Erinnerung an einen Seilgefährten
K. Scheu, Niederwil AG
Es gibt manchmal Stunden, da steht er wieder vor mir, der alte K., hager und sonnenverbrannt, das spärliche Haar zerzaust vom steifen Gratwind. Und in einsamen Bergnächten, wenn der Sturm im Kamin heult, kann es geschehen, dass er lautlos über die Schwelle tritt, sich stumm an den Herd setzt und eine Weile zu Gast bleibt.
Göschener Voralp. Der Abend ist klar und friedlich. Vor der Hütte plaudern ein paar Touristen; ihre Holzschuhe klappern über die rauhen Platten. Ich stehe an die Mauer gelehnt und stopfe die Pfeife. Kühl und gelassen greift die Dämmerung um sich, und aus den Tälern steigt das Dunkel langsam gegen die Gipfel.
Da gesellt sich einer zu mir, ein lebhafter Graukopf, klein und sehnig, mit leuchtenden Augen im sonnengebräunten Gesicht. Er erkundigt sich eifrig nach meinen Plänen, und nach einigem Hin und Her schlägt er vor, die Ferientage gemeinsam zu verbringen und zusammen eine Seilschaft zu bilden. Sein herzliches Wesen gewinnt mich auf Anhieb, und ich sage spontan zu.
Hinter dem Sustenhorn verglüht der Sommertag; die ersten Sterne glimmen auf.
Im Morgengrauen brechen wir auf. Es gilt dem Fleckistock. Prüfend mustern wir die steile, hartgefrorene Kehle, die in kühnem Schwung zur Fluhlücke hinaufleitet. Mein Gefährte steigt vorsichtig in die Rinne ein und bewältigt sie schnell und sicher. Nach kurzer Rast im schmalen Sattel packt er die Gratrippe an. Er klettert wie eine Katze, behend und leicht; ich staune über seine Geschmeidigkeit und erkenne sogleich, dass ich viel von ihm lernen kann. Wir freunden uns rasch an, und er berichtet, redselig wie viele alte Leute, über die Höhen und Tiefen seines bewegten Lebens. Er erzählt arglos und offen, auf sehr persönliche Art. Jeder kennt ja die seltenen Momente, wo sich das Vertrauen zwischen zwei Menschen, auch zwischen Jungen und Alten, wie von selbst einstellt... Schon rückt das Signal in Reichweite; fröhlich turnen wir über die letzten Blöcke. Wir brauen einen kräftigen Kaffee und steuern dann mit frischen Kräften ungeduldig dem Stucklntock zu. Ein paar Türme drängen uns vom Grat ab — wir weichen zu weit aus und arbeiten während Stunden verbissen in den unheimlich faulen Flanken hoch über dem Rütifirn.
Als wir uns endlich heimwärts wenden, dem schützenden Obdach entgegen, liegt schon blasser Dunst auf den Gletschern. Die Hütte ist leer, die Asche im Herd kalt geworden. Wir sind allein. Mein Begleiter lässt sich müde auf einen Stuhl fallen und kramt im Rucksack. Plötzlich, wie vom Schlag getroffen, sinkt er unter den Tisch. Er ist bewusstlos, atmet schwach, aber regelmässig. Ich schiebe ihm ein Kissen unter den Kopf. Nach langen, bangen Minuten kommt er zu sich und starrt wie gebannt in eine Ecke. Er phantasiert, hält mich für den Hüttenwart und hat keine Ahnung, wer ich bin. Seltsam. Vielleicht ein Sonnenstich? Es war heute föhnig und schwül, und er hatte beim Klettern keinen Hut auf... Was soll ich tun? Ich helfe ihm auf die Pritsche und brühe einen Krug Tee auf. Er trinkt gierig und zieht sich dann die Decke über die Ohren.
