Eine Überschreitung des Grépon
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Eine Überschreitung des Grépon

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 3 Bildern und Zeichnungen von E. Bohny.Von Wolfgang Schwab.

Wohl in keinem Gebiet der Alpen kommt der Gegensatz der einzelnen Berggestalten so stark und so nah beieinander zum Ausdruck wie im Mont-Blanc-Gebiet. Der Mont Blanc selbst, ein blendend weisser Koloss, ist dicht von Bergformen umgeben, die alles andere sind als dies. Dunkle, schlanke Nadeln entwachsen wilden, zerrissenen Gletschern. Seltsamer Bann ergreift uns beim Anblick dieser Gebilde, die jäh und eigenwillig nach oben schiessen, und nur noch der eine Gedanke erfüllt uns, diesen tollen Sturz nach oben selbst zu erleben und eine dieser Nadeln zu erstürmen. An euch, Aiguilles, hat die Natur übersprudelnde Schöpferkraft geoffenbart.

Am Abend schauten wir vom Montenvers aus die Mer de Glace, die dunkeln Nadeln ringsum, die den Hintergrund wuchtig abschliessenden Grandes Jorasses — ein Bild tiefernster Erhabenheit. Zeitig gingen wir zur Ruhe, nachdem wir das alpine Rüstzeug geordnet hatten.

In der Morgendämmerung steigen wir den Pfad empor, der durch das Blockwerk des Berghangs zur Moräne des Nantillongletschers führt. Auf dem Gletscher selbst seilen wir uns an, queren seinen Bruch zur Felsinsel des Rognon. Nun sind wir in nächster Nähe der beiden mit phantastischen Zacken gekrönten breiten Wände, die den Gletscher im Osten säumen, die Grands Charmoz und unser Ziel, der Grépon. Und doch sind beide Berge vor uns kühne Nadeln; einige Sommer früher hatten wir ja von den Grands EINE ÜBERSCHREITUNG DES GRÉPON.

Charmoz aus den Grépon in seiner eigentlichen Flankengestalt geschaut: eine ungemein kühne, in den Äther stossende Nadel, eine scharfe Klinge, die hart und hoch ins Leere schneidet, eine glühende Flamme mitten im Äther. So unwirklich erschien uns dies Gebilde, dass wir vermeinten, eine Fata Morgana zu sehen. Seither lag der Bann des Berges über uns.

Am Beginn der Schlucht zwischen Charmoz und Grépon rammen wir die Pickel ein, die am Grépon nur hinderlich sind, und klettern die Schlucht hinauf, deren oberer Teil noch von Schnee erfüllt ist. An ihrer Mündung unterm Grat müssen wir rechts ein steiles, teilweise vereistes Couloir hinauf, das uns Breitseite des Grépon, von der Aiguille de Blaitière aus.

in eine Gratscharte bringt; weit blicken wir von dieser Lücke aus auf die Mer de Glace hinunter.

Nun stehen wir vor der Zauberpforte des Grépon, die seine Geheimnisse erschliesst. Sie erscheint als senkrechter Riss von zwölf Meter Länge und wird durch eine von der prallen Wand abstehende Felsplatte gebildet — der Mummeryriss. Von der Scharte aus gesichert, quert mein Freund zur kleinen Plattform am Beginn der Ritze hinüber und windet sich darin langsam und mit äusserster Anstrengung höher. Nachdem der Rucksack aufgeseilt ist, bekomme ich die leckere Stelle selbst zu kosten. Rechter Fuss und rechter Arm verstemmen sich im aalglatten Spalt. Eingeklemmte Steine und ein kleiner Standplatz in der Mitte gestatten uns Schnaufpausen. Ganz zu oberst finden sich Griffe an der rechten Seitenwand.

Nach Überwindung des Risses sind wir gespannt auf die Dinge, die da kommen sollen. Und schon steigen wir durch das « Kanonenloch » — ein natürliches Fenster im Grat — hindurch auf die Mer-de-Glace-Seite, in die Sonne. Sie, die Lebenspenderin, verleiht auch dem ernsten Granit ein lichtes Antlitz.

An ein Fabeltier gemahnt von hier aus der Anblick des Gipfels; mit der grossen Platte, die auf ihm liegt, ist er wie ein Riesenpilz zu schauen. Über eine Rinne erreichen wir einen Spalt und den überhängenden Block darüber.

