Erneut mehr Notfälle und Bergtote
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Erneut mehr Notfälle und Bergtote Bergnotfälle 2011

Letztes Jahr sind in den Schweizer Alpen und im Jura insgesamt 2644 Menschen in Not geraten,1 knapp 9% mehr als im Vorjahr. 217 Personen sind ums Leben gekommen. Noch ungünstiger ist die Bilanz beim Bergsport: Hier verunfallten 151 Personen tödlich, 22% mehr als im Jahr zuvor.

Das Kalenderjahr 2011 war gemäss Meteo Schweiz mit einem Temperaturüberschuss von zwei Grad das wärmste Jahr seit Messbeginn im Jahr 1864. Es war trocken und extrem sonnig. Dennoch waren die Bedingungen für den Bergsport nicht ideal.

Wegen der sehr knappen Schneelage von Januar bis April waren die winterlichen Touren trotz viel Sonnenschein nicht immer famos. Der aussergewöhnlich milde Frühling ermöglichte hingegen bereits sehr früh Bergwanderungen bis in mittlere Höhenlagen.

Im Juni, Juli und auch noch Anfang August führten Kaltlufteinbrüche vor allem im Hochgebirge zu schwierigen Verhältnissen. Erst die Hitzeperiode ab Mitte August sorgte für hohe Tourenaktivitäten. Gebietsweise heftige Gewitter erforderten jedoch eine zurückhaltende Tourenplanung.

Mitte September schneite es bis in tiefere Lagen. Arosa erwachte am Morgen des 19. Septembers unter einer knapp 40 Zentimeter dicken Schneedecke. Nach diesem Intermezzo hielt wieder sonniges und mildes Wetter Einzug, doch Schneereste und nasse Bergwege geboten Vorsicht.

Anfang Oktober gab es im Norden einen massiven Wintereinbruch, auf 2000 Metern wuchs die Schneedecke regional bis gegen einen Meter an. Der nachfolgende Starkregen, verbunden mit einer intensiven Schneeschmelze, sorgte beim Bergsteigen für sehr prekäre Bedingungen.

Darauf blieb der Niederschlag über Wochen aus, und die sehr milde Witterung ermöglichte weiterhin sehr viele Bergtou­ren. Allerdings waren die Tage nun sehr kurz und an schattigen und höheren Lagen waren viele Pfade vereist.

Ab Mitte Dezember hatte das Bangen der Schneesportbegeisterten ein Ende: In vielen Regionen fiel der ersehnte Schnee. Zum Jahresende lag vielerorts eine überdurchschnittlich hohe Schneedecke mit mehrheitlich guten Tourenbedingungen.

 

44 Tote mehr

Dieses von Wetterkapriolen geprägte Bergjahr hat das Unfallgeschehen ungünstig beeinflusst. Insgesamt mussten in den Schweizer Alpen und im Jura 2644 Personen die Bergrettung in Anspruch nehmen, das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme von rund 9%. Die Zahl der Todesfälle stieg von 173 auf 217.

Beim Bergsport im engeren Sinne2 ist eine ungünstige Entwicklung zu verzeichnen; hier haben bei 135 Ereignissen 151 Personen das Leben verloren. Mehr Opfer gab es namentlich beim Bergwandern und auf sommerlichen Hochtouren, weniger Tote sind hingegen beim Klettern im Fels und bei Skitouren zu verzeichnen.Die Generation «fünfzig plus» war mit 72 Opfern oder fast der Hälfte aller tödlich Verunfallten stark vertreten. Im Jahresvergleich deutlich höher ist auch der Anteil der tödlich verunfallten Ausländer, dieser entspricht mit 73 Opfern 48% (Vorjahr: 36%).

 

Blockiert, überfordert, erschöpft auf Hochtouren

Das ungewöhnliche Wetter hat sich auch in der Zahl der Notfallereignisse niedergeschlagen. 423 Alpinisten mussten auf Hochtouren aus einer Notlage gerettet oder geborgen werden, rund 8% mehr als im Vorjahr. Die häufigsten Notfallursachen waren wiederum Blockierungen infolge schwieriger Verhältnisse, Überforderung oder Erschöpfung. 188 Personen mussten deswegen gerettet werden, die meisten davon waren unverletzt (Vorjahr: 164).

Zahlreicher als im Vorjahr waren auch Unfälle durch Sturz oder Absturz, Steinschlag und Gletscherspaltenstürze. Durch solche Unfälle starben 33 Alpinisten, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Von diesen waren 29 Personen oder knapp 88% ausländische Staatsangehörige.

Gefährliche Alleingänge

Die meisten Hochtourengeher (31 Opfer) starben an den Folgen eines Sturzes oder Absturzes. Sieben Personen waren als Alleingänger unterwegs, vierzehn waren nicht angeseilt, obwohl es nötig gewesen wäre. Allein am Mönch gab es fünf tödliche Abstürze, zwei waren Alleingänger, die anderen nicht angeseilt.

