Eindrücke aus der Vogelwelt der Alpen
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Eindrücke aus der Vogelwelt der Alpen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Josef Senn, Mollis

Ein Blick auf ein paar Vogelarten Wo mit zunehmender Höhe die Laubbäume allmählich durch Nadelbäume ersetzt werden, treten denn auch neue charakteristische Vogelarten auf. So hören wir immer wieder das laute Geschimpfe des Tannenhähers, der damit den Rest der Tierwelt vor uns warnen will. Den etwa eichelhähergrossen Vogel, dessen schwarzes Gefieder mit weissen Punkten ver- Die Tannenmeise brütet bis hinauf zur Baumgrenze. Im Herbst zieht diese kleine Meisenart manchmal sogar über hoch gelegene und vergletscherte Teile der Alpen.

Wir befinden uns auf einer windausgesetzten und nur von spärlicher Vegetation bedeckten Hochfläche im Alpenraum. Eben sind knarrend zwei Schneehühner vor uns aufgeflogen, und jetzt sehen wir einen Steinadler in einem Tälchen unter uns ruhig seine Kreise ziehen.

Bereits diese zwei beobachteten Vogelarten machen uns auf einige Besonderheiten der Vogelwelt der Alpen aufmerksam: Zunächst, dass wir hier im Herzen Mitteleuropas auf Arten stossen, die sonst erst wieder in den kälteren Gegenden Skandinaviens anzutreffen sind; dazu gehört etwa das Schneehuhn. Im weiteren bieten die unübersichtlichen und früher schwerer zugänglichen Bergregionen der Alpen eine Zufluchtsstätte für Tiere, die der Mensch andernorts schon vor längerer Zeit ausgerottet hat ( z.B. der Steinadler ).

sehen ist, sehen wir jedoch höchstens schnell von Wipfel zu Wipfel fliegen. In den mit Arven bestandenen Gebieten der Alpen tritt dieser Häher besonders häufig auf, weshalb er oft auch Arvenhäher genannt wird. Im Herbst legt er sich jeweils einen Wintervorrat an Baumsa-men an. Da er seine Verstecke oft nicht wiederfindet und die Samen im nächsten Jahr keimen, trägt sein Verhalten zur Verbreitung der Bäume bei. Dies ist besonders für die Arve von Bedeutung, da sich ihre relativ schweren Samen ohne den Häher kaum über grössere Distanzen ausbreiten könnten. Eine weitere sehr auffällige, jedoch seltener zu hörende Stimme im Bergwald gehört dem Schwarzspecht. Sein Ruf, der an Gelächter erinnert, ist über grosse Distanzen zu vernehmen. Um heimisch zu werden, benötigt er in seinem Revier dicke, alte Tannen, denn nur hier bietet sich ihm Gelegenheit, seine umfangreiche Bruthöhle zu zimmern.

Bei einer Wanderung durch den Bergwald treffen wir aber am häufigsten auf kleine Singvögel. Meist sehen wir sie allerdings nur für einen Augenblick, sei es, um im dunklen Geäst einer Tanne zu verschwinden, oder als rasche Bewegung in einer Baumkrone. Bis es uns dann endlich gelingt, ihren letzten Standort auszumachen, sind sie meist schon längst weitergeflogen...

Wer sich etwas mehr Zeit nimmt, einen günstigen Beobachtungsort wählt und sich dort ruhig hinsetzt, wird bald feststellen, wie schon nach kurzer Zeit die Umgebung zu leben beginnt. Die häufigsten Turner in den Alpenschneehahn Zweigen sind die Tannenmeisen. Sie ähneln etwas unserer bekannten Kohlmeise, sind aber deutlich kleiner und haben einen auffälligen weissen Fleck am Hinterkopf. Ebenfalls zu dieser Familie gehörend und in denselben Regionen anzutreffen ist die unverkennbare Haubenmeise. Mit etwas Glück lässt sich auch einmal ein Goldhähnchen hoch oben in einem Baumwipfel erblicken. Das nur wenige Gramm schwere Tierchen, unsere kleinste einheimische Vogelart, vermag sogar den strengen Winter im Bergwald zu überstehen.

