Die japanischen Alpen
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Die japanischen Alpen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Jean Sesiano, Genf

A. Die Kitta-Alpen ( Nordalpen ) I. August 1969. Wir verlassen Tokio um acht Uhr abends; es hat den ganzen Tag in Strömen geregnet, aber das hat unsere Begeisterung in keiner Weise gedämpft.

Mein Begleiter, Noboru Endo, Gymnastikleh-rer in einer Zivilschutzeinheit, Trainer im japanischen Alpenklub und im « Japan Continuous Club, hat es freundlicherweise übernommen, ein Tourenprogramm aufzustellen, das mir erlaubt, einen Teil der Nordalpen zu durchstreifen, die sich 250 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt erheben und deren höchster Punkt der 3190 Meter hohe Aku-Otaka ist. Er kann einige Worte Englisch, und mit meinen paar Brocken Japanisch werden wir uns schon verstehen; und dann ist ja die Alpinistensprache international, oder nicht?

Wir brauchen mehr als eine Stunde, um aus Tokio herauszukommen, so dicht ist der Verkehr und so eng sind die Fahrwege, sobald man sich von den Express-Strassen entfernt.

1Col San Martino, nördliche Pointe Bassac, Grande Traversière, südliche Pointe Bassac, vom de Giasson aus gesehen 2Auf dem Gipfel des Truc Blanc. Im Vordergrund: Col San Martino und nördliche Pointe Bas Im Hintergrund rechts: die Grande Sassiire Photos Jean-Louis Blanc, Peseux Zuerst benützen wir die Autobahn, die nach Fuji-Yoshida am Fusse des Mont Fuji führt, bevor wir die kurvenreichere, von Lastwagen verstopfte Bergstrasse nach Kofu einschlagen.

Wieder hat es zu regnen angefangen, aber unser Optimismus bleibt immer gleich strahlend; denn man sieht ja hie und da den Mond leicht durch die Wolken scheinen.

Nach einer kleinen Erfrischung in einem Rasthaus geht die Fahrt weiter, allerdings erst nach einem Führerwechsel, da Noboru am Steuer in einen gefährlichen Halbschlaf gefallen ist.

Wir fahren durch das von seiner Zitadelle gekrönte Matsumoto, dann verlassen wir das weite Tal, um gegen Kamikochi, das japanische Chamonix, hinaufzusteigen.

Die vorher ausgezeichnete Strasse ist jetzt in kläglichem Zustand wegen der Regenfälle der zwei letzten Tage: Schlammbäche, umgestürzte Bäume, Flutwellen verheeren die gepeitschte Erde, machen aber die Fahrt in gewissem Sinne noch spannender.

Endlich, gegen halb vier Uhr, gelangen wir ans Ziel, ein Berghaus mitten im Wald, am Eingang von Kamikochi.

Da es eine unmögliche Zeit zum Anklopfen ist, schlafen wir im Wagen bis zur Morgendämmerung.

Tagwacht bei strömendem Regen, der nie aufgehört hat! Einige Schritte in der Umgebung erlauben uns, wenigstens den Fuss der uns interessierenden Berge, der da und dort von einigen Schneestreifen durchzogenen Hänge, zu sehen. Wir sind auf 1500 Meter, und für die an die Hundstage-Temperatur der Ebene gewöhnten Japaner ist es kalt: 14 Grad. Man muss heute sogar einen bei +6 Grad auf etwa 3000 Meter Höhe erfrorenen und einen an Lungenentzündung erkrankten Alpinisten zu Tal bringen.

