Ein mittelalterlicher kaiserlicher Kriegszug über einen Alpenpass
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Ein mittelalterlicher kaiserlicher Kriegszug über einen Alpenpass

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G. Meyer von Knonau ( Section Uto ).

Ein mittelalterlicher kaiserlicher Kriegszug über einen Alpenpass.* ) Von Für ein Mitglied des S.A.C., das neben der Freude an unserer Bergwelt im Allgemeinen noch bestimmtere, enger abgegrenzte Interessen auch in den Wochen einer jährlichen Musse begleiten, hat auf der Karte des Clubgebietes von 1878 ein bestimmter Abschnitt im Nordwesten besondere Anziehungskraft ge- habt. Da ist eine in Vergessenheit gerathene Berühmtheit aus alten Zeiten eingezeichnet, an der die Gegenwart, ohne sich mehr um sie zu bekümmern, vorübergeht, ein uralt ehrwürdiger Alpenübergang, welcher in der römischen und in der mittelalterlichen Zeit ganz vor-anstand, während jetzt trotz seiner centralen Lage un verhältnissmässig selten eine Benützung desselben stattfindet.

Als kürzeste Linie von Cur nach Chiavenna, vom Bodensee zum Comersee, von Schwaben nach dem Mailändischen, war der Septimer, der Uebergang von Bivio nach Casaccia, Jahrhunderte hindurch der Hauptpass der westlichen rätischen Alpen, die Hauptüber-gangsstelle zwischen dem grossen St. Bernhard im Westen, dem Brenner im Osten, bis dann erst sehr spät einerseits der Gotthard aufkam, andererseits der weit ältere rätische Concurrent in der Nachbarschaft, der Splügen, mit seiner Abzweigung über den Bernardino, den Septimerpass in den Hintergrund rückten. So ist derselbe zur Antiquität geworden, zumal seit das obere Engadin immer mehr die Reisenden anzulocken begann, so dass gerade die werthvolle Eigenschaft des Septimerüberganges, den Umweg durch das Engadin, den spitzen Winkel bei Silvaplana mit den Schenkellinien Julier und Maloggia, abzuschneiden, zurücktrat.

Bei meiner letzten Bergreise 1878 lag es mir nun gerade daran, das Engadin zu umgehen und dabei, den Septimerweg zu benützen. Vom Hintergrunde des Avers-thales — wohl ohne Frage nach verschiedenen Hinsichten, nicht zum wenigsten auch der ethnographischen, &Tj eines der merkwürdigsten Abschnitte des Landes Graubünden — führt über die Forcellina ( 2673 m ) der Weg in den obersten Theil des bei Bivio sich öffnenden vom Nordabstieg des Septimer durchzogenen Thales, und man erreicht auf der Passhöhe bei den Ruinen des früheren Hospizes ( 2300 " ) den uralten Pfad, über dessen in seiner ersten Anlage auf römische Strassenbaukunst zurückgehenden Steinpflaster von grossen Platten, in zuweilen " fast treppenartiger Durchführung, nach Casaccia ( 1460 m ) hinuntergestiegen werden muss. Der Umstand, dass ich in lebhafter Unterhaltung gerade an den Cranchi del Settimo und weiter hinab mit einem befreundeten wissenschaftlichen Fachgenossen und Reisegefährten allerlei uns an Ort und Stelle besonders stark beschäftigende Fragen erörterte, von dem unendlich farbenreichen Treiben, das vor einem Jahrtausend und viel länger und wieder seither noch durch Jahrhunderte diesen jetzt so stillen Pass belebte, gab mir den Gedanken ein, in einer Mittheilung für den S.A.C. das hier angekündigte Thema zu behandeln.

Allerdings sind wir nun weit davon entfernt, irgendwo in einer geschichtlichen Quelle eine zusammenhängende Erzählung eines mittelalterlichen Alpenüberganges, eine Schilderung der damit verknüpften Umstände zu besitzen. Wenn wir also hier den Versuch machen, uns ein Bild von diesen Dingen zu entwerfen, so ist es eine Mosaikarbeit, und auch diese kann auf Vollständigkeit nicht Anspruch erheben. Von hier und von dort fällt vereinzelt ein Schlaglicht über diese Dinge; aber eine eingehende Beleuchtung findet nirgends statt.

Seitdem mitten in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts der grosse Frankenkönig das Reich der Langobarden in Italien zu dem seinigen herangezogen, seit derselbe am ersten Tage des neunten Jahrhunderts zu Rom seine vorragende königliche Gewalt zur kaiserlichen für das Abendland erhöht hatte, waren die Alpen zu einer inneren Grenze im fränkischen Ge-sammtstaate geworden. Mit der sinkenden Kraft der Karolinger hatte auch die Zugehörigkeit der Apenninhalbinsel sich gelockert; aber der Anspruch auf die Kaiserkrone wurde doch noch in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts durch die Herrscher im ostfränkischen Reichstheile geltend gemacht. Freilich erst deren glücklichere und kräftigere Nachfolger, die deutschen Könige sächsischen Stammes, vermochten in der Mitte des zehnten Jahrhunderts die oberen und mittleren Theile Italiens unweigerlich wieder an sich zu ziehen, die italienische königliche, die römische kaiserliche Krone sich auf das Haupt zu setzen, und in der Höhezeit des Mittelalters, von 951 bis 1251, unter den fünfzehn Königen und Kaisern der sächsischen, der salisch-fränkischen, der schwäbischen Dynastie, folgen sich nun achtunddreissig Heerfahrten nach Italien, alle über die Pässe des Hochgebirges der Alpen. Geradezu heisst diese Hauptangelegenheit in den kriegerischen Aufgaben der deutschen Politik der Zug « über die Alpen »; erst vom zweiten Drittel des zwölften Jahrhunderts an ist von einem « Römer- zuge », als Bezeichnung dieser Unternehmungen, die Eede.

