Eine Wanderung auf den Vesuv
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Eine Wanderung auf den Vesuv

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Paul Kyburz

Mit 1 Bild ( 122 ) ( Bern ) Die Besteigung des Vesuvs ist kein Meisterstück.

Im Gegenteil. Durch die Cooksche Zahnrad- und Drahtseilbahn und, in den letzten Jahren vor diesem Krieg, durch eine Autostrasse von Bosco-trecase aus, sowie gegen gutes Geld, ist seine Begehung zum Modeausflug in Stöckelschuhen und Shorts geworden.

Ich gedachte jedoch die Bekanntschaft mit dem Vulkan auf meine Art zu suchen, auf Pfaden abseits der Heerstrasse mondäner Gesellschaftsreisenden, auf Pfaden, wo ich mich dem Dämon Vulkan in Stille zu nähern hoffte.

Ein sonniger Februarmorgen zur Zeit des Abessinienkrieges brach an, als ich mit dem Auto das immerwährend lärmende Neapel verliess und über die spiegelglatte Autostrada nach dem 24 km entfernten Pompeji fuhr. Diesem Opfer des Vesuvs wollte ich vorerst einen Besuch machen, bevor ich mich dem Missetäter selbst zuwandte.

Diese einstmals 20 000 Menschen beherbergende Stadt wurde im Jahre 79 durch den « berühmten » Ausbruch des Vesuvs unter einer 6 Meter starken Schicht Bimsstein ( Lapilli ) und Asche begraben. Heute grösstenteils ausgegraben, vermittelte sie mir bei deren Durchwanderung einen unauslöschlichen Eindruck frühester Kultur, aber auch einen Begriff vulkanischer Macht.

Die Sonne brennt schon heiss auf meinen unbedeckten Schädel, als ich mich durch die ausgefahrenen Strassen Pompejis nordwärts wende. Zu lange schon hat mich die geheimnisvolle Stätte in ihrem Banne gehalten.

Nach einer halben Stunde erreiche ich das Dorf Boscotrecase, welches bei der jüngsten Eruption im Jahre 1906 nebst andern Orten stark litt, p da, wie mir ein alter Mann erzählt, unweit der Ortschaft in 400 Meter Höhe die Erde barst und die hervorquellende Lava dann auch das Dorf begrub.

Auf diesen Zeugen der Verwüstung will ich den Berg ersteigen.

Eine kleine Erfrischung gestatte ich mir noch in einer Osteria, als sich auch schon drei Einheimische heranmachen mit dem Anerbieten, mich auf den Vesuvio zu bringen — jeder auf seine Art und zu seinem Preis. Dass die Fahrt sogleich losgehen soll, begeistert keinen und gar zu Fuss kommt nicht in Frage. Der unter anderem angebotene Esel ist erst in zwei Stunden fähig, mich auf den Berg zu schleppen... das wäre ja nett, als C. Mann auf eines Esels Rücken den Berg hinaufzusteigen! Nach ihrer Meinung ist es verboten, den Vesuv ohne Führung zu begehen, doch als ich, das Gasthaus verlassend, meine Schritte kurz entschlossen bergwärts lenke, hält mich niemand mehr zurück.

Durch fussdicken Staub, auf gemächlich aufwärts führendem Strässchen, komme ich dem vor nur kahl aufragenden Kegel zusehends näher. Ein des Wegs kommendes buckliges Mütterchen frage ich nach dem Weiterweg. Es erteilt mir als Antwort den Rat, lieber von der Besteigung abzusehen, und wirft missbilligende Blicke auf meine Halbschuhe. Aber ich wandre trotzdem zur Gipfelhöhe 1 Nichts an diesem 1200 Meter hohen Kegelstumpf erinnert mich an die Berge meiner Heimat; die Farbe, ins Schwarze gehend, und auch die Form sind mir fremd.

Wo ich hinschaue, überall drängt durch das üppige Grün das Innere des Berges — Lava.

Häuser sind aus ihr erbaut, an Mauern aus Lava komme ich vorbei, errichtet zum Auffangen der vom Regen als fruchtbaren Schlamm den Berg heruntergeschwemmten Asche. So hilft der Vulkan dem Menschen, sein Zerstörungswerk auszumerzen,. Das Strässchen habe ich verlassen, längst wie ein Müller aussehend. Die letzten Häuser liegen hinter mir. Ich gedenke, um Zeit zu sparen, den Hang in der Fallinie zu nehmen. Ein kleiner steil aufwärts führender Pfad verliert sich in lichtem Nadelholz. Meine ungenagelten Schuhsohlen machen mir zu schaffen, und auf dem glatten Nadelteppich komme ich mir vor wie auf gut gewachsten Skis. Im Geäst sitzen einige Lausbuben, welche mich unter Gelächter mit Zapfen bewerfen. In Kürze ist der Baumbestand auf Händen und Füssen überwunden, und die Sonne umgibt mich wieder mit ihrer wärmenden Kraft.

