Die Jungfrau vom Roththal über den Südwestgrat
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Die Jungfrau vom Roththal über den Südwestgrat

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Von Hans Körber ( Section Bern ).

Die Jungfrau vom Roththal über den Südwestgrat Als am 21. September 1885 ein Telegramm vom Eggischhorn die Kunde verbreitete, daß die Jungfrau durch fünf Führer und Herrn F. von Allmen aus Lauterbrunnen auf neuem Wege vom Roththal aus erstiegen worden sei, und dieser Weg im Gegensatz sum berüchtigten Couloir nicht nur als steinschlag-und lawinenfrei, sondern auch als verhältnißmäßig leicht geschildert wurde, erregte die Botschaft in allen betheiligten Kreisen lebhaftes Interesse.

Auf nächstem, geradestem Wege vom Lauterbrunnenthal ohne wesentliche Gefährde die herrlichste Spitze im Kranze der Berner Alpen erreichen zu können, dieser Gedanke mußte jedem Clubisten das Herz in raschere Bewegung setzen. Immerhin verursachte die Frage, ob denn das, was unser Dübi im Jahr 1881 in schwerer Arbeit zuerst vollbracht, und was ihm seither Keiner nachgethan hatte, gar so leicht sei, einiges Kopfschütteln.

4 Die frühzeitig hereinbrechenden Herbstniederschläge von 1885 verhinderten, daß noch im gleichen Jahr die Tour von andern kletterlustigen Männern unternommen wurde.

Um die Mitte Juli 1886 schienen die Verhältnisse günstig, aber Witterungsumschlag und neuer Schneefall verhinderten abermals neue Versuche. Im Lauterbrunnenthal waren die Ansichten getheilt; die Einen sprachen von dem neuen Weg fast wie von einem Spaziergang, Andere zuckten zweifelnd die Achseln. Am 28. August empfing Herr G. Küpfer-Haag die Einladung, schleunigst zu kommen. Er, der schon zweimal durch Wettertücken von der Jungfrau war abgeschlagen worden, entschloß sich rasch, und nach einigem Bedenken folgte auch ich der Einladung.

Montag Nachmittag, den 30. August, installirten wir uns mit den Führern Ulr. und Chr. Brunner und Karl Schlunegger, von denen der erst- und dritt-genannte die Besteigung vom vorigen Jahr mitgemacht hatten, in der Roththalhütte. Wir verbrachten die letzten Stunden des Tages, wie es so der Brauch ist> mit Kochen und Essen, mit Zurichten des Nachtlagers^ und ergötzten uns an dem Anblick des herrlichen Gletscherkessels, an dessen Rand wir ruhten, am Beobachten der von den Flanken der Jungfrau niederstürzenden Eisbrüche. Ich machte ein paar Profilskizzen und studirte einläßlich die Kante, auf deren Schneide wir morgen aufsteigen wollten. Im Westen,, über Schilthorn und Schwalmeren ,'stand eine schwarze Gewitterwolke von bizarren Formen.

Noch lange nach Einbruch der Nacht saßen wir draußen, gefesselt vom Anblick eines Firmaments, wie ich es so reich und leuchtend nie gesehen hatte; es fielen ungewöhnlich zahlreiche und glänzende Sternschnuppen. Es mochte gegen Mitternacht sein, als wir durch Windstöße geweckt wurden, welche so heftig waren, daß sie kleine Steine wie Hagel auf das Hüttendach warfen; doch war es nichts als der Gletscherwind, welcher aus den Hochregionen sich in 's Thal stürzt, um mit den erwärmten tiefern Schichten Ausgleichung zu suchen, und dessen Eintritt uns gutes Wetter für morgen bedeutete.