Allein dem Menschen des Mittelalters und noch viel späterer Jahrhunderte — bekanntlich muss man, um das zu finden, von unserer jetzigen Zeit der Alpenvereine keineswegs weit hinaufgehen — war das alpinische Hochgebirge eine Sache des Schreckens, des Abscheues, unangenehmer Erinnerung an überstandene Mühseligkeiten und Aengste. Keine Rede konnte von dem eifrigen theilnahmeerfüllten Gefühle sein, mit dem wir jetzt die Grossartigkeiten der Alpennatur, das Schaurige, Wildschöne, auf uns einwirken zu lassen gewohnt sind. Mit Unlust zumeist sah derjenige, dem es zufiel, solche Züge mitzumachen, blickte der Andere, der davon zu berichten hatte, auf dasjenige hin, worüber wir jetzt am Liebsten unterrichtet wären. Wie gerade die Höhen, die Pässe selbst überwunden wurden, was dabei sich zutrug, wird uns am wenigsten erzählt.

Aber dennoch mag es für den Alpenwanderer von heute von einem etwelchen Werthe sein, sich vorzustellen, wie im Mittelalter diese gewaltigen Heereszüge beschaffen waren, wann sie sich anschickten, die Alpen zu übersteigen, um in Italien für ihren königlichen Führer die kaiserliche Krone holen zu helfen oder dem schon gekrönten Kaiser in der Vertheidigung seiner Rechte beizustehen. Wir bleiben dabei im zwölften Jahrhundert stehen, etwa in der Zeit des grossen schwäbischen Kaisers aus dem staufischen Hause, bei Friedrich I., dem Rothbart, da hier die Quellen reicher fliessen, die Verhältnisse stätiger entwickelt sind. Freilich muss nochmals dabei gesagt werden: es sind nur Einzelzüge, und es ist nicht von diesem oder jenem bestimmten Ereignisse, sondern von irgend einem Heereszuge, von einem allgemein entworfenen Bilde die Rede. Auch die Oertlichkeit ist offen zu lassen, und wenn von einem einzelnen Passe überhaupt gesprochen werden soll, so ist es jedenfalls noch weit eher der östlich centraler für Deutschland gelegene Brenner, der bairische Pass, als der von Kriegsmär-schen seltener begangene Schwabenpass des Septimer: — sind doch in den erwähnten dreihundert Jahren drei-undvierzig Uebersteigungen des Brenner bei solchen militärischen Expeditionen vorgekommen, zahlreichere, als bei irgend einem anderen Alpenpasse.

Die nahezu vier Jahrzehnte der Regierung Friedrich's I. eignen sich am meisten als Ausgangsstelle unserer Erörterungdenn gegen vierzehn Jahre zusammengerechnet, in sechs Zügen, verbrachte dieser Kaiser jenseits der Alpen, so aber, dass es ihm dabei nicht geschah, diesseits den Boden unter sich einzu- büssen, dass auf den beiden Seiten des Hochgebirges vielmehr die Herrschergewalt in Achtung gebietender Stellung verblieb.

Friedrich's erster Zug, mit einem kleineren Heere von nur ungefähr 1800 Rittern, im October 1154 über den Brenner, galt voran der Krönung in Rom, und im September 1155 kam der neue Kaiser auf dem nämlichen Wege zurück. Viel umfangreicher war die Rüstung, welche 1158 zur Bezwingung des stolzen Widerstandes von Mailand in Bewegung gesetzt wurde, dergestalt, dass schon der Vortrab, der aus böhmischen Truppen unter der Führung ihres Königs bestand, ein kleines Heer für sich bildete, und dass zur Ueberschreitung der Alpen dieses Mal verschiedene Wege um der Grösse des gesammten Körpers willen gewählt werden mussten. Während der Kaiser — es war mitten im Jahre — abermals mit dem Hauptheere den Brenner für sich nahm, zogen westlichere Abtheilungen über den grossen St. Bernhard und über den Septimer, die östliche über den Predilpass; erst im Frühjahr 1162 gelang es dann, über Mailand das furchtbare Strafgericht zu verhängen, und darauf betrat Friedrich im September, wahrscheinlich unter Benutzung des grossen St. Bernhard, zuerst wieder in Burgund den diesseitigen Boden. Schon nach einem Jahre, im Herbst 1163, steht der Kaiser abermals auf dem lombardischen Gebiete, jetzt aber ohne Heer, da aller Widerstand hier erstickt zu sein schien, und im October 1164 nahm er den Rückweg über den Lukmanier und Dissentis. Viel ernsthafter hinwieder gestaltete sich, wegen des durch Papst Alexander III. gesammelten Widerstandes durch ganz Italien, der vierte " Wälschlandzug, der im October 1166 angetreten wurde: wieder war zum Hinwege der Brenner erkoren, und nach der furchtbaren Vernichtung des Heeres im August 1167 durch die von der römischen verpestenden Luft erzeugte Seuche, deren auf gegen 20,000 angeschlagene Opferzahl den Umfang der Rüstung andeutet, blieb im März 1168 bei der Versperrung der andern Pässe dem bedrängten Kaiser bloss der westlichste Ausgang über den Mont Cenis offen, doch nicht ohne dass noch in der letzten italienischen Stadt, in Susa, äusserste Gefahr gedroht hat. Mehr als sechs Jahre verstrichen bis zur nächsten Unternehmung: dieselbe begann, so dass 8000 Ritter mitgezogen sein sollen, im September 1174 mit der Zurücklegung des gleichen Passes von Burgund her, fand 1176 ihre Gipfelung in dem ganz missglückten Schlage gegen die Mailänder bei Legnano und Schloss, nach dem 1177 zu Venedig mit dem Papste erzielten Frieden, im Juli 1178 mit der Reise über den Mont Genèvre nach Burgund zurück. Die letzte, sechste Anwesenheit Friedrich's in Italien, 1184 bis 1186, war wieder, wie die dritte, der Aufenthalt eines Friedens fürsten, ohne ein Heeresgefolge, und wieder wurde, wie damals, der Lukmanier für die Heimkehr genommen. So zeigen diese sechs Kaiserfahrten des ruhmreichen Staufers die verschiedensten Ausprägungen der uns beschäftigenden Frage, und bald der eine, bald der andere Pass ist der Platz der entwickelten Bethätigung gewesen. Wir treten nunmehr den Einzelerscheinungen dieser Kriegsunternehmungen, so weit sie sich uns enthüllen, näher.

