Die wichtigen Minuten vor dem Start: Der Block und der Kopf
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Die wichtigen Minuten vor dem Start: Der Block und der Kopf

Bouldern ist Klettern in seiner reinsten Form: wenige Züge, Höchstschwierigkeiten, keine Sicherung. Am Weltcup im Kletterzentrum Milandia messen sich vom 14. bis 16. Mai die Meister der «explosiven Konzentration». Was geht in den Köpfen der Schweizer Spitzenkletterer Alexandra Eyer und Cédric Lachat in den vier entscheidenden Minuten dieses Wettkampfs vor?

Aus dem Halbdunkel treten sie ins grelle Scheinwerferlicht, aus der Gedankenwelt des Wenn und Aber auf den Boden der Tatsachen – aus der Isolation vor den Boulderblock. Die nächsten Minuten ist dieses Gebilde aus Holz und Kunststoff Alexandra Eyers Welt. Hier muss sie hinauf, und das mit so wenigen Versuchen wie möglich. Dass ihr die Jurorin die Route erklärt, nimmt sie kaum wahr. Sie sieht nur das Ziel. Dann geht ihr Blick zum Start. Ihr Gehirn rechnet, vergleicht die Neigung der Wand, die Formen und die Griffe mit Situationen, die sie schon geklettert ist. « Ich nehme mir viel Zeit, um mir meine Strategie zurechtzulegen, oft mehr als eine Minute », sagt sie. Hat sie den ersten Griff berührt, bleiben ihr vier Minuten im Final, um das Boulderproblem zu lösen. Je weniger Versuche sie braucht, desto besser.

Alexandra Eyer ist dabei die Ruhe selbst. Der Sturm heisst Cédric Lachat. Er schiesst aus der Isolationszone heraus, wirft einen Blick von unten nach oben auf die Wand, und schon hängt er am künstlichen Fels. «Nachdenken ist schlecht. Ich schaue kurz, der Rest geht von selber.» Cédric Lachat, der zurzeit erfolgreichste Wettkampfsportkletterer der Schweiz, ist ein Instinktkletterer. Er muss die Form des Felsens fühlen, um Entscheidungen treffen zu können. «Es ist mir egal, welche Struktur die Wand hat, wie gross eine Struktur ist oder welche Griffe ich habe. Ich muss da rauf. An etwas anderes denke ich nicht.» Nicht dass Alexandra Eyer nicht angreifen würde, wenn sie eingestiegen ist. Die Kraft, die in ihrem feinen Körper steckt, besonders in ihren Fingern und Armen, ist für Normalsterbliche nicht nachvollziehbar. Da ist dieser doppelt dynamische Zug, erreichbar nur mit einem weiten Hechtsprung. Sie lässt den Körper sinken, wippt zweimal. «Wie weit ist es zum Griff, wie kriege ich ihn zu fassen?», fragt das Kommandozentrum im Kopf. Zu viel Schub erschwert die Landung, ideal ist, das Ziel genau im toten Punkt der Flugbahn zu erwischen. Sie schnellt seitlich nach oben, packt den Zapfen mit beiden Händen, pendelt... und fällt. «Dynamos sind nicht meine Spezialität. Im ersten Versuch schaffe ich sie selten », kommentiert sie später.

Cédric Lachat, der Ungestüme aus dem Jura, klebt an der Wand. Er steht auf einer mickrigen Leiste und schiebt sich balancierend in Richtung des rettenden Griffs. Das ist der Cliffhanger-Moment. Es reicht, dass er den Schwerpunkt einen Zentimeter zu weit nach aussen versetzt, und der Held fällt. Nicht tief, höchstens drei Meter, die weiche Matte fängt den Sturz auf. «Wenn ich weiss, dass es so und nur so geht, dann probiere ich es genau gleich wieder», erklärt Cédric Lachat. Manchmal wird er in der Wand klüger, manchmal auch nicht: «Natürlich täusche ich mich ab und zu.» Am einzig gültigen Gedanken ändert das nicht: «Da oben ist das Ziel. Da muss ich hin. Irgendwie.» Sekunde für Sekunde läuft die Zeit. Noch eine Minute bleibt, um das Problem zu lösen. Die Zeit, während der Alexandra Eyer mit dem Block kämpft, fehlt ihr zur Erholung. Denn je länger sie braucht, desto kürzer wird ihre Pause. Geschafft! Zwei Hände halten den Topgriff, bis die Jurorin den Block als geklettert erklärt.

ALPEN: Was ist der schwerste Boulder, den du gepunktet hast?Alexandra Eyer: Beim Bouldern kann ich das nicht sagen. Ich mag es sehr gerne, aber die Schwierigkeitsgrade bedeuten mir überhaupt nichts.

Wie steht es denn mit dem Klettern? Was ist die schwerste Route, die du geklettert bist?Verschiedene 8b-Routen, z.B. Mor-dillo am Voralpsee und L' ami de tout le monde in Ceüse. In der Halle dürfte das eine 8a+ sein, eine 8b habe ich drinnen noch nie geschafft. Mein « on-sight»-Niveau ist gut, da klettere ich fast gleich gut wie rotpunkt.

Welche Trainingsmethode magst du am allerwenigsten?Ich mag es gar nicht, wenn ich schon kaputt bin, noch Kletterzüge im Maximalkraftbereich zu üben, denn dann ist die Verletzungsgefahr am grössten.

ALPEN :Welches ist der schwerste Boulder, den du gepunktet hast?Cédric Lachat: Das ist für mich nicht wichtig, ich bouldere eher zum Spass und um mir eine Freude zu machen, darum trainiere ich bouldern auch nicht heftig. Es dürften 8a und 8a+ gewesen sein. Das Klettern ist meine Arbeit, aber auch meine Passion, aber ich mache mir deswegen keine grossen Gedanken. Wenn ich am Ende einer Route ankomme, ist sie fertig, und ich vergesse sie wieder. Vielleicht erinnere ich mich ein bisschen an härtere Routen.

Was ist die schwerste Route, die du rotpunkt geklettert bist?Da muss ich überlegen. A Muerte in Siurana, Spanien, eine 9a. Von der Bewertung her war das die schwerste. Aber für mich war Underground Hardcore ( 8 c+ ) in Malaysia schwerer. Andere 8 c+, wie Pierrot Bitch in Oliana, Spanien, kletterte ich « on-sight ».

Welche Trainingsmethode magst du am allerwenigsten? Am Anfang des Jahres muss ich für den Aufbau der Muskeln richtig trainieren, auch im Kraftraum, das mag ich überhaupt nicht. Das hat nichts mit dem Klettern zu tun, das ich liebe.

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