Neben solchen auffälligen Vogelarten beherbergt der Bergwald noch eine Menge weiterer, die dem Wanderer jedoch kaum je begegnen. Sie sind entweder selten, zum Beispiel der Auerhahn, oder dann leben sie derart im Verborgenen, dass praktisch nie jemand von ihrer Anwesenheit Notiz nimmt. So besteht z.B. in vielen Gebieten der Alpen nicht einmal Klarheit, ob der Sperlingskauz, unsere kleinste Eule, dort überhaupt vorkommt.

Bild oben: Bergstelze Bild unten: Aus Flechten, feinen Zweiglein und Gräsern besteht das Nest dieser Misteldrossel auf einem Fichtenast an der Waldgrenze Steigen wir auf unserer Wanderung langsam höher, lichtet sich der Wald allmählich und wir gelangen in das Reich der Alpweiden. Wahrscheinlich der auffälligste der hier auftretenden Vögel ist die Ringdrossel. Im Frühling ertönt dann von überall her ihr für eine Drossel recht eintöniger Gesang. Wer sie davonfliegen sieht, könnte sie leicht mit einer Amsel verwechseln. Bei genauerem Beobachten, besonders wenn sie auf einem Stein oder im Wipfel einer Tanne sitzt, erkennen wir beim Männchen einen weissen Ring auf der Brust, während das Weibchen sich durch eine ähnliche, wenn auch etwas weniger intensive Färbung auszeichnet.

Ein weiterer, aber recht heimlich lebender Bewohner dieser Region ist das Birkhuhn. Während man es aus seinem früheren Ver-breitungsraum, den Moor- und Riedgebieten des Flachlandes, weitgehend vertrieben hat, konnten sich in den Alpen noch recht gute Bestände erhalten. Im Frühling hören wir die eigenartigen kollernden und zischenden Balz-laute der Hähne oft über weite Distanzen. Die Hähne balzen hier im Bereich der Baumgrenze einzeln oder in Gruppen, immer an den selben Plätzen. Die Hennen suchen den Balzplatz nur zur Paarung auf und legen anschliessend irgendwo auf dem Boden, im Schutz von Stauden, ein Nest an, wo sie allein die Eier ausbrüten und die Jungen aufziehen. Im Herbst ernähren sich die Birkhühner weitgehend von Beeren -vor allem von Heidelbeeren. Gelegentlich sieht sie dann ein Wanderer, wenn sie, vom nahenden Menschen erschreckt, laut mit den Flügeln klatschend aus den Beeren-stauden auffliegen.

Steigen wir weiter empor, wird die Vegetation zunehmend spärlicher. Hier beginnt das Reich der eigentlich alpinen Vögel. Der am besten diesem unwirtlichen Lebensraum angepasste Vogel ist gewiss das Schneehuhn. Da es das ganze Jahr hier oben verbringt, passt es sich sogar in seinem Äusseren der jeweiligen Jahreszeit an. Während im Sommer seine graubraunen Federn eine ausgezeichnete Tarnung bieten, gilt das gleiche im Winter für sein nun schneeweiss gewordenes Federkleid. Die meiste Zeit des Jahres verbringt dieser Vogel auf dem Boden, weshalb er auch wenig auffällt. Nur im Frühling und im Frühsommer können wir mit etwas Glück den Schneehahn beobachten, wenn er auf einer Anhöhe seine knarrenden Balzstrophen vorträgt. Im Sommer treffen wir dann vielleicht Die roten Beine und der gelbe Schnabel unterscheiden die Alpendohle deutlich von jedem anderen Rabenvogel auf eine Schneehenne, die anscheinend verletzt, mit herabhängendem Flügel, vor unseren Füssen herumflattert. Mit diesem Verhalten versucht sie uns von ihren Jungen wegzulocken, die sich zwischen Steinen oder im Grünen versteckt halten. Ist es ihr gelungen, die vermeintliche oder tatsächliche Gefahrenquelle weit genug wegzulocken, dann fliegt sie in einem Bogen wieder zu ihren Kücken zurück und ruft diese aus dem Versteck hervor.