Für die Aufstellung eines Reichsheeres, für die Durchführung einer Reichsheerfahrt, und so vorzüglich einer von der Tragweite derjenigen über das Hochgebirge, bedurfte es, seitdem in Heinrich's IV. Zeit die königliche Gewalt durch die fürstlichen Kreise, die Monarchie durch die Aristokratie, eingeengt worden war, nicht mehr bloss des königlichen Befehles, sondern eines Beschlusses der Gesammtheit der Fürsten. Allerdings konnte der König auch, wenn die Fürsten ihre Zustimmung verweigerten, einen Zug unternehmen; doch war er in diesem Falle nur auf die unmittelbar von ihm abhängigen Krieger, auf die Bewaffneten vom Reichsgute und von den Ländereien des königlichen Hausgutes, angewiesen. Nach ihrer Einwilligung dagegen verpflichteten sich die Fürsten durch einen Eid, an dem bestimmten Orte, der zur Heeressammlung angewiesen war, zur festgesetzten Zeit mit ihrer Mannschaft sich einzufinden. Denn von Rechtes wegen war eine vorausgehende feierliche Ankündigung einer Heerfahrt, eine gewisse nicht zu kurz bemessene Zeit vor deren Beginn, gefordert. Ein von vorneherein für alle Male bestimmt festgesetztes Zeitmass des zwischen Ansage und Abmarsch zu legenden Zwischenraumes bestand lange Zeit nicht; erst im ausgebildeten Lehnrechte kam dann für die Romfahrt die Forderung von Jahr und Tag auf. Aber offenbar war es Gewohnheit, dass in dem gleichen Jahre Beschluss und Ausführung eintraten, wovon wenigstens aus dem elften und zwölften Jahrhundert mehrere Beispiele — Pfingsten oder Juli Beschluss, Spätherbst Abmarsch, oder Anfang Januar und Ostern Beschluss, August Abmarschangeführt werden können.

Die Grösse der einzelnen Contingente, wie viele Mannen der einzelne Fürst zur Heerfahrt stellen sollte, schrieb der König für den einzelnen Fall vor. Ein sehr interessantes Zeugniss hierüber ist ein Anschlag, welcher unter Kaiser Otto II. für einen Zug nach Italien gemacht wurde, wobei die Leistung für einen jeden einzelnen Fürsten genau angegeben ist, so aber, dass ein Unterschied danach getroffen wird, ob der Fürst selbst am Zuge theilnimmt oder zu Hause bleibt, ob er die Mannschaft persönlich anführt oder ob er sie bloss zusendet, wobei in einem Falle deutlich die Wahl gelassen ist, entweder mit einem kleineren Contingente zu kommen, oder aber ein grösseres zu schicken.

Dieser gesammte Anschlag steigt auf 2080 bis 2090 Panzerreiter, worunter 1482 von den Geistlichen, nur 598 bis 608 von den Weltlichen zu stellen sind; allein es handelt sich da eben, wie schon diese Zahlen zeigen, nicht um ein ganzes Heeraufgebot, sondern bloss um einen theilweisen Nachschub, für dessen Zusammensetzung verschiedene Bedingungen in Frage kamen. Es war eine wohl schon von Italien aus durch den Kaiser nachträglich aus Deutschland berufene Verstärkung, welche derselbe für den Kampf gegen die Araber in Süditalien nothwendig hatte, wobei dann natürlich die schon früher aufgebotenen Contingente nicht mehr zu nennen waren. So fehlen, um nur uns näher liegende Gebiete zu bezeichnen, die weltlichen Grossen des schwäbischen und des bairischen Stammes, voran der damals beiden Stämmen gemeinsame Herzog Otto. Einige Zahlen geben wohl am ersten einen klaren Einblick in diese Verhältnisse. So haben der Erzr Wschof von Mainz, der von Cöln, die Bischöfe von Strassburg und von Augsburg je hundert Mann zu stellen, oder vielmehr der letztgenannte auch heranzuführen; darauf stufen sich die Zahlen ab, so dass von geistlichen Herren unserer Gegenden unser Bischof von Constanz vierzig Mann senden, der von Cur ebenso viele führen, der Abt von Reichenau sechszig, cler von St. Gallen zwanzig, der von Kempten dreissig, der um Luzern und den Vierwaldstättersee reich begüterte Abt von Murbach zwanzig Mann führen sollten; dagegen lag dem Herzogthum Elsass nur die Sendung von siebzig Mann ob. Sehr unsicher ist nun, ob diese Ansätze von Contingenten im Sinne der späteren Keichs-matrikel zu verstehen seien, ob sie wechselten oder ein für alle Male feststanden. Auch sollte genau genommen hier dieser dem zehnten Jahrhundert, dem Jahre 981, angehörende Anschlag gar nicht herangezogen werden, da wir ja zumeist das zwölfte Jahrhundert zu Grunde legen. Doch ist das wohl dessen ungeachtet nicht ausgeschlossen; denn einige dieser Contingente scheinen fest geblieben zu sein, wie denn 1203 ein Abt von St. Gallen wieder zwanzig Mann dem damaligen Könige, allerdings nun nicht nach Italien, sondern nach Thüringen, zuführte.

