Erhard Loretan — ein "Kleiner" unter den Grossen
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Erhard Loretan — ein "Kleiner" unter den Grossen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Ein Mann schreitet voran, versinkt fast bis zum Bauch im Schnee, lässt hinter sich eine tiefe Spur. Er ist von geringer Grösse und wirkt in dieser Umgebung noch kleiner. Ohne anzuhalten, sucht er mit dem Blick einen Fixpunkt in dieser riesigen, so unmenschlichen Weite... Nichts. Nur dort oben, sehr hoch und sehr fern, eine imaginäre Linie, die Erde und Himmel trennt: .

Nach zahllosen Stunden der Anstrengung erreicht er den Gipfel. Müde? Ein Wort, das es in seinem Vokabular nicht gibt, ebensowenig wie das Wort Schwierigkeit. Ein grosser innerer Friede überkommt ihn. Angesichts der grossartigen Landschaft rollen einige Tränen über seine Wangen.

Seine beiden Gefährten ( mit denen er sich beim Spuren abgelöst hat ) kommen bei ihm an; sie respektieren das Schweigen tiefer innerer Bewegung. Sie fragen sich, wie ein Mensch die Fähigkeit besitzen kann, so schnell und so ausdauernd voranzukommen. Dabei sind diese beiden ebenfalls durchtrainierte Bergsteiger; sie gehören zu den Besten des internationalen Alpinismus: der Pole Woytek Kurtyka und der Schweizer Jean Troillet.

Andere bekannte Alpinisten, die ebenfalls den begleitet haben, zum Beispiel Pierre Beghin, Stéphane Schaffter, Eric Escoffier, André Georges, haben sich dieselbe Frage gestellt - und keine Antwort gefunden.

Zu diesem Zeitpunkt steht das Trio - um auf die drei zurückzukommen - nach der ersten Besteigung der Südwestflanke auf dem Gipfel des Cho Oyu ( 8202 m ). Zwölf Tage später gelingt derselben Gruppe eine weitere neue Route, diesmal in der Südwand des Shisha Pangma ( 8046 m ). Damit hat Erhard Loretan, denn um ihn handelt es sich, am Ende des Jahres 1990 elf über achttausend Meter hohe Gipfel auf seiner Erfolgsliste. Er hat sie alle ohne Sauerstoff, schnell und in alpinem Stil erstiegen. Doch für Erhard ist die Erfolgsliste nicht so wichtig. Für ihn zählen am meisten die Freundschaft und die Aufrichtigkeit in der Beziehung zu den Gefährten seiner Abenteuer.

Bescheiden und zurückhaltend

Erhard Loretan spricht wenig, er entschuldigt sich deswegen mit verlegenem Lächeln: Dann springt er, den Gleitschirm auf dem Rücken und das Surfbrett unter dem Arm, von seinem Balkon in den 30 cm hohen Pulverschnee, fährt in einer glitzernden Staubwolke den Hang unterhalb seines Chalets, das sehr schön den Freiburger Voralpen gegenüberliegt, hinab.

Sich wie üblich ruhig an einen Tisch zu setzen ist unmöglich, wenn man einen Mann interviewen will, der die höchsten Berge der Welt in unvorstellbarer Geschwindigkeit besteigt. Es gibt nur die eine Möglichkeit, ihn in der Umgebung, die er liebt, in den Bergen, zu begleiten.

Die Anfänge

Erhard Loretan wurde 1959 in Bulle ( FR ) geboren. 1970, im Alter von 11 Jahren, erlebte er den ersten seiner Kindheit, die er zusammen mit seinem Bruder Daniel in einer friedlichen Familie verlebte. Bei einem Ausflug stand er auf dem Gipfel der Dent de Broc, hoch über dem Dorf, in dem er geboren wurde.

Im folgenden Jahr ist er in der Fründenhütte des SAC, oberhalb von Kandersteg, als Helfer seines Vetters, des Bergführers Fritz Loretan, der dort Hüttenwart ist. In fünf aufeinanderfolgenden Saisons in den Berner Alpen -jeweils während der Schulferien - lernt er das Gebirge kennen und lieben. In seiner Freizeit macht er sich ganz allein mit der Praxis des Alpinismus vertraut. Sein mit Arbeit überlasteter Vetter gibt ihm Ratschläge, die er durch die Lektüre technischer Werke ergänzt. So setzt er in den Felsen der Hüttenumgebung Bohrhaken und übt sich auf dem nahen Gletscher in der Verwendung von Steigeisen und Pickel. Seine ersten grossen Touren, die Besteigungen in kombiniertem Gelände in der Nord- und der Ostwand des Doldenhorns, unternimmt er selbstverständlich in Begleitung.