Wir vertreiben uns den Vormittag mit japanischen Kletterern, die, wie wir selbst, zur Untätigkeit verurteilt sind. Wir vergleichen unsere Bergsteiger Erfahrungen und konsultieren Spe- zialwerke über die Kitta-Alpen. Manche Gipfel der Gegend weisen Hänge auf, wo Schwierigkeitsgrad VI und A3 nicht unbekannt sind; das Gestein ist leider ziemlich brüchig, die Vegetation gedeiht noch auf beträchtlicher Höhe. Ich stelle mit Vergnügen fest, dass der Wortschatz der japanischen Alpinisten fast ausschliesslich aus Wörtern besteht, welche direkt aus dem Deutschen und Französischen stammen, was die Erklärung der verschiedenen Anseil-Techni-ken, die wir vergleichen, wesentlich erleichtert.

Der Regen dauert an, die Wetterwolken kommen und gehen. Nicht einmal die draussen aufgehängten Papierpuppen, die das schlechte Wetter vertreiben sollten, können dieser Sinflut mehr Einhalt gebieten.

Am Nachmittag unternehmen wir einen mehrstündigen Marsch und steigen vom Talboden hinauf, in der Hoffnung, einige Berggipfel zu erblicken. Aber wir müssen uns auf eine Rekognoszierung ohne Sicht beschränken.

Am Abend ein angenehmes Bad auf japanische Art: man wäscht sich ausserhalb der Badewanne und steigt erst hinein, wenn man sauber ist. Das heisse Wasser darin ist für alle bestimmt. Weil das Badezimmer so klein ist, nehme ich mein Bad allein, während ich in Tokio gewöhnlich mit andern Personen gleichen Geschlechtes zusammen bade. Den Abend verbringen wir beim Fernsehen ( in Farbe !), dem Hauptvergnügen in diesem Lande. Der Regen scheint nachzulassen.

Am folgenden Morgen um sechs Uhr Tagwache! Der Himmel ist blau, nur einige Wolkenfetzen kleben noch an den Bergspitzen.

Und los geht 's! Wir steigen hinten im Tal auf und kommen dann und wann an vollbesetzten Berggasthäusern vorbei. Es gibt eine unglaubliche Menge Leute und immer mehr Zeltdörfer.

Die Aufheiterung ist nur von kurzer Dauer, denn einige Stunden später, als wir in Yokoo in ein Seitental abbiegen, fängt es wieder zu giessen an.

In den japanischen Alpen Der Fuji-Tama im Winter Die Vegetation wird spärlicher, nicht aber die Zahl der « Alpinisten ». Einige Schneereste kommen zum Vorschein, und gegen 14 Uhr erreichen wir die Karasawa-Hütte auf 2100 Meter Höhe. Sie steht inmitten eines kreisrunden Gebirgskammes, dessen höchste Gipfel der Karasawa-dake ( 3103 m ), der Oku-Otaka ( 3190 m ) und der Mae-Otaka ( 3090 m ) sind. Weite Firnfelder, die zum Teil die Geröllhalden bedecken, verlocken fanatische Skifahrer zu einigen Wedelversuchen. Bis auf halbe Höhe der Gipfel wachsen noch verkrüppelte Kiefern und Gebüsche, ganz zerdrückt vom Schnee, der hier im Winter einige Meter hoch liegt.

Die Hütte ist besetzt, aber die « Tatamis », aus Stroh geflochtene Matratzen, die auf den nackten Boden gelegt werden, haben ein beträchtliches Fassungsvermögen, so dass man immer sicher sein kann, einen Unterschlupf für die Nacht zu finden.

Da mich im Laufe des Nachmittages die Untätigkeit bedrückt, raffe ich mich zu einem Marsch gegen den Firn auf. Ich sehne mich nach der Berührung mit dem Schnee und möchte die günstige Gelegenheit nicht verpassen, obwohl es ununterbrochen regnet.