Wir am Nordfuße der Alpen sind gewohnt, die Jungfrau als ein eisbekleidetes, leuchtendes Gebilde edelster Formen leicht und frei sich aufschwingen zu sehen. Wer sie jedoch vom Tschingeljoch, vom Schilthorn oder von der Wetterlücke erschaut, wird gepackt vom gewaltigen Felsbau, der fast schneelos in furchtbarer Massigkeit sich aufthürmt. Es ist die Südwand des Jungfraumassivs, welche, ungebrochen von Querbändern, nur von steilen Kehlen gefurcht, aufsteigt und auf ihren Schultern die silberglänzende Pyramide des schönen Gipfels trägt. Drei kahle Felsgräte, welche bei circa 3600 m Höhe sich vom Massiv trennen, laufen fächerförmig nach Süden, Südwesten und Westen. Des ersten Fuß verläuft im Eis des Roththalgletschers, der zweite bildet die Nordwand des Roththaies, der dritte verliert sich in den Felsen der Bärenfluh. Wenn es gelingen sollte, die Jungfrau von dieser Seite zu gewinnen, so mußte es mit Benutzung eines dieser Gräte geschehen. Es war Dr. II. Dübi, welcher am 25. Juli 1881 sich an dieses Wagniß machte; er erstieg vom Roththal aus den Kamm des Südwestgrates, dem er folgte, bis steile, glatte Felsen weiteres Vordringen unmöglich zu machen schienen und ihn veranlaßten, die Felskehle zu seiner Linken zu traversiren, um den Westgrat zu gewinnen, der ihn dann auch glücklich zum Hochfirn und auf den Gipfel brachte.J ) Die Möglichkeit der Besteigung über den Südwestgrat zu beweisen, indem sie die steile Partie in gewaltiger Kletterei überwanden, war das Verdienst der sechs Lauterbrunner Männer. Wir wollten versuchen, ob der von ihnen geöffnete Weg auch von andern Freunden des Bergsteigens gemacht werden kann. Gute photographische Aufnahmen der Herren Jules Beck und V. Sella, namentlich des Letztern auf der Ebnen Fluh gemachte Aufnahme, zeigen dessen Profil fast in seinem ganzen Verlauf.

Um 3 Uhr 40, bei wieder ganz ruhig gewordener Luft, bei Laternenschein, brachen wir auf; wir wandten uns nordwärts gegen den Grat, dessen unteres Ende wir steil ansteigend in etwa 8!i Stunden erklommen hatten. Leider ließen wir hier unsere Laternen zurück, die wir am Abend beim Uebergang über das Mönchsjoch schwer vermißten. Angenehm über den breiten, flachen Kamm weiter steigend, erreichten wir um 5 Uhr 5 die Stelle, wo auf dem granitenen Fundament in großer Steilheit glatte Kalkfelsen sich vor uns aufthürmten. Wir rasteten eine halbe Stunde und erfreuten uns am Ausblick auf die im ersten Morgenroth erglühenden Gipfel der Ebnen Fluh, auf Breithorn, Tschingelgletscher und die Thäler, die dämmerig vor uns lagen.

Jetzt ging 's an 's Klettern, Ulr. Brunner voran, dann ich, Schlunegger und Kupfer; Chr. Brunner machte den Schluß. Die Schwierigkeit bestand weniger in der Steilheit als in der Glätte und ungünstigen Schichtung der Kalkplatten; sie unterscheiden sich in dieser Richtung sehr unvortheilhaft von den Felsen des Bietschhorns oder der Gipfelpyramide des Finsteraarhorns, welche auch als steil gelten dürfen, aber bezüglich Griff und Stand unendlich angenehmer sind. Wir überblicken jeweilen nur kurze Strecken des Terrains und hoffen, nach Ersteigung dieses Absatzes bessern Weg zu finden; aber eitel Trug! ist man oben, so steht man wieder vor einer neuen Wand und ist nur froh, auf kleinem Absatz zusammenstehen und verschnaufen zu können. Wir sind am Seil und Ulr. Brunner immer wacker voran. Kleine, weniger als handbreite Vorsprünge müssen herhalten, um Hand und Fuß zu tragen; die Pickel dienen zu nichts und sind nur hinderlich. So ging es absatzweise vorwärts. Wir hatten den Fehler gemacht, uns in zu kurzen Abständen an das genügend lange Seil zu binden; die Bewegungsfreiheit jedes Einzelnen war dadurch gehindert, und mehr als einmal mußte man in recht miserabler Stellung aushalten, bis der Nachfolgende nachgerückt war und man wieder vorwärts konnte. In solcher Stellung war es, wo einmal Brunner warnte: Daß mir jetzt Keiner ausgleitet, ich könnte Keinen halten. Dann nahm der Wackere das straffe Seil zwischen die Zähne, bis ich bei ihm war — und er Luft zum Weitersteigen bekam. Ein ander Mal mußte Schlunegger's breite Schulter herhalten, auf die wir kletterten, um die nächsten Stützpunkte für Hand und Knie erreichen zu können.

Um 6 Uhr 40 hatten wir die Kalkpartie hinter uns, und vor uns stand rother Gneiß, wieder ein Kopf über dem andern, aber seine Structur ist rauher und zerklüfteter als die des Kalkes.