Wie schon angedeutet, wurde ein bestimmter Sammelplatz den aufgebotenen Contingenten schon bei der Ansage des Feldzuges vorgeschrieben. Für die Heerfahrt nach Italien waren in den überwiegenden Fällen Regensburg oder Augsburg, natürlich diese stets mit besonderer Rücksicht auf die beliebte Brenner-Linie, gewählt. Meist geschah die Sammlung im Spätsommer oder Herbst; denn — so sagt der in den Alpen ausnahmsweise wohl erfahrene Magister Albert von Stade im dreizehnten Jahrhundert — die geeignetste Zeit zum Aufbruche ist der Monat August, wo die Wege trocken, die Gebirgswasser nicht mehr so wild, die Tage nicht zu heiss und doch zum Marschiren lange genug, die Scheuern voll Getreide sind. Zwar mangelt es auch nicht an Wälschlandzügen im Winter oder gar in den gefährlichen Uebergangswochen zum Frühjahre, in den veränderlichen Lauinenmonaten März bis Mai. Aber das waren doch mehr Ausnahmen von der eigentlichen Regel.

In welcher Gestalt nunmehr hat man sich diese kampfgerüsteten Schaaren zu denken, wann sie, wie etwa 1154 zur Romfahrt Friedrich's L, auf der weiten Fläche am Lech vor den Thoren der schon aus römischer Zeit hochangesehenen Stadt Augsburg sich zusammenfanden?

Durchaus aus Berittenen war das Heer zusammengesetzt. Denn schon seit dem zehnten und elften Jahrhundert hatten die Vassallen und Ministerialen durch ihren Dienst zu Ross, in besserer Rüstung, indem sie ihre kriegerische Lebensweise zum Berufe machten, höhere Ehre daraus für sich gewonnen, ihre Ausscheidung aus dem übrigen Volke, als ein besonderer Stand der Krieger, der « milites », nach ihrem Reiterdienst « Ritter » genannt, in das Werk zu setzen begonnen. Zwar galten die deutschen Reiter nicht als die beste europäische Cavallerie, und es ist bezeichnend, dass unter den deutschen Stämmen der den Franzosen nächste, der Lothringer, den besten Ruf in dieser Hin- sieht genoss; es kam oft vor, dass im Ernstfalle, gerade je verzweifelter und entscheidender der Kampf wurde, der deutsche Reiter vom Pferde stieg und zu Fuss stritt. Aber natürlich bot dennoch das Heer völlig das äussere Bild des zum Rosskampfe gerüsteten Kriegerstandes dar.

Im Anfang der Entstehung dieser berufsmässigen ständischen Reiterei waren Speer, Schild, Schwert, und zwar der Speer mehr zum Wurfe, erst später zum Stösse, die Waffen gewesen, woneben andere Waffen, wie der Bogen, nur eine ganz untergeordnete Rolle spielten. Erst seit dem Ende des elften Jahrhunderts werden Heim und Harnisch weitere wichtige Bestandtheile der Reiterausrüstung, nämlich als ganz allgemeine und unentbehrlich gedachte Stücke, während sie einzeln allerdings schon weit früher genannt sind. Doch zugleich wird auch durch gewisse Veränderungen dieser Schutzwaffen die gesammte Ausrüstung eine schwerere, äusserlich gewichtigere. Mit dem Anfange des elften Jahrhunderts setzt diese letztere Umwan-delung ein und mit dessen Ende ist dieselbe eben mit dem Ganzen zum völligen Systeme geworden.

Die noch leichtere, noch nicht gänzlich ausgebildete Rüstung des Reiters im neunten und zehnten Jahrhundert hatte aus der Brünne, wie der Harnisch, die lorica », der älteren Zeit heisst, bestanden, das ist aus einem kurzen Rocke von Leder oder Zeug, auf den Metallschuppen oder Ringe aufgenäht waren. Die Beine waren also unbeschützt, und wenn der Kopf von einem Helme bedeckt war, so lag zwischen Heim und Brünne ein breiter der Bewehrung baarer Zwischen- räum um den Hals des Mannes. Das wurde anders, als um das Jahr 1000 statt der Brünne die Halsberge als jüngere Form der « lorica » allgemein aufkam. Die Halsberge, ein vom Kopf bis zu den Schenkeln oder Knieen reichendes Ketten- oder Ringhemd mit den Eisenhosen, deckte nun den Mann in ganz anderer nachhaltigerer Weise und verschaffte ihm eine viel höhere kriegerische Brauchbarkeit. Allein diese Veränderung von der leichteren zur schweren Bewaffnung hinüber — allerdings erst um 1200 begann darnach auch die Panzerung der Streitrosse — hatte mit Nothwendigkeit eine wachsende Unbehülflichkeit der Reiterei zur Folge. Man sah sich mit dem zwölften Jahrhundert genöthigt, neben der schweren Waffe der Reiterei neue leichtbewaffnete Schaaren den deutschen Heeren einzufügen, und so finden wir Nichtritterliche, Dienende — « servientes », Sarjanten — an der Seite der Schwerbewaffneten in den Heeren.