Ich liege wach und horche in die Nacht hinaus. Mein Kamerad schläft. Er ist ein alter Mann, hat die Alpen kreuz und quer durchstreift, und manche Fahrt, die er in seiner besten Zeit gewagt, zählt zu den Wegen, die auch einem guten Gänger das Äusserste abverlangen. Er kennt die Dauphiné und die Dolomiten, ist weit gereist, hat sich in Kanada umgesehen, in den Rocky Mountains... Und um seinen sieb- zigsten Geburtstag angemessen zu feiern, hat er vor einem Jahr allein das Matterhorn traversiert. Aber jetzt zieht es ihn zurück ins Jugendland, zu den Gipfeln des Meientals und der Voralp. Er tastet sich zu den Anfängen zurück, der Kreis rundet sich, und bald wird er sich leise schliessen.
Am Morgen ist K. leidlich erholt, doch wir bleiben bei der Hütte und schalten einen Ruhetag ein. Wir widmen uns gerade der Polenta, als ein hagerer, von der Bürde des Alters gebeugter Mann in der Tür erscheint. Wir laden ihn zum Essen ein, erkundigen uns nach dem Woher und Wohin. « Ach, ich habe nichts Besonderes vor », meint er. « Es wird langsam Abend für mich, ich spür 's, und so will ich halt meine Berge nochmals besuchen, bevor es zu spät ist... » Mich würgt etwas in der Kehle, wie ich seinem stockenden Tonfall lausche, seiner hohlen und heiseren Stimme. Was soll ich ihm auch sagen? Die beiden Veteranen vergraben sich tief in ihre Erinnerungen, und ich entferne mich unter irgendeinem Vorwand, um sie nicht zu stören in ihrer vergangenen Welt, zu der ich keinen Schlüssel habe.
Tags darauf verabschiedet sich der Unbekannte. K. ist wieder unternehmungslustig; ihn lockt das Sustenhorn, und ich bin gern einverstanden. Leichten Sinnes, unbeschwert schlendern wir über die Schutthalden talein, reichlich spät zwar; doch was kümmert 's uns? Der Himmel ist heiter, keine Wolke zu sehen, und das Abenteuer ruft und prickelt im Blut. K. ist rührend in seiner Freude; er trägt mir spontan das Du an und breitet wieder das bunte Gespinst seines Lebens vor mir aus, seine Schicksale und Enttäuschungen... « Und weisst du », sagt er unvermittelt, « wenn ich mit dir wandere, habe ich das Gefühl, mit dem eigenen Sohn am Seil zu gehen. Ich bin kinderlos, aber heute bin ich dein Vater, und sei es auch nur für diesen flüchtigen Tag. » Welchen Anstieg wählen wir? Der Ostpfeiler schiesst jäh ins Blaue und gäbe wohl manche Nuss zu knacken. Trotzdem entschliessen wir uns, den Bogen weiter zu spannen und den zackigen Grat vom Sustenjoch über das Kleine Sustenhorn bis zum Grossen Sustenhorn zu überschreiten. Wir kommen flüssig voran, die sonnigen Abgründe zu unseren Füssen wachsen. Eine knifflige Stelle überlistet K. mit eleganter Präzision. Stunde um Stunde verrinnt. Die ständige Spannung macht uns wortkarg und ernst. Immer wieder Stand fassen und sichern, Seil ausgeben und nachrücken... wie lange schon? Der Fels ist geborsten und tückisch. Ein kantiger Block, den ich misstrauisch abtaste, bricht unter meinen Händen aus. Schutt und Trümmer fegen ins Chalchtal hinunter, Staub und Schwefelgestank steigen auf, und mir ist alles andere als behaglich zumute...
Die überstandene Gefahr rüttelt auf und macht uns empfänglich für die Schönheit der Polsterpflanzen, die aus jeder Ritze blühen; sie versöhnen uns immer wieder mit den wackligen Quadern, die uns der Berg immer aufs neue entgegenstemmt. Fast andächtig verweilen wir vor dem feinen Leinkraut und dem zähen Gletscherhahnenfuss... Nirgends pocht der Puls des Lebens so intensiv, nirgends brennen seine Farben so verschwenderisch wie an der Grenze zwischen Himmel und Erde.