Wir genossen der benöthigten und wohl verdienten Kühe, schauten hinüber nach Dübi's Westgrat, der noch grimmiger aussieht, als der unsrige, schauten hinab auf den steil abstürzenden Weg, den wir zurückgelegt, und thaten das Gelöbniß: Hier gehen wir nicht hinunter.

Der Grat wird nun zerrissener, vor uns stehen steile scharfe Grätchen, dazwischen Kehlen mit wenig Schnee, zu unsern Häuptern hebt sich ein rother Thurm mit fast überragendem Sims. Eine einzige der Kinnen können wir stufenhackend zum Weitersteigen gebrauchen; mancherorts sind die Felsen vereist und Partien, die sonst leicht zu machen wären, sind wegen ihrer Eisglasur unbrauchbar. Es war ein steter Kampf mit den mannigfaltigsten Schwierigkeiten. Am Fuße des Thurmes angelangt, versuchten wir, denselben südlich zu umgehen; aber es war keine Möglichkeit, gerad ab fiel hier unser Grat in 's Roththal; wir mußten zurück und ihn von der linken Seite anpacken, wo denn auch der Anlauf gelang. Hierbei war es, daß ein losgebrochener Stein für Kupfer hätte verhängnißvoll werden können; er traf ihn mit einer Fallhöhe von 4 m schwer auf den Oberschenkel; Dank seinem festen Körper trug er nur ein blaues Mal davon, war aber für einige Zeit am Steigen wesentlich gehindert.

Ich besitze leider nicht die eminente Fähigkeit, mit welcher Herr Prof. Schulz seine berühmte Bietsch-hornbesteigung fast Schritt für Schritt beschreiben konnte, und vermag nur zu sagen, daß wir in der beschriebenen Weise manche Stunde weiter kletterten, bis wir um 11 Uhr 45 aufathmend die Schneefläche des Hochfirns betraten, die leuchtende Stirn der Jungfrau, die so frei und rein in 's liebe weite Schweizerland hinausschaut. Nicht ohne Opfer war der Sieg erkauft worden. In den Felsen wurde mir durch das Seil der Hut vom Kopfe geschlagen und in die Felsabstürze geschleudert; der Flüchtling machte damit der Inschrift „ Bon voyage ", mit welcher der Hutmacher ihn geziert hatte, alle Ehre, und kaum hatten wir uns auf dem Hochfirn niedergelassen, folgte Schlunegger's Hut dem schlechten Beispiel. Ich stelle mir vor, wie eine Frau Munk die beiden Filze gefunden und sie zur Ausstattung ihres Schlafgemachs verwendet hat; die geben vortreffliche Betten für ihre lieben Kinderchen!

Eine halbe Stunde verwendeten wir zu Rast und Mittagsmahl. 130™ unter uns lag der Gipfel des Silberhorns. Dieser mit Recht um seiner eleganten Pyramidenform und seiner fleckenlosen Weiße gepriesene Vorgipfel der Jungfrau zeigt sich uns hier in weniger schönem Bilde. Rothe, schneelose Gneiß- felsen bilden seinen Fuß und den Uebergang zum firstförmigen Gipfel. Auffallende Veränderungen sind an seinem Firnmantel vorgegangen: derselbe ist von klaffenden Rissen durchzogen, und an zwei Stellen der nordöstlichen Kante sind bedeutende Eismassen ausgebrochen.

Der fernere Aufstieg zum Gipfel über den prächtigen Firn mit beständiger Aussicht in die Tiefen dea Lauterbrunnen- und des Sefinenthals, in 's Bödeli und in 's weite Land hinaus dünkte uns wie ein Spaziergang. Um 2 Uhr standen wir auf der schlanken Zinne der Jungfrau. Nach Maßgabe der letztjährigen Besteigung hätten wir schon gegen 11 Uhr den Gipfel erreichen sollen; ich verhehle nicht, daß wir, veranlaßt durch vereiste Felsen, wie durch Indisposition meinerseits zu langsamem Steigen gezwungen waren* Die Temperatur war angenehm, die Fernsicht nach Osten und Norden überraschend schön; wogegen der Blick auf die penninische Kette theilweise-durch Wolken beeinträchtigt wurde.