Ich schlage einen Weg quer durch das Geröll ein und merke, dass er zum Oku-Otaka führt, der allerdings in den Wolken verborgen ist. Bald gelange ich zu einem Pass, auf dem sich eine sehr häufig besuchte Hütte befindet und wo sich der Weg gabelt: rechts führt er zum Kara-sawe-dake und zum Kitta-Otaka ( 3130 m ) und links zum Oku-Otaka und Mae-Otaka. Ich gehe in dieser Richtung. Bei einigen verwitterten Stufen muss man mit den Händen nachhelfen, aber der Tourist kann auch die Leitern hochklettern und sich an den Seilen, die am Felsen hangen, festhalten. Der Weg verläuft unter dem Grat durch, wo ich im Dunst eine Menge kleiner Kakteen erkennen kann; der Gipfel ist gar nicht mehr weit, und bald erreiche ich in Nebel, Wind und Regen, auf 3190 Meter, den dritthöchsten Gipfel Japans nach dem Fuji-Ya- ma ( 3776 m ) und dem Kitta-dake ( 3192 m ) in den Minami-Alpen im Süden.

Die Nordost-Flanke fällt steil zu dem Kar ab, wo sich die Karasawa-Hütte befindet, während die Südseite aus lauter Geröll besteht. Der Südostgrat führt zum Mae-Otaka, und vom Nordgrat komme ich eben her.

Der Vorbeimarsch der Touristen hat etwas abgenommen, was man aber sicher dem schlechten Wetter und der späten Stunde zuschreiben muss.

Rasch kehre ich um, riskiere einige Rutschpartien auf dem Schnee und befinde mich zweieinhalb Stunden nach dem Aufbruch wieder in der Karasawa-Hütte. Die japanischen Führer rechnen dafür fünfeinhalb Stunden, allerdings für unerfahrene Touristen ohne Training und Bergausrüstung, für diese « hosentragenden Jungfrauen », wie Piachaud so treffend sagt, die man vor allem auf diesen Gipfeln findet.

Mein Führer Endo steckt mitten im Kochen und bereitet ein üppiges Mahl für uns zu; die meisten andern Japaner tun übrigens dasselbe, und ich verstehe langsam, warum ihre Rucksäcke einen bei uns unvorstellbaren Umfang haben; man sucht weder Platz noch Gewicht einzusparen, denn es gibt so viele Hütten, und alle sind leicht erreichbar.

Das Zeltdorf erhellt die hereinbrechende Nacht. Die letzten Nachzügler kommen in die Hütte, und wir müssen uns bald zum Schlafen einrichten; durch das Kopf-bei-Fuss-Liegen gewinnt man erstaunlich viel Platz.

Nach kurzer Wäsche im Schneewasser und einem letzten Blick zum Himmel, um vielleicht einige Sterne zu entdecken ( übrigens umsonst, kehre ich in die Hütte zurück, über die sich schon der Schlaf gesenkt hat.

Am andern Morgen ist der Himmel stellenweise klar, was die Prognosen Lügen straft, nach denen der Taifun, dem wir dieses anhaltend schlechte Wetter verdanken, in einigen Stunden ganz in unserer Nähe vorbeiziehen werde.

Wir wollen heute den Mae-Otaka besteigen, und zwar zum Teil auf dem gleichen Weg, den ich gestern genommen habe. So werden wir dann die ganze kreisförmige Krete, in deren Mitte wir uns befinden, umgangen haben.

Auf dem Pass, wo die Oku-Otaka-Hütte steht, ungefähr auf 3000 Meter, stecken wir wieder im Nebel drin. Mein Begleiter, der wegen Bauchschmerzen nicht gut in Form ist ( die Kochkunst hat ihre Schattenseiten !), geht sich einen Augenblick ausruhen. Den benütze ich, um über den ganzen Grat zu gehen, der im Norden der Hütte zum Karasawa-dake und zum Kitta-Ota-ka führt. Der Weg zieht sich unter dem Grat hin, einmal auf der einen, dann auf der anderen Seite, durch Geröll und herausgebrochene Felsstufen. Alle etwas heikleren ( III ) oder luftigen Stellen sind mit Ketten, Stangen, Seilen oder Leitern versehen und deshalb gar nicht mehr interessant, es sei denn, man umgehe diese Einrichtungen. Die Ost- und Westhänge sind ziemlich steil, und ich höre von Zeit zu Zeit, dass man einen Haken einschlägt; einige Seilschaften suchen in diesen nirgends sehr bedeutenden Wänden wahrhaftig nach Kletter-Gelegenhei-ten.