Doch auch noch andere eingreifende Umgestaltungen ergaben sich aus der schwereren Bewaffnung. Die mehr, als früher, in das Gewicht fallende Rüstung führte dazu, dass nicht mehr bloss das eine den Kämpfer selbst tragende Ross genügte, sondern wenigstens zwei Reitthiere mitgenommen werden mussten, eines zum Marsch, eines daneben für den Kampf selbst, und das vollends, als auch bei den Pferden die Panzerung eingeführt zu werden anfing. Schon seit 1050 ist neben dem zur Rechten geführten Streitrosse, dem « dex-trarius », das auf dem Marsch gebrauchte Ross, der « palefredus », « paraveredus », regelmässig genannt, und im zwölften Jahrhundert werden mehrere Rosse, nicht IS mehr nur zwei notwendiger Weise, fast durchaus auf dem Heerzug mitgeführt. Kaiser Friedrich I. gebot geradezu, dass erst beim Beginne des Kampfes der bis zu demselben zu schonende « dextrarius » bestiegen werde. Aber ausserdem musste noch die den Reiter belästigende Schwere seiner Rüstung weitere Nachwirkungen verursachen, die dem ganzen Aeusseren des Heerzuges einen veränderten Stempel aufdrückten.

Im zwölften Jahrhundert trägt der Ritter auf dem Marsche Schild und Panzer nicht mehr selber; sondern er hat einen Sack zur Beförderung von Waffen und Harnisch, und der Marschall soll sogar nach einer Bestimmung ein Pferd für die « lorica » stellen. Wenn auch selbstverständlich nicht ganz wehrlos, jedenfalls wenigstens mit dem Schwerte versehen, sitzt doch der Ritter als ein « miles inermis », « sine armis », während des Marsches auf seinem Palefredus, und neben den nicht von ihm selbst getragenen Waffen führt er noch weiteres Gepäck, Mantelsäcke, Felle, Decken, mit sich; luxuriöse Kleider, Zeltmaterialien höchst wahrscheinlich kommen hinzu. Ganz besonders jedoch sind mit der gesteigerten Ausrüstung die Ansprüche der einzelnen Ritter auf persönliche Bedienung gestiegen. Seit dem elften Jahrhundert werden Knappen, Träger der Schilde und Waffen«armigeri »,. « scu-tarii » — aufgeführt, und immer allgemeiner wird das Bedürfniss der niedrigeren Dienstthnenden, untergeordneter Begleiter gefühlt. Bei zwei und mehreren Pferden ist solche Bedienung unentbehrlich, und sie ist im zwölften -Jahrhundert ganz regelmässig. Die unfreien Leute, welche diese Dienstleistungen erfüllen, 29 die Knappen, können dann auch für die Stallverrich- tungen, den Lagerdienst, für F ouragirung und andere Arbeiten mehr gebraucht werden. Zwar nicht als Kämpfer, ausser im letzten Nothfälle — sie führen nur Sichel und Axt zur Futtergewinnung und zum Lagerwerke, und nur ausnahmsweise rücken die Kriegs tüchtigeren in die Schlachtordnung — sind diese Leute des Trainpersonales doch oft beritten, und den Eeichs-dienstmannen werden für die Wälschlandfahrt zu Händen der beiden das Saumthier begleitenden Knechte zwei Pferde gestellt. So vermehrt sich über die Ziffer der in den Anschlägen aufgezählten hinaus der Gesammtbetrag des Heeres im zwölften Jahrhundert. Und dabei ist noch der nothwendig sich ergebende eigentliche Tross des Heeres zu nennen. Zwar werden wir alsbald sehen, dass in dieser Zeit, wo wir stehen, Proviantcolonnen nicht mehr so, wie früher, in Betracht kommen, dass es sich weit mehr um den Transport des ritterlichen Gepäckes, als um Lebensmittel, handelte. So treten auch die Treiber und Trossleute, so weit sie hiefür gebraucht worden waren, zurück. Aber jene Vermehrung des Packwesens erforderte doch viele Hände, die eben theilweise auch wieder den Rittern unmittelbar dienten. Werkleute, « fabri et opifices », vorzüglich Schmiede zum Hufbeschlag, zur Waffenreparatur, doch auch das Heer begleitende Kaufleute mit Waarenlagern sind aufgeführt. Für die Wälschlandmärsche konnten nun natürlich im Trosse Wagen nicht verwendet werden, und so sehen wir denn geradezu aus einer auf den Erzbischof von Cöln gehenden Bestimmung, das ein Kloster ihm für Reisen diesseits der Alpen einen Wagen, für solche jenseits dagegen einen Wallach liefern musste.