Die Sonne streift schon den Horizont, als wir uns dem Steinmann des Grossen Sustenhorns nähern. Es ist 20 Uhr, und der Wind peitscht wütend auf uns ein. Wir schlottern in den verschwitzten Kleidern. Rasch fort von hier, bevor es dunkel wird! Doch wohin? Die günstig gelegene Kehlenhütte hilft uns wenig. Wir haben einen Teil der Ausrüstung in der Voralphütte gelassen, und wenn wir nicht dorthin zurückkehren, könnte eine besorgte Seele die Rettungskolonne aufbieten. Am einfachsten dürfte der Weg über die Ostflanke sein. K. hat ihn schon oft begangen, und ich überlasse ihm gerne die Führung.
Durch eine jähe Rinne stapfen wir behutsam gegen die Randkluft hinunter. Im Zwielicht steigt der Mond auf. Wir sind ihm dankbar, denn wir haben weder Taschenlampe noch Kerzenlaterne dabei. Vor dem Bergschrund machen wir halt. Mein Gefährte setzt zum Sprung an - die obere Lippe der Spalte bricht ab, und der nachstürzende Schnee reisst ihn mit. Zum Glück landet er auf einem verklemmten Firnblock, und ich kann ihn ohne allzu grosse Mühe aus seiner heiklen Situation befreien. Es wird rasch dunkler, und der Mond, kaum aufgegangen, taucht hinter ein schwarzes Riff. Doch was tut 's? Begnügen wir uns mit dem Sternenschein; der alte K. kennt ja die Route... Dass er den Grat so kurz nach dem Gipfel verlassen hat, gefällt mir allerdings nur halb. Statt ihm noch ein Stück zu folgen, ist er in die erstbeste Runse eingeschwenkt. So recht geheuer ist es mir nicht mehr, und ich stelle K. zur Rede. Seine Erklärungen sind verworren, er redet vom Gletschhorn, seinem Lieblingsberg, und erklärt kategorisch, wir befänden uns auf dem Tie-fenfirn. Sein Bewusstsein ist getrübt wie vor zwei Tagen; er hat Wahnvorstellungen, die sich irgendwie mit seinen alten Erinnerungen vermischen; jeder vernünftige Einwand prallt ab, und ich bin schliesslich gezwungen, ihn rücksichtslos anzuschreien. Es ist mir furchtbar peinlich, aber es bleibt keine andere Möglichkeit: Ich muss ihm meinen Willen aufzwingen, sonst tappt er blind ins Verderben. Wenn er ohnmächtig ins Seil strauchelt, während ich klettere, sind wir verloren. Die nackte Angst packt mich; ich beobachte ihn scharf: Er sichert ganz mechanisch, aber exakt und sauber, und ich fühle mich ein bisschen erleichtert.
Der Balkon, auf dem wir uns befinden, läuft in eine Steilstufe aus, die uns schwer zu schaffen macht. Der Versuch, sie durch ein dreckiges Kamin zu überwinden, scheitert. Der glitschige Schacht mündet irgendwo ins Leere, und ich getraue mich nicht, einfach so ins Ungewisse abzuseilen. Keuchend vor Anstrengung, stemme ich mich in der nassen Gurgel wieder nach oben, vom Kopfbiszuden Füssen verschmutzt... Was nun? Ein Biwak? Wir haben keine trockenen Kleider, sind übermüdet, und der Proviant ist knapp. Ich gebe mir einen Ruck: Weiter, weiter! Um jeden Preis!
Ein Zufall führt uns an eine Stelle, wo sich der Abbruch überlisten lässt. Benommen trotten wir über den Gletscher, der fahl und reglos daliegt. Das Schlimmste liegt hinter uns, und ich fange an mich gehenzulassen. Da reisst mich eine letzte Überraschung aus der dumpfen Gleichgültigkeit: Wir stossen auf einen schroffen Felsriegel; glucksend sprudelt Schmelzwasser über die glattgeschliffenen Platten. Fluchend hänge ich an den schlechten Griffen und bin nahe daran, den bescheidenen Rest meiner Selbstbeherrschung zu verlieren.
Wir stolpern gereizt über die Moränenwälle und Schotterfelder am Ufer der Voralpreuss. Die Hütte duckt sich in den grau verhängten Gegenhang und ist kaum sichtbar. Langsam verblassen die Sterne; um die wilden Türme des Salbi tschij en spielt ein rosiger Hauch: Es wird Morgen. Auf schwankendem Steg überschreiten wir den Wildbach. Um 4 Uhr, zweiundzwanzig Stunden nach unserem Auf bruch, stehen wir vor der Hüttentür. Der erste Vogel zwitschert. Wir sind am Ziel.