Wenige Meter unter dem Gipfel entdecke ich noch eine andere Hütte und wieder die gleiche Menschenmenge. Es regnet von neuem, und ich kehre rasch zu Noboru zurück, nachdem ich zwei Stunden weggeblieben bin ( Bergführer: sechs Stunden. Er will wegen des wieder schlechter werdenden Wetters umkehren, denn er hat gar keinen Regenschutz mitgenommen. Wir verhandeln einige Augenblicke und beschliessen dann trotzdem, das ursprüngliche Programm einzuhalten. Kurz darauf befinde ich mich zum zweiten Mal auf dem Oku-Ota-ka, von wo aus wir dem Grat auf der Südwestseite folgen, um die vielen Grataufschwünge und Zacken zu vermeiden. Der heftige Westwind, der sich in meiner Pelerine verfängt, sie emporreisst und auf mein Gesicht niederschlägt, macht das Gehen auf dem glatten und steilen Weg sehr mühsam. Von « Regenschutz » ist ohnehin keine Rede. Aber es ist nicht sehr kalt, ungefähr 6 Grad.

Etwa 200 Meter unter dem Gipfel des Mae-Otaka zweigt der Weg ab, wieder ins Tal hinunter gegen Kamikochi und an der Dan-sawa-Hüt-te vorbei. Noboru wartet einige Augenblicke auf mich, während ich auf allen vieren auf den Gipfel klettere, der wieder von Tausenden von Kakteen gespickt ist wie der letzte. Der Nebel reisst für ein paar Sekunden auf und erlaubt mir einen Ausblick auf Kamikochi und die mich umgebenden Bergkämme. Das Gelände ist genau wie das Vorgebirge unserer Kalkalpen, allerdings mit einer üppigeren und weiter hinaufreichenden Vegetation, und das Gestein ist anders, vielfach vulkanischen Ursprungs.

Während des Abstiegs begegnen wir fast keiner Menschenseele mehr, denn es ist schon später Nachmittag und scheussliches Wetter, der Weg steil und schlüpfrig; anstatt auf Felsen gehen wir jetzt auf dem nassen Erdboden.

Ziemlich erschöpft kommen wir bei Einbruch der Nacht wieder in Kamikochi an. Unser Berghaus ist beinahe leer, so dass wir endlich ein wenig Platz für uns allein haben. Das andauernd schlechte Wetter ist dieser Menschemenge endlich Meister geworden. Am Morgen des fünften August kehren wir in die Hauptstadt zurück, und zwar im strömenden Regen, und wir brauchen nicht weniger als acht Stunden, um das 270 Kilometer entfernte Tokio wieder zu erreichen.

Wenn man in Japan in den Bergen überall solche Menschenmengen antrifft, so kann man das, glaube ich, mehreren Faktoren zuschreiben:

Erstens ist es ohne Training und Bergausrüstung möglich, zu den vielen grossen und komfortablen, sehr nahe beieinander liegenden Hütten zu gelangen; andererseits bieten diese Berge kaum irgendwelche Schwierigkeiten oder Gefahren, wenn man sich nicht von den sehr gut markierten Wegen entfernt; und doch sind sie hoch genug, um den Japanern nach der feuchten und erstickenden Hitze der Ebene die Frische zu schenken, nach der sie sich sehnen; schliesslich sind die Übernachtungstarife einmalig ( ungefähr 600 yens, das heisst 7. Fr. ), und « Zivilisten » geniessen dieselben Vergünstigungen wie die Mitglieder der vielen tausend japanischen Alpen-Mubs.