Versetzen wir uns nunmehr wieder zurück auf das Lechfeld in den Herbst 1154, wo König Friedrich, von Sachsen herangekommen, unter den zur Romfahrt berufenen Fürsten erschien. Die Erzbischöfe von Cöln und Trier, die Bischöfe von Bamberg, Worms, Lüttich, Constanz, Basel, die Aebte von Corvei und von Fulda, der weifische Herzog von Sachsen, Heinrich der Löwe, dann Herzog Heinrich von Kärnten, Herzog Berthold IV. von Zähringen, die Markgrafen von Steiermark und von Baden, und vorzüglich, als eine Hauptperson, als Bannerträger, neben seinem Vater, dem älteren Pfalz-grafen Otto, auch der jüngere Otto von Witteisbach, sowie kleinere Herren, waren mit ihren Contingenten eingetroffen. Ganz verschiedene deutsche Stämme, Norddeutsche, Rheinländer, Süddeutsche, Sachsen und Franken, Schwaben und Baiern, auch wälschredende Lothringer, waren also im Lager vertreten. Dass dabei der Zähringer die 1152 für die Wälschlandfahrt vertragsgemäss versprochenen fünfhundert Panzerreiter und fünfzig Armbrustschützen mitgebracht habe, darf wohl nicht bezweifelt werden. Allein dessen ungeachtet stieg, wie wir schon wissen, nach des Königs Friedrich eigenen Worten sein gesammtes Heer nur auf 1800 Ritter, während zum Beispiel im Jahr 1110 Heinrich V. zu seiner Romfahrt 30,000 Ritter in Italien gemustert hatte und Friedrich selbst nur vier Jahre später jedenfalls ein viel stärkeres Heer mit sich führen konnte. Doch ist bei diesen 1800 « milites », wie an dieser Stelle die Krieger bezeichnet werden, nur an die Zahl der Harnische oder, wie früher gezählt wurde, der Schilde, an die Menge der « loricati » oder « scutati », zu denken, und da zu dieser Zeit auf den schweren Reiter jedenfalls schon je ein Knappe oder mehr als einer kam, so darf die Zahl für 1154 mindestens verdoppelt werden. Eine bestimmtere Angabe über die Durchschnittszahl solcher Heeres-rüstungen für die Romfahrt lässt sich in befriedigender Weise nicht geben: am richtigsten vielleicht mag man sie auf etwa 10,000 bis 15,000 Panzerreiter, anschlagen.

Gerade für eine Wälschlandfahrt musste es sich aber andererseits angesichts des vor den Augen stehenden Gebirgswalles, aus einer wichtigen Erwägung empfehlen, nicht mehr Leute, als gerade nothwendig war, mit sich hinüber zu führen. Das war die Rücksicht auf das Verpflegungswesen.

Eine Hauptfrage für ein Reiterheer ist das Futter für die Reitpferde, aber auch im Weitern für die Zug-und Lastthiere überhaupt. Dieser Futterbedarf nun wurde auf deutschem Boden unterwegs unentgeltlich, wo man ihn fand, genommen. Am Rande der Felder wurde Futter abgeschnitten; man liess die Thiere grasen, wie es eben passte. Eine Hauptvorschrift für die Wahl der Lagerstätten war das Vorhandensein einerseits von Wasser, anderntheils von grünem Futter, in nächster Nähe. In Italien dagegen galt dieses freie Recht, die bequeme Unentgeltlichkeit, nicht, und so wurde drüben die Verpflegung eine weit kostspieligere Sache. Weiter aber war andererseits auch seit dem elften Jahrhundert hinsichtlich des Unterhalts der Menseben eine nicht vorteilhafte Aenderung einge- treten. Bis in jene Zeit war noch die gute aus der karolingischen Periode fortgesetzte Verpflegungsweise weiter geführt worden, nämlich den Proviant vorher zu beschaffen und ihn auf Wagen Ader auf Saumthieren mitzunehmen. Seither war eine starke Einschränkung in diesen Dingen eingetreten. Man liess davon ab, den Bedarf auf die ganze Dauer immer mitzunehmen, und es begann ein System der Requisitionen, gegen Bezahlung oder auch mit blosser Gewalt. Allerdings versuchte man dagegen zuweilen einzuschreiten, verbot die Forderungen, welche über Kraut, Obst, Wild oder ähnliches zum Unterhalte unbedingt Noth wendiges hinausgiengen. Aber es half wenig, und schon im zwölften Jahrhundert hören wir, dass die Gewaltthaten und dadurch verursachten Leiden bedenklich angestiegen waren, so dass man den Durchpass eines Heeres einem Brandschaden oder Hagelschlage förmlich gleich- stellte, dass dagegen ein Fürst, welcher noch Mundvorrath mitnehmen liess, als ein seltenes Muster grosser Einsicht gepriesen wurde.Eine Wälschlandfahrtbarg also sehr grosse Schwierigkeiten in sich. Wilde, wenige Erzeugnisse darbietende, spärlich bevölkerte Hochgebirgsgegenden mussten durchzogen werden. Da galt es, genau den Weg zu wählen, und eine allzu sorgsame Ueberlegung konnte wohl dazu führen, dass sich jemand ganz davon abhalten liess, den Weg anzutreten, oder dass er wenigstens bestimmt wurde, einen anderen, als den anfangs gewählten Pass, einzuschlagen. So schrieb 1065 der Cölner Erzbischof Anno nach Rom, er werde die Reise zum Papste durch Burgund antreten, weil das enge Thal von Trient weder Mundvorrath für die Ritter, noch Futter für die Pferde bieten würde. Und gerade jetzt 1154, ebenso von neuem in noch höherem Grade 1158, machte Friedrich I. selbst auf dem Südabhange des Brenner die unangenehmsten Erfahrungen. Denn, wie des Kaisers vortrefflicher Biograph, Bischof Otto von Freising, erzählt, die Krieger hatten, als ihnen auf der Berghöhe der Mundvorrath fehlte, um sich den, Leiden des Hungers zu entziehen, einige geweihte Stätten ge- plündert, worauf Friedrich, als er nach Zurücklegung des Gebirgsmarsches am Gardasee lagerte, eine Geldsammlung im Heere veranstalten und das ansehnliche Erträgniss derselben den Bischöfen der heimgesuchten Diöcesen Brixen und Trient einhändigen liess. Aber 1158 vollends hausten die Böhmen, als sie den Vortrab des von Friedrich selbst geführten Hauptheeres bildeten, noch weit schlimmer. Sie hatten beim Durchzuge durch die Regensburger Gegend grosse Viehherden und andere Lebensmittel zusammengeraubt, jedoch schon bis zu den Eingängen der Alpen dieselben aufgezehrt, so dass jetzt erst die rechte Noth begann, und nunmehr floh am Brenner alles Volk vor ihnen mit den Vorräthen hinweg, so dass ihr König nur durch förmliche Zusicherung der Unverletzlichkeit die Brixener und Trienter dazu bringen konnte, für seine Truppen einen Markt zu halten und dergestalt der bitteren Verlegenheit abzuhelfen.