Leider durften wir uns der Umschau, welche namentlich dem weiten Aletschgebiet, diesem mächtigsten Gletscherrevier der Alpen, und der Walliserkette galt, nur kurze Zeit hingeben; andringende Nebel hefteten sich an den Gipfel, unser Weg zur Berglihütte war noch weit und die Tage, Ende Augast, schon kurz. Wir mußten unsern Aufbruch beschleunigen und stiegen in wässerigem Schnee, unter welchem sich Eis befand und welcher jeden Augenblick abzurutschen drohte, die steile Gipfelpyramide zum Roththalsattel hinunter, den wir um 3 Uhr 20 er- reichten. Bald auch waren wir über den Schrund und auf der Ebene des Jungfraufirns. Die nächsten Stunden brachten uns eine recht mühselige Wanderung über abscheulichen Schnee, der oberflächlich gefroren war und nicht trug.

Die Sonne neigte sich rasch, und in ihrem Widerschein erglänzten wunderbar schön rothgolden die Felsen des Trugberges. Als wir das Obere Mönchsjoch erreicht hatten, brach bereits die Nacht herein. Letztes Jahr hatten sich hier Schrunde gezeigt, und die Führer hielten es für gewagt, ohne Licht weiter zu gehen. Als Ersatz der leider zurückgelassenen Laterne wurde daher aus einer Weinflasche ein Be-leuchtungsapparat hergestellt, mit dessen Hülfe wir der tiefen Fußspur einer früher hier durchpassirten Reisegesellschaft folgten. Zum Unglück machten sich, wie gestern, heftige Windstöße auf, welche alle Augenblicke unser Lichtlein löschten, dessen Wiederanzünden immer viel Geschicklichkeit, viel Geduld und noch mehr Zündhölzer erforderte. Doch wurde der Schnee besser, und um 9 Uhr standen wir vor der kurzen, steilen Wand des Untern Mönchsjoch; beim Laternenschein sahen wir, daß die Spur, der wir folgten, da hinauf führte, und wir hackten und tappten, so gut als möglich die alten Tritte benutzend, aufwärts, dann ging 's steil durch weichen Schnee hinunter, ziemlich unsicher, wo das ersehnte Bergli zu finden sei; denn die Fußspur hatten wir inzwischen bei wiederholtem Auslöschen des Lichts verloren. Langsamen Schrittes, oft anhaltend und scharf in die finstere Nacht ausschauend, gingen die Führer abwärts; 58Hans Körber.

mir schienen in meiner überhandnehmenden Schläfrigkeit die vor uns liegenden Gründe des Fiescherfirns wie eine schöne Winterlandschaft mit verschneiten Triften, Wäldern und Schluchten, und gedankenlos, keiner Gegenwart und keiner Gefahr bewußt, tappte ich vorwärts, bis Brunner mit dem frohen Ruf: „ Sehen Sie, dort ist die Hütte ", meine Lebensgeister weckte. Wenige Schritte noch und wir standen vor der gastlichen Thür. Es war 10 Uhr 25.

Mit einem kleinen Restchen Holz, das wir vorfanden, und mit dem harthölzernen Stiel eines schweren Zweispitz, den wir zur Beseitigung unvorhergesehener Schwierigkeiten in den Felsen mitgeschleppt und nie benutzt hatten, wurde rasch eine Suppe bereitet, und bevor es 11 Uhr war, schlief die ganze Gesellschaft. Und sie schlief die ganze Nacht bis in den hellen Tag hinein!

Um 8 Uhr verließen wir die Hütte und stiegen zum Fiescherfirn hinunter. Es ist neun Jahre her, daß ich zum ersten Mal die Berglihütte besuchtePeter Bohren sei. Andenkens war mein Führerdamals stand die Fiescherwand wie eine Mauer da, man kletterte an ihr in steilen Stufen hinauf und kam auf ein von zahlreichen Spalten durchschnittenes Eisplateau; jetzt ist die Wand eingestürzt, das Plateau verschwunden, an ihrer Stelle ein Chaos von Eisblöcken. Auf bekanntem Wege gelangten wir über 's Kalli zum Grindelwaldgletscher und zur Bäregg, wo wir uns an ein paar Flaschen Bier herzlich erquickten, während eine milde Hand das defect gewordene Kniestück meiner Inexpressibles reparirte. Um 3 Uhr in Grindelwald, war mein erster Gang der zum Krämer, wo ein prachtvoller Strohhut acquirirt wurde zur Bedachung meines seit zwei Tagen schutzlosen und füchterlich gebräunten Hauptes; dann auf 's Telegraphenbüreau, den Lieben zu Haus das glückliche Gelingen zu melden. „ Gottlob, daß Sie da sind ", sagte die Telegraphistin, als sie meine Unterschrift gelesen hatte, „ man ist zu Lauterbrunnen in großer Unruhe um Sie. "

Die Freunde in Lauterbrunnen hatten gerechnet, daß wir zwischen 10 und 12 Uhr auf der Jungfrau sein würden; als aber ihr Fernrohr zu dieser Zeit keine Spur von uns zeigte, geriethen sie in Sorge, es möchte uns ein Unfall zugestoßen sein.

