Eine erste Winterbesteigung am Ober Gabelhorn
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Eine erste Winterbesteigung am Ober Gabelhorn

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON PIERRE SALA, DELÉMONT

Mit I Bild ( 97 ) Donnerstag, 27. Februar « Nun, Korporal, nehmen Sie diesen Urlaub oder nicht? Der Wetterbericht ist allerdings gar nicht grossartig! » Seit sechs Wochen ist dieser Urlaub fällig, und immer noch warten wir auf günstiges Wetter. Hier, in Monthey, scheint die Sonne; im Jura schneit es. Mit fester Hand reicht er mir den kleinen blauen Zettel, den ich etwas zögernd entgegennehme.

« Gut aber nehmen Sie zur Kenntnis: wenn Sie in Mountet blockiert werden, gibt es keinen Fünftage-Urlaub mehr während Ihres Abverdienens. Schönes Wochenende und auf Wiedersehen am Montagabend! » Stunden vergehen, und Bernard kommt immer noch nicht; ich werde langsam nervös; einige Wolken klammern sich noch an die Dents de Morcles. Aber plötzlich reisst mich das Surren eines Motors aus meinem Träumen. Endlich ist er da, und wir brechen auf nach Mountet.

Am Abend stellen wir das Zelt am Fusse des Nordgrates auf. Die Kälte beisst, und alles klebt an den Händen. Ein Blick, und wir verstehen uns ohne langes Reden. Wir falten das Zelt wieder zusammen und gehen zum Schlafen in die Mountet-Hütte. Die auf dem Felsen verlorene Stunde wird durch eine gute, unter einem Dach verbrachte Nacht reichlich wettgemacht werden. Nachdem wir die Türe schnell freigeschaufelt haben, gehört die Hütte uns.

Während wir unsere Sachen versorgen, entdecken wir plötzlich ganze Fächer voll Lebensmittel und Klettergeräte. Das Hüttenbuch zeigt uns, dass schon zwei Seilschaften - und nicht die schlechtesten - sich an diese Wand herangewagt haben, allerdings ohne Erfolg.

Freitag, 28. Februar Heute morgen ist das Wetter wunderbar. Trotzdem beschliessen wir, noch nicht weiterzugehen, und um uns zu akklimatisieren, gehen wir spuren und studieren die Wand. Das haben wir dann schon vorbereitet für unsern grossen Tag. Gegen zehn Uhr brechen wir mit angeschnallten Ski in Richtung Nordgrat auf. Am Fuss des Couloirs tauschen wir die Ski gegen die Steigeisen aus, und während wir die herrliche Umgebung bewundern, steigen wir gemächlich an. Im Laufe des Nachmittags kehren wir wieder in die Hütte zurück und machen unsere Säcke für den nächsten Tag bereit. Ein prachtvoller Sonnenuntergang bestätigt uns noch, dass das Wetter sicher ist. Es scheint, wie wenn alle Berge Feuer gefangen hätten - ein märchenhaftes Schauspiel! Bald legen wir uns hin, denn morgen müssen wir sehr früh aufbrechen.

Samstag, I. März Es ist ein Uhr, als wir die Hüttentüre schliessen. Der Mond leuchtet uns in der eiskalten Nacht. In weniger als einer Stunde ist der Gletscher überquert. Sorgfältig machen wir uns bereit und steigen ein. Unsere Spuren von gestern sind vollständig verschwunden. Der Schnee hat alles zugedeckt. Wir kommen langsam, aber gleichmässig vorwärts. Im Tal unten löschen die Lichter, eins ums andere, aus wie die Sterne am Himmel. Um acht Uhr haben wir die erste Schwierigkeit hinter uns: der Schrund ist bewältigt. Aber die letzten fünfhundert Meter geben uns zu denken. Der Hang stösst in einem einzigen Schwung zum fast schwarzen Himmel hinauf.

Regelmässig folgen sich die Fünfzigmeter-Seillängen. Die Bedingungen sind wirklich ideal, und ohne Stufen zu schlagen, erreichen wir das erste Drittel der Flanke. Gegen Mittag kämpft Bernard immer noch mit der Wand, und er schlägt Stufen ins Eis, das so durchsichtig ist wie Glas und so hart wie Stahl. Noch drei oder vier Seillängen, und wir sind in der Sonne! Biwakieren kommt nicht mehr in Frage!