Leider aber fällt nun im Uebrigen für uns Zuschauer der Vorhang vor der Bühne, wo sich das Heer Friedrich's dem Bergübergange selbst nähert.

Wie bei allen diesen Uebersteigungen, hören wir auch 1154 gar nichts Näheres darüber, was auf dem Passe selbst — hier also auf dem schon durch die Römer begangenen und jetzt seit einem Jahrzehnt von den Schienen überspannten Wege, von Innsbruck über Matrei zur Höhe und über Gossensass und Sterzing zum Eisack nach Brixen hinab — sich zugetragen habe, wie die Mühen der Bewältigung der Schwierigkeiten überstanden wurden, welche jedenfalls, ganz abgesehen von jenem Proviantmangel, oben sich einstellten. Erst auf der Südseite, im Etschthale, wird das Heer für uns wieder sichtbar.

Wenn es schon überhaupt Gewohnheit war, eine Einquartierung in Bewegung befindlicher Truppen nicht eintreten zu lassen, so ist das vollends bei der Zurücklegung von Bergpässen anzunehmen, wo ausreichende Unterkunft in Ortschaften gar nicht zu erwarten war.. Regelmässig wurden — und das galt als eine besonders nothwendige Kunstfertigkeit des Oberbefehlshabers — unter freiem Himmel, doch so, dass ein Schutz durch Zelte und Hütten geschaffen war, Lagerplätze abgesteckt und eingerichtet; in einzelnen Fällen, wo solche Lager länger bestanden, grenzte man die Abtheilungen bestimmt ab, so dass dieselben Quartieren von Städten verglichen wurden. Der Marschall hatte die Aufgabe, vorauszureiten, den Platz zu wählen, für das Ganze besorgt zu sein, ähnlich wie er auf Reisen des Königs für dessen Unterbringung und die Einquartierung des königlichen und fürstlichen Gefolges bemüht war.

Die Schrecknisse der Natur, die Ünbequemlich- keiten der Hochgebirgswelt, die Einflüsse der herbstlichen Witterung sind vergessen, sobald sich die reichen Genüsse des Südens vor den Sinnen der nordländischen Krieger zu entfalten beginnen; allein nicht ohne neuen Kampf, mit den feindlichen Elementen der Bevölkerung der fremdsprachigen Gebiete, vermag in manchen von diesen Zügen der eigentliche Zugang zu jenen Reizen des Wälschlandes aufgeschlossen zu werden. Friedrich selbst hat auf dieser ersten Romfahrt, zwar nicht jetzt 1154 auf dem Hinwege, wohl aber 1155 auf dem Rückmärsche, einen solchen Streit bestehen müssen, welcher so recht den vollen Stempel des Gebirgskrieges aufweist und desshalb als Beispiel eines derartigen Ereignisses hier wohl seinen Platz finden darf.

Am 18. Juni 1155 hatte die Kaiserkrönung in Rom stattgefunden, und bis in die ersten Tage des September war der Kaiser wieder im Gebiete von Verona angelangt. Gestützt auf eine alte, zum Rechts-anspruche gewordene Gewohnheit, weigerten sich die Veroneser, den Kaiser in ihre Stadt einzulassen, und bauten wenig oberhalb derselben dem Heere eine Schiffbrücke über die Etsch. Allein schon bei diesem Umstände trat die böswillige Gesinnung gegen die Deutschen darin zu Tage, dass der Uebergang sehr unsicher erstellt und der Versuch gemacht wurde, durch Flüsse und Balken, welche stromabwärts gelassen wurden, die Brücke zu zerreissen und das hinüber-gehende Heer zu vernichten. Durch die Schnelligkeit, mit der dasselbe den Fluss überschritt, entzog es sich dem drohenden Untergange. Doch die Hauptgefahr machte sich erst weiter aufwärts am Flusse in der Veroneser-Clause bemerkbar. Die steilen Felswände des auf beiden Seiten unmittelbar bis an die Etsch herantretenden Gebirges gaben kaum dem auf dem linken Ufer führenden Wege den allerspärlichsten Raum, und eine auf der Höhe liegende, von einem Ritter Alberich mit einer veronesischen Schaar besetzte Burg beherrschte den ganzen schmalen Pass. Am Abende des Tages, an welchem die Brücke noch glücklich benutzt worden war, kam der Vortrab des Heeres, welchen Alberich absichtlich ungestört liess, an der Burg vorüber. Dagegen sah sich nun am folgenden Morgen das nachrückende Hauptheer rings gefangen, inmitten zwischen dem jede Durchschreitungausschliessen-den wilden Strome, den unersteiglich erscheinenden Felswänden, den durch Menschenhand geschaffenen Hindernissen und den überall feindselig erhobenen Waffen der Veroneser. Friedrich glaubte, durch zwei im deutschen Heere anwesende vornehme Veroneser Unterhandlungen mit Alberich anknüpfen zu sollen; allein der siegesgewisse Gegner meinte, die allerbeschimpfend-sten Bedingungen auferlegen zu dürfen* ). Da geschah durch eine kühne That, wie sie einem Alpenkenner so recht das Herz erwärmen muss, die Rettung.