Im Jahr 1975 ist er an der Spitze einer Seilschaft, seine Kameraden sind ebenso jung wie er selbst. Er begeht die klassischen Routen von Chamonix, zum Beispiel die Traversierung der Aiguilles du Diable. Ausserdem beginnt er in dem heimatlichen Massiv der Gastlosen, dort, wo er sich wirklich zum Kletterer entwickelt hat, in senkrechten Wänden neue Routen bis zu 300 m zu eröffnen. Es ist die Epoche des „Bastelns“, der unzuverlässigen Bohrhaken, der verrotteten, schlechten Reepschnüre - wenn es nicht Eisendraht ist -, der schweren Schuhe und der ungenauen Einschätzung des 6. Grades, der Überlistung des Todes.

Er ist vor allem mit einer ausserordentlichen, eng verbundenen Freundesgruppe unterwegs, den „dzodzets“, wie man die Freiburger nennt. Die Equipe ist jederzeit bereit, bis in den frühen Morgen zu festen, dann ist sie „reif“, ganz gleich wohin aufzubrechen. Zu ihnen gehören Jean-Maurice Chapallay, Bernard Balmat genannt Canard, Gérard Spycher, Vincent Charrière, Jean-Claude Sonnenwyl (der aus gleichem Holz geschnitzt war wie Erhard, dann aber 1983 in der Nordwand des Dolent bei einem Skiunfall tödlich verunglückte), nicht zu vergessen Pierre Morand genannt Pomelle und Nicole Niquille, während mehr als zehn Jahren Erhards Freundin.

Rückblickend hat man feststellen können, dass der junge Erhard jener Epoche in der einen oder andern seiner Routen in der Nordwestwand der Waldeckspitze den Grad 6b erreicht hat. Die Bücher von Bonatti, Desmaison und vor allem Reinhold Messners berühmter 7. Grad haben ihn sich des Kletterns auf hohem Niveau bewusst werden lassen.

Grosse Touren in den Alpen

In den Jahren zwischen 1975 und 1980 erweitert er seine Erfahrungen in den härtesten Kletterrouten der Romandie, und wenn die Zeit es ihm erlaubt, fährt er per Autostop nach Chamonix. Fels ist gut, aber um wirklich zufrieden zu sein, braucht er grosse Weiten, kombiniertes Gelände, Eis. Ohne mit der Wimper zu zucken, auch ohne allzu viele Informationen, nur mit dem Wissen, dass schon vor ihm und seinen Kameraden Seilschaften durchgekommen sind, begeht er berühmte Routen, so das Supercouloir im Tacul und das Couloir am Dru, und eröffnet eine neue Route in der Nordwand der Droites.

Pierre Morand, Erhard Loretans treuester Freund in jenen tollen Jahren, fasst es so zusammen: "Erst wenn wir andern, die zweiten, alles gegeben haben, dann beginnt Erhard zu klettern und seinen Spass zu haben. Mag das unter schlimmsten Bedingungen sein, in der Nacht, angesichts des Unmöglichen, er behält unerschütterlich kaltes Blut und findet mit einer verblüffenden Sicherheit den rechten Weg und die richtigen Bewegungen. Er fühlt sich zu allem fähig, man würde sagen, dass er von einer unsichtbaren unbezwinglichen Kraft beseelt ist, die aus ihm einen Menschen jenseits der üblichen Normen macht." Zu diesem Jenseits-der-Normen-Stehen: Es gibt noch eine Persönlichkeit, die Erhard durch eine ihrer Besteigungen und ihr Buch fasziniert: Hermann Buhl am Nanga Parbat. Schon mit 18 Jahren weiss Erhard Loretan, dass er dorthin gehen wird.

Zu den Bergriesen Asiens

Mit dem Wunsch, Genaueres über den Himalaya zu erfahren, begibt er sich zu Yannick Seigneur nach Chamonix, der sich aber gegenüber diesen Jungen, die ihn zu stören wagen, ablehnend verhält. Zunächst verschieben die ihren Plan, in die höchsten Berge der Welt zu gehen, auf später und beschliessen für 1980 eine Mini-Expedition nach Südamerika, nach Peru. Es wird ein voller Erfolg, vor allem für so junge Alpinisten: Fünf Sechstausender wurden bestiegen, davon drei auf neuen Routen. Und das ist nur ein Vorspiel.