In der Küche rumoren zwei junge Leute, Einheimische von Abfrutt. Sie rüsten sich eben zum Abmarsch, um in Göschenen eine Suchmannschaft zu alarmieren... Gut, dass wir da sind!
Wir löffeln eine Suppe und machen uns heisshungrig über unsere Vorräte her. K. ist nicht zum Bleiben zu bewegen. Verstört rafft er seine Siebensachen zusammen und nimmt den Weg ins Tal unter die Füsse. Ich selber krieche ins Heu und falle in einen bleiernen Schlaf.
Eine Woche später sitze ich irgendwie verstört und unbeteiligt in der Stube meines Elternhauses. Der Abend ist lau, und vom Garten weht der süsse Duft der Phlox ins Zimmer. Alles scheint mir anders als sonst; die vertrauten Dinge sind wie vertauscht und verwandelt. Und ich weiss: Nun habe ich meine Kinderschuhe abgestreift, nun bin ich erwachsen, zum Mann geworden. Ich habe zum erstenmal um mein Leben gekämpft und seine Schönheit und Nichtigkeit bewusst erfahren.
Nach einem Monat besuche ich K. an seinem Wohnort. Er begrüsst mich wie einen guten Freund, vermag sich aber nicht zu erinnern, woher er mich eigentlich kennt. Die Tage in der Voralp sind verweht und vergessen... « Gewiss, das Sustenhorn ist ein prächtiger Berg », meint er, « doch es ist lange her, dass ich es zum letztenmal bestiegen habe... » Ich komme nicht aus dem Staunen heraus; er aber schmiedet unentwegt neue Pläne, erzählt von der Meije, die er bei nächster Gelegenheit mit mir angehen möchte. Ich weiche sachte aus, kann und will nicht versuchen, ihm seinen Zustand klarzumachen, und weitere Fahrten mit ihm zu unternehmen wäre viel zu riskant. Ich gebe mir Mühe, meine Ablehnung in behutsame Formen zu kleiden, um den alten Mann nicht zu kränken. Im Grund bin ich fast froh, dass sein Gedächtnis gelitten hat, dass er keine Ahnung mehr hat von meinem massiven, wenn auch notwendigen Auftreten in jener Nacht am Sustenhorn. Vielleicht ist es besser, wenn ihm der Zerfall seiner geistigen Kräfte nicht mehr bewusst wird. Ich drücke ihm die Hand... Es ist ein Abschied für immer.
Zwei Jahre später, an einem diesigen Augusttag, raste ich auf dem Gipfelblock des Sunnig Wichel. Schreiend, mit verspielter Eleganz jagen sich die Dohlen. Gegen Süden, kaum sichtbar, verschwimmen die Umrisse des Fleckistocks in der flimmernden Mittagshitze... Versunkene Bilder steigen in mir hoch wie Blasen; der alte K. erwacht zum Leben und lässt mich nicht mehr los: Eine Macht, die ich nicht deuten kann, zwingt mich beharrlich, an ihn zu denken.
Kurz darauf erreicht mich die Nachricht von seinem Tod: Zur gleichen Zeit, als ich auf dem Wichel meinen Erinnerungen nachhing, hat ihn am Übergang vom Flecki- zum Stucklistock das Geschick ereilt. Ich lese es in der Zeitung, in der Rubrik « Unglücksfälle und Verbrechen », zwischen Sittlichkeitsdelikten und Skandalaffären... Mein lieber Freund, ich kann sie deutlich hören, die ewigen Spiesser, wie sie sich entrüsten über die Verrücktheit, mit mehr als siebzig Jahren noch allein in den Bergen umherzustreunen, wie sie mit abschätziger Überheblichkeit ihr Urteil fällen: « Kein Gefühl für Verantwortung, komischer Kauz, wie kann man nur... » Es gibt Fragen, die bohren und bohren, nach Antwort verlangen, sich nicht abweisen lassen...