Wie das Banner eines Heerzuges stets in engster Beziehung zur Führung des Befehles stand :— der Kriegsherr selbst konnte als « signifer » das Heer zum Kampfe führen —, so war auch auf dieser Romfahrt Meyer von Knonau.

als « vexillifer » einer der ersten Vasallen in der Person des jüngeren Witteisbachers Otto bestellt worden. Dieser nun erprobte sich als einer der ersten Kriegsmänner durch eine Leistung ersten Ranges. Wie Otto von Freising es so anschaulich schildert, hatten jene zwei Veroneser den Kaiser auf eine über Alberich's Burg hängende und dieselbe beherrschende furchtbar wild abstürzende Bergklippe aufmerksam gemacht wenn dieselbe unbemerkt besetzt werden könne, se sei das Heer gerettet, die Burg aber verloren. Otto wird mit etwa zweihundert auserlesenen jungen Kriegern alsbald ausgeschickt, und dieselben ringen sich darauf durch Wälder und Berge, auf dem viel zerklüfteten Boden, bis zum Fusse der Felskuppe hindurch. Aber da sie diese wie mit scharfem Eisen abgetrennt und ohne allen Zugang finden, steigt einer dem andern auf die Schultern, und sie bilden Leitern aus ihren Lanzen, und so arbeiten sie sich schweissbedeckt, in voller Rüstung, wie sie sind, auf die oberste Stelle des Steines hinauf. Sie ist von den Burgleuten nicht besetzt, und jetzt folgen sich rasch die Dinge in der Entwickelung: — Entfaltung des Banners auf der Höhe; freudiger Zuruf und Kriegsgesang unten im Thale; Erhebung des Hauptheeres zum Anstürme auf die Burg; Todesschrecken der Besatzung nach der Bedrohung von dem anscheinend nur zum Nisten der Vögel und für keinen Menschenfuss bestimmten Gipfel. Jetzt werden die Veroneser in die Mitte genommen, von oben durch Otto, von unten durch das Hauptheer "; wer zu fliehen versucht, zerschellt elendiglich an den Felsen; der grösste Theil wird niedergemacht, der kleine Rest mit Alberich selbst gefangen genommen; einem französischen Söldner lässt man dafür, dass er seine Gefährten aufknüpft, das Leben. Die Leichen der Zerschmetterten und der Niedergehauenen werden als Zeichen des bestraften Verrathes, an fünfhundert an der Zahl, an der Strasse aufgehäuft. Und ungehindert wird darauf durch das Trienter Thal nach dem weinreichen Botzen weiter marschirt, über Brixen die bairische Ebene nach Jahresfrist seit dem Abzüge glücklich wieder erreicht.

Das ist ein Bild eines Gebirgskampfes von einer Kaiserfahrt nach den Worten eines wohl unterrichteten Zeitgenossen. Doch kehren wir von dieser Abschweifung nochmals um ein Jahr, in den Herbst 1154, zum südwärts gerichteten Marsche des Kriegsherrn zurück. Denn es war — man schliesst wohl mit Recht, seit Heinrich's V. Zeit — zur Sitte geworden, den Wälschlandzug vor der Ueberschreitung des zweiten Gebirges, des Apennin, an dessen Nordabhange auf kurze Zeit zu unterbrechen und eine grosse Musterung zu halten. In der Emilia, unweit Piacenza auf der grossen Fläche von Roncaglia südlich vom Po, wurde der ganze Zug vereinigt, und wenn etwa, wie 1110, wo Heinrich V. aus Gründen der Verpflegung sein grosses Heer auf verschiedenen Wegen hatte über die Alpen gehen lassen, erst in Italien die Sammlung der gesammten Rüstung geschah, so war allerdings hier der gegebene Platz zur allgemeinen Musterung. Auf den roncalischen Feldern nämlich — und es geschah jetzt auch im November 1154 — wurde an einem Holzpfahle ein Schild aufgehängt .'fS, und durch den Herold die Aufforderung verkündigt, dass Alle, welche vom Reiche Lehen hatten, die nächste Nacht bei ihrem Herrn dem Könige die Wache halten sollten, und dem Beispiele folgend liessen hinwiederum diese Aufgerufenen an die von ihnen Belehnten in derselben Weise den Ruf ergehen, und so stieg der Heroldsaufruf von Stufe zu Stufe durch die Gliederung des Lehensstaates hinunter. In solcher Art liess sich feststellen, ob sich alle Dienstpflichtigen, so wie sie sollten, zum Dienste wirklich eingefunden hatten, und wer auf den Ruf nicht kam, ging, wenn er ohne Erlaubniss seines Herrn zu Hause geblieben war, seiner Lehen verlustig. So trat in dieser grossen Musterung des Reichsheeres der wundersame Aufbau des deutschen Staates im Lehnswesen klar zu Tage.

Aber hier bei Piacenza ist die - Alpenkette schon ferne hinter uns verschwunden. Wir folgen der Romfahrt nicht weiter nach Mittelitalien hinein.

An einen der ruhmreichsten neueren Alpenzüge, wenn er auch schliesslich ein siegloser war, erinnert die in den Felsblock auf dem Gotthard eingemeisselte Inschrift: « Suwarow victor! » Solcher Erinnerungszeichen an die vielen Heerfahrten des Mittelalters ermangeln jene theilweise jetzt so still gewordenen Pässe, auf deren Bedeutung hier die Aufmerksamkeit zu richten war. Möge der Wanderer der Gegenwart, mag auch oft genug sein Blick, wenn er auf den Passhöhen steht, zu den Gipfelhöhen emporschweifen und erst dort seine noch lange nicht befriedigte Thatenlust ihr Ziel finden, dabei nicht vergessen, dass nicht selten die Weltgeschichte an diese Bergpfade ihre Abschnitte angeheftet hat, und je einsamer es jetzt oft um uns herum an solchen Stellen ist, um so mehr sollen wir uns aufgefordert fühlen, dieser uralten Ehren der Stellen, auf denen wir stehen, zu gedenken.

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