Die Vegetation hat hier sozusagen aufgehört; nur die « falsche Akazie » treffe ich in Runsen, in denen sich der fruchtbare Schlamm verfestigt hat, häufig an.

Durch koksartigen Schutt und heruntergeschwemmte Asche « erwatte » ich mir einen Arm des 1906 entstandenen Lavastroms und habe damit wieder festen Boden unter den Füssen. Unabsehbar breitet sich em wildes Meer von Lava vor mir aus. Hier, im ausgesprochenen Machtbereich des Vulkans, erkenne ich seine Kräfte, denen gegenüber der Mensch machtlos ist. Dunkel und wüst windet sich dieser Strom des Verderbens die Flanke hinunter, sich nach unten verbreiternd und verzweigend.

EINE WANDERUNG AUF DEN VESUV Über glashartes Getrümmer, dann wieder über brüchige Brocken und grosse feste Blöcke oder durch schwarzen, nachgiebigen Lavastaub, gewinne ich mühsam an Höhe.

Wilde Formen überall, ein Labyrinth zu Stein gewordener « Berner Strübli ».

Die Steilheit nimmt zu. Einen horizontal den Berghang querenden Pfad habe ich bereits überschritten und befinde mich in ungefähr 800 Meter Höhe.

Auf einem rauhen, runden Buckel lege ich mich nieder. Der Blick hat sich geweitet. Unter mir liegt, zwischen die Lavaströme eingefügt, Siedelung an Siedelung. Alle eingebettet im frischen Grün der Orangenhaine, der Feigenbäume und des Weins. Aus der Ebene grüsst Pompeji. Dahinter leitet die elegante Küstenlinie des « Golfo di Napoli » den Blick auf die Halbinsel von Sorrent, deren Berge sich im 1400 Meter hohen Monte S. Angelo vereinigen. Draussen, im glitzernden Meer, ein schwarzer Fleck: Capri.

Durstgefühl weckt mich aus meiner Betrachtung. Infolge meines eiligen Auszuges im « Tale » habe ich vergessen, eine Erfrischung mitzunehmen.

Glatte Lavastränge überschreitend erreiche ich eine steile Runse, welche mir das Steigen erleichtern soll. Über schuhfressende Splitter arbeite ich mich darin empor, um bald im Gebiet des eigentlichen Aschenkegels zu stehen, welcher eine Steilheit von 45 Grad erreicht.

Das Ziel kann deshalb nicht mehr weit sein. Etwas westlich von meinem Standpunkt sehe ich eine Wegspur sich den Steilhang hinauf schlängeln. Diese benütze ich zum weitern Aufstieg, denn mich in diesem bald « wattigen », bald schlackigen, nachgiebigen Material weiter abzuquälen, lockt mich nicht. Zwischen vom Regen tief ausgefressenen Runsen führt mich der Pfad rasch in die Höhe. Ein feiner schwefliger Geruch liegt in der Luft.

Da — unvermutet stehe ich auf dem Rand des Hexenkessels. Senkrecht, zum Teil überhängend, fällt zu meinen Füssen der Kraterrand an die 100 Meter in die Tiefe.

Müde setze ich mich am Rande nieder, vor mir das etwa 800 Meter weite Kraterbecken. Mitten in diesem Kessel erhebt sich ein verkleinerter Vesuv, der eigentliche, 70 Meter hohe Krater, welcher, unruhig pustend, seine schmutziggelben Dämpfe ins Leere schickt.

Plötzlich fahre ich zusammen; Flintenschüsse ertönen, dann ein Böller-knall — und schnell ducke ich mich, die ersten Steine kommen geflogen. Zischend entströmt eine mächtige Wolke diesem Kamin der Hölle. Ein « Sicherheitsventil der Erde » sahen die Alten in ihm.

Der Wind hat sich gedreht und treibt mir die Rauchfahne in das Gesicht. Halb erstickt im schwefligen Dampfe, ohne Sicht, taste ich mich, das Taschentuch vor dem Munde, aus diesem Qualm. Ich suche den Abstieg in den Kessel und finde ihn als bequemen Weg.