Die Tarnung der Schneehühner gilt aber auch möglichen Feinden aus der Luft, denken wir vor allem an den Adler.

Die meisten Leute betrachten den Steinadler als Wahrzeichen der Alpen, obschon die Gebirgsregionen in Mitteleuropa für ihn nur ein Rückzugsgebiet darstellen. Nachdem man ihn nämlich während Jahrhunderten als Vieh-räuber verfolgt, gejagt und auszurotten versucht hatte, kam er schliesslich nur noch in den relativ unzugänglichen Alpen vor. Auch hier hätte sicher schon seine letzte Stunde geschlagen, wenn nicht einsichtige Menschen für seinen Schutz gesorgt hätten. Die Gegner von Schonverordnungen prophezeiten damals die Vernichtung des Wildes und des Viehs durch den Adler. Solche Ängste und Warnungen haben sich heute, angesichts eines sehr guten Adlerbestandes, als völlig unberechtigt

erwiesen, und dank des vernünftigen Schutzes gehört der prächtige Vogel jetzt wieder zum vertrauten Anblick in unseren Bergen. Für einen weiteren mächtigen Greifvogel, den Bartgeier, kamen jedoch alle Schutzmassnahmen zu spät. Dieser harmlose Aas- und Knochenfresser, ebenfalls als vermeintlicher Vieh- und Wildräuber verfolgt, wurde rasch seltener. Ausserdem wollten sich Sammler noch ein Exemplar verschaffen, womit es in den Alpen um den Bartgeier geschehen war. Heute bemühen sich verschiedene Naturschutzkreise sehr darum, diese Tierart in den Alpen wieder einzuführen. Es bleibt somit die Die Alpendohle in ihrem typischen LebensraumAls gewandter Flieger ~ kann sie in diesen nahrungsarmen Gebieten überleben Hoffnung, dass wir irgendwann in der Zukunft auch diesen majestätischen Flieger wieder in unseren Bergen beobachten dürfen.

Auf einmal werden wir durch ein lautes, regelmässiges Fluggeräusch überrascht, das von einem knapp über uns dahinfliegenden grossen, schwarzen Vogel mit keilförmigem Schwanz und dickem Schnabel verursacht wird. Von Zeit zu Zeit lässt er einen tiefen, kollernden Ruf ertönen - es ist ein Kolkrabe. Und wer würde vermuten, dass es sich bei diesem um unseren grössten, einheimischen Singvogel handelt?

Auch er kam ursprünglich in ganz Mitteleuropa vor und brütete in den grösseren Wäldern und an fast allen Felsen im Bereich des Flachlandes. Doch dann wurde er überall eifrig abgeschossen, bis nur noch in den Alpen grössere lebensfähige Bestände existierten. Hier können wir nun im Spätwinter seine Flug-balz beobachten, wobei er sich als wahrer Meister der Flugakrobatik erweist.

Dank des Schutzes konnten sich die Kolkraben wieder erfreulich vermehren, so dass sie heute wieder in den Voralpen anzutreffen sind und sich auch gegen das Mittelland hin ausbreiten.

Einen weiteren Rabenvogel, die Alpendohle, brauchen wir auf unseren Bergtouren nicht lange zu suchen. Die Dohlen haben nämlich gelernt, dass dort, wo sich ( vor allem sitzende ) Menschen aufhalten, meist Futter für sie abfällt. Deshalb kommen sie dann auch sofort herangesegelt, was uns oft erlaubt, den schönen Vogel mit seinem leuchtend gelben Schnabel und den roten Füssen aus nächster Nähe zu beobachten. Das Brutgeschäft verrichten die Dohlen jedoch an gut versteckten Orten, etwa in Felsspalten. Deshalb lassen sich die Nester dieser doch recht häufigen Vögel auch nur selten finden.