Im Jahr 1982 beantwortet Erhard einen Anruf von Norbert Joos, ohne zu zögern, aber mit einer Erregung, als platze der Kopf, mit einem Ja. Er bricht zum Nanga Parbat auf; das Unglaubliche wird wahr. Erhard fühlt sich in der Diamir-Flanke sogleich wohl; der 8125 m hohe Gipfel wird ohne Probleme erreicht. Jetzt überstürzen sich die wildesten Pläne in seinem Kopf. Wieder dorthin aufbrechen! Im Jahr 1983 wächst ein wirklich phantastischer Plan: drei Achttausender aneinanderreihen. Das ist zu gewaltig, als dass jeder Beliebige darauf gekommen wäre!

Die Freiburger Gruppe unter Leitung von Stephan Wörner war leichten Herzens aufgebrochen, sie erlebt jedoch zunächst einen Monat der Stürme. Dann, in nur 17 Tagen, ersteigen die voneinander unabhängigen Seilschaften jede für sich den Gasherbrum II ( 8035 m ), den Hidden Peak ( 8068 m ) und den Broad Peak ( 8047 m ) in Pakistan. Erhard Loretan, Jean-Claude Sonnenwyl und Marcel Rüedi besteigen jeden dieser Gipfel in der verblüffenden Zeit von nur zwei Tagen für Auf- und Abstieg. Leichter alpiner Stil ohne Sauerstoff heisst eins der Geheimnisse dieses grossen Erfolgs, durch den die Fiktion zur unumstösslichen Realität wird. Zu betonen bleibt, dass die Freiburger auch nach dieser Leistung sie selbst geblieben sind, sich weder bemüht haben, die Zeitschriften zu füllen, noch als Stars aufzutreten.

Danach bleibt Erhard noch einen Monat allein im Basislager des K2, aber der Sturm verhindert jede Annäherung an den Gipfel. Jedoch der Anfang ist gemacht. Erhard hat ein Gelände gefunden, das ihm entspricht. Und weiter? Eine Folge von zahlreichen und ausserordentlichen Leistungen und neuen Routen; hier einige der hervorstechendsten:

Im Herbst 1984 führt er zusammen mit Norbert Joos die erste grosse Traversierung des Annapurna ( 8091 m ) aus: 7,5 km in einer Höhe zwischen 7000 und 8000 m. Ein sechs Tage dauerndes, besonders anstrengendes und gefährliches Abenteuer, vor allem beim Abstieg zwischen ständig niedergehenden Lawinen.

1985, nach der Besteigung des K2 ( 8611 m ), führt er ( immer in leichtem alpinem Stil ) zusammen mit Pierre-Alain Steiner und Jean Troillet die Winter-Erstbesteigung der Ostwand des Dhaulagiri ( 8167 m ) aus.

1986 ist ein grosses Jahr. Zusammen mit André Georges, mit dem er ein Herz und eine Seele ist, wagt er sich an ein Projekt in den Alpen, das wieder einmal so utopisch ist, dass sie keinerlei Organisation vorsehen: die Wintertraversierung der Couronne impériale von Grächen nach Zinal. Es sind 38 Gipfel zu besteigen, davon 30, die höher als 4000 m sind! In nur 19 Tagen bestehen sie dieses verrückte, aber grossartige Abenteuer. Die grösste Überraschung nach ihrer Meinung: Zunächst, Erfolg zu haben, dann aber zu entdecken, dass sich Medienvertreter in grosser Zahl eingefunden hatten.

Der Everest

Schon ist Erhard, zusammen mit Jean Troillet, erneut unterwegs, diesmal zum höchsten Gipfel der Erde, dem Everest ( 8848 m ). Nachdem sie sechs Wochen im Basislager gewartet haben, nehmen sie, fast ohne Aussicht auf Erfolg, den Berg in Angriff. Die beiden Alpinisten vollbringen praktisch Wunder. Andere bekannte Anwärter auf die gleiche Besteigung versuchen vergeblich, den beiden unaufhaltsam Vorankommenden zu folgen, die so schnell sind, obgleich sie sich durch den Schnee kämpfen und dabei noch den Weg suchen müssen. Die beiden Schweizer lassen alles hinter sich: ausser einer tiefen Spur auch Alpinisten, die zu blossen Beobachtern geworden sind. 41 Stunden nach ihrem Aufbruch vom Basislager auf 5800 m sind die beiden Gefährten wieder zurück. Sie geben zu, dass sie beim Abstieg zeitweise auf dem Hosenboden abgerutscht sind! Das erklärt aber nur zum Teil die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der sie eine historische Leistung vollbracht haben, und das im Unterschied zu ( Leistungen ), die mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Medien im voraus organisiert wurden.