Nasskalter Nebel lastet über der Voralp, als ich in die Küche der kleinen Hütte trete. Der Hüttenwart hantiert mit den Pfannen und brummt einen knappen Gruss. Sonst ist niemand da, und wir erwarten bei diesem Hundewetter auch keinen Zuzug mehr. Wir kauen unser Abendbrot; ganz beiläufig bringe ich das Gespräch auf meinen alten Freund, auf das Wieso und Warum seines Absturzes. Der Hüttenwart ist ein verschlossener, unzugänglicher Patron und kennt mich kaum; ein ver-legenes Achselzucken ist die ganze Antwort. Erst als ich ihm die Sache erkläre und er spürt, dass ich ihn nicht einfach aus Neugierde aushorchen will, kommt er aus seiner Reserve heraus. « Ja, ich bin dem alten K. vor seinem Tod noch begegnet, in Mittwald », berichtet er zögernd; « er war aber nicht mehr recht bei Verstand, der arme Kerl, denn er hat mich nicht mehr erkannt und sich überhaupt ganz merkwürdig benommen, vor allem furchtbar viel geredet, allerhand krauses Zeug. Ja, der Alte wollte auf den Fleckistock, und am Westgrat muss die Geschichte dann passiert sein. Touristen haben seine Leiche gefunden, mit Seilen über den Firn zur Moräne geschleift und noch in der gleichen Nacht talaus getragen... Ja, so ist es gewesen... » Damit fällt er wieder in sein verschlossenes Schweigen zurück, stochert bedächtig im Feuerloch und schiebt Holz nach.
Später erscheinen noch zwei Burschen und ein junges Mädchen; Bewegung kommt in die Stube, Wärme, Lachen...
Am folgenden Mittag sitzen wir zu viert beim Steinmann des Fleckistocks. Der Nebel hat sich verflüchtigt, der Himmel ist klar, strahlend wie damals. Ein Kamerad zieht seine Mundharmonika aus der Tasche, spielt heitere und wehmü- tige Weisen. Die letzte Melodie klingt lange nach und verweht...
Vor mir, scheinbar zum Greifen nah, ein finsterer, abweisender Klotz: der Stucklistock. Hier also ist er gestorben, in der schwebenden Stille eines Hochsommertages... Ich sehe ihn stürzen - der Fall seines Körpers löst ein paar Steine, ein Schneehuhn streicht erschrocken ab dann dieselbe Ruhe wie zuvor. Ein Mensch ist ausgelöscht, und nichts, gar nichts hat sich geändert... Unbeteiligt geht die Natur ihren Gang: Kühles Wasser rieselt über die Felsen, tropft über die gebrochenen Augen des Toten. Ein Adler segelt lautlos über den Gletscher; sein Schatten streift die einsame Gestalt, die zerschmettert im Geröll liegt, und wandert weiter - aus.
Ein Gefährte, mit dem ich auf ernster Fahrt Schweres durchgestanden habe, ist nicht mehr. Sein Leben hat sich erfüllt. Es ist nicht Trauer, die micht bedrängt, vielmehr eine Art Beklommenheit... Die Mahnung ist leise, aber unüberhörbar, und doch schwingt ein tröstlicher Ton mit, ein Dichterwort: « Herr, schenk jedem seinen eigenen Tod. » Die Sonne steht im Zenit, und wir rasten noch immer auf hoher Warte. Wir sind Seilgefährten; dennoch ist jeder allein, abgetrennt, in seine eigenen Träume versunken. Meine Gedanken ziehen ihre eigene Bahn...
Es gab Zeiten, wo die Berge meine einzige Zuflucht waren, der feste Halt, an den ich mich klammerte mit der bittern Kraft der Verzweiflung. Und jung in ihrem Reich zu sterben schien mir nicht das schlimmste Los. Heute sind sie mir nicht mehr das Unbedingte, Absolute; aber ich weiss, dass sie immer hinter meinem Rücken stehen und mich begleiten werden.
Wir brechen auf: Nun gehören wir wieder zusammen, schütteln unsere Versponnenheit ab und kehren zurück in die gemeinsame Welt verlässlicher Kameradschaft. Hell klingen die Zurufe des Mädchens. Noch ist es Tag, und kein Schatten liegt über dem weiten Horizont...