Längs den vom Regen arg zerrissenen, schwefelgefleckten, senkrecht in die Höhe starrenden Kraterwänden führt der Pfad hinunter auf den ebenen Kraterboden. Hier erwartet mich ein Mann, welcher sich als offizieller Führer ausweist und mir zu verstehen gibt, dass ich hier ohne seine Begleitung nichts zu suchen habe. Gemeinsam umschreiten wir den Höllen-boden, wobei sich der Mann als ganz gemütlicher Geselle erweist. Über erkaltete, gelb geäderte Lava und über Risse, durch welche der rotglühende Teufelsbrei deutlich sichtbar leuchtet und dampft, gelangen wir immer näher an den feuerspeienden Schlund heran. Noch einmal müssen wir uns rasch ducken, als wieder, wie übrigens alle zehn Minuten, ein leises Brausen die kommende Explosion anzeigt und dann unter Getöse eine gewaltige, alles verhüllende, von Flammen durchflatterte Dampfwolke dem Schlund entströmt. Grosse glühende Lavastücke fliegen herum, einige finden den Weg zurück in den Krater, andere klatschen nicht weit von uns auf den Boden, wo sie bald als schwarze Kuchen von den alten nur durch ihre Hitze zu unterscheiden sind.

Mich brennt 's an den Schuhsohlen. Näher an den Kegel heran will auch der Führer nicht, denn in letzter Zeit sei die Tätigkeit des Unermüdlichen besonders unruhig und unberechenbar. Überall entströmt giftiger Schwefeldampf dem Wulstgewirr des Bodens, so dass ich gerne dieses Höllen-theater verlasse und den Kraterrand, nun wieder allein, ostwärts umschreite. Der Blick von hier in das Infernotal hinunter ist grauenerregend.

Schwierig, sich vorzustellen, dass vor einigen Jahrhunderten diese Abhänge bis hoch hinauf mit Reben bewachsen waren und im damals noch tiefen Krater sich im Buschwerk und unter Bäumen Wildschweine getummelt haben sollen:

Wie ein Amphitheater umgibt nordwärts der alte Kraterrand des Monte Somma den heutigen Vesuv. Herrlich ist der Blick auf den Golf von Neapel und in die Ferne. Kein Mensch zeigt sich, so weit ich schaue. Die Stille wird nur vom Pulsschlag der Hölle unterbrochen. Majestätisch erhebt sich jetzt die Rauchfahne senkrecht in den Abendhimmel.

Ein scharfer, kalter Wind kommt plötzlich auf und treibt mich fort. Vor mir taucht .die Bergstation der Bahn auf, und ich hoffe, hier etwas Trinkbares zu ergattern. Doch auch diese ist wie ausgestorben. Auf dem kürzesten Wege führen die Geleise der Drahtseilbahn in die Tiefe. Rechts zieht sich ein Weg mit unzähligen Windungen durch das Lavagewirr hinunter. Als nächstes Ziel sehe ich das Observatorium auf 600 Meter Höhe unter mir. Wie ich auf dem Pfade hinuntereile, merke ich bald, dass es um meine Füsse und Schuhe nicht gut bestellt ist. Zudem scheint mir der Weg zu weitläufig angelegt. Ich steige also zurück zur Station, von wo ich die Bahntrasse als Abstiegweg zu benützen gedenke.

Von Schwelle zu Schwelle steige ich nun sorgsam hinunter, peinlich darauf achtend, ja keinen Fehltritt zu tun, denn zwischen den Balken gähnt die Lava herauf. Hoch über dem Lavastrom schreitend komme ich der Talstation rasch näher. Vor derselben klettere ich über einen Pfeiler hinunter und quere den Lavazug auf einem Weglein, welches mich zum Observatorium führt.

Von hier gibt 's nun zermürbenden Strassentippel nach Resina hinunter, dem Resina, unter welchem heute noch das im Jahre 79 von einem Schlammstrom begrabene Herculanum schlummert. Von dort wird mich die Bahn nach Neapel bringen...

.iaivisS EINE WANDERUNG AUF DEN VESUV Die Lava verliert sich immer mehr im fruchtbaren Grün. In einer Strassenkehre, inmitten von Reben, finde ich eine kleine Gaststätte und koste königlich den ersten so ersehnten Trunk.

Wie ich dann bei Nachtwerden in Neapel ankomme, ist mein erstes Unterfangen, in einem der bequemen, gepolsterten Schuhputzerfauteuils, in welchen man so erhaben am Strassenrand thront, Platz zu nehmen.

Misstrauisch mustert der Geselle mein Schuhwerk, dann mich. Beruhigend entrichte ich meinen Obolus zum voraus, worauf er mit gleichem Eifer und gleicher Zärtlichkeit Lederzeug und hervorschauende Zehen behandelt!

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