Schmerzliche Erlebnisse

Voll Enthusiasmus und Kraft plant Erhard anschliessend eine Überschreitung von Lhotse und Everest. Schliesslich entscheidet er sich, zusammen mit P.A. Steiner die Erstbesteigung der Westwand des Cho Oyu ( 8202 m ) zu versuchen. Aber der tödliche Absturz von Pierre-Alain setzt der Karriere dieses begabten Alpinisten und auch dem Plan ein Ende. Drei Tage lang wacht Erhard, ohne jede Aussicht auf Hilfe, bei seinem zerschmetterten sterbenden Freund bis zu dessen letztem Atemzug. Dieses Erlebnis gehört zu den schmerzlichsten in seinem Leben. Doch das Unglück ist hartnäckig. Zwei aufeinanderfolgende Unfälle treffen Erhard schwer: ernsthafte Frakturen der Wirbelsäule und zeitweise Lähmung der unteren Gliedmassen. Seine Wiederherstellung, die an ein Wunder grenzt, vollzieht sich im selben Stil wie seine Besteigungen: im Express-Tempo. Zum grossen Entsetzen der Ärzte hängt er sein Korsett, wenn es ihn stört, gelegentlich an den Nagel.

Neuer Aufbruch

Im Jahr 1988 in Pakistan durchklettert er bereits wieder ganz grosse und extrem schwierige Felsrouten. So gelingt ihm zusammen mit Woytek Kurtyka in 14 Tagen die Erstbesteigung der schönen Ostwand des Trango-Turms (6250 m), eines gewaltigen, 1200 m steil in den Himmel aufragenden Obelisken.

1989 folgt dann die zweite bedeutende Aneinanderreihung von Routen in den Alpen: Im Januar ersteigen A. Georges und E. Loretan in 13 Tagen 13 bedeutende Nordwände im Berner Oberland, darunter die Eigernordwand. Auch bei herrlichem Wetter erfordert ein solches Unternehmen eine ausserordentliche psychische Stärke; mehr noch als die Besteigung eines Achttausenders, bestätigt Erhard.

Erhard Loretan im Gespräch

Claude Remy: Welches sind deine schönsten Erinnerungen?

Erhard Loretan: Alles ist gut.

C. R.: Unterziehst du dich einer Diät und einem Training?

E. L: Ehrlich, ich betreibe kein Training, ausser dass ich oft in die Höhe gehe. Ausserdem liebe ich Fondue, Schokolade und Bier so sehr, dass ich selbst während einer Expedition nicht darauf verzichte! Anscheinend entspricht das nicht besonders einer Diät, vor allem, wenn man diese Dinge in grossen Mengen verzehrt.

CR.: Die finanzielle Seite, das Sponsoring?

EL: Oh, man muss sich organisieren. Es gibt immer Arbeit, und dann hat uns bei unsern ersten Expeditionen der Verkauf verschiedener Waren ( Wein, Postkarten, Kleidungsstücke ) sehr geholfen, ebenso wie Freunde in der Region. Aber man darf sich keine Illusionen machen: Sponsoren zu finden entspricht einer Arbeit. Seit 1985 ist der liebe Gott mir gut gesinnt, er hilft mir, zweimal im Jahr fortzugehen. Hätte ich mich darauf versteift, wäre es mir nicht gelungen.

CR.: Wie erklärst du deine ausserordentlichen Fähigkeiten?

EL: Also das sind die andern, die mich so beurteilen. Ich finde mich recht normal. Er- staunlich ist, dass ich klein bin. 1,68 m und 58 kg, also alles in allem ein Leichtgewicht. Da mein Stoffwechsel ausgezeichnet ist und ich die Konstitution eines Marathonläufers habe, passe ich mich sehr schnell den Verhältnissen in grosser Höhe an. Je höher ich aufsteige, desto wohler fühle ich mich, und ich habe mir niemals etwas erfroren!

CR.: Wie gelingt es dir, sozusagen immer voll in Form zu sein?

EL: Da habe ich einen Trick: Ich schlafe wenig, aber schnell!

CR.: Welchen Schwierigkeiten begegnest du im Himalaya?