Aber die wirklichen japanischen Alpinisten, wie man sie am Eiger oder im Himalaya-Gebirge trifft, gehören nicht zu dieser Masse, nein, sie spüren überall, wo es irgend möglich ist, Schwierigkeiten auf: so kann eine bis 2000 Meter reichende, von Gras und Gebüsch bedeckte Wand die Schwierigkeit VI oder A3 haben. Da ihnen nichts anderes zur Verfügung steht, begnügen sie sich mit Objekten, die bei uns verächtlich abgelehnt würden, ja, man ist sogar soweit gegangen, im Zentrum von Tokio an einem Gebäude eine etwa 20 Meter hohe, mit Haken, Überhängen, verschiedenen Griffen und Kaminen ausgestattete Wand zu errichten, um jedem, der dort trainieren will, eine Ahnung davon zu geben, was man unter den sechs Schwierigkeitsgraden des Kletterns versteht.

Das Training auf Schnee und Eis wird im Winter absolviert, indem man auf Schneereifen all diese Gipfel abklopft und alle eis- und schneebedeckten Hänge erklettert.

So können sie sich darauf vorbereiten, den Kampf mit extremsten Bedingungen aufzunehmen, auch wenn Japan weder Gletscher noch ewigen Schnee, weder Viertausender noch breite Nordwände besitzt.

B. Die Minami-Alpen ( Südalpen ) Der Kontrast zwischen dem nördlichen Teil der japanischen Alpen und der Südkette, den Minami-Alpen, ist ziemlich auffällig: während die Nordalpen von Bergsteigern überschwemmt werden und zahlreiche grosse und komfortable Hütten aufweisen, sind die Südalpen in einem Zustand geblieben, der demjenigen unserer Alpen viel näher kommt, mit schmalen, gewundenen Weglein und Klubhütten, die den unsrigen ganz ähnlich sind. Die Gliederung der Bergkette ist fast dieselbe, nur sind die Hänge viel weniger steil. Auf ganz anderer Höhe liegt jedoch die Vegetationsgrenze; obwohl wir uns nur 80 Kilometer weiter südlich befinden, sind die Hänge auf 2800 Meter noch mit Wald bedeckt und die nicht allzu felsigen Wände der höchsten Gipfel von Zwergkiefern überwuchert.

Hie und da sind noch Firnfelder in den Mulden verborgen, aber weniger häufig als in den Kitta-Alpen.

Da ich vor meiner Abreise noch zwei freie Tage habe, beschliesse ich, am B. und 9. August in jene Region zu fahren, deren höchster Gipfel der 3192 Meter hohe Kitta-dake ist, nach dem Fuji-Yama der zweithöchste Berg Japans.

Frühmorgens steige ich in Kofu, einer 120 Kilometer westlich von Tokio gelegenen Stadt, aus dem Zug und fahre mit dem Bus auf einer Landstrasse bis nach Hirogawara, dem kleinen, einsamen Weiler auf 1500 Meter Höhe, ganz hinten in dem Tal zwischen der ersten und der zweiten Faltung, der höchsten der drei, welche die Minami-Alpen bilden.

Für diese Besteigung bin ich allein, und es wird schwieriger sein, meinen Weg zu finden als an den vorhergehenden Tagen. Dass ich ein paar Worte Japanisch kann, wird mir sehr zugute kommen; was hingegen die Anschläge betrifft, muss man sie einfach mit den Angaben im Führer oder auf der Karte vergleichen, und man wird sich schon zurechtfinden.

Durch das erschreckende Schwanken einer Hängebrücke wird mein Eifer etwas gedämpft; wenn ich nicht hinunterstürzen will, muss ich mein Tempo verlangsamen, ebenso auf dem äusserst steilen Weg, der mich nun sehr rasch zu einer auf 2200 Meter Höhe an einem kleinen See gelegenen Hütte führt. In der Nähe sind einige Zelte aufgeschlagen. Im Osten zeichnen sich die regelmässigen Wellenlinien der ersten Bergkette am blauen Himmel ab; über mir erkenne ich die steilen Stufen des Kitta-dake, die aber nichts Beunruhigendes haben. Bald verlasse ich den Wald und finde auf 3125 Meter eine zweite Hütte, an der ich vorbeigehe, ohne mich aufzuhalten. Alles ist gut gegangen, denn dreieinviertel Stunden, nachdem ich den Bus verlassen habe, bin ich bereits auf dem Gipfel, nur um festzustellen, dass das Wetter wieder schlechter wird: Regenwolken umhüllen schon die benachbarten Höhen, und auf dem Grat lässt mich ein heftiger Westwind vor Kälte erschauern, obwohl es mindestens io Grad hat!

