Drei Erinnerungsblätter
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Drei Erinnerungsblätter

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

L' Innominata.

In einer Klubhütte hatten wir sie zuerst angetroffen, wie sie, gebräunt und etwas ermattet von der Fahrt, aber mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen, uns gegrüsst hatte. Mit einer Anmut sondergleichen hatte das kräftige, wohlgeformte Turinerkind in Begleitung seines Vaters und zweier Führer, während der kurzen Rast im Abstieg, in der nüchternen Stube herumhantiert und sie mit sonnigem Glanz erfüllt. Und wie immer, wenn sich echte Bergsteiger unvermutet begegnen, hatte man sich gleich durch gemeinsame Sympathien verbunden gefühlt. Ihr Äusseres war trotz der schweren Beanspruchung durch Weg und Wetter weiblich und elastisch geblieben; und als wir sie später in Courmayeur wieder sahen, hatte sie sich nicht sonderlich zu verändern brauchen wie viele ihresgleichen, die aus einer scheusslichen Bergpuppe als Salonfalter ausschlüpfen. Sie war gleich natürlich und reizvoll im Strassen- wie im Bergkleid.

Man begrüsste sich beim abendlichen Korso als Kameraden, und es hätte uns etwas gemangelt, wenn wir das schöne, lebensprühende Gesicht der Unbekannten nicht bei unserem Rundgang aus der Menge hätten auftauchen sehen. Einmal blieb es wirklich verschwunden, aber schon am nächsten Abend erzählte uns der rassige Mund in kurzen Worten von neuen Taten. Da regte sich in uns, die wir beim schönsten Wetter hier unten herumlungerten mit der Ausrede, den Neuschnee auf den Höhen schwinden zu lassen, der männliche Ehrgeiz, und schwerbepackt zogen wir noch in derselben Nacht auf neue Unternehmungen aus.

Ein Abergläubischer hätte über den Ausgang dieser Reise nicht im Zweifel sein können: drei Raben flogen vor uns auf, ein altes Weiblein lief uns über den Weg, ein Hosenknopf ging dem einen von uns ab; und als wir schon zwei Stunden gestiegen waren, merkten wir endlich, dass wir den Hüttenschlüssel mitzunehmen vergessen hatten. So kamen wir erst spät auf dem Rifugio Gamba an. Der Abend verlief düster, unheilverkündend. Im Hüttenbuch standen als letzte Eintragung die Schriftzüge des vor ein paar Tagen hier verunglückten Ehepaares Jones. In der Nacht wütete der Sturm wie toll, so dass wir mehrmals voll Entsetzen ins Freie flüchteten, uns dort sicherer wähnend. Am Morgen lag der Schnee fusstief herum. Erst am darauffolgenden Mittag waren die Mont Blanc-Geister wieder etwas beruhigt, und wir erklommen die Innominata. Ein Nachmittagsbummel und nichts weiter! Und doch hat Andreas Fischer vom letzten Gratstück geschrieben, « dass seiner Ansicht nach sogar die im Löwen geborenen Zukunftsbergsteiger ihre Griffe nicht darnach ausstrecken oder doch recht bald wieder einziehen werden ». Armer Gletschermann! Nicht im Löwen, sondern im Affen sind sie geboren —. Und so fasst denn der moderne Kletteraffe die Messerschneide des Grates mit beiden Händen, stemmt die Knie gegen die exponierte, glatte Wand und hangelt und rutscht so in wenig Minuten hinüber, wo du mühsam den Umweg in den Gesimsen unten suchtest.

Die Innominata ist nichts für sich — daher ihr Name —, alles durch ihre. Umgebung! Auf zwei festen Stützen steht hier Vater Mont Blanc im tiefen Tal der Dora, die eine massig und rund gehobelt, die andere zerhackt und angefressen wie selten eine. Sie umklammern eine Steilflanke, in deren Mitte ein naseweiser Sporn aufstrebt bis nahe zum Brustschild des Alten und die an dessen unterem Rand gebildeten zwei Gletscher als lange, schmale Stränge links und rechts symmetrisch neben sich herabhängen lässt. Dieser Sporn ist « Unbenannt ». Man könnte ihn ebensogut Nabel des Riesen, Mittelpunkt dieses abgeschlossenen Stücks Eigenwelt, Kerze, angesteckt vor dem Hochaltar, nennen. Alles hier ist Aufblick, Aufschwung, Drängen nach oben. Die feste Linie des Brouillardgrates ist es nicht minder als der ungeheure Drohfinger der Aiguille Noire de Peuterey und die züngelnden Flammen der Dames Anglaises. Während auf der französischen Seite der Firnmantel des Gefür-steten in sanften Wölbungen und Schwingungen zur Erde gleitet, ist hier alles in Aufruhr begriffen und wie gepeitscht vom ehrgeizigen Ringen nach Höherem.