Ein naher Verwandter unserer Dohle ist die Alpenkrähe. Sie kommt trotz ihres Namens in den Alpen heute nur noch sehr selten vor. Die Alpenkrähe unterscheidet sich von der Dohle durch einen langen, gebogenen, leuchtend roten Schnabel. Es handelt sich dabei um ein recht eigenartiges Tier, das - soviel man weiss - in den Alpen nie oft anzutreffen war. Gemäss überlieferten Berichten scheint die Alpenkrähe früher einmal sehr selten gewesen zu sein, worauf sich die Bestände erholt haben, um nun in jüngster Zeit, aus unbekannten Gründen, erneut stark abzunehmen. Ihr einstiges Vorkommen im Unterengadin ist heute erloschen. Es konnten dort schon seit einigen Jahren keine Brüten mehr festgestellt werden. In der letzten Zeit hat sich aber die Population im Aostatal und dem angrenzenden französischen Alpenraum nach Norden ausgebreitet, so dass heute einige Paare der Alpenkrähe im Wallis brüten.

Neben allen diesen doch eher grossen Vertretern der Vogelwelt, finden sich in den höheren Lagen der Alpen auch einige kleinere Singvogelarten. Während eigentliche Tieflandbewohner, wie etwa der Hausrotschwanz, bis in die oberen Bergregionen vorstossen und sogar dort brüten, gibt es auch Singvögel, die für den alpinen Bereich typisch sind; z.B. die Alpenbraunelle oder der Schneefink.

Der Schneefink, ein naher Verwandter unseres allgegenwärtigen Hausspatzes, bleibt das ganze Jahr über oben im Gebirge. Nur ausnahmsweise weicht er einmal im Hochwinter in etwas tiefere Lagen aus, oder versucht in der Nähe eines Bergrestaurants zu überleben. Die Trüppchen der Schneefinken sind kaum mit denen anderer Vögel zu verwechseln. Bei jedem Flügelschlag blitzt auf dem Flügel ein weisses Feld auf, so als wollten diese Tiere ihrem Namen gerecht werden.

Weit weniger auffällig gefärbt ist die Alpenbraunelle. Dafür macht sich der , wie er oft auch genannt wird, eher durch seinen lerchenartigen Gesang bemerkbar. Sein kleiner Verwandter, die auch in unseren Gärten vorkommende Heckenbraunelle, findet sich ebenfalls in Höhenlagen unserer Berge. Allerdings benötigt sie für ihre sich sehr im Verborgenen abspielende Lebensweise dichten Pflanzenwuchs, wie etwa Erlenstauden. Hier verrät sie ihre Anwesenheit meist durch ihren Gesang.

Im Frühling können wir oft, besonders auf nassen Wiesen, einen schlanken, ziemlich unscheinbaren, grau gefärbten Vogel beobachten. Den Wasserpieper. Bei ihm fällt vor allem die Art, wie er immer wieder auffliegend seinen Gesang vorträgt, auf. Im Winter weicht der Wasserpieper dem unwirtlichen Klima der Berge aus und ist dann recht häufig im Bereich von Bächen und Flüssen des Tieflandes anzutreffen.

Diese kurze Vorstellung der Vögel des Alpenraumes erhebt bei weitem keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollte aber zeigen, wie hier innerhalb einer Distanz von wenigen Kilometern sehr verschiedenartige Lebensräume vorkommen, wovon sich in jedem wieder die für ihn typischen Vogelarten finden. Während allerdings einige auf ganz spezielle Umweltbedingungen angewiesen bleiben, erweisen sich andere Arten als sehr anpassungsfähig und können Gebiete vom Tiefland bis in grössere Höhen besiedeln.

Zudem erhält man bei manchen Vogelarten leicht Einblick in ihre Lebensweise, bei andern benötigt es sehr viel Geduld, um sie auch nur für wenige Augenblicke zu Gesicht zu bekommen. Vielleicht vermag aber dieser kleine Streifzug in die Vogelwelt des Alpenraumes doch den einen oder anderen Berggänger dazu bewegen, seine nächste Tour unter dem Gesichtspunkt zu planen, einige dieser fliegenden Bergbewohner etwas genauer zu beobachten.

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