EINE ÜBERSCHREITUNG DES GRÉPON.

Indem wir uns jenseits ein paar Meter hinabstemmen, stehen wir'auf einer kleinen Terrasse in der Nantillonflanke unseres Berges; aus der in der Sonne leuchtenden Ostseite waren wir in die schattige, ernste Westseite getreten. So führt das Labyrinth des Weges wechselnd durch Licht und Schatten und lässt in Verbindung mit den wunderbaren Felsformen um uns die Flut der Eindrücke nie versiegen. Gleich kommt die nächste Glanzstelle des Grépon, der « Râteau de Chèvre ». Über die steile Kante einer von der Wand abgesprengten Platte, eben den Ziegenrücken, geht es rittlings hinauf, nachher in einen senkrechten Riss inmitten der glatten Wand. Die Griffe sind klein, der Fels freilich ist am ganzen Grépon fest. Der Riss mündet auf eine Plattform am Nordgipfel.

Jetzt sehen wir den Hauptgipfel noch viel besser. Wirren Träumen scheint der Berg zu entstammen, und sein tiger-farbenes Gewand atmet nun, am goldenen Mittag, feurige Wildheit. So nahe scheint stets der Gipfel, und immer wieder liegen Hindernisse dazwischen, durch die der Zauberweg zu ihm führt. Immer ist man in unmittelbarer Berührung mit dem Berg, und doch scheint er sich zu entwinden, wo man ihn auch angreift.

Nachdem wir einen schiefen Spalt neben dem Nordgipfel erklommen, stemmen wir uns Mummery-Riss.

durch einen kurzen Kamin hinab, klettern mit Schulterstand über griff losen Fels auf den « Grand Diable ». Oben liegt ein Block, wo wir das Reserveseil einhängen, um uns zuerst luftig über die Kante — weit unten dräut der Nantillongletscher —, dann einfach auf der Südseite abzuseilen. Wir stehen in der nächsten Scharte. Nun erst sehen wir, dass der Grand Diable aus zwei riesigen Blöcken besteht, die übereinander auf dem Grate thronen. Jetzt, vor dem Mittelgipfel, schleichen wir auf schmaler Leiste in der Nantillonflanke bis zu einem Winkel, von wo aus wir die Plattform darüber mit einem Klimmzug erwischen. Ein Spreizschritt bringt uns auf das zehn Meter lange Band, das den Mittelgipfel auf derMer-de-Glace-Seite umzieht und wegen EINE ÜBERSCHREITUNG DES GRÉPON.

seiner Breite von über einem Meter « la Vire aux Bicyclettes » genannt wird. Wir rasten ein wenig und geniessen etwas.

Der Rückweg ist uns abgeschnitten, nachdem wir das Seil vom Grand Diable abgezogen haben, doch ist auch der Gipfel nicht mehr weit. Nicht duldet der eisenharte Berg, dass die Seele Gebiete berührt, die ausserhalb seiner selbst liegen; längst ist uns das Ereignis der Tiefe fremd geworden.

Am Ende des langen Bandes nimmt uns auf der Nantillonseite gleich wieder ein Riss auf, den wir über eine schief nach oben ziehende Kante erreichen und der uns noch böser dünkt als sein Vorgänger. Über einen vorstehenden glatten Block können wir ihm entwischen und schreiten auf ebener Leiste zu einer Plattform dicht unter dem Gipfel. Hier setzt an einem Überhang der zum Gipfel ziehende Riss ein. Mit Schulterstand machen wir uns die Sache leichter, hangeln über den Überhang nach rechts in den Kamin und turnen vollends die paar Meter hinauf zum Gipfel ( 3482 m ). Langer Jahre Wunsch war erfüllt.

Der Rundblick: Nadeln und wieder Nadeln, dazwischen silberweiss die Mer de Glace, der Géantgletscher, die in den ungestümen Sturz der Nadeln nach oben eine mildernde Note tragen. Als Ruhepunkt König Mont Blanc, der sein sich ewig erneuerndes Haupt in unendlicher Gelassenheit in den Äther taucht, der auch euch, Aiguilles, ein Ziel bildet.