Ich habe gerade noch Zeit, den langen, halb mit Gras bewachsenen, halb felsigen Bergkamm zu betrachten, der in südlicher Richtung zum Aino-dake ( 3189 m ) führt, als auch schon alles in den Nebenschwaden ertrinkt, die in immer schnellerem Rhythmus an mir vorbeirasen.

An der Stelle, wo der Felsen der Ostflanke einen Absatz bildet, richte ich mir schnell ein Biwak ein und bin froh über die Zwergkiefern, deren Nadeln ein bequemes Lager abgeben und mir erlauben, Feuer zu machen.

Bald versinkt die Sonne wie in einem Höllen-brand, und ich bin allein auf dem Gipfel, den die Alpinisten schon lange verlassen haben. Die Nacht ist hereingebrochen; der Nebel ist jetzt sehr dicht, und das Strahlenbündel meiner Lampe scheint aus einer festen Masse zu bestehen in diesem kompakten Element.

Ohne lange zu warten, verzehre ich den hierzulande üblichen Proviant: Biskuits, eine Büchse « Affe », ein Stück Käse, Schokoladen-creme, und das alles in Hühnerbrühe schwimmend! Gegen 20 Uhr ist Lichterlöschen, nachdem ich meine Siebensachen sorgfältig eingesammelt habe; denn es ist möglich, dass ich mitten in der Nacht ausziehen muss, wenn das Wetter ganz schlecht wird. Ich wickle mich in meinen Anorak, schlage die Kapuze hoch, stecke die Beine in den Rucksack, und nach einem letzten Blick auf das Feuer, das auch langsam einschlummert, schlafe ich ein.

Gegen ein Uhr gibt es ein feuchtes Erwachen; wahrscheinlich hat es eben erst angefangen zu regnen, denn ich bin noch nicht allzu nass. Das Feuer hat seine Seele schon lange ausgehaucht, und ich muss ohne seinen Schein auskommen. Schnell packe ich alles zusammen, nachdem ich zu dem Entschluss gekommen bin, in die Hütte zurückzukehren, die ich 20 Minuten unter dem Gipfel angetroffen habe. Dieser Abstieg in Nacht und Nebel, in dem Sturm, der mir immer wieder die Pelerine ins Gesicht schlägt und auf dem sich durch Geröll und Steinhaufen schlängelnden Weg hat etwas Faszinierendes und Erschreckendes an sich; umsonst suche ich nach einem Licht in der Nacht, in der Richtung der Hütte: nichts! Ihre Bewohner schlafen sicher alle, ebenso diejenigen der Zelte in der Umgebung, oder ich habe mich in der Richtung getäuscht, obwohl das auf einem Grat wenig wahrscheinlich ist, wenn man sich vergewissert hat, woher der Wind kommt. Nun erkenne ich einige charakteristische Stellen, die ich beim Aufstieg bemerkt hatte, und bald erreichte ich die Hütte, wo zum Glück ein Unterstand neben dem Hauptgebäude offen ist. Ich lege mich auf den « Tatami », um weiterzuschlafen, während der Sturm wütend um die Hütte heult, die ihm im Wege steht.

Am nächsten Morgen immer noch Regen, Nebel und heftiger Wind! Es ist mir nicht möglich, in der Hütte auf eine eventuelle Besserung zu warten, denn meine Zeit ist knapp, da ich heute abend wieder in Tokio sein muss. So will ich wenigstens bis zum Aino-dake gehen, laut Führer drei Stunden von hier.