Für dieses letzte Stück brauchen wir unheimlich viel Zeit. Die Stunden vergehen wie Minuten, und der Hang wird immer steiler. Die Neigung von siebzig Grad ist erreicht. Das klare Eis lässt sich nur sehr schwer anritzen. Die Pickelspitze hallt laut, und die Eisschrauben greifen nicht mehr. Hier vor uns liegt des Aufstiegs Lösung. Während vier Stunden rücken wir langsam vor- wärts, indem wir jede brüske Bewegung vermeiden, denn die Sicherung ist sehr riskant. Unter unseren Füssen tut sich der Abgrund immer mehr auf. Aber alles hat ein Ende, sogar die Gipfelwächte, die uns eine Stunde und zwanzig Minuten grösster Anstrengung abfordert. Kurz nach 16 Uhr können wir uns endlich, überglücklich, auf dem Gifpel des Obergabelhorns niedersetzen. Die Nordost-Flanke liegt hinter uns! Sie ist bezwungen!

Vergessen sind Kälte, Abgrund, Müdigkeit, die Eisbrocken, die um, ja sogar auf unsere Köpfe gebumst und gepfiffen sind. Alle Walliser Viertausender sind da. Soweit das Auge reicht - nichts als Berggipfel, die sich vom leuchtenden Blau des Himmels abheben! Keine Wolke, kein Laut! Während wir uns ausruhen, regt uns diese grandiose Aussicht schon zu neuen Plänen an. Plötzlich ein ohrenbetäubendes Pfeifen: eine DC-9 saust gerade über unsere Köpfe weg; dann kehren Ruhe und Frieden wieder ein.

Doch bald müssen wir an die Rückkehr denken. Den Abstieg über den Arbengrat finden wir wegen der ungeheuren Wächten zu gefährlich. Wir entscheiden uns für den Nordgrat, der in ausgezeichnetem Zustand zu sein scheint. Das wird sogar noch den Vorteil haben, dass wir direkt auf unsere Ski stossen werden.

Nach einstündigem Halt beginnt der lange Abstieg. Die Verhältnisse sind wirklich gut. Der Schnee ist hart. Während des Absteigens haben wir das Vergnügen, dem Feuerwerk des Sonnenuntergangs beizuwohnen. Rasch wird die Kälte eisig, aber es macht uns nicht mehr viel aus; wir wissen ja, dass wir in einigen Stunden in der warmen Hütte sein werden.

Oben auf dem Cœur angekommen, lassen wir uns in eine Rinne gleiten, die uns direkt zu unserer Aufstiegsspur führt. Der Mond ist wieder aufgegangen und leuchtet uns erneut mit seinem Schein. Über den ganzen Mountet-Gletscher hin zieht sich der Schatten des Zinal-Rothorns.

Das helle Eis der Eistürme glänzt wie ein Spiegel. Wir weichen dem Hindernis der Türme aus, seilen uns, ohne zu zögern, los und hopp, auf das Hinterteil! Eine schöne Rutschpartie, ein Sprung über den Schrund, und wir sind bei unseren Ski angekommen. Noch eine Stunde Abfahrt, und um 21 Uhr treten wir wieder über die Schwelle der Mountet-Hütte.Vor zwanzig Stunden hatten wir sie verlassen! Endlich können wir uns auch stärken, nachdem wir den ganzen Tag nichts als etwa zwanzig Stück Traubenzucker vertilgt haben.

Sonntag, 2. März Wir sind auf der Heimkehr. Der Himmel bedeckt sich, und schon schleichen einige Wolken um die Dent Blanche.

Die Schneeverhältnisse sind ausgezeichent. Nur schade, dass unsere Säcke so schwer sind! Anderthalb Stunden nach unserem Aufbruch gelangen wir nach Zinal. Um sich treu zu bleiben, ist die Sonne mit von der Partie. Es ist elf Uhr, und eine bunte Menge von Skifahrern wimmelt um uns herum. Wir machen uns ganz klein und versuchen, unbemerkt vorbeizukommen. Aber plötzlich nagelt uns der Ruf fest: « He, Kameraden, wo kommt ihr denn her? » Es sind der Führer Epiney und sein Begleiter Vianin, der Tracuit-Wart, die uns kritisch betrachten.

« Also, woher kommt ihr denn? » « Von Mountet. » « Was, in diesem Aufzug? » « Vom Obergabelhorn. » « Auf welcher Route ?» « Durch die Nordostwand. » « Die Nordostwand? Aber das ist ja eine erste Winterbesteigung! Bravo! » Unser Lächeln wird immer breiter. Vergessen ist die Müdigkeit. Die Säcke spüren wir nicht mehr. Bei einem Gläschen Walliser Nektar berichten wir von unserer Besteigung den zwei neu gewonnenen Kameraden, die kaum ihren Ohren trauen.

Wie schön sind doch da oben die Berge und wie sympathisch hier die Kameraden!

( Übersetzung E. Busenhart )

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