«Die Vielfalt macht die Teams stark»
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«Die Vielfalt macht die Teams stark» Die Rettungschefin von Les Diablerets

Coraly Pernet wurde vor über zehn Jahren zur ersten Rettungschefin der Alpinen Rettung Schweiz. Einst einsame Pionierin, stellt sie heute fest, dass der Frauenanteil langsam zunimmt. Sie ist überzeugt: Die Vielfalt macht die Teams stark.

Gewitterwolken türmen sich am Himmel, und bald platschen die ersten Regentropfen auf den leuchtgelben Helm von Coraly Pernet oder Coco, wie sie von ihren Kollegen genannt wird. In ihren Händen rattert eine Bohrmaschine, und sie wirft ihr ganzes Gewicht hinter die rote Hilti. Möglichst schnell sollen zwei Bohrhaken am Fels angebracht werden, damit das Opfer dieser Rettungsübung aus der Felswand geborgen werden kann.

Rund 15 Leute sind an der Übung beteiligt, und Coraly – die einzige Frau – packt tatkräftig mit an. «Hier draussen sieht man nicht, was ich als Rettungschefin hinter den Kulissen leiste. Hier bin ich einfach eine Retterin», stellt die 36-Jährige über den Lärm der Bohrmaschine hinweg klar.

Wenige Frauen insgesamt

Lange Zeit unterstand die alpine Rettung direkt den SAC-Sektionen, bevor die Rega und der SAC 2005 gemeinsam die Alpine Rettung Schweiz (ARS) formierten. Heute besteht die ARS aus 86 Rettungsstationen, aufgeteilt auf sieben Regionalvereine, die die gesamte Schweiz ausserhalb des Wallis abdecken.

Diese Rettungsstationen werden zurzeit von 51 Rettungschefs und 5 Rettungschefinnen geleitet. «Der Schein, dass Frauen in der ARS nicht nur auf Stufe Rettungschefinnen stark untervertreten sind, trügt nicht», sagt Sabine Alder, Leiterin Kommunikation und Administration bei der ARS. Im Herbst 2021 waren insgesamt rund 2650 freiwillige Retterinnen und Retter für die ARS im Einsatz, 11% davon waren Frauen. «Wir sehen seit einigen Jahren jedoch mehr Interesse von Frauen und erwarten, dass sich dieser Trend auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird», sagt Sabine Alder.

Dass sich die Geschlechterverteilung erst langsam ändert, erstaunt Andres Bardill, Geschäftsführer der ARS, nicht: «Die Bergrettung ist seit je eng mit dem SAC verknüpft, wo Frauen noch immer in der Minderheit sind. Doch der Anteil der Alpinistinnen steigt auch hier stetig an.»

Coco musste sich mehr beweisen

Coraly Pernet selbst ist vor rund 18 Jahren zur Rettungsstation Les Diablerets gestossen. Als sie als 16-Jährige zum ersten Mal anfragte, ob sie sich als Retterin engagieren könne, wurde sie vertröstet: Sie müsse erst volljährig werden.

Zwei Jahre später bewarb sie sich offiziell beim damaligen Rettungschef und wurde in die Rettungskolonne aufgenommen. «Ich bin von hier, bin damals Ski und wettkampfmässig Langlaufrennen gefahren und habe begonnen, mich für den Alpinismus zu interessieren. Ich bin dankbar, dass mir der damalige Rettungschef das Rettungswesen zugänglich gemacht hat.» Trotzdem hat sie das Gefühl, dass sie sich danach mehr beweisen musste als die männlichen Retter. «Die Coco ist ja wirklich ganz fit», hörte sie etwa von erstaunten Kollegen auf einer Hochtour der Rettungskolonne auf das Obergabelhorn.

Inzwischen hat sie sich im Team fest etabliert. Als Rettungschefin hat sie zusätzlich zu ihrem Engagement als Retterin vor allem organisatorische und administrative Aufgaben: Bei einem Aufgebot der Rettungskolonne agiert sie als Verbindungsperson zur Helikoptereinsatzzentrale der Rega in Zürich, erfasst Informationen zu durchgeführten Rettungseinsätzen und sorgt dafür, dass Berichte und Rechnungen korrekt erstellt werden.

«Ich schaue, dass wir einen guten Teamgeist haben, dass sich alle wohlfühlen», sagt sie. Zudem ist sie für die Ausbildungen verantwortlich und lädt, wie an diesem regnerischen Nachmittag, zum Beispiel die benachbarte Kolonne aus Villars-sur-Ollons ein, ihre neue Winde zu demonstrieren.

Alle sind willkommen

Pernet arbeitet Vollzeit als Osteopathin in Lausanne und Vevey. Wird es da nicht auch manchmal zu viel? «Die Rettungskolonne ist mir extrem wichtig», sagt sie. Selbst als sie während ihrer Ausbildung zur Osteopathin fünf Jahre in Lyon wohnte, blieb sie als Rettungschefin engagiert. «Ob als Osteopathin oder beim Setzen von Bohrhaken: Ich brauche und liebe diese praktischen Tätigkeiten.»

Und was sagt sie jungen Frauen, die sich für die alpine Rettung interessieren? «Ich empfehle, viel in den Bergen unterwegs zu sein, Erfahrungen zu sammeln und dann an der richtigen Stelle anzuklopfen.» Platz für mehr Frauenpower gibt es in der ARS auf jeden Fall, und wer bei Coco und ihren Gleichgesinnten anklopft, wird mit offenen Armen empfangen.

Das Interesse der Frauen steigt

Als Coraly Pernet vor über zehn Jahren ihre Position antrat, gab es in der ARS etwa zehn Frauen, allesamt waren sie im Hundewesen engagiert. Sie findet es schade, dass die Frauen in den Rettungsstationen immer noch stark untervertreten sind, und gewisse Rettungsstationen nur zögerlich begonnen haben, Frauen aufzunehmen. Aber das Interesse der Frauen steigt. «Die Vielfalt macht unser Team stark», sagt sie. Interessanterweise sind ein Drittel aller Frauen, die bei der ARS engagiert sind, als Fachspezialistinnen tätig. Mit Abstand am besten vertreten sind Frauen mit einem Anteil von über 50% bei den First Respondern. Als Laienmedizinerinnen stellen sie in den Bergregionen eine bessere Erstversorgung sicher. Auch in den Fachbereichen Medizin und im Hundewesen stellt die ARS ein stärkeres Interesse von Frauen fest.

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