Ich steige zum zweiten Mal zum Kitta-dake auf, dann folge ich dem Südgrat, wo ich über einige uninteressante Felsen zum tiefsten Punkt zwischen den beiden Gipfeln gelange. Da stehen eine Hütte und eine meteorologische Station mit einer Glocke, die jeder Vorbeigehende läutet, um den weiter Entfernten Richtung und Distanz der Hütte anzuzeigen.

Der Weg ist überall gut bezeichnet, und es ist trotz der sehr beschränkten Sicht unmöglich, sich zu verirren. Auf langen, gleichförmigen Grasrücken erreichte ich den Gipfel, der sich durch nichts Besonderes auszeichnet. Nun be- gegne ich wieder mehr japanischen Alpinisten, obwohl es, mit einigen Unterbrechungen, weiter regnet.

Wie ich später in Tokio erfahre, war es das Herannahen eines zweiten Taifuns, dem ich dieses neuerliche Schlechtwetter zu verdanken hatte.

Auf meinem Rückweg reissen die Wolken einen Augenblick auseinander, so dass ich die Talsohle und die bewaldeten Hänge erkennen kann. Manchmal scheint die Sonne kurz durch die Nebelschwaden, die immer noch über den Grat hinwegziehen. Dreieinhalb Stunden später bin ich wieder bei der Hütte, und ohne anzuhalten, mache ich mich an den steilen Abstieg auf den kotigen und aufgeweichten Wegen.

Kurz darauf trete ich aus den Wolken heraus; nur der Grat liegt noch im Nebel, sonst ringsherum blauer Himmel!

Unterwegs begegne ich vielen Leuten, die trotz des unsicheren Wetters auf der Suche nach einem Sonnenstrahl und frischer Alpenluft sind. ( Vom nächsten Tage an regnete es in solchem Ausmass, dass es im Flachland Überschwemmungen und Tote gabEinige Stunden später stecke ich wieder in dem Glutofen Tokio.

Die japanischen Alpinisten, und zwar die richtigen, haben mir folgende Angaben gemacht:

Frühjahr und Herbst sind die günstigsten Jahreszeiten zum Besteigen der japanischen Alpen, weil es dann keine solchen Alpinisten-Massen gibt. Im Winter werden Besteigungen mit Schneereifen sehr geschätzt, ebenso das Pistenfahren, das in grossem Stil betrieben wird. All diese Berggegenden erwachen dann wieder zu regem Leben, allerdings in geringerem Masse als im Sommer und auch mit einer ganz anderen Art von Alpinisten.

Praktische Hinweise für das Bergsteigen auf Formosa ( Taiwan ) Die Insel Formosa ( National-China ) wird von einer Bergkette durchzogen, die etwa 30 Gipfel von über 3000 Meter zählt; die beiden wichtigsten sind der Hü-San ( 3997 m ) im Wendekreis des Krebses und der Hsüeh-San ( 3884 m ) weiter im Norden.

Der Fels ist nicht sehr gut und besteht vor allem aus Schiefer und Ablagerungsgestein; dichter tropischer Wald bedeckt die Abhänge bis auf ungefähr 3500 Meter. Im Januar und Februar kommt es vor, dass die höchsten Gipfel während ein paar Wochen mit Schnee bedeckt sind, der aber auf 3000 Meter in zwei oder drei Tagen wieder wegschmilzt. Es ist Fremden nicht gestattet, diese Berge zu betreten, da sie zur militärischen Zone erklärt worden sind, doch gibt es zwei Ausnahmen:

1. für die amerikanischen Soldaten, die ihren Urlaub auf der Insel verbringen, 2. für Ausländer, die seit mehr als zehn Monaten auf der Insel wohnen, dort arbeiten und dem Alpenklub von Formosa angehören.

Übersetzung: E. Busenhart

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