Der Weg über den Südwestgrat ist seither von sechs Partien gemacht worden, ohne Unfall und in kürzerer Zeit als uns möglich war: am 2. September von den Herren Treichler und Näf aus Zürich, am 5. September von einem unbekannten Herrn mit Führer Maurer von Meiringen, am gleichen Tag von Herrn Kappeier aus Biel, am 7. September von Herrn Zuber aus Bern, am 20. September von den Herren Michel nnd Staub aus Interlaken, endlich in der letzten Woche September von Herrn Butler aus England.

Fasse ich meine Eindrücke zusammen, so fällt vor Allem in 's Auge, daß der neue Weg von Interlaken aus bei weitem der kürzeste ist; kann man doch in einem Tag von Bern aus, in einem halben Tag von Interlaken aus in 's Roththal gelangen, von wo in einem Tag Besteigung und Abstieg nach irgend einem Ruhepunkt gemacht wird. Ein schönerer Ueber- gang von dem Berner Oberland nach dem Wallis, eine stolzere Traversirung der Jungfrau, als vom Eoth-thal zur Kleinen Scheidegg, kann nicht gedacht werden. Der Weg ist voller Reiz und Abwechslung und bietet fortwährend die schönsten Rückblicke; nach Ueberwindung der Kletterpartie ist der letzte Anstieg über den Hochfirn ein herzerquickender, prächtiger Weg. Vollständig stimme ich auch mit Herrn von Allmen Uberein, daß der Weg Steinschlag- und lawinenfrei ist und in dieser Hinsicht dem Weg durch 's Couloir, ja jedem andern bekannten Weg überlegen. Dagegen ist zu viel gesagt, wenn er ein „ für schwindelfreie Berggänger leicht zu begehender Weg " genannt wird ( Jahrbuch XXI, pag. 97 ). Er erfordert ganz tüchtige, kräftige Leute und gestaltet sich auch für solche zu einer ernsten, nicht gefahrlosen Kletterpartie. Butler's Führer, Lauener, sagte, er halte den Weg für wohl so schwierig als das Matterhorn; auch ist es beachtenswerth, daß der Weg noch nicht in umgekehrter Richtung gemacht worden ist, und ich halte dafür, es werde dies nicht geschehen, bevor die in Aussicht gestellten Hülfsmittel und künstlichen Verbesserungen angebracht worden sind. Durch solche wird allerdings die Besteigung wesentlich erleichtert werden, auch werden bei den wiederholten Besteigungen kleine Varianten im eingeschlagenen Weg gefunden werden, welche Erleichterung und Zeitgewinn bringen.

Ungünstig fällt in 's Gewicht, daß die Gangbarkeit außerordentlich von der Witterung abhängig ist. So lange Schnee auf den Gräten liegt, wird die Besteigung kaum unternommen werden dürfen, und jeder sommerliche Neuschnee wird den Weg auf mindestens einige Tage unprakticabel machen. Da die zu ersteigenden Felsen bis zu 3600 m sich erheben, ist anzunehmen, daß solche Störungen nicht selten vorkommen. Beispiel das Jahr 1886. Am leichtesten gestaltet sich die Besteigung, wenn die Gräte schneefrei sind und die Couloirs Schnee enthalten.

Bezüglich der früher so einsamen und nun stärker besuchten Roththalhütte verweise ich auf Jahrbuch IX, welches als Titelbild eine hübsche Chromoabbildung derselben bringt. Sie bietet Schlafraum bequem für 6 und zur Noth für 8 Mann; wir fanden sie mit gutem Kochwerk und reichlich mit Stroh und Brennholz versehen; jedoch theilt sie mit allen an den Fels gelehnten Clubhütten, selbst mit der neuen Berglihütte, den Uebelstand, daß Schneewasser zwischen Fels und Dach eindringt, was jährlich gründliche Erneuerung des Stroh's nöthig macht; sodann leidet sie an bedenklich kleinem Raum zur freien Bewegung; es ist kein Platz da, wo ein Tisch aufgestellt werden könnte. Immerhin bietet die Hütte, sobald einige kleine Fehler in der Trockenmauer durch eine Verschalung oder durch Cementirung ausgebessert und das Inventar einigermaßen completirt sein wird, ein warmes, gut-geschütztes Nachtquartier für 6 bis 8 Mann.

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