Auf der luftigen Kanzel der Innominata ist der richtige Ort zur Ausschau nach oben — und wieviele haben nicht schon da hinaufgeschaut, gleich wie wir auch, damals, als das grosse Problem der Südwand noch nicht gelöst war I Aber uns blühte im lausigen Zwölfer-August kein Weizen... wie gesagt: die Raben, die Hexe, der Hosenknopf I Tief verschneit wie im Winter und in der Verkürzung und im Zwielicht eigentlich banal, hohnlachte unser diese vielbegehrte Wand. Alle die Höhen ringsum blickten kalt und abweisend mit ihren schwarzweiss getigerten Flanken. Und auf der Rückseite ein dunkel-verhangener, hoffnungsloser Abendhimmel mit schwefelgelben Blinklichtern. Sogar der Freyney-Gletscher war uns am folgenden Tag sehr abhold, so dass wir eiligst wieder zutal flohen.

Dort in Courmayeur spähten wir vergeblich nach dem trostreichen Bild unserer schönen Innominata aus: sie hatte sich uns am gleichen Tag über den Col du Géant für immer entrückt.

Chamonix.

Wir schlenderten sorglos auf der fast ebenen Kalotte des Dôme diesem bequemen Viertausender zu, als drüben an der Kante einige schwarze Punkte auftauchten. Fünf Tage lang hatten wir uns schon in Eis und Schnee herumgetrieben, allein, ohne ein anderes lebendes Wesen anzutreffen als Dohlen und Adler. Jetzt begrüsste lauter Zuruf wieder die ersten Menschen.

Gleichzeitig aber schwanden mir Stand und Zuversicht, Dämmerung umfing mich, und zappelnd baumelte mein eben noch so stolzes Selbst im Ungewissen Leeren. Wo der leichtere Seilkamerad arglos hinübergeschritten war, hatte mich die Kluft mit raschem Griff herabgezogen ins Dunkle. Nein, das war kein gewöhnlicher Gletscherspalt, sondern ein nach allen Seiten fliehendes Riesengewölbe, dessen Scheitelpunkt ich glatt durchschlagen hatte; das war ein schauerlicher Tanzsaal des Fürsten der Unterwelt, ohne Grund und sichtbare Wände, aber dafür mit einer todesgrimmigen Grabesluft darin, dass man beim blossen Gedanken daran nachträglich noch fröstelte. Wäre nicht zufällig die Begegnung mit den drei jungen Franzosen gewesen, wer weiss, ob ich je wieder fröhlich oben am Licht hätte herumspazieren können...!

Am Abend Einzug in Chamonix bei Fanfarenklängen und Raketenknall. Galt das uns, die wir als Erste im Jahr über alle Höhen aus dem südlichen Tal herübergekommen waren und an diesem Morgen noch auf der höchsten Zinne gestanden hatten? Nein, es war Vorfeier des « qu'torze Juillet ».

Unsere Höhen aber hatten geheissen: Dent du Géant-Aiguille du Midi-Mont Blanc du Tacul-Mont Maudit-Mont Blanc, und noch einmal Mont Blanc-Dôme und Aiguille du Goûter, ein herrlicher Eisblumenkranz. Und ein Fest war es auch gewesen: Sternennächte, Sonnenglast auf weiten Firnfeldern, Orgeln der Windsbraut in den Klippen, Kampf mit Spaltengewirr und Gwächten, Ahnen des Unendlichen und trunkenes Höhengefühl 1 Und das Beil hatten wir geschwungen, dass die Splitter stoben, und den eisen-gespitzten Fuss eingerammt in dachgähe Hänge. Und gefroren, geschwitzt, gekeucht, gedürstet, gejubelt —gebrüllt vor Lust! Jetzt bahnten wir uns zögernd und fremd einen Weg durch eine durcheinanderwogende, festlich geputzte und schwatzende Menge. Stumm schlichen wir am berühmten Bureau des guides mit all seinen lauernden Augen und strafenden Blicken vorüber. Ein Zeitungsmensch stürzte sich auf uns:

« Messieurs, d' où venez-vous? » Und wir, mit einer grossartigen Handbewegung gegen die im Mondlicht schimmernden Bergriesen tutti quanti:

« De là-haut! » Unser Träger Maurice aus dem schweizerischen Ferret aber platzte schier vor Begierde, zu erzählen und sich zu rühmen, obschon er strengen Befehl hatte, sowohl Herkunft als weitere Pläne zu verheimlichen. Dann setzten wir uns bald in einem kleineren Hotel an einer reichbesetzten Tafel nieder, zum ersten warmen Mahl seit langer Zeit. Die Luft war erstickend heiss, das Stimmengewirr und Essgeräusch betäubend. Halb benommen, noch mit dem Glanz und der unendlichen Weite der Höhen in den Augen, die Sinne noch erfüllt vom Eindruck der Himmelsnähe auf den Firnen und der eisigen Gruft im Gletscher, hörten wir stumm und schlaftrunken zu. Eine eindringliche, männliche Stimme erzählte schwungvoll dem atemlos lauschenden, meist weiblichen Publikum... Mont Blanc... Seraks... Lebensgefahr__ allein!...

Jetzt hörten wir aufmerksamer hin: der blasse, junge Mann von vorhin, mit Locken und schön gepflegtem Bart, Augen und Hände voll südlichem Feuer, legte los, nachdem er ein paar unsichere Seitenblicke auf unsere verbrannten Gesichter geworfen hatte, und liess sich als Held unglaublicher Grosstaten feiern. Eben schilderte er, wie er diesen Morgen mit knapper Not in der Jonction dem sichern Tode entronnen. Er war von der richtigen Spur abgekommen und unversehens in eine breite, glücklicherweise an dieser Stelle halbwegs geschlossene Spalte hinuntergerutscht. Ein Entkommen aus diesem Gefängnis war ausgeschlossen! Rings starrten glatte Mauern, und oberhalb drohten blaue Seraks scheinbar überhängend in der Luft. Besonders ein Riesentor aus zwei gegeneinanderlehnenden Eisblöcken schien jeden Augenblick zusammenstürzen zu wollen.

« Noch schaute ich erschauernd daran hinauf, » sagte er, « als plötzlich ein lautes Krachen wie Donner ertönte und der Grund, auf dem ich stand, erzitterte und unter dem Anprall von Tonnen von Eisblöcken schwankte; dichte Wolken von Eisstaub füllten die Luft und hüllten alles ein. Als die Nebel langsam dünner wurden, sah ich, dass der Torbogen eingestürzt war und die Trümmer meine Spalte dicht vor mir gänzlich ausgefüllt hatten. Ja, sie bildeten sogar eine Brücke, auf der ich bequem daraus heraussteigen und die Oberfläche des Gletschers wieder gewinnen konnte. » « Oh dear me! » flötete eine Engländerin ergriffen, und eine mütterliche Freundin mit zwei heiratsfähigen, übrigens sehr hübschen Töchtern zur Seite, fasste die Hände des jungen Helden und drückte sie mit Inbrunst:

« Je vous félicite, cher monsieurQue vous avez donc été brave! » — Die Gläser stiessen klirrend zusammen, und draussen setzten wie auf Kommando Musik und Kanonenschläge ein.

Am andern Tag war der junge Mann verstummt, und die weiblichen Tisch-gäste schauten neugierig zu uns herüber, die wir uns mit Gleichmut und immer gutem Appetit noch ausschliesslich mit seiner Stillung beschäftigten.

Maurice hatte geplaudert...

Triolet.

