Dünne Luft im Dickicht
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Dünne Luft im Dickicht Der Schweizer Wald und die Klimaerwärmung

Die Fichte, die vorherrschende Baumart in den Schweizer Wäldern, ist von der Klimaerwärmung besonders betroffen. Im Bergwald profitiert die Lärche als Konkurrentin von dieser Situation und zieht sich gut aus der Affäre.

Dank ihrer Fähigkeit, auch im Schatten schnell und gerade zu wachsen, ist die Fichte vor einigen Jahrzehnten zum Liebling der Förster geworden, die ihr wirtschaftliches Potenzial schätzen. Das hat dazu geführt, dass dieser Baum mit seiner unverkennbaren braunroten Rinde und seinem intensiven Harzgeruch heute zur vorherrschenden Baumart im Schweizer Wald geworden ist. Laut einer Studie von Pro Natura aus dem Jahr 2011 ist fast jeder zweite Baum eine Fichte, das entspricht einem Anteil von 44%.

Käfer profitieren von der Wärme

Leider wird die Fichte, die man auch als Rottanne kennt, von der Klimaerwärmung besonders in Mitleidenschaft gezogen. Die klimatischen Veränderungen führen dazu, dass aussergewöhnliche Naturphänomene zunehmen. «Starke Gewitter sind viel häufiger, die Regenfälle intensiver und ergiebiger, während starke Schneefälle im Frühling wiederholt viel nassen Schnee bringen», sagt Frédéric Bourban, Oberförster im Revier Ecoforêt in Nendaz.

Hinzu kämen sommerliche Trockenperioden und das verstärkte Auftreten des Buchdruckers, eines Insekts aus der Familie der Borkenkäfer, das von der Klimaerwärmung profitiert, sagt der Forscher, Waldökologe und Senior Scientist Peter Brang von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

Die Fichte ist gegen diese veränderten Umstände schlecht gewappnet. Einerseits vertrage dieser Nadelbaum mit seinem «Horizontalwurzelsystem, das an der Oberfläche bleibt», die sommerliche Trockenheit schlecht und finde während heisser Perioden kaum Frische und Feuchtigkeit im Boden, sagt Frédéric Bourban. Andererseits könne die Tatsache, dass der Baum im Winter seine Nadeln behält, dazu führen, dass Äste unter der Schneelast brechen oder der Baum gar entwurzelt werde, sagt der Förster.

Zudem wird die Fichte als praktisch einzige Baumart vom Buchdrucker (Ips typographus) befallen, und je mehr sie von der Trockenheit geschwächt ist, desto mehr kommt dies vor. «Der Borkenkäfer dringt in die Rinde ein und nutzt den Saftfluss zwischen Rinde und Holz für seine Entwicklung», erklärt Peter Brang. «Wenn der Baum bei guter Gesundheit ist, kann er diesem Befall widerstehen und sich durch die Produktion von Harz verteidigen, wenn er aber wegen Wassermangel geschwächt ist, fällt seine Abwehr weniger wirksam aus.»

Problematischer Verbiss

In Bezug auf die Waldwirtschaft hat das verstärkte Auftreten des Borkenkäfers weitreichende Folgen für ältere Bestände von Fichtenmonokulturen. «Noch vor einigen Jahrzehnten fällte man Laubbaumbestände, um sie durch Fichten zu ersetzen, die in wirtschaftlicher Hinsicht interessanter waren. Doch diese Laubbäume wären eigentlich besser an die Klimaerwärmung angepasst gewesen, denn natürlich wachsende Bäume sind widerstandsfähiger als solche, die gepflanzt werden», erklärt Frédéric Bourban.

Die Situation ist für den Nadelbaum sogar so kritisch, dass die WSL bei der Fichtenpopulation von einem Verlust von 40% innerhalb von drei Jahren aufgrund aufeinanderfolgender Dürren ausgeht. «Das ist beunruhigend, wir müssen uns darauf gefasst machen», sagt Peter Brang.

Im Hinblick auf die zukünftige Erneuerung des Bergwaldes bereitet dem Wissenschaftler die Problematik mit dem Verbiss Sorgen. «In vielen Gegenden der Schweiz haben wir grosse Populationen von Huftieren, die alle Baumbestände ausser der Fichte verbeissen», erklärt Peter Brang. «Damit bleibt die am wenigsten angepasste Baumart stehen, während Laubbäume oder Weisstannen, die besser gegen die Klimaerwärmung gewappnet wären, nicht wachsen können, weil sie vorher verbissen werden.»

Lärche besser gewappnet

Im Gegensatz zur Fichte betrifft die Klimaerwärmung die Lärche viel weniger. «Dieser Baum profitiert von einer tiefen Verwurzelung, dank der er in der Tiefe des Bodens Feuchtigkeit und Frische findet», sagt Frédéric Bourban. «Zudem hat er eine sehr dicke Rinde, die ihn vor der Sonneneinstrahlung schützt.» Auch die Tatsache, dass die Lärche im Winter ihre Nadeln verliert, stellt einen Vorteil dar. «Der Schnee fällt durch das Astwerk schnell auf den Boden. Dank den brüchigen Ästen wird ein Übermass an nassem Schnee den Baum höchstens einen Ast kosten und selten den ganzen Baum entwurzeln.»