EL:...Zunächst einmal kann man die Alpen und den Himalaya nicht vergleichen. Dort ist alles grösser, kostspieliger und komplexer. Man braucht mehr Zeit und mehr Mittel; al- J. Troillet und M. Badiola auf dem Gipfelgrat des Makalu les hängt ausserdem von der eigenen Form und Leistungsfähigkeit ab, die im allgemeinen durch die ungewohnte Umgebung gemindert sind. Aber in technischer Hinsicht bieten die Achttausender heute keine extremen Schwierigkeiten. Was berichtet wird, ist oft entstellt.

CR: .Welches sind die grössten Leistungen im Himalaya?

EL.: Sie sind zahlreich, und jeder hat seine eigene Wertung. Ausserdem, wie soll man die verschiedenen Epochen vergleichen? Zum Beispiel Reinhold Messners Solo-Besteigung des Nanga Parbat über eine neue Route im Jahr 78, das war eine unwahrscheinliche, unvorstellbare Tat; in jüngerer Zeit dann Torno Cesen am Jannu und am Lhotse, wo er mit der Einführung des anspruchsvollen und sportlichen Kletterns einen Riesenschritt vorwärts getan hat.

CR.: Und das Wettrennen zu den Achttausendern?

EL.: Das interessiert mich überhaupt nicht, nicht einmal für Geld. Wenn ich eines Tages die 14 Achttausender bestiegen habe, um so besser, aber ich will mich nicht dazu zwingen. Im Augenblick habe ich andere Pläne, zum Beispiel harte Routen mit Felspassagen in grosser Höhe. Es sind die verflixten Fragezeichen, die meine Neugier erregen. Die Aneinanderreihung aller Achttausender in einer Saison ist keine Utopie. Die Leistung steht jedoch in keinem Verhältnis zu dem masslosen logistischen Aufwand und den finanziellen Erfordernissen. Die ausserordentlichen und beispielhaften Erfolge von Torno Cesen erlauben, an andere Möglichkeiten zu denken, an fabelhafte Aneinanderreihungen in alpinem Stil, zum Beispiel die Südwand des Lhotse, darauf eine schöne Abfahrt bis zum Südfuss des Everest, der dann im Schwung über die Englän-der-Route zu machen wäre.

CR: Wie sind deine Beziehungen zu anderen Alpinisten?

EL: ...Weisst du, in voller Aktivität habe ich nicht viel Zeit, daran zu denken, ausser an diejenigen, mit denen ich zu Touren aufbreche. Das sind die wahren Freunde, von denen ich weiss, dass ich hundertprozentig auf sie zählen kann. Und darüber bin ich sehr glücklich und stolz. Reinhold Messner ist in allem, was er tut, stark, und er hat Erfolg. Er hat jedenfalls gewagt, die gesamte Alpinisten-Welt zu erschüttern. Ich schätze ihn ausserdem, weil er nicht aufgeblasen ist. Was sonst über ihn gesagt wird, ist Eifersucht und böse Nachrede. Was ich auch phantastisch finde, um nicht mehr zu sagen, sind die Leistungen der Alpinisten aus den Ostländern. Verglichen mit uns, fehlt ihnen fast alles, und doch übertreffen sie uns sehr oft!

CR: Wie siehst du die Zukunft im Himalaya?

EL.: Es wird die Zeit der schnellen, leichten Unternehmungen in alpinem Stil. Schwerfällige Grossexpeditionen haben in unserer Epoche keine Berechtigung mehr.

CR: Was haben dir deine grossen Besteigungen gebracht?

EL.: Sehr viel, wirklich sehr viel. Eine bessere Kenntnis meiner selbst, meiner Freunde und der Welt. Ein grösseres Wohlbefinden.

CR: Hast du dort den Yeti getroffen?

EL: Leider nicht, aber ich würde ihm gern begegnen; die Sherpas haben mir gesagt, er sei sympathisch!

CR: Warum bist du so zurückhaltend und bescheiden?

EL: Mein Charakter ist so, ich eigne mich nicht zum Idol. Immer wenn du hoch steigst, fällst du eines Tages wieder herunter. Ich rede wenig und führe das Leben, das mir entspricht. Wenn ich eines Tages von den Höhen heruntersteigen werde, wird der Schmerz weniger stark sein. Auf jeden Fall fühle ich mich mit den Medien und bei Meetings nicht besonders wohl. Ich ziehe die Freunde vor.

Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern J. Troillet und der später tödlich verunglückte P.A. Steiner in der Ostwand des Dhaulagiri ( Winter 1989 )

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