Man muss schon sehr aufeinander abgestimmt sein, wenn man Zelt-absichten hat. Nicht jeder Beliebige ist zu dieser Art äusserster Gemeinschaft berufen. Das Zelt verhält sich zur Klubhütte wie die Eremitenklause zum Betrieb in einer grossen Kirche. Da hindert nichts Menschliches mehr das völlige Aufgehen im All.

Weit auf Vorposten, in unmittelbarer Nachbarschaft der dräuenden Wände und schillernden Eisklüfte, ist das niedere Dach auf seinen zwei Pickelfüssen aufgerichtet. Eine dünne Haut nur trennt von Wind und Kälte, vom unendlichen Räume. Jeder Berghauch, jedes Erzittern und Erschauern der Nachtgeister ist drinnen fühlbar, das Seufzen des Windes, das klagende Rauschen des Baches, der dumpfe Donner der stürzenden Blöcke treten an das halb schlummernde Ohr in der Verstärkung durch die Einsamkeit heran. Und drinnen ist die Luft wie geladen mit Erwartung und latenter Energie. Der Wecker tickt empörend. Jede Lageveränderung ist zugleich schreckhaftes Umwälzen der Gedanken; denn die paar Stunden körperlicher Sammlung sind auch Zeiten gespannter Hirntätigkeit, sei es im Halbschlaf als unruhige Träume, sei es im Wachen als bohrende Probleme. Riesengross stehen die am Tage geschauten Berge vor einem auf, unüberwindlich scheinen die Mühen ihrer Ersteigung, und in den Tiefen lauert die Gefahr als sprungbereites Gespenst.

Das Erwarten der Stunde ist beängstigend. Flieht die Zeit oder narrt sie uns durch träges Dahinschleichen? Nein, der Wecker tickt unaufhörlich, jetzt, bald, nächstens wird er abschwirren. Die Herzschläge selbst scheinen den Takt mit der Uhr einhalten zu wollen. Da, ein neuer Laut! Ta, und noch einmal ta, tatata —. Weiss der Himmel: es regnet uns aufs Dach. Eilig wird der Kopf zum Schlitz hinausgestreckt und allgemeine Trübung festgestellt. Verhängt sind die Wände, ausgelöscht das Sternenlicht, neblige Dumpfheit und Enttäuschung allseitig. Der Wecker wird noch zweimal eine Stunde später gestellt — mit demselben Ergebnis. Heisst also sich fügen und ausschlafen!

Durch das Brodeln der Nebel wird hier ein Stück graugrünen Eisbruchs, dort ein schwarzer, frisch überschneiter Felshang sichtbar. Aber gegen Mittag dringt die Sonne durch und bringt Leben in die erstarrte Natur zurück. Unser kleines Reich hat bald wieder sein heiteres Aussehen gewonnen. Auf den molligen Rasenpolstern, inmitten der tapfern Gletscherranunkeln und Enziane, ist ein gut Verweilen, die Sonne trocknet und wärmt, der Bach lädt zum Bade. Schon stechen die weissen Spitzen wieder ins tiefe Blau. Aber der längste Blick geht talwärts, wo eine grüne Oase zwischen den Felskulissen heraufleuchtet. « Dort unten, auf der Wiese beim lichten Gehölz der Lärchen, würde der Gegend ein Sommerhäuschen gut anstehen », meinte der Freund. « Einen Balkon müsste es haben zum Hinausträumen nach den Bergen, und einen traulichen Kamin für die Abende. Und am Felsblock daneben müssten mir meine Kinder ihre ersten Kletterübungen versuchen. » Doch bald ertappte er sich auf dem Gedanken, dass die berühmten Bergsteiger zumeist nur Mädchen zu Nachkommen besässen, und er zählte die Bekannten auf, bei denen das wirklich zutraf. Dann wandte er sich wieder seinem unerschöpflichen Lieblingsthema, den Bergen, zu. Halb Knabe noch, doch mit den hochfliegenden Plänen des reifenden Mannes, war ihm kein Projekt zu kühn, kein Hang zu steil. Unser Blick verlor sich mit den eilig dahinsegelnden Wolken in eine ferne Zukunft, und wir stürmten das Leben, wie man Gipfel stürmt. Wie ging alles so leicht, unter Singen und Scherzen! Voller Hoffnungen, und das Herz geschwellt von prallem Mut, bezogen wir noch bei heiterem Tag wieder unsere Zeltblache.

Was ist weiter zu sagen? Die Ereignisse spielten sich genau wieder ab wie in der Nacht vorher: eine Stunde vor Mitternacht kam 's noch einmal — ta, ta, tatata, und als der Wecker wenig später pflichteifrig abrasselte, wurde er mit einem Wutgeheul empfangen. Am Morgen Nebel und Neuschnee. Nun gaben wir es auf und wechselten über die nahe Grenze nach Italien hinüber, vielleicht dass der Himmel dort blauer schien.

Nicht alles, was Aiguille heisst, ist reine Felsfreude. Am langen Grat der Aiguille de Triolet, den sie gegen die Monts Rouges hinunterschickt, waren wir in der Dunkelheit viel zu früh eingestiegen und konnten uns infolgedessen fünf Stunden länger daran die Zähne ausbeissen. In einem trockenen Sommer mag dieser Weg schöne Kletterei bieten, jetzt führten wir lediglich einen Kampf mit Eis und Neuschnee. Eine kleine, köstliche Zeitspanne lang, beim einzigen Halt dieses Tages hoch auf der luftigen Gratschneide, ja, da bot uns der Berg reinen Genuss! Weit schaute man nach Italien hinein und hinüber an den penninischen Alpenwall. Die Grivola stand formenschön und taufrisch da in der Morgensonne, und der Paradiso machte seinem Namen Ehre. Ein klarer italienischer Himmel blaute darüber, o allzu klar! Denn schon eine halbe Stunde später zogen von Westen her Sturmwolken herauf und verschluckten bald den Sonnenschein in einem alles ertötenden, bleiernen Grau. Wir mussten mehrmals in die Flanke hinaus, wo bei jedem Schritt zischend Schnee abfuhr, um nach einer Weile weit unten auf dem Gletscher als breit und langsam rollende Lawinenknollen wieder zum Vorschein zu kommen, falls sie der Schrund nicht vorher schon versorgt hatte. An der Hauptwand vollends musste für Griffe und Tritte zuerst der Schnee weggekratzt werden, dann kamen blankes Eis oder vereiste Felsen darunter hervor. Ganze Schneewehen fuhren die Rinne herab. Wir waren in dicken Nebel gehüllt. Endlich merkten wir am frischen Luftzug, dass wir wieder auf einem Kamm standen. Hui, er meinte es heute gut mit uns, der frate vento! Dass die alten Griechen in der Feldschlacht nicht ärger geschrien haben konnten, als wir uns gegenseitig anbrüllen mussten, wenn wir uns verständlich machen wollten, das war mir kein Zweifel. Nun zuerst den höchsten Punkt gesucht, um uns zu orientieren, denn wir wussten ja, dass die Triolet einen langen Dachfirst mit mehreren Erhebungen besitzt. Dann in der entgegengesetzten Richtung wieder zurück, mit verhaltenem Atem und geducktem Leib. Aber auch dort geht es schliesslich allseitig senkrecht ins Leere. Darum Karte heraus und Kompass. Nur schnell, schnell, keiner hält es da oben lange aus!

Es folgte ein gegenseitiges Hinunterlassen am Eishang, ohne Stufenschlag, aber mit peinlicher Sicherung. Lang dauerte das. Und erst noch hiess es aufpassen, um die Lücke zwischen kleiner und grosser Triolet zu finden und nicht in den tiefen Abgrund zum Argentièregletscher hinein zu geraten. Nach bangen Stunden zeichnete sich im Nebel eine fein geschwungene Linie heraus: wir hatten richtig gesteuert. Es war auch höchste Zeit, denn unsere Hände und Füsse waren schon gefühllos.

Damit war der Abstieg zwar noch lange nicht beendigt, aber wir hatten das Menschenmögliche unter diesen Umständen getan, und schliesslich, nach 19stündiger Abwesenheit, langten wir bei der Triolethütte wieder an, als eben die Abendsonne mit ihren letzten Strahlen die frisch verschneiten Höhen nochmals vergoldete.

So hatte sie noch dem stürmischen Triolet die versöhnende Schlusszeile aufgesetzt.Carl Egger^

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