Zu allem Überfluss profitiert dieser Nadelbaum laut Peter Brang vom schlechten Zustand der Fichtenbestände, mit denen er oft in Konkurrenz steht. So kann es vorkommen, dass Lärchen die Fichtenbestände sogar auf ihrem eigenen Terrain verdrängen. «Im Gegensatz zur Lärche gedeiht die Fichte auch in schattigen Lagen», so der WSL-Experte. «Wenn der Borkenkäfer jedoch gut besonnte Lichtungen im Waldbestand schafft, dann begünstigt dies die Ausbreitung von Lärchen.»

Sorgen um die Menschen in den Bergen

Der Wissenschaftler weist auch darauf hin, dass «die Lärche in der Lage ist, Gebiete ausserhalb des Waldes zu besiedeln, vermutlich dank ihren sehr leichten Samen, die sich gut über die Luft verbreiten». Zudem gedeihe sie dank ihrer «Widerstandskraft gegen sehr tiefe winterliche Temperaturen» auf den letzten 200 Höhenmetern unter der Baumgrenze.

Abgesehen vom individuellen Schicksal der Baumarten machen sich die beiden Experten um den Wald als solchen kaum Sorgen. «Die Frage ist nicht, ob die Bäume weiterhin wachsen werden», sagt Peter Brang. «Den Wald kümmert es nicht, ob es zu einem Borkenkäferbefall der Fichten kommt oder nicht. Er passt sich an und entwickelt sich weiter, er wird immer überleben», sagt Frédéric Bourban.

Besorgt sind die beiden Spezialisten hingegen über die gesellschaftlichen Folgen, die dieses Phänomen mit sich bringen kann. «Ich mache mir Sorgen um die Menschen, die in den Bergen leben. In den Berggebieten verändert sich die Landschaft aufgrund des Rückgangs der landwirtschaftlichen Nutzung, dadurch sind unsere Schutzwälder gefährdet. Ihr Unterhalt ist sehr kostenintensiv», räumt Frédéric Bourban ein. «In den Bergen sind sehr dichte Bestände ohne grössere Lücken nötig, um Siedlungen und Infrastrukturen vor Lawinen, Steinschlag und Hochwasser zu schützen», sagt Peter Brang. Laut dem WSL-Experten wird in den nächsten Jahrzehnten «diese Schutzwirkung in immer grösseren Gebieten nicht mehr zu gewährleisten sein, zumindest während gewisser Perioden».

Erst der Anfang?

Die Ungewissheiten sind zahlreich, und die Prognosen sind alles andere als beruhigend. «Vielleicht erkennen wir noch nicht die ganze Wahrheit, sondern nur den Anfang einer sehr langfristigen Entwicklung», vermutet der Wissenschaftler. Zwar lässt sich bereits jetzt feststellen, dass der Borkenkäfer stärker auftreten wird. Aber es ist unmöglich, vorherzusagen, was in Zukunft auf uns zukommen wird.

Als Beispiel nennt er das Eschentriebsterben, das von einem Pilz verursacht wird. «Vor 15 Jahren trat die Krankheit bei dieser Baumart nicht in Erscheinung, aber heute sind grosse Teile des Eschenbestands wegen ihr nicht mehr zu retten.» Und die Förster im Goms gingen davon aus, dass der Borkenkäfer in ihren Wäldern an Südhängen kein Problem darstellt, und wurden dann vor einigen Jahren eines Besseren belehrt. «Es gibt in der Tat Überraschungen», sagt Peter Brang.

Autor / Autorin

Martine Brocard

Laubbäume in immer grösserer Höhe

«Mit dem Klimawandel wird sich der Schweizer Bergwald verändern», sagt Peter Brang, Forscher bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Da alle Baumarten die Tendenz haben, in höhere Gebiete auszuweichen, werden Laubbäume, die heute in tiefen Lagen vorkommen, auch in grösseren Höhen zahlreicher. Weisstannen, Bergkiefern, Waldföhren und Fichten, die bereits heute in diesen Höhenlagen vorkommen, werden dieser Aufwärtsbewegung folgen. Das gilt auch für Baumarten, die Höhenlagen bevorzugen, wie Lärchen und Arven. Ihre Fähigkeit, sich auszubreiten, wird aber eingeschränkt, weil mit zunehmender Höhe immer weniger Boden zur Verfügung steht. Schliesslich werden Pionierbaumarten wie Lärchen, Birken, Vogelbeeren, Pappeln und verschiedene Weidenarten, die sich nach Schädigungen ansiedeln, in unseren Bergwäldern weitere Verbreitung finden.

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