Durch Mitreissunfälle starben bei vier Ereignissen sieben Personen. Zwei Unfälle endeten für alle Seilschaftsmitglieder tödlich. Bei den beiden anderen Unfällen hat je ein Partner einer Zweierseilschaft mit schweren Verletzungen überlebt. Zwei Alpinisten starben an den Folgen eines Steinschlags, in einem Fall im Aufstieg durch das Couloir Copt zu den Aiguilles Dorées und im zweiten Fall während des Abseilens nach Osten vom Sattel zwischen Grünegg- und Grünhorn.

 

Mehr Notfälle beim Klettern, weniger Tote

Beim Klettern im Fels, in Klettergärten, auf Mehrseillängenrouten und im alpinen Gelände sind 152 Personen in eine Notlage geraten oder verunfallt (Vorjahr: 116). Im Rahmen von abgesicherten Mehrseillängenrouten im Plaisir–Bereich waren 71 Personen betroffen, auf alpinen Touren 47, in Klettergärten 20 und im Extrembereich 13 Kletternde. Mehr als die Hälfte aller Beteiligten konnten gesund oder nur leicht verletzt gerettet werden. In eine Notlage gerieten sie wegen ungünstiger Wetterbedingungen, einbrechender Dunkelheit, weil sie sich im Abstieg verirrt hatten oder sich beim Abseilen die Seile verklemmt hatten. Durch einen Sturz ins Seil verletzten sich 46 Personen, dies meistens im Vorstieg. 13 Kletternde wurden durch Steinschlag verletzt, deutlich mehr als im Vorjahr. Die drei Todesopfer kamen bei Stürzen ums Leben. Bei zwei Ereignissen verletzten sich die Vorsteigenden tödlich, obwohl diese Stürze von den Sichernden gehalten werden konnten.

 

Heikle Verhältnisse für Schneesportler

Die stark unterdurchschnittliche Schneedecke schränkte den Schneesport im Touren- und Variantenbereich ein. Dies beeinflusste das Notfallgeschehen: Sowohl auf Skitouren mit 282 wie auch beim Freeriden mit 195 Betroffenen gerieten im Vergleich zum Vorjahr weniger Schneesportler in eine Notlage. Die meisten waren blockiert oder hatten sich verirrt und konnten unverletzt aus ihrer misslichen Lage befreit werden. Im Titlisgebiet war es praktisch unmöglich, beliebte Varianten wie etwa die die Galtiberg/Sulzgraben-Abfahrt zu machen. Trotzdem wurde es immer wieder versucht, was dazu führte, dass die Bergrettung während einzelner Tage in regelrechten Shuttle-Flügen immer wieder blockierte Freerider evakuieren musste.

 

Lawinen trotz wenig Schnee

Wenig Schnee bedeutet keineswegs geringe Lawinengefahr. Diese Regel bestätigte sich auch in diesem Winter. Während der sehr trockenen Periode von Mitte Januar bis Mitte Februar wurde die Schneedecke vor allem an West-, Nord- und Osthängen aufbauend umgewandelt. Die Lawinensituation war in dieser Zeit günstig mit zeitweise geringer Lawinengefahr im ganzen Gebiet der Schweizer Alpen. Während dieser Periode ereigneten sich drei Lawinenunfälle bei Skitouren mit insgesamt vier Todesopfern, alle bei der Gefahrenstufe «mässig» und in Steilgelände mit mehr als 35 Grad Hangneigung.

Die nachfolgenden Niederschläge ab Mitte Februar und im März waren zwar wenig ergiebig, überdeckten jedoch nun die geschwächte Altschneedecke. Dies führte, vor allem am westlichen Alpenhauptkamm zu heiklen Lawinensituationen und mehrere Unfälle verschlechterten die zuvor eher günstige Unfallbilanz markant. So kam es zwischen dem 1. März und dem 1. April zu neun Lawinenauslösungen mit schwerwiegenden Folgen. 19 Schneesportler fanden dabei den Tod. Beim ganzen Schneesport waren es 10 Unfälle mit 20 Toten.

Der folgenschwerste Unfall ereignete sich am 26. März an einem steilen Nordosthang im Valsorey-Tal östlich von Bourg-Saint-Pierre. Hier wurden um die Mittagszeit zehn Teilnehmer einer elfköpfigen Tourengruppe (9 Schneeschuhläufer und 2 Tourenskifahrer) von einem Schneebrett erfasst und in die Tiefe gerissen. Fünf der verschütteten Personen überlebten nicht; die letzte Verschüttete fand man nach mehreren Suchaktionen erst am 18. Mai - das LVS befand sich ausgeschaltet im Rucksack. Im weiteren Verlauf der Frühlingssaison stürzten noch zwei Skitourenfahrer tödlich ab.

Der Winter 2011/2012 begann sehr spät, dann aber richtig. Ab Mitte Dezember wurden vor allem die westlichen und nördlichen Alpen kräftig eingeschneit und zum Jahreswechsel lag bereits verbreitet eine sehr mächtige Schneedecke. Zeitweise herrschte grosse Lawinengefahr, die sich aber rasch zurückbildete. Während des 11. und 29. Dezembers ereigneten sich drei Lawinenunfälle mit tödlichem Ausgang.

 

Mehr Unfälle beim Bergwandern

Viele Berggänger nutzten den schönen Frühling und Spätherbst, um die Wandersaison zu verlängern. Entsprechend nahm die Zahl der Personen in Not um 16% auf 1140 Personen zu. Durch Sturz oder Absturz verunfallten 487 Wanderer (Vorjahr: 447). Deutlich häufiger waren auch Ereignisse nach Blockierung oder Verirren mit 369 Beteiligten (Vorjahr: 282). Es erkrankten auch weitaus mehr Personen (204) als im Jahr zuvor. 39 davon starben, meist an den Folgen eines Herz-Kreislauf-Problems (Vorjahr: 22).

Durch Unfälle haben 64 Wanderer ihr Leben verloren. Die häufigste Ursache mit 56 Opfern war ein Sturz oder Absturz. 21 Betroffene waren auf einem markierten Bergweg, 20 im weglosen Gelände, 7 auf alpinen Routen, 5 auf Wanderwegen und 3 auf einem nicht markierten Pfad unterwegs. Durch Steinschlag starben 4, wegen Verirren in der Dunkelheit und nachfolgendem Absturz 3 Personen. Ein Wanderer wurde von einer Lawine verschüttet.

Der Anteil der betroffenen Schweizer ist – wie auch in früheren Jahren – höher als bei den andern Bergsportaktivitäten und beträgt 71%. Zudem waren 29 Personen oder gut 45% aller tödlich verunfallten Wanderer über 60 Jahre alt (Vorjahr: 41%).

 

Kühe, Gleitschirme und Jäger

Selten, aber bemerkenswert sind Unfälle wegen Tieren. Fünf Personen wurden von Kühen attackiert (und teilweise schwer verletzt), bei drei Personen verursachten Insektenstiche allergische Reaktionen, und zwei Wanderer wurden von Schlangen gebissen.

Auch bei den übrigen Outdooraktivitäten hat die Zahl der Notfälle mit 451 Beteiligten zugenommen (Vorjahr: 392). Mehr Unfälle gab es beim Gleitschirmfliegen mit 152, gefolgt vom Mountainbiken (114), von der Jagd (34) und vom Base-Jumping mit 26 verunfallten Personen. Es fällt auf, dass die Überlebensrate beim Base-Jumping deutlich höher ist als in den Vorjahren. 19 der 26 Betroffenen haben überlebt. Der Fallschirm blieb an den Felsen hängen oder landete in einer Baumkrone. Demgegenüber war die Zahl der tödlich verunfallten Jäger mit zehn Personen sehr hoch. Die meisten glitten im steilen und gefrorenen Gelände aus. Etwas weniger Unfälle gab es auf Klettersteigen und beim Pilzsuchen.

 

Fazit: Vorsicht ausserhalb der Saison

Die höheren Notfall- und Unfallzahlen im Berichtsjahr 2011 sind zu einem wesentlichen Teil auf die speziellen Witterungsbedingungen zurückzuführen. Die aussergewöhnlich langen Schönwetterperioden im Frühling und Spätherbst erlaubten noch Tourenaktivitäten ausserhalb der üblichen Saison. Solche Unternehmungen sind häufig anspruchsvoller: Besonders auf Schneefeldern im Frühling oder vereisten Pfaden im Spätherbst ist Vorsicht geboten. Nicht selten ist auch eine Zusatzausrüstung (Steigeisen oder Pickel) sinnvoll, um gefährliche Situationen zu meistern.

Herkunft der Daten

Die Statistik der Bergnotfälle stützt sich auf Angaben und Mitarbeit folgender Personen und Institutionen: Elisabeth Müller und Andres Bardill, Alpine Rettung Schweiz; François Hochstrasser, Daniel Breitenmoser, Christine Mooij und Mario Tissi, REGA; Pierre-Alain Magnin, KWRO; Bruno Jelk, Bergrettung Zermatt; Christoph Berclaz und Raphael Richard, Association François-Xavier Bagnoud, Maison du Sauvetage, Sion; Monique Walter, bfu; Marco Salis, Bergrettung Graubünden; Hans Hostettler, Bergrettung Berner Oberland; Theo Maurer und Fritz Teuscher, Rettungsstation Oberhasli; Edi Schäli, Rettungsstation Entlebuch-Sörenberg; Bruno Durrer, Bergrettung Air Glaciers Lauterbrunnen und Gesellschaft für Gebirgsmedizin; Benjamin Zweifel, SLF; .Bruno Gribi, KAPO Solothurn.

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