Zum Abstieg. Gleich neben der Mündung des Schlusskamins steht auf dem Gipfel eineMadonnafigur, die als Abseilblock dient. So hängen wir das Reserveseil ein und gondeln nacheinander,Grand Diable, tausend Meter über der Mer de Glace, über die glatte, senkrechte Gipfelwand hinab, um nach 18 Meter Luftfahrt auf einem horizontalen Band zu landen, das uns rasch zur Brèche Balfour, der Scharte jenseits des Gipfels, führt. Beim weiteren Abstieg, immer in der Nantillonflanke, ist der Weg gegeben. Über Rinnen, die gutgriffig durch Platten führen, kommen wir rasch tiefer. In einem Spalt an einem Gratturm stemmen wir uns auf eine Terrasse herab, an deren Rand sich ein Ringhaken vorfindet. Flugs seilen wir uns über die 15 Meter hohe Plattenwand in eine Nische ab und ziehen das Seil ein. Als Abschiedsgeschenk beschert uns der Grépon den nun folgenden Quergang. Hinter einer Ecke schauen wir glatten Fels, an den ein Block lehnt, der den Abgrund überbrückt. Von der Ecke gleiten wir am Reserveseil in einen vorher nicht sichtbaren Spalt dahinter, wo wir Stand fassen. Über den glatten Fels dem Block zusteuernd, sitzen wir schon oben. Im Reitsitz gleiten wir über die Kante des Blocks hinab und steigen jenseits, mit einem letzten Schulterstand, auf einen Felsblock, den « C. P. »-Felsen, hinauf. Damit sind die Schwierigkeiten endgültig überwunden. Dicht vor uns ragt die ungeheure Plattenwand des Grépon auf, der wir soeben entronnen.

Durch ein gutgestuftes Couloir und breite Bänder steigen wir rasch herab zum Col de Nantillon. Leichte Nebel umziehen uns, während wir auf alten Spuren rasch tiefer kommen Schon tauchen unsere Pickel auf. Gegen Norden klärt es sich auf, schnell sind wir am Rognon. Dort sehen wir in grüne, erquickende Wälder.

Als wir den Pfad gen Montenvers beschreiten, verschattet unter uns grüner Bergwald. Herber Duft zieht herauf; am klaren Abendhimmel glitzern die ersten Sterne. Ein seliger Tag geht zur Neige.Vom Berge gelöst, waren wir ewig mit ihm verbunden.

Goethe und der Mont Blanc.

« Goethe ist der erste deutsche Dichter, der die romantische Erhabenheit der schneebedeckten, firngekrönten Berge voll auf sich wirken lässt und mit unübertroffener Meisterschaft schildert » ( Biese ). Auf seiner zweiten Schweizerreise mit Herzog Karl August von Weimar, wobei sie zuerst 1779 die Petersinsel, Bern und das Oberland besucht hatten, gelangten sie nach einem Abstecher auf den Jura nach Genf. Einen Sonnenuntergang nach einer Besteigung der Dôle ( 1680 m ) schildert Goethe folgendermassen:

« Wir kamen mit Sonnenuntergang auf die Ruinen des Fort de St. Cergues. Auch näher am Tal waren unsre Augen nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet. Die letzten, links im Oberland, schienen in einen leichten Feuerdampf aufzuschmelzen; die nächsten standen noch mit wohlbestimmten roten Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene weiss, grün, graulich. Es sah fast ängstlich aus. Wie ein gewaltiger Körper von aussen gegen das Herz zu abstirbt, so erblassten alle gegen den Montblanc zu, dessen weiter Busen noch immer rot herüber glänzte und auch zuletzt uns noch einen rötlichen Schein zu behalten schien, wie man den Tod des Geliebten nicht gleich bekennen und den Augenblick, wo der Puls zu schlagen aufhört, nicht abschneiden will. Auch nun gingen wir ungern weg. Die Pferde fanden wir in St. Cergues, und dass nichts fehle, stieg der Mond auf und leuchtete uns nach Nyon, indes unterwegs unsere gespannten Sinnen sich wieder lieblich entfalteten, wieder freundlich wurden, um mit frischer Lust aus den Fenstern des Wirtshauses den breitschwimmenden Wiederglanz des Mondes im ganz reinen See geniessen zu können.

Hier und da auf der ganzen Reise ward so viel von der Merkwürdigkeit der Savoyer Eisgebirge gesprochen, und wie wir nach Genf kamen, hörten wir, es werde immer mehr Mode, dieselben zu sehen, dass der Graf eine sonderliche Lust kriegte, unsern Weg dahin zu leiten, von Genf aus über Cluse und Salenche ins Tal Chamouni zu gehen, die Wunder zu betrachten, dann über Valorsine und Trient nach Martinach ins Wallis zu fallen. Dieser Weg, den die meisten Reisenden nehmen, schien wegen der Jahreszeit etwas bedenklich. Der Herr de Saussure wurde deswegen auf seinem Landgute besucht und um Rat gefragt. Er versicherte, dass man ohne Bedenken den Weg machen könne: es liege auf den mittlem Bergen noch kein Schnee, und wenn wir in der Folge aufs Wetter und auf den guten Rat der Landleute achten wollten, der niemals fehlschlage, so könnten wir mit aller Sicherheit diese Reise unternehmen *).* « Chamouni, den 4. November. Abends gegen Neun.

... Der Weg steigt einen Berg hinan; die Massen werden hier immer grösser, die Natur hat hier mit sachter Hand das Ungeheure zu bereiten angefangen. Es wurde dunkler, wir kamen dem Tale Chamouni näher und endlich darein. Nur die grossen Massen waren uns sichtbar. Die Sterne gingen nach einander auf, und wir bemerkten über den Gipfeln der Berge, rechts vor uns, ein Licht, das wir nicht erklären konnten. Hell, ohne Glanz, wie die Milchstrasse, doch dichter, fast wie die Plejaden, nur grösser, unterhielt es lange unsere Aufmerksamkeit, bis es endlich, da wir unsern Standpunkt änderten, wie eine Pyramide, von einem innern, geheimnisvollen Lichte durchzogen, das dem Schein eines Johanniswurms am besten verglichen werden kann, über den Gipfeln aller Berge hervorragte und uns gewiss machte, dass es der Gipfel des Montblanc war. Es war die Schönheit dieses Anblicks ganz ausserordentlich; denn da er mit den Sternen, die um ihn herumstunden, zwar nicht in gleich raschem Licht, doch in einer breitern zusammenhängenden Masse leuchtete, so schien er den Augen zu einer höhern Sphäre zu gehören, und man hatte Müh ', in Gedanken seine Wurzeln wieder an die Erde zu befestigen. Vor ihm sahen wir eine Reihe von Schneegebirgen dämmernder auf den Rücken von schwarzen Fichtenbergen liegen und ungeheure Gletscher zwischen den schwarzen Wäldern herunter ins Tal steigen.

Wir sind hier in dem mittelsten Dorfe des Tals, le Prieuré genannt, wohl logiert, in einem Hause, das eine Wittwe, den vielen Fremden zu Ehren, vor einigen Jahren erbauen liess. Wir sitzen am Kamin und lassen uns den Muska-tellerwein aus der Vale d' Aost besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns aufgetischt werden. » « Den 5. November. Abends.

Es ist immer eine Resolution, als wie man ins kalte Wasser soll, ehe ich die Feder nehmen mag, zu schreiben. Hier hätt'ich nun gerade Lust, Sie auf die Beschreibung der Savoyischen Eisgebirge, die Bourru, ein passionierter Kletterer, herausgegeben hat, zu verweisen.

x ) Karl August schreibt darüber in seinem Tagebuch:

... Diotati ass bei uns, nach Tisch fuhren wir mit ihm zum Professor de Sausure auf sein Landgut. Es liegt am See und ist ausserordentlich schön. Er ist von sehr schöner Figure und hat eine Tochter, die mir dem Ansehen nach sehr liebenswürdig schien. Seine ausserordentlichen Reisen nach den Eisgebürgen haben ihn bekannt gemacht. Wir fragten ihn wegen unseres Projektes um Rat und er sagte, dass wir ohne alle Gefahr und ohne grosse Beschwernüsse die Reise unternehmen könnten.

Erfrischt durch einige Gläser guten Wein und den Gedanken, dass diese Blätter eher als die Reisenden und Bourrits Buch bei Ihnen ankommen werden, will ich mein möglichstes tun. Das Tal Chamouni, in dem wir uns befinden, liegt sehr hoch in den Gebirgen, ist etwas sechs bis sieben Stunden lang und gehet ziemlich von Mittag gegen Mitternacht. Der Charakter, der mir es vor andern auszeichnet, ist, dass es in seiner Mitte fast gar keine Fläche hat, sondern das Erdreich, wie eine Mulde, sich gleich von der Arve aus gegen die höchsten Gebirge anschmiegt. Der Montblanc und die Gebirge, die von ihm herabsteigen, die Eismassen, die diese ungeheuren Klüfte ausfüllen, machen die östliche Wand aus, an der die ganze Länge des Tals hin sieben Gletscher, einer grösser als der andere, herunterkommen. Unsere Führer, die wir gedingt hatten, das Eismeer zu sehen, kamen beizeiten. Der eine ist ein rüstiger junger Bursche, der andere ein schon älterer und sich klug dünkender, der mit allen gelehrten Fremden Verkehr gehabt hat, von der Beschaffenheit der Eisberge sehr wohl unterrichtet und ein sehr tüchtiger Mann. Er versicherte uns, dass seit achtundzwanzig Jahren — so lange führ'er Fremde auf die Gebirge — zum erstenmal so spät im Jahr, nach Allerheiligen, jemand hinauf bringe; und doch sollten wir alles eben so gut wie im August sehen. Wir stiegen, mit Speise und Wein gerüstet, den Mont-Anvert hinan, wo uns der Anblick des Eismeers überraschen sollte. Ich würde es, um die Backen nicht so voll zu nehmen, eigentlich das Eistal oder den Eisstrom nennen: denn die ungeheuren Massen von Eis dringen aus einem tiefen Tal, von oben anzusehen, in ziemlicher Ebene hervor. Gerad hinten endigt ein spitzer Berg, von dessen beiden Seiten Eiswogen in den Hauptstrom hereinstarren. Es lag noch nicht der mindeste Schnee auf der zackigen Fläche, und die blauen Spalten glänzten gar schön hervor. Das Wetter fing nach und nach an, sich zu überziehen, und ich sah wogige graue Wolken, die Schnee anzudeuten schienen, wie ich sie niemals gesehn. In der Gegend, wo wir stunden, ist die kleine von Steinen zusammengelegte Hütte für das Bedürfnis der Reisenden, zum Scherz das Schloss Mont-Anvert genannt. Monsieur Blaire, ein Engländer, der sich zu Genf aufhält, hat eine geräumigere, an einem schicklichem Ort, etwas weiter hinauf, erbauen lassen, wo man, am Feuer sitzend, zu einem Fenster hinaus das ganze Eistal übersehen kann. Die Gipfel der Felsen gegenüber und auch in die Tiefe des Tals hin, sind sehr spitzig ausgezackt. Es kommt daher, weil sie aus einer Gesteinart zusammengesetzt sind, deren Wände fast ganz perpendikular in die Erde einschiessen. Wittert eine leichter aus, so bleibt die andere spitz in die Luft stehen. Solche Zacken werden Nadeln genennet, und die Aiguille du Dru ist eine solche hohe merkwürdige Spitze, gerade dem Mont-Anvert gegenüber. Wir wollten nunmehr auch das Eismeer betreten und diese ungeheuren Massen auf ihnen selbst beschauen. Wir stiegen den Berg hinunter und machten einige hundert Schritte auf den wogigen Kristallklippen herum. Es ist ein ganz trefflicher Anblick, wenn man, auf dem Eise selbst stehend, den oberwärts sich herabdrängenden und durch seltsame Spalten geschiedenen Massen entgegensieht. Doch wollt'es uns nicht länger auf diesem schlüpfrigen Boden gefallen; wir waren weder mit Fusseisen, noch mit beschlagenen Schuhen gerüstet, vielmehr hatten sich unsere Absätze durch den langen Marsch abgerundet und geglättet. Wir machten uns also wieder zu den Hütten hinauf und nach einigem Ausruhen zur Abreise fertig. Wir stiegen den Berg hinab und kamen an den Ort, wo der Eisstrom stufenweis bis hinunter ins Tal dringt, und traten in die Höhle, in der er sein Wasser ausgiesst. Sie ist weit, tief, von dem schönsten Blau, und es steht sich sichrer im Grund als vorn an der Mündung, weil an ihr sich immer grosse Stücke Eis schmelzend ablösen. Wir nahmen unsern Weg nach dem Wirtshause zu, bei der Wohnung zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf bis vierzehn Jahren, die sehr weisse Haut, weisse, doch schroffe Haare, rote und bewegliche Augen wie die Kaninchen haben. Die tiefe Nacht, die im Tale liegt, lädt mich zeitig zu Bette, und ich habe kaum noch so viel Munterkeit, Ihnen zu sagen, dass wir einen jungen zahmen Steinbock gesehen haben, der sich unter den Ziegen ausnimmt, wie der natürliche Sohn eines grossen Herrn, dessen Erziehung in der Stille einer bürgerlichen Familie aufgetragen ist. Von unsern Diskursen geht 's nicht an, dass ich etwas ausser der Reihe mitteile. An Graniten, Gneisen, Lärchen- und Zirbelbäumen finden Sie auch keine grosse Erbauung; doch sollen Sie ehestens merkwürdige Früchte von unserm Botanisieren zu sehen kriegen. Ich bilde mir ein, sehr schlaftrunken zu sein, und kann nicht eine Zeile weiter schreiben. » « Chamouni, den 6. November. Früh.

Zufrieden mit dem, was uns die Jahreszeit zu sehen erlaubte, sind wir reisefertig, noch heute ins Wallis durchzudringen. Das ganze Tal ist über und über bis an die Hälfte mit Nebel bedeckt, und wir müssen erwarten, was Sonne und Wind zu unserm Vorteil tun werden. Unser Führer schlägt uns einen Weg über den Col de Balme vor: ein hoher Berg, der an der nördlichen Seite des Tals gegen Wallis zu liegt, und auf dem wir, wenn wir glücklich sind, das Tal Chamouni mit seinen meisten Merkwürdigkeiten noch einmal von seiner Höhe übersehen können. Indem ich dieses schreibe, geschieht an dem Himmel eine herrliche Erscheinung: die Nebel, die sich bewegen und sich an einigen Orten brechen, lassen, wie durch Tagelöcher, den blauen Himmel sehen und zugleich die Gipfel der Berge, die oben, über unsrer Dunstdecke, von der Morgensonne beschienen werden. Auch ohne die Hoffnung eines schönen Tages ist dieser Anblick dem Aug'eine rechte Weide. Erst jetzo hat man einiges Mass für die Höhe der Berge. Erst in einer ziemlichen Höhe vom Tal auf streichen die Nebel an dem Berg hin, hohe Wolken steigen von da auf, und alsdann sieht man noch über ihnen die Gipfel der Berge in der Verklärung schimmern. Es wird Zeit! Ich nehme zugleich von diesem geliebten Tal und von Ihnen Abschied. » * « Martinach im Wallis, den 6. November. Abends.

Glücklich sind wir herübergekommen, und so wäre auch dieses Abenteuer bestanden. Die Freude über unser gutes Schicksal wird mir noch eine halbe Stunde die Feder lebendig erhalten.

Unser Gepäck auf ein Maultier geladen, zogen wir heute früh gegen Neune von Prieuré aus. Die Wolken wechselten, dass die Gipfel der Berge bald erschienen, bald verschwanden, bald die Sonne streifweis ins Tal dringen konnte, bald die Gegend wieder verdeckt wurde. Wir gingen das Tal hinauf, den Ausguss des Eistals vorbei, ferner den Glacier d' Argentière hin, den höchsten von allen, dessen oberster Gipfel uns aber von Wolken bedeckt war. In der Gegend wurde Rat gehalten, ob wir den Stieg über den Col de Balme unternehmen und den Weg über Valorsine verlassen wollten. Der Anschein war nicht der vorteilhafteste, doch da hier nichts zu verlieren und viel zu gewinnen war, traten wir unsern Weg keck gegen die dunkle Nebel- und Wolkenregion an. Als wir gegen den Glacier du Tour kamen, rissen sich die Wolken auseinander, und wir sahen auch diesen schönen Gletscher in völligem Lichte. Wir setzten uns nieder, tranken eine Flasche Wein aus und assen etwas weniges. Wir stiegen nunmehr immer den Quellen der Arve auf rauhen Matten und schlecht berasten Flecken entgegen und kamen dem Nebelkreis immer näher, bis er uns endlich völlig aufnahm. Wir stiegen eine Weile geduldig fort, als es auf einmal, indem wir aufschritten, wieder über unsern Häuptern helle zu werden anfing. Kurze Zeit dauerte es, so traten wir aus den Wolken heraus, sahen sie in ihrer ganzen Last unter uns auf dem Tale liegen und konnten die Berge, die es rechts und links einschliessen, ausser dem Gipfel des Montblanc, der mit Wolken bedeckt war, sehen, deuten und mit Namen nennen. Wir sahen einige Gletscher von ihren Höhen bis zu der Wolkentiefe herabsteigen, von andern sahen wir nur die Plätze, indem uns die Eismassen durch die Bergschrunden verdeckt wurden. Über die ganze Wolkenfläche sahen wir, ausserhalb dem mittägigen Ende des Tales, ferne Berge im Sonnenschein. Was soll ich Ihnen die Namen von den Gipfeln, Spitzen, Nadeln, Eis- und Schneemassen vorerzählen, die Ihnen doch kein Bild, weder vom Ganzen noch vom Einzelnen, in die Seele bringen. Merkwürdiger ist 's, wie die Geister der Luft sich unter uns zu streiten schienen. Kaum hatten wir eine Weile gestanden und uns an der grossen Aussicht ergötzt, so schien eine feindselige Gärung in dem Nebel zu entstehen, der auf einmal aufwärts strich und uns aufs neue einzuwickeln drohte. Wir stiegen stärker den Berg hinan, ihm nochmals zu entgehen, allein er überflügelte uns und hüllte uns ein. Wir stiegen immer frisch aufwärts, und bald kam uns ein Gegenwind vom Berge selbst zu Hilfe, der durch den Sattel, welcher zwei Gipfel verbindet, hereinstrich und den Nebel wieder ins Tal zurücktrieb. Dieser wundersame Streit wiederholte sich öfter, und wir langten endlich auf dem Col de Balme an. Es war ein seltsamer, eigener Anblick. Der höchste Himmel über den Gipfeln der Berge war überzogen, unter uns sahen wir durch den manchmal zerrissenen Nebel ins ganze Tal Chamouni, und zwischen diesen beiden Wolkenschichten waren die Gipfel der Berge alle sichtbar. Auf der Ostseite waren wir von schroffen Gebirgen eingeschlossen, auf der Abendseite sahen wir in ungeheure Täler, wo doch auf einigen Matten sich menschliche Wohnungen zeigten. Vorwärts lag uns das Wallistal, wo man mit einem Blick, bis Martinach und weiter hinein, mannigfaltig über einander geschlungene Berge sehen konnte. Auf allen Seiten von Gebirgen umschlossen, die sich weiter gegen den Horizont immer zu vermehren und aufzutürmen schienen, so standen wir auf der Grenze von Savoyen und " Wallis. Einige Contrebandiers kamen mit Mauleseln den Berg herauf und erschraken vor uns, da sie an dem Platz jetzo niemand vermuteten. Sie taten einen Schuss, als ob sie sagen wollten: damit ihr seht, dass sie geladen sind! und einer ging voraus, um uns zu rekognoszieren. Da er unsern Führer erkannte und unsre harmlosen Figuren sah, rückten die andern auch näher, und wir zogen, mit wechselseitigen Glückwünschen, an einander vorbei. Der Wind ging scharf, und es fing ein wenig an zu schneien. Nunmehr ging es einen sehr rauhen und wilden Stieg abwärts, durch alten Fichtenwald, der sich auf Felsplatten von Gneis eingewurzelt hatte.Vom Wind über einander gerissen, verfaulten hier die Stämme mit ihren Wurzeln, und die zugleich losgebrochenen Felsen lagen schroff durch einander. Endlich kamen wir ins Tal, wo der Trientfluss aus einem Gletscher entspringt, liessen das Dörfchen Trient ganz nahe rechts liegen und folgten dem Tale durch einen ziemlich unbequemen Weg, bis wir endlich gegen sechse hier in Martinach auf flachem Wallisboden angekommen sind, wo wir uns zu weitern Unternehmungen